Die Geisterschiffe üben schon

Chris Eder schreibt über moderne Schiffe ohne Besatzung und hat sich dafür bei dem Roboter-Segel-Experten Robert Stelzer informiert.

Ein Segelschiff fährt kreuz und quer im Pazifik, um Erkenntnisse über das Verhalten von Walen zu gewinnen. Es folgt den Tieren ausdauernd über Wochen oder gar Monate und hält dabei unermüdlich Kurs trotz Wind und Wellen – aber an Bord kein Mensch.
Sondern ein Computer und etwas Elektronik. Diesen Herbst wird eine solche Sci-Fi Fantasie in einem Kooperationsprojekt zwischen der INNOC Wien und der Oregon State University bereits Realität.

Seit einigen Jahren geschehen große Fortschritte auf dem Gebiet des Robotersegelns. Eine kleine, aber umso interessantere Entwicklergemeinde übt sich im weltweiten freundschaftlichen Wettbewerb an den Herausforderungen, die Wind und Wellen stellen. Im Zeitraum der letzten fünf Jahre wurde auf nahezu allen Gebieten der Nachweis der prinzipiellen Machbarkeit erbracht und somit ein ganzer Kosmos an Utopien für faszinierende Anwendungsgebiete einer solchen Technologie gerechtfertigt.
Im Spitzenfeld mit dabei ein Team der »Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften« (INNOC) aus Wien, das mit seinem Boot derzeit einen Titel nach dem anderen abräumt.

Als Forschungsobjekt dient ein praktisch fast unsinkbarer Schwimmkörper: Das ASV-ROBOAT ist ein 3,75 m langes Übungssegelboot (»Laerling«-Klasse) für Kinder, welches mit einem 60kg Kielgewicht versehen besonders stabil im Wasser liegt.
Es verfügt über eine Fotovoltaikanlage mit Spitzenleistung von 285 Watt, was einer dauernden durchschnittlichen Energieverfügbarkeit von ca. 30 Watt entspricht. Als Backup Energieversorgung eine Direkt-Methanol-Brennstoffzelle mit 65 Watt Leistung, die sich bei Bedarf zuschaltet. Zwischengespeichert wird der Strom in Lithium-Ionen-Akkus mit insgesamt 4,6 kWh Kapazität.
Die Bordelektrik dient der Versorgung der Sensoren und Aktoren. Der bei weitem größte Verbraucher ist der Stellmotor für die Segel. Weiters zu versorgen ist eine Ruderanlage, der Bordcomputer, das dreistufige Kommunikationssystem (SatKom Modem Iridium SBD 9601, UMTS Huawei E220, WLAN Buffalo WHR-HP-54-G) und mehrere Sensoren wie GPS-Receiver, Kompass, Windsensor, Inertialsensoren für Lage und Neigung, Beschleunigungssensoren, u.m..

Insgesamt also eine ganze Reihe von Geräten, deren ständige, verlässliche, autarke Energieversorgung gewährleistet sein muss. Zudem stellt die Kombination aus Elektronik und Salzwasser eine besondere Herausforderung dar. Das Boot muss zuverlässig über mehrere Wochen unter teils widrigen Bedingungen funktionieren.
Die Aufgabenstellung, ein Segelboot völlig autonom in See stechen zu lassen, ist äußerst komplex. Beim Segeln spielt neben Können und Übung auch Erfahrung und Wissen eine entscheidende Rolle.

Die Kunst des Robotersegelns

»Zu Beginn wollten wir einfach nur zeigen, dass Segeln nicht zwangsläufig dem Menschen vorbehalten ist. Viele Segler belächelten unsere Ideen und bezeichneten sie als nicht realisierbar. Internationale Wettbewerbe (siehe www.roboticsailing.org), die wir bisher alle gewinnen konnten, gaben uns natürlich zusätzliche Motivation.« sagt Robert Stelzer vom Team des ASV Roboat. »Die wissenschaftlich Herausforderung besteht darin, einem Rechner die Kunst des Segelns bei zu bringen. Das umfasst alle Aufgaben, die an Bord eines herkömmlichen Segelbootes vom Skipper wahrgenommen werden: Routenplanung, Durchführung der Manöver, optimaler Segel- und Rudertrimm ... immer in Abhängigkeit zu den momentanen Windverhältnissen.«

Dabei wurde Teilprobleme identifiziert: »long term routing« (vorausschauende Routenplanung für große Distanzen) und short term routing, »station keeping« (das Halten einer Position im offenen Gewässer) oder »collision avoidance« (Erkennung und Behandlung von Hindernissen).

Wie bei anderen Robotic-Experimentierfeldern bot es sich auch hier an, die Entwicklung durch quasi-sportlichen Wettbewerb voranzubringen. Seit einiger Zeit treffen sich ambitionierte Roboterentwickler jährlich zur Weltmeisterschaft. Ähnlich beispielsweise den Roboterfußballmeisterschaften, wird auch dieses Ereignis jeweils von einer wissenschaftlichen Konferenz begleitet, auf der die neuesten Arbeiten der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Seit 2010 werden zwei vormals parallele Wettbewerbe kombiniert ausgetragen: Die world robotic sailing championship (WRSC) und die SailBot.
»Die WRSC gibt es seit 2008. Es steht bei diesem freundschaftlichen Wettbewerb der wissenschaftliche Austausch im Vordergrund. Die WRSC findet immer gemeinsam mit der IRSC (International Robotic Sailing Conference) statt, wo die Teams ihre Forschungsergebnisse des jeweils vergangenen Jahres präsentieren und diskutieren.
Die Sailboat wurde von Naval Academies in den USA und Kanada gegründet. Es stand dabei das Bootsdesign im Vordergrund, also die Entwicklung möglichst performanter Rümpfe und Riggs. Demzufolge waren auch die Aufgaben in der Vergangenheit teilweise ferngesteuert oder nur teilautonom (zB. Segel autonom, Ruder ferngesteuert).
Bei der WRSC hingegen war von Anfang an volle Autonomie des Bootes die oberste Regel. Heuer wurden beide Bewerbe erstmals gemeinsam veranstaltet. Ich halte diese Zusammenlegung für sehr spannend und zukunftsweisend, weil dadurch wir »Computer-Leute« viel von den »Bootsbau-Experten« lernen können und umgekehrt. Heuer hat sich gezeigt, dass derzeit noch eine gute Software wichtiger ist als ein schnittiges Boot, aber ich bin sicher, dass in Zukunft jene erfolgreich sein werden, die von beiden Bereichen was verstehen.«, erläutert Robert Stelzer die Hintergründe.

Genau die oben genannten wissenschaftlichen Teilprobleme finden sich in den Kategorien des Wettkampfes wieder.
Es sind Aufgaben zu erledigen wie: Einfahren in ein 40 x 40 m großes markiertes Gebiet und dort Wind und Wellen trotzend über längere Zeit verbleiben. Oder: auf einer 60m langen Strecke einmal gegen den Wind und zurück in einen nur 3m breiten Zielbereich einfahren. Oder ein »long-distance« Rennen, bei dem innerhalb einer festen Zeit von 8 Stunden möglichst viele Runden zurückgelegt werden müssen.
Die Regeln sind dabei relativ einfach: Für den Antrieb ist nur Windenergie erlaubt (mittels Segel), alle Energie für die Geräte muss an Bord erzeugt und gespeichert werden. Datentransfer während des Bewerbes vom Boot zur Crew ist unlimitiert. Jeder Datentransfer zum Boot ist kategorisch verboten.
Das heißt: Alle Manöver, die das Wasserfahrzeug absolviert, geschehen ohne menschliches Zutun. Die Ergebnisse sind erstaunlich:
Robert Stelzer zieht dazu eine Zwischenbilanz: »Grundlegende Navigation und Short Course Routing sind seit etwa 1-2 Jahren weitgehend gelöst, wenngleich es natürlich immer noch viel Raum für Performanceverbesserungen gibt. Bis zum vergangenen Jahr war außerdem Energieautarkie das dominierende Thema. Immer stromsparendere elektronische Komponenten kamen hier den Entwicklern sicherlich entgegen, weshalb dieses Thema etwas an Dominanz abgenommen hat. Seit heuer wird fieberhaft an Verfahren zur autonomen Hinderniserkennung und Kollisionsvermeidung gearbeitet. Hier erwarte ich mir in den nächsten Monaten die größte Dynamik, da das meiner Meinung nach der wesentliche Missing Link zu einem marktreifen Produkt ist.«

»Fuzzy Logic« auch ohne Seekrankheit

Unter den vielfältigen Ansätzen in der Forschung nach Roboter-Mobilität (»mobile robotics«) ist die Entwicklung von autonomen Segelbooten aus einigen Gründen eine besonders interessante Disziplin. Einerseits weil die Welt, in der sich ein solcher Roboter bewegen soll, das tragende, flüssige Medium Wasser ist, bestehen hier ausgezeichnete Voraussetzungen für das so entscheidende Problem der Nutzlast-Energie-Relation (je größer der Energiespeicher, desto größer der Energiebedarf für die Bewegung, Anm.). Denn: die Energie für den statischen Auftrieb ist geschenkt durch das archimedische Prinzip und die Energie für den dynamischen Antrieb ist geschenkt durch die Windkraft, die auf die Segel wirkt.

Zum anderen erscheint aber die Regelung der Position des Roboters ungeheuer kompliziert. Denn sie ist durch stark dynamische Einflüsse charakterisiert. Das Objekt driftet ja auf der Wasseroberfläche und das Ruder ist den Meeresströmungen ausgesetzt. Zudem wirken ständig irgendwelche Windkräfte auf die Segel.

Auf ein gewünschtes Verhalten des Bootes (etwa Absolvieren einer bestimmten »long term«-Route) wirkt eine sehr große Menge von im Prinzip weltweit zusammenhängenden Wind- und Wettereinflüssen. Die Anwendung von Logik-Programmierung, respektive »Constraint-programming« ist vielversprechend, um in einem Algorithmus diese vielen Informationen berücksichtigen zu können. Dabei wird im Unterschied zur prozeduralen Programmierung nicht mehr ein expliziter Lösungsweg ausprogrammiert, sondern lediglich angegeben, wie das Ergebnis einer Eingabe lauten soll. Der Interpreter eines solchen Programms sucht dann mithilfe eines Satzes von Regeln nach einer Realisierung des gewünschten Ergebnisses.

Im Bereich des »short course routing« liegt die Thematik der »reaktiven Kollisionsvermeidung«. Dazu muss der aktuelle Zustand eines Bootes ermittelt werden können. Dazu gehört etwa die Fahrtgeschwindigkeit, die Lage zum Wind und die relative Position zu allen relevanten Hindernissen in der Umgebung. Mit diesen Parametern kann dann die beste Umgehungsroute ausgeführt werden.
Der Ansatz in der Forschung ist es, vom Prinzip des Segelns so gut als möglich zu abstrahieren, und daraus ein allgemeines Modell zu entwickeln. Die grundlegenden Regeln sind für jede Art von Segelboot gleich. Dem Computer wird das Segeln beigebracht und nicht der Umgang mit einem bestimmten Boot. Um Expertenwissen (etwa: »die Grundregeln des Segelns«) in eine computerbasierte Regelung zu übertragen, hat sich laut den Entwicklern »Fuzzy Logic« als gute Möglichkeit herausgestellt.
Und der Ansatz scheint zu funktionieren. Robert Stelzer: »Wir haben 2005 mit einem kleinen Modellboot (1,4 m lang) begonnen. Jetzt haben wir die fast 4 m lange ASV Roboat und verwenden exakt die gleichen Algorithmen. Das war für uns der beste Beweis für die allgemeine Einsetzbarkeit unseres Systems.«
Doch die Entwicklung soll noch weitergehen. Zu einem intelligenten System gehört schließlich auch ein gewisses Maß an Lernfähigkeit: »Bei der Umstellung vom kleinen auf das größere Boot mussten nur eine Hand voll Parameter angepasst werden. Bisher haben wir dieses Tuning selbst vorgenommen. Ziel ist es aber, diese Optimierung von der Software selbst machen zu lassen. Man könnte dann das System einfach an ein beliebiges Boot anschließen, es ein bisschen »üben« lassen - und das System wäre einsatzbereit«.