»Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm,
beim Nazi ist es andersrum.«
Diese alte Weisheit scheint im Gegensatz zu Tucholskys Diktum zu stehen, der Vorteil der Klugheit bestehe darin, dass man sich dumm stellen könne, während das Gegenteil schon schwerer sei. Bevor aber erläutert werden kann, warum es sich hier vielmehr um den Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung handelt, muss erst einmal definiert werden, was eigentlich unter Dummheit beziehungsweise deren Gegenteil, also Intelligenz, zu verstehen ist.
Damit tun sich allerdings selbst diejenigen schwer, die sich beruflich damit befassen. „Intelligenz ist, was der Intelligenztest misst“, konstatierte bereits 1923 der US-Psychologe Edwin Boring und wird damit bis heute von denen zitiert, die die Aussagekraft derartiger Tests oder gleich des Intelligenzbegriffs an sich in Frage stellen. Etwas genauer umrissen es 1994 50 Forscher aus den USA unter Federführung der Bildungspsychologin Linda Gottfredson:„Intelligenz ist eine sehr allgemeine geistige Kapazität, die – unter anderem – die Fähigkeit zum schlussfolgernden Denken, zum Planen, zur Problemlösung, zum abstrakten Denken, zum Verständnis komplexer Ideen, zum schnellen Lernen und zum Lernen aus Erfahrung umfasst.“ Diese Definition soll im folgenden als Leitfaden dienen.1
Das macht eine kritische Betrachtung des Begriffs und der Testmethodik allerdings nicht überflüssig. Adorno etwa war der Meinung, als intelligent würden nur Verhaltensweisen bezeichnet, die dem jeweils fortgeschrittensten technischen Entwicklungsstand angemessen seien. Dieser Einwurf ist insofern berechtigt, als dass etwa das Komplettieren von Zahlenreihen Ausdruck einer durchquantifizierten Gesellschaft ist; der durchschnittliche Mensch des Mittelalters etwa wäre wohl an einer solchen Aufgabe gescheitert, ohne deshalb notwendigerweise dümmer zu sein als heutige Zeitgenossen. Andererseits ließe sich die Frage dagegenhalten, wann man im modernen Alltagsleben schon einmal vor das Problem gestellt wird, Würfel aus verschiedenen Perspektiven zu identifizieren oder herauszufinden, welches Wort nicht in eine Aufzählung passt, wie es in standardisierten IQ-Tests der Fall ist.
Die schwerwiegendste Kritik ist allerdings die der rassistischen und sozialen Schlagseite derartiger Tests, denn Angehörige ethnischer Minderheiten und niedriger sozialer Schichten schneiden darin regelmäßig schlechter ab als Personen mit einem Hintergrund, der in den selbstkritischeren Kreisen der Psychologie inzwischen als WEIRD („Western, educated, industrialized, rich and democratic") bezeichnet wird. Dafür gibt es diverse Erklärungen: Zum einen liegt auf der Hand, dass es schon von frühester Kindheit an einen Unterschied macht, ob jemand von Eltern mit viel Geld und Zeit oder aber von einer gestressten alleinerziehenden Mutter mit Halbtagsjob aufgezogen wird. Hinzu kommt, dass das Denken in Vergleichen und Kategorien, wie es IQ-Tests erfordern, nicht in allen Gesellschaften einen so hohen Stellenwert besitzt wie in der westlichen. Und nicht zuletzt können Ergebnisse durch internalisierte Stereotype beeinflusst werden: So zeigen Frauen in Mathematiktests schlechtere Leistungen, wenn ihnen vorher Werbespots voller Geschlechterklischees gezeigt werden, in einer anderen Studie reichte es, die Ausfüller eines Fragebogens bei den demographischen Angaben nach ihrer Hautfarbe zu fragen, um die Resultate von afroamerikanischen Teilnehmern runterzuziehen.
Nur einen Grund sehen Intelligenzforscher nicht (mehr2) für das beobachtete Gefälle: nämlich die Gene. Zwar wird heute allgemein davon ausgegangen, dass es eine - von der jeweiligen Bevölkerungsgruppe unabhängige - erbliche Komponente dafür gibt, wie viele PS jemand so unter der Schädeldecke hat3; umstritten ist, wie groß dieser Anteil ist, unumstritten jedoch, dass auch die Umwelt eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Und so wird man auch in der DNA eines Hobbygenetikers wie Thilo Sarrazin keine Hinweise darauf finden, was ihn zur Verbreitung von dummen Thesen treibt wie der, das Erbgut von muslimischen Einwanderern – und nicht etwa Faktoren wie Diskriminierung und soziale Lage – sei für schlechte Schulleistungen von deren Kindern und Kindeskindern verantwortlich.
Eine bessere Erklärung hat wiederum der Herr Adorno: „Dummheit ist ein Wundmal. Sie kann sich auf eine Leistung unter vielen oder auf alle, praktische und geistige, beziehen. Jede partielle Dummheit eines Menschen bezeichnet eine Stelle, wo das Spiel der Muskeln beim Erwachen gehemmt anstatt gefördert wurde. […] Solche Narben bilden Deformationen, sie können Charaktere machen, hart und tüchtig, sie können dumm machen – im Sinn der Ausfallserscheinung, der Blindheit und Ohnmacht, wenn sie bloß stagnieren, im Sinn der Bosheit, des Trotzes und Fanatismus, wenn sie nach innen den Krebs erzeugen.“
Auch wenn Adorno vielleicht etwas einseitig mit den äußeren Einflüssen auf die geistige Entwicklung argumentiert, hat er doch nicht nur richtig erkannt, dass es leichter ist, Menschen dümmer zu machen, als es ihrem Potential entspricht, als dafür zu sorgen, dass sie dieses voll ausschöpfen können, und zudem die Hetztiraden der Sarrazins & Co. einleuchtend erklärt; er hat auch vorweggenommen, was neuere Forschungsergebnisse über den Zusammenhang von Intelligenz und politischer Einstellung nahelegen und sich unter der Formel zusammenfassen lässt: je dümmer, desto rechts.
Nun sollte man psychologischen Studien stets mit einer Portion Skepsis begegnen, schließlich kann so etliches schiefgehen, wenn sich ein Fach, das ja im Wortsinne die Geisteswissenschaft per se ist, als Naturwissenschaft geriert. Da allerdings verschiedene Forschungsgruppen unabhängig voneinander zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangen, darf man schon von einer gewissen Aussagekraft ausgehen.
So lautet der Befund eines Forscherteams der kanadischen Brock University in Ontario, dass ein niedriger IQ, gemessen in der Schulzeit, mit rassistischen Einstellungen im Erwachsenenalter korreliert; eine andere Studie, diesmal von der Kent University in Ohio (USA), kam zu dem Ergebnis, dass Menschen um so stärker zu Vorurteilen gegen Schwule neigen, je geringer ihre Fähigkeit zum abstrakten Denken ist. Ebenfalls in den USA, an der University of Arkansas, zog eine dritte Gruppe gleich mit in Rechnung, dass die Denkfähigkeit keine in Stein gemeißelte Größe, sondern auch eine Frage der aktuellen Form ist. Dazu untersuchten die Forscher Versuchspersonen in verschiedenen Szenarien, die die kognitive Leistung herabsetzten: In einem Fall passten sie Gäste einer Kneipe beim Verlassen derselben ab, ließen sie einen Fragebogen zu diversen gesellschaftlichen Themen ausfüllen und ins Röhrchen pusten. Ergebnis: Je betrunkener, um so konservativer die Einstellung – und zwar unabhängig davon, wo sich die Teilnehmer selbst im politischen Spektrum einordneten. In weiteren Versuchen mussten Testpersonen die Fragen unter Zeitdruck beantworten, wurden mit anderen Aufgaben abgelenkt oder aufgefordert, spontan aus dem Bauch heraus zu antworten (die Vergleichsgruppen blieben ungestört bzw. wurden angewiesen, ihre Antworten gründlich abzuwägen). In allen Fällen ließ weniger Nachdenken die Meinungen nach rechts rutschen.
Bei all diesen Studien geht es um Durchschnittswerte; zu behaupten, alle Rechten seien dumm und kluge Menschen automatisch liberal oder links, wäre etwa so, als könne es keine zwei Meter großen Frauen geben, weil Frauen durchschnittlich gesehen kleiner als Männer sind. Die Erklärung für den allgemeinen Trend klingt jedoch einleuchtend: Wem es an Kapazitäten in der Denkmurmel gebricht, der greift eher zu komplexitätsreduzierenden Welterklärungen, und die sind überwiegend im reaktionären Spektrum anzusiedeln.4
Die Befunde decken sich mit unwissenschaftlichen Alltagserfahrungen wie der, dass sich das Ausmaß von Haß und Hetze in Onlinekommentaren oft bereits an deren mangelhafter Rechtschreibung und Logik erkennen lässt; auch Interviews mit reumütigen IS-Heimkehrern lassen durchscheinen, dass es sich bei den jungen Männern, die sich zu dschihadistischen Greueltaten anwerben lassen, zumeist nicht um die hellsten Kerzen auf der Torte handelt. Und last but not least passt auch der aggressive Antiintellektualismus des historischen Faschismus' ins Gesamtbild.
Letzteres macht auch deutlich, dass es keine Verharmlosung ist, die Dummheit der politischen Rechten beim Namen zu nennen. Ganz im Gegenteil gehört dies zu ihrer Gefährlichkeit: Wo Linke noch argumentieren, schlägt der Nazi schon zu oder steckt Flüchtlingsheime in Brand. Zudem kommt auch noch das ins Spiel, was als Dunning-Kruger-Effekt bekannt ist: Je inkompetenter ein Mensch ist, umso mehr neigt er dazu, seine Fähigkeiten zu überschätzen (und umgekehrt), womit die Großmäuligkeit erklärt wäre, mit der die üblichen Verdächtigen ihre Ignoranz in die Welt hinaustrompeten.
Bis vor wenigen Jahren galt so etwas noch als peinlich und politisch untragbar. Mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck aber ist es wieder schick geworden, sich ganz offen als das dumme Arschloch zu präsentieren, das man ist. Herausstechendstes Beispiel ist sicherlich Donald Trump, dessen Erfolg genau darauf basiert, dass sich seine Anhänger darin wiedererkennen, und auch seine (Un)geistesverwandten in Europa gewinnen ihre Wähler nicht trotz, sondern wegen ihrer Denkfeindlichkeit und Faktenresistenz.
Mit Argumenten ist dem folgerichtig kaum beizukommen, und weder die auf kapitalistische Verwertbarkeit abzielenden Bildungssysteme noch die Medienlandschaft lassen irgendwelche Bestrebungen erkennen, wenigstens kommenden Generationen das Denken wieder beizubringen. Es aber wenigstens zu versuchen, bleibt denen überlassen, die die Hoffnung dennoch nicht ganz aufgeben wollen; schließlich war auch die Aufklärung einst Sache einer kleinen intellektuellen Minderheit. Oder wie ein kluger Mensch einmal seufzte: Alles muss man selber machen.