Herr Groll unternahm mit dem Dozenten eine Fahrt mit dem Paddelboot auf dem Wörthersee. Sie hatten das Boot in Velden um einen horrenden Preis gechartert. Groll wollte dem Dozenten die Villen von »Reich und Schön« zeigen, und das ließ sich am besten mit einem motorlosen Boot bewerkstelligen. Als Kriminalsoziologe wollte der Dozent sehen, wie die Grundstücke der Wörthersee-Magnaten beschaffen sind, die rund um den See von mehreren Hundert Security-Mitarbeitern Tag und Nacht beschützt werden. Allzu pompös ausgestellter Reichtum lasse auf brüchige demokratische Verhältnisse schließen, meinte der Dozent. Wenn die Vermögen noch dazu aus der Kriegs- und KZ-Industrie des Dritten Reichs (er nannte die Namen Flick und Piech-Porsche), Groß-Arisierungen (Horten), gewöhnlichen Finanzbetrügern (Auer-Welsbach) sowie zwei Dutzend adeligen und großbürgerlichen Familien, davon nicht wenige mit NS-Vergangenheit, stammten, dann bestehe der Verdacht, daß mit dem Protzen schlechtes Gewissen übertüncht werden solle.
Neben dem alten Reichtum gebe es am See auch den neuen, der den finanzpolitischen Bocksprüngen der letzten Jahre entsprungen sei, hatte Groll hinzugefügt. Hier seien zuvörderst russische, ukrainische, ungarische, serbische und kroatische Magnaten und Oligarchen zu nennen. Nicht zu vergessen schillernde Gestalten wie Frank Stronach, Karl Wlaschek, Sigi Wolf, Tilo Berlin oder Gaston Glock, der ein Seegrundstück ums andere aufkauft. Der freie Zugang zum Wasser wird weiter eingeschränkt. Im Gegensatz zum Züricher See, an dessen Ufern ja auch keine Hungerleider leben; wovon ja der Name ‚Goldküste‘ zeugt, ist es für einfache Leute am Wörthersee sehr schwer, ohne Bezahlung in den See zu springen. Die wenigen freien Stellen sind nur ein paar Handtücher groß, dort stapelt sich dann der Plebs, während die Luxuskörper der Seemagnaten in ausgedehnten Parklandschaften bräunen.
»In anderen, durchaus auch dem Eigentum zugetanen Ländern, wie zum Beispiel Italien, muß ausreichend freier Zugang zum Meer gewährleistet sein«, erwiderte der Dozent.
Groll trieb das Boot mit kräftigen Stößen voran. »In Österreich und besonders in Kärnten ticken die Uhren anders. Auch wenn der eine oder andere Mogul schon das Zeitliche gesegnet hat oder im Greisenalter ist, die Erbengemeinschaft der Kinder und Ehefrauen – allesamt in Stiftungen geparkt – profitiert nach wie vor von den finanziellen und politischen Untaten der Vorväter.«
»Wenn ich mich nicht irre, wurden die steuervermeidenden Stiftungen für die Schwerreichen in den achtziger Jahren vom SPÖ-Finanzminister Lacina eingeführt, der, wie ich mich ebenfalls zu erinnern glaube, damals auch die Erbschaftssteuer abschaffte«, sagte der Dozent. »Man wollte damit Investitionen in Betriebe ankurbeln, hat aber nur die Schatzbildung der obersten Tausend gefördert. Es sei ein Merkmal der sozialdemokratischen Linken, daß sie gesellschaftspolitisch fortschrittlich, im Bereich der Wirtschaft aber reaktionär agiert. Mit einem Wort: Homo-Ehe für die Bobos und Ein-Euro-Shops für eine kommende Sklavengeneration.«
Groll machte einige schnelle Schläge mit dem Paddel, um aus dem Heckwasser eines mahagonigetäfelten Motorboots zu kommen, eines von dreihundertfünfundfünzig, die auf dem See bewegt werden dürfen, wie er anmerkte. »Im übrigen solle niemand sagen, die Voodoo-Ökonomie der Freiheitlichen ab dem Jahr 2000 hätte keine Vorläufer gehabt; vorteilhafter kann eine Politik für Millionäre und deren Klientel nicht ausfallen, als in der Vranitzky-Ära« ergänzte Groll. »Grasser und seine Kumpane waren dagegen naive Anfänger. Die Justiz ist gerade dabei, den Lehrlingsstatus der freiheitlichen Lichtfiguren zu honorieren, indem sie die Haftstrafen der Herrn Rumpold und Hochegger soweit kürzt, daß die beiden nicht hinter Gitter müssen, sondern mit einer Fußfessel bestückt ihren Geschäften weiter nachgehen können.«
Sie waren von der Bootsanlegestelle an der Seepromenade neben dem noblen Strandcafé »Seespitz«, in dem ein Wiener Schnitzel 25 Euro kostet, andererseits aber mit einem luxuriösen Behinderten-WC aufwartet, ans südliche Ufer gepaddelt und steuerten nun an der berühmten Bootswerft Schmalzl vorbei. Sie sei vor einigen Jahren abgebrannt, erzählte Groll. »Einer der wenigen Fälle, in denen die Versicherungen ordentlich zahlten. Sie sehen ja, wie stolz und modern der Betrieb jetzt dasteht.«
Ob er am Vortag das »Sommergespräch« der ORF-Redakteurin Schnabl mit Karl-Heinz Strache gesehen habe, erkundigte sich der Dozent. Ja und nein, erwiderte Groll. Gesehen habe er die beiden schon, aber das Hörvermögen habe hin und wieder ausgesetzt. So, als Strache nach seinen Wirtschafts-konzepten gefragt worden sei.
Das wundere ihn nicht, meinte der Dozent und wich mit einem geschickten Paddelschlag einem Stand-Up Paddler aus, der den Kurs seines Bretts nicht kontrollieren konnte.
»Straches Wirtschaftspläne könnte sich auch das verdrehteste Kabarettistenhirn nicht ausdenken. Der Umfragekaiser sieht als das wichtigste Instrument zur Ankurbelung der Wirtschaft die Zeltfeste. Jene verliehen der Wirtschaft Wachstumsschübe und würden die Arbeitslosigkeit senken. Auch Ein-Euro-Jobs findet Strache toll, wo kämen wir hin, wenn man dem Gesindel ohne Gegenleistungen Sozialhilfen gewährt. Sagen Sie, geschätzter Groll, diese Felswände dort hinten, endet dort nicht Haiders Bärental?«
Groll nickte. »Sein Geist ist nicht nur in den Kärntnern aktiv, die Norbert Hofer mit einer erdrückenden Mehrheit bei der Erstwahl gewählt haben. Er treibt sich auch noch in den Karawanken herum, so in einem Nachbartal des Bärentals, in dem das ehemalige Loibl-Konzentrationslager liegt. Dort hat sich neulich eine grimmige Posse ereignet. Ein Jagdpächter hat auf dem Gelände des KZ einen Hochstand errichtet, von dem aus man das Gelände des ehemaligen Lagers bestreichen kann.«
»Das ist nicht wahr«, rief der Dozent und fing mit dem Paddel einen Krebs, worauf auch die beiden vom Kurs abkamen und auf ein Ausflugsschiff zusteuerten.
Groll versuchte, den Kurs zu korrigieren. »Die Beamten des zuständigen Innenministeriums hatten verabsäumt, die rund ums Lager führende Straße und die Orte der Wachtürme zu pachten, wodurch die Vorgangsweise des Jagdfreunds rechtlich legal ist. Eine Gruppe von Antifaschisten hat nun die Leiter des Hochstands entfernt und ein zweisprachiges Transparent ‚Für ein Gedenken mit Würde‘ angebracht. Seither tobt ein Glaubenskrieg. Für jene, die an die Unverletzlichkeit des Eigentums glauben, ist das Vorgehen der Vermummten ein Sakrileg. Und jene, die sich fragen, was in Kärnten heutzutage noch immer möglich ist, sind fassungslos.« Den beiden gelang zwar eine kleine Kurskorrektur, leider wählte aber auch das Ausflugsschiff denselben Kurs. Verbissen paddelnd, vergaßen die beiden aber nicht auf die Auseinandersetzung mit Kärnten. Groll gab dem Dozenten ein Beispiel für die Wirtschaftskompetenz der FPÖ.
»Die Kärntner Landeshypo, so hieß die Hypo Alpe Adria früher, vergab in Kroatien Kredite wie folgt: Jemand schlägt einen Golfplatz auf einer Steinwüste im Karst vor und will einen Kredit über zwei Millionen Euro. Die Bank des Landes Kärnten gewährt vier Millionen. Die Auszahlung erfolgt nicht nach dem üblichen Prozedere nach Evaluierung und Baufortschritt, sondern auf einmal und in cash. Kein einziges Mal erfolgt eine Kontrolle. Fälle dieser Art von Kärntner Geschäften gehen auf dem gesamten Westbalkan in die Hunderte, mit den Geldern hätten Jachten, Hotels, Nobelresorts, Marinas finanziert werden sollen. Tatsächlich wurde nur ein Bruchteil der Projekte realisiert. Der Rest blieb als ausgefallenes Kreditrisiko bei der Kärntner Bank und später, nach deren de-facto-Konkurs, beim österreichischen Steuerzahler. Daß die Finanzierung der kroatischen Kriegsmaschinerie auch in Teilen über die Kärntner Landesbank lief und sich selbst der kroatische Präsident und HDZ-Vorsitzende Ivo Sanader an den Raubzügen beteiligt, sei nur am Rande erwähnt. Mittels kick-back-Zahlungen streiften aber auch hier die Haider-Partei und ihr nahestehende Finanzkreise Millionen ein. Zwei Schlüsselfiguren in diesem Zusammenhang waren der kroatische Ex-General Zagorec und der rüstige Ustaša, Kriegsverbrecher Milivoj Ashner, der in Klagenfurt unter dem Schutz der Haider-Partei in Ruhe seine Kontakte spielen lassen konnte. Der von der FPÖ unter Haider angerichtete Schaden beläuft sich auf achtzehn bis zwanzig Milliarden Euro, wobei hinzugefügt werden muß, daß die ‚Kärntner Ökonomie‘ es an sich hat, daß noch jedes Worst-Case-Szenario von der Wirklichkeit übertroffen wurde. Fix ist nur, daß die österreichischen Steuerzahler für die kriminelle Finanzpolitik der Freiheitlichen gradestehen müssen. Kärnten befindet sich im Status eines bankrotten Landes, auch notwendigste Infrastrukturmaßnahmen können finanziell nicht mehr bedient werden.«
Das Schiff kam immer näher. »Und wie reagieren die Kärntner«, rief der Dozent.
»Sie spüren die Einschränkungen mit jedem Tag schmerzlicher – und sie reagieren ganz im Geiste des verunglückten Landeshauptmanns: Schuld sind die anderen, die EU, Wien, die Finanzjuden New Yorks« rief Groll zurück, denn das Motorgeräusch des Schiffes wurde lauter. »Unter Haider hätte es dieses Schlamassel nicht gegeben, raunen sie. Längst steigen die Umfragewerte für eine Partei, die eigentlich im Orkus der Geschichte hätten verschwinden müssen. Für die von der FPÖ verursachte Katastrophe werden bei den nächsten Landtagswahlen alle übrigen Parteien büßen. Das Wahlergebnis für Norbert Hofer bei den Präsidentenwahlen läßt Schlimmsten befürchten – fast eine Zweidrittelmehrheit.«
»Das Schiff hat keinen Namen!« rief der Dozent.
»Doch«, rief Groll zurück. »Es heißt ‚Zürich Kosmos‘. In Kärnten haben die Schiffe keine Schiffsnamen, sie tragen den Namen von Versicherungen. Das ist die Kärntner Ökonomie. Wir müssen scharf backbord steuern!«
»Gern! Wo ist Backbord?« Der Dozent geriet in Panik.
»Links, Sie Landratte!« rief Groll. »Paddeln Sie nach links.«
»Und wenn wir es nicht schaffen?«
»Dann wird es in den Nachrufen heißen: Ihnen half keine Versicherung, sie kollidierten mit Kärnten« rief Groll.
»Und wer gewinnt die zweite Wahl?« rief der Dozent.
Grolls Antwort ging im Motorgeräusch der ‚Zürich Kosmos‘ unter.