Puppen gehören zu den Übergangsobjekten. Kinder können in ihnen Eltern- und Kindanteile üben, bis sie lernen, Trauer und Trost anders zu kanalisieren. Sie kuscheln und spielen mit ihnen, füttern sie und schimpfen, und natürlich werden Puppen auch gequält. Dazu kann ein handgeschnitztes Holzfigürchen ebenso dienen wie eine sportifizierte Barbie. Seit drei Jahren liegen Puppen mit einem Reißverschluss als Maul in den Auslagen. Der Stil hybridisiert bekannte Vorlagen aus Pokémon, Studio Ghibli und Computerspielen. Ist der Reißverschluss offen, starren die Monster den Betrachter entsetzt an. Wird er geschlossen, erscheint ein undefinierbares, betretenes Grinsen. Die gutmütigen Monster fressen, aber natürlich nicht das Kind, sondern seine Sorgen. Genauer gesagt: Sorgenzettel. Kinder, die schon lesen und schreiben können, sollen ihre geheimen Ängste aufschreiben und dann den »Sorgenfressern« überantworten. Eine Anleitung des Herstellers zur Puppe zwinkert den Eltern zu, sie könnten ja den Zettel entfernen und an dessen Stelle ein »kleines Geschenk als Trostpflaster« hineinstecken. Die Strategie des Zettelschreibens ist der Psychotherapie mit schwertraumatisierten Kindern entlehnt, um tatsächlich Unsagbarem einen Weg zu öffnen. Hier aber spielen die Eltern nicht mehr über die Puppe mit dem Kind und analysieren dann dessen Reaktionen, sondern sie sind schon in der Puppe. Dass sie selbst permanent aus dem Reißverschluss heraus linsen, zerstört die Autonomie des Übergangsobjektes, seine Brückenfunktion wird durch übergriffige/eindringende Überwachung ersetzt.
Die meisten Kinder werden das Reißverschlussmaul der Sorgenfresserpuppen ohnehin eher verwenden, um Lego hineinzustopfen. Die Kategorie der Sorge ist Kindern meist unbekannt – sie sorgen sich nicht, sondern sie haben spontane und diffuse Ängste, sie haben Stress, sind überfordert, was sie als Wut, Zorn oder Verzweiflung ausdrücken. Aus diesen emotionalen Gemengelagen eine in sich reflektierte, konkrete Sorge zu machen, erhebt an Kinder den Anspruch, ihre unkonkreten Nöte schon als Selbstanalyse vorzutragen und damit eine Elternfunktion eigenständig zu übernehmen. Zum egozentrischen Aspekt der Sorge gehört, dass man sie sich selbst macht. Nichts an der Sorge verhält die Eltern zur spontanen Empathie, zur Liebe. Ein Kind, das einmal hingefallen ist und weint, macht keine Sorgen. Sorgen macht das Kind, das dauernd hinfällt und nicht so recht mitkommt. Elterliche Sorgen sind zuallermeist jene des verinnerlichten Kapitalisten um seine getroffene Investition: die Angst, dass aus dem Kind aufgrund eigenen Verschuldens oder äußerer Störungen »nichts wird«. So wird die Sorge der Eltern um das pubertierende Kind meist zur Anklage: »Du, ich mache mir Sorgen um dich!« Es geht nicht um die Angst des Kindes: In seiner Antwort soll das Kind die Ängste der Eltern beruhigen. Das wissen Kinder und sie lügen dann pflichtschuldigst, dass gar nichts sei, dass alles in Ordnung gerate und sie sich mehr anstrengen oder nicht mehr kiffen würden. Im beflissenen, selbstreferentiellen Sorgenmachen artikuliert sich die verwalterische Kompetenz und der Weitblick der Eltern, nicht aber der Wunsch nach einem Verstehen einer Notlage, oder das aus Lebenserfahrung und Bildung schon vollzogene Verstehen, das sich dem Kind als adäquate Reaktion und nicht als fordernde, depressive Sorge verrät. Die Sorgenfresserpüppchen sollen demnach auch nicht die Ängste der Kinder fressen, sondern die Sorgen der Eltern, und vielmehr noch ihre Ängste vor ihren schweigenden Kindern. Es sind Übergangsobjekte für besorgte Eltern mehr als für ängstliche Kinder. Dem Erfindermythos zufolge sind sie tatsächlich aus ökonomischen Sorgen eines Erwachsenen heraus entstanden:
»Der Berliner Filmproduzent Gerd Hahn […] wälzte […] sich 2008 schlaflos, von Sorgen geplagt im Bett, weil ein Kunde für einen Großauftrag nicht gezahlt hatte. Im Laufe der Nacht wurden seine Sorgen größer, bis er schließlich die Idee hatte: Es muss ein Monster geben, dass die Sorgen einfach auffrisst!« (Schmidt-Spiele)
Das in den Sorgenpuppen kommunizierte Bild von Erziehung und Kindern ist zutiefst antiaufklärerisch. Rät Freud in seinem atheistischen Manifest »Die Zukunft einer Illusion«, den Kindern doch die religiösen Mythen zu ersparen, hat sich die Öffentlichkeit in vulgäranalytischer Adaption von Bettelheims bereits zu optimistisch geschriebenem Werk »Kinder brauchen Märchen« darauf versteift, dass ein wenig unbegriffener »Zauber« den Kindern schon recht gut tue. Was die Ökonomie angeht, wird sehr schnell Schluss gemacht mit der kindlichen Mythologie: sie müssen sparen lernen, dürfen nicht stehlen; lernen, dass man für Geld arbeiten und pünktlich im Kindergarten sein muss. Dann aber spielt man ihnen hartnäckig immer noch Nikoläuse vor, um die eigene intellektuelle Überlegenheit an den abhängigen Schutzbefohlenen zu spüren und sich von ihren Zweifeln und ihrer Angst zu ernähren. Spöttisch lachen Großväter und Onkels, wenn sie fünfjährigen Kindern noch einschärfen, dass es den Osterhasen doch wirklich gebe und man ihn erst gestern durch den Garten hoppeln sah. Kinder, die dann den Schein durchschauen, verinnerlichen die Kränkung, nicht mitgekommen zu sein. Im gleichen betulichen Schulterklopfen will man Schulkindern dann noch erzählen, dass ihre Sorgenzettel tatsächlich von Puppen gefressen würden. Den Eltern versichert der Hersteller, dass sie wirklich noch schlauer sind als Kinder: »Ergibt sich eine Gelegenheit unbemerkt auf diesen Zettel zu schauen, können wir als Eltern vielleicht Dinge erfahren, von denen wir sonst nichts gewusst hätten.« Anstatt Kindern kritische Vernunft zuzugestehen, die sie in ihren gewitzten Diskussionen über die Grenzen der Realität zeigen, werden sie zurück in die Infantilität gedrängt. In solchem Drängeln spiegelt sich Angst der Eltern vor der wilden Intellektualität der Kinder, vor ihrer Selbstständigkeit. Die forschenden, durchschauenden Kinder sollen gefälligst noch gutgläubige, süße Kindchen sein.
Kinder wissen ohnehin Bescheid, wenn Eltern das Tagebuch gelesen haben. Die Enttäuschung über diesen übergriffigen Vertrauensbruch äußert sich aller Erfahrung nach nur in verschärfter Abschottung und zugeschlagenen Türen. Anstelle also Eltern darin zu schulen, wie man mit Kindern über Sexualität, über Angst spricht, was meist beinhaltet, dass die Erwachsenen Tabus überwinden und nicht die freiherzigeren Kinder, kommunizieren die Sorgenfresser dem Kind, dass es Sorgen und Probleme gibt, über die man mit den Eltern nicht sprechen kann und darf. Sie verstärken das Tabu mehr als sie es abschaffen. So sieht es nicht nur so aus, als würden Erwachsene mittels IHRER Sorgenfresserpuppe den Kindern den Mund mit einem Reißverschluss verschließen, es ist auch so. An die Stelle des Miteinandersprechens tritt die somatisierte Aggression, das Auffressen und herunterschlucken: Binge-eating als Modell einer übersteigerten Internalisierung. Die Kinder können gar nicht schnell genug parentale Sorge als Selbstfürsorge internalisieren, sie sollen sie regelrecht fressen, um möglichst schnell klar zu kommen mit einer Gesellschaft, die Kindern eine ausgebeutete Ökologie als Produktionsmittel und einen Knochenhaufen als Geschichte überlässt. Mit ein wenig Selfmarketing und Narzissmus kann man aber alles einfach wegfressen, wie etwa die Sorgenfresserin Lilli mit ihrem Markenzeichen: eine pinke Schleife. Über sie sagt der Werbetext in unheimlich drohender Doppelbedeutung: »Sie macht sich gerne hübsch, sodass sie von den Sorgen nicht übersehen werden kann.« Wer sich hübsch macht, will Sorgen, kann sie aber auffressen. Das Herausholen/-kotzen übernehmen die Eltern. Die Puppe Om wiederum weiß, dass man im stressigen Alltag vor allem entspannt bleiben muss. Kein Wunder: »Seine Mutter ist Yoga-Lehrerin, weshalb er jede Art der Entspannung liebt.« Sei wie die Mutter. Dass die Puppen mit solchem verhaltenstherapeutischen Fitmachen für eine zerstörte Welt ideal auf den Zeitgeist zugeschnitten sind, belegt der ökonomische Erfolg. Der Macher von Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen, Gerd Hahn, verfolgt mit Schmidt Spiele zusammen eine aggressive Martkstrategie, die durchwegs mit 5 Sternen auf Amazon belohnt wird. Es funktioniere ja so toll, schwärmen Eltern da: von Schwimmen bis Schulbesuch, Sorgenpuppen helfen bei notwendigen Reifeschritten, zu denen Kinder eigentlich auch so schon immer in der Lage waren. Um 12 Euro kosten die Puppen, beigeordnete Apps und Fernsehserien runden die kulturindustrielle Pflichtveranstaltung ab. Gegen Bibi Blocksbergs sozialreformerische Magie, mit dem Besen »Kartoffelbrei« und gegen den bräsig-gutmütigen Blockwart Benjamin Blümchen sind die seelenlosen Funktionswesen mit ihrem Reißverschlussmaul die Gremlins in einem neoliberalen Splatterfilm. Sobald man beginnt, über sie nachzudenken, verwandeln sie sich in Monster.