Stefan Petzner vom BZÖ machte sich Ende Juli Gedanken über die globale Krise: »Wer ist im Hintergrund so mancher großen Bank? Das verspekulierte Geld ist ja nicht weg, es hat nur jemand anderes. Nämlich Banker und Spekulanten an der Wall Street. Wenn man dann noch forscht, woher Goldmans und Lehmans so kommen, wird man auf spannende Ergebnisse stoßen.« Gefragt, ob er auf »jüdische Wurzeln« anspielen wolle, antwortete Petzner ganz in der kryptischen Manier seines politischen Ziehvaters: »Ich verweise nur drauf, dass Herr Goldman und die Brüder Lehman schon eine Geschichte haben.« Es ist dies die Sprache des nachnationalsozialistischen Antisemitismus, die gänzlich darauf verzichten kann, das eigentlich Gemeinte, nämlich »Die Juden sind unser Unglück«, auch auszusprechen.
Seit Anfang August muss Petzner sich mit ganz anders gelagerten Finanzskandalen herumschlagen, die selbst er nicht mehr den »wahren Mächtigen in der Welt, die an der Ostküste oder sonst wo sitzen«, anzulasten vermag, denen der BZÖ-Politiker auch die Ermordung seines großen Vorbilds zutraut. Seit über die mutmaßlichen Millionenkonten des verstorbenen Parteichefs im Ausland berichtet wurde, verlegen sich die treuen Haiderjünger auf Attacken gegen jene, die mit dem dubiosen Finanzgebaren der FPÖ und des BZÖ befasst sind. Der in der Sache ermittelnde Staatsanwalt müsse abberufen werden, da es sich um einen »linken Agenten und sozialistischen Freimaurer« handele.
Schon in den vergangenen Monaten ist Haiders langjährige Praxis, Kärnten mit kostspieligen Events zu überziehen, persönlich 100-Euro-Scheine unter die Bevölkerung zu bringen, den ökonomischen Kamikaze-Kurs durch halsbrecherische Geschäfte der mittlerweile maroden und verstaatlichten Hypo-Alpe-Adria-Bank zu finanzieren und im Ergebnis nichts daran zu ändern, dass das südlichste Bundesland das ärmste in Österreich ist, etwas in Verruf geraten. Nun geht es um Millionenbeträge, die Haider auf Liechtensteiner Konten als »Notgroschen« geparkt haben soll, und deren eventuelle Verwendung bei Bestechungen. Zumindest Teile des Geldes sollen von Muammar al-Gaddafi und den irakischen Ba’athisten stammen.
Neben Walter Meischbergers Tagebuch und anonymen Informanten lagen Anfang August keine eindeutigen Beweise für die Konten oder Zahlungen aus Libyen und Saddams Irak vor. Das hatte allerdings auch keine seriöse Zeitung behauptet. Die verbalen Ausritte des stellvertretenden Bundesobmanns des BZÖ Gerald Grosz, der von »Schweinejournalis-mus« mit »Stürmer-Qualität« sprach, zeugen nicht von jener beängstigenden Souveränität des politischen Übervaters, der noch auf jede Anschuldigung mit ebenso aggressiven wie wohlüberlegten Gegen-attacken reagierte, sondern von Panik und einer Ahnung, diesmal vielleicht doch nicht ganz ungeschoren davonzukommen. Die mittlerweile aufgetauchten Dokumente aus dem irakischen Innenministerium, in denen von Zahlungen in Millionenhöhe an Haider und Ewald Stadler die Rede ist, und die inzwischen präsentierten Zeugen deuten zumindest darauf hin, dass die Geschichte so schnell nicht wieder verschwinden wird.
Seit Jahren existieren freundschaftliche Beziehungen der FPÖ und zentraler BZÖ-Politiker nicht nur in den Irak und zu Libyen, sondern auch mit Syrien und dem iranischen Regime. Auf Grund ihrer ethnopluralistischen und kulturalistischen Konzeptionen stellt es für rechtsradikale Gruppierungen kein Problem dar, gegen Moslems in Europa mobil zu machen und sich gleichzeitig beispielsweise mit der »Islamischen Republik« im Iran zu solidarisieren. Haider war Präsident der Österreichisch-Libyschen Gesellschaft, der ehemalige FPÖ-Verteidigungsminister Herbert Scheibner jener der Österreichisch-Syrischen. Der Irakisch-Österreichischen Gesellschaft stand zu Zeiten Saddams Ewald Stadler vor.
Auffallend an der Berichterstattung ist die Charakterisierung dieser Beziehungen als skurriler Eskapismus, während von den ideologischen Übereinstimmungen mit dem Baathismus oder Gaddafis »dritter Universaltheorie« kaum Notiz genommen wird. Dabei reicht ein Blick in Haiders 2003 erschienenes Buch »Zu Gast bei Saddam«, um einen Eindruck von der Bewunderung des Kärntner Lautsprechers des gesunden Volksempfin-dens für den panarabischen Nationalismus und sein antiwestliches Ressentiment zu bekommen. An Gaddafi imponierte Haider, der sich zum Wunder vieler Linken stets als »Araberfreund« charakterisierte, das »Bekenntnis zu Kultur, Volk und einer bestimmten Lebensweise, die Denken und Handeln prägen und die Errungenschaften der modernen Welt vergessen lässt«. Der Kärntner Landeshauptmann, dessen Allianz mit dem Autor des Grünen Buches gerne als »Zweckbündnis« verharmlost wurde, ist Ende der Neunzigerjahre vom libyschen »Revolutionsführer« als Verbündeter im Kampf gegen die »zionistische Herrschaft« gefeiert worden. Schon 2000 hatte der Gaddafi-Sohn Saif al-Islam verkündet: »Wir sind mit der FPÖ in Kontakt, weil Jörg Haider unser Freund ist. Sollten sich dadurch geschäftliche Beziehungen ergeben, wäre das kein Nachteil.« Als die EU nach dem Regierungseintritt der FPÖ ein paar läppische Sanktionen gegen Österreich verhängte, sprang Gaddafi seinem Freund zur Seite: »Europa sollte die Interessen seiner Völker und nicht die des zionistischen Systems im Auge haben.« Mehrfach reiste Haider während der schwarz-blauen Koalition nach Tripolis.
Nach Bagdad flog Haider 2002 gleich dreimal, um dem irakischen Diktator jene Visiten abzustatten, die von dem isolierten Regime fürstlich honoriert worden sein sollen. In seinem Reisebericht erklärte Haider, »in der Palästinenserfrage einer Meinung mit Saddam« zu sein. Einem weiteren geplanten Besuch kam die US-Armee in die Quere. Nach dem Sturz Husseins tauchten Dokumente auf, die auf eine Verwicklung der Irakisch-Österreichischen Gesellschaft in lukrative Ölgeschäfte schließen lassen. Dem irakischen Außenminister Nadji Sabri bot Haider Asyl in Kärnten an.
Alle bisherigen Skandale haben weder der FPÖ noch dem Ansehen Haiders nachhaltig geschadet. In den Augen ihrer Wählerschaft stellte es offenbar keinen Widerspruch dar, als Partei der »Ehrlichen und Anständigen« aufzutreten und gleichzeitig ein alternatives Modell der Abzocke zur sozialdemokratischen und konservativen Klientelpolitik zu praktizieren. Was bei den Vertretern der »Systemparteien« als Ausweis ihrer gemeinschaftsschädigenden Gesinnung galt, erschien beim prototypischen Führer der demokratischen Volksgemeinschaft als Beleg dafür, was für ein »klasser Bursch« er doch sei, der jederzeit bereit ist, sich zum Wohle des Volkes über unnütze Vorschriften hinwegzusetzen.
Er war der Tausendsassa, der versuchte, Kärnten mit billigem libyschen Öl zu versorgen, während er gleichzeitig gegen die Islamisierung Österreichs wetterte.
Angesichts des offensichtlichen ökonomischen Desasters, das Haider seinen Nachfolgern hinterlassen hat, könnte er nun aber posthum selbst ins Visier jenes Volkszorns geraten, den er zu Lebzeiten so virtuos bedient hat. Andreas Mölzer nutzt als langjähriger Chefideologe des äußersten rechten Flügels der FPÖ die Gelegenheit zur Generalabrech-nung mit Haider, dessen »politische Irrwege« korrigiert werden müssten. Von links wird die Abrechnung mit Haider derweil mit einem Vokabular betrieben, an dem Mölzer durchaus Gefallen finden dürfte. Armin Thurnher erklärte Haider im Falter zur politischen Variante »des skrupellosen Börsenspekulanten«. Mölzer konstatiert nun, die FPÖ habe sich in der Koalition »politisch-ideologisch verkauft«. Gegen die »unideologische« Buberlpartie bringt er das »historisch gewachsene national-freiheitliche Lager« in Stellung, und gegen das verlotterte »System Haider« macht er die »freiheitliche Gesinnungsgemeinschaft« stark, die in der heutigen FPÖ unter Heinz-Christian Strache wieder das Sagen habe.
Aber sollten die Freiheitlichen nochmals von ÖVP oder SPÖ in Regierungsverantwortung gehievt werden, müssten sie sich mit den gleichen Widersprüchen herumschlagen, an denen letztlich auch Haider gescheitert ist: Wie die von der FPÖ über Jahre betriebene »Verschlankung« des Staates mit dem Schutz der eingeborenen Deklassierten oder von Deklassierung bedrohten unter einen Hut bringen? Die ökonomische Unterfütterung der Volksgemeinschaft mittels sprunghaft gesteigerter Staatsnachfrage, wie im Nationalsozialismus vorexerziert, scheint heute jedenfalls nicht mehr möglich, und das Beispiel Kärntens zeigt, dass sie auch durch die Kooperation mit antisemitischen Ölpotentaten auf Dauer nicht substituiert werden kann. Nur macht das die Hetze der Freiheitlichen, die mit ihren Plakaten zum Wiener Wahlkampf erneut auf klassischen Rassismus mit Nazi-Diktion setzen, ebenso wenig ungefährlich wie die Tatsache, dass das antisemitische Ressentiment mit Stefan Petzner einen der bizarrsten Politikerdarsteller der Zweiten Republik als seinen Protagonisten gefunden hat.