Das Verhalten von Frauen spiegelt ihre Unterdrückung wider

Phyllis Chesler ist eine feministische Schriftstellerin, Psychotherapeutin sowie emeritierte Professorin für Psychologie und Frauenforschung an der City University of New York. Sie ist Autorin von zahlreichen Büchern, wie beispielsweise ihrer Autobiographie »A Politically Incorrect Feminist«. Ihr 19. Buch, »Reqiuem for a Female Serial Killer« erscheint voraussichtlich im November 2020. Alexandra Bandl hat sie interviewt.

Sie wurden 1940 in eine orthodoxe Familie in Borough-Park, Brooklyn geboren. Wie bei vielen Zeitgenossinnen, die die zweite Welle der Frauenbewegung mitprägten, fiel auch Ihre Jugend in die aufständischen 1960er Jahre. Im Jahr 1969 waren Sie Mitbegründerin der »Association for Women in Psychology«, drei Jahre später wurde Ihr wegweisendes Erstlingswerk »Woman and Madness« veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung »Frauen – Das verrückte Geschlecht?« kam bereits 1974 auf den Markt und gilt als Meilenstein der feministischen Psychologie. Weshalb war es damals so wichtig für Sie, ein Teil der Frauenbewegung zu werden? Was waren die Ziele, Wünsche und Hoffnungen?

Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit geboren worden zu sein, wodurch ich zu einer der frühen Vorkämpferinnen der zweiten Welle des Feminismus werden konnte. Jedoch bin ich alles andere als sicher, warum dies passiert ist. Lag es in der Natur der Erziehung von Mädchen in jüdisch-orthodoxen Familien im Besonderen oder dem Patriarchat im Allgemeinen? Vielleicht, aber vielleicht auch nicht, weil ich die Schriften der alten, jüdischen Propheten las und aus ihren Visionen der Gerechtigkeit, Freiheit, Verantwortung und Ganzheit lernen konnte. Oder war meine spätere Führungsrolle das natürliche Resultat einer Rebellion gegen das Aufwachsen in den repressiven 1940er/50er Jahren, als die Möglichkeiten für Frauen so begrenzt waren? War es das, was ich gelernt habe, als ich in Kabul gefangen gehalten wurde, wo ich aus erster Hand die abgründige Behandlung von Frauen sah? Übrigens: Ich war bereits Mitte bis Ende 20, als die großen, gegenkulturellen Bewegungen der 1960er Jahre entstanden: Ich investierte damals (und als ich die Graduiertenschule besuchte) viel mehr Zeit in die Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung, als ein »Peace-and-Love-Hippie« zu werden. Genau genommen nahm keine dieser angeblich so revolutionären Bewegungen die Rechte der Frauen ernst, weshalb viele von uns diese verließen, um eigene, radikale sowie feministische Graswurzelbewegungen zu gründen. Über all dies schreibe ich in meinem letzten Buch (Anm.: A Politically Incorrect Feminist. Creating a Movement with Bitches, Lunatics, Dykes, Prodigies, Warriors, and Wonder Women). Die Zweite Welle war in drei unterschiedliche Strömungen unterteilt: Eine Bürgerrechtsbewegung für Frauen, eine Basisprotestbewegung und eine Bewegung zur Umwandlung der Berufe und Ämter in frauenfreundlichere oder inklusivere Einrichtungen.

Im Alter von 20 Jahren heirateten Sie Ihren Kommilitonen vom Bard College und sind ihm bis nach Afghanistan gefolgt. Dort wurden Ihnen die Papiere bereits am Flughafen entwendet. Für insgesamt 5 Monate wurden Sie von der Familie Ihres damaligen Ehegatten eingesperrt. Sie wurden sogar dazu gedrängt, zum Islam zu konvertieren. Wie beeinflussten diese Erfahrungen Ihre Ansichten sowie politischen Aktivitäten?

Zunächst schien es überhaupt keine Auswirkungen zu haben. Im Laufe der Zeit, nachdem ich diese gefährliche Romanze überlebt hatte, zeigte sich jedoch, wie prägend diese Lektionen für mich waren. Vielleicht war es das Risiko sogar wert, das ich unwissentlich einging. Ich verstand: »West was best«, da die Lage der Frauen anderswo weitaus schlimmer war als in Amerika oder Europa. Auch verstand ich, dass die meisten der charmantesten und westlichsten Männer aus dem Nahen Osten und Zentralasien eine doppelte Persönlichkeit zu haben schienen. Sie kamen gut zurecht in der westlichen Welt, aber verwandelten sich dann in das, was sie ursprünglich waren: tribaler und frauenfeindlicher. Und all dies passierte vor den Taliban. Als Frauen, Juden, Christen, Buddhisten, Hindus, Ba‘hai und Zoroastrier mit Misstrauen, Verachtung und Hass betrachtet wurden. Das Leben von Frauen und Ungläubigen war in Afghanistan nicht viel wert.

In Ihrer Autobiographie »A Politically Incorrect Feminist« schreiben Sie, dass die globale Gewalt gegen Frauen eine fürchterliche Dimension annehme. Viele westliche Feministinnen haben zunehmend Angst, diese Gewalt zu kritisieren, um nicht als Kolonialistinnen und Rassistinnen verurteilt zu werden. Diese Angst übertrumpfe oft ihre Sorge um die Menschenrechte von Frauen weltweit. Warum vergessen zeitgenössische Feministinnen all jene universalistischen Prinzipien, für die ihre Vorgängerinnen einst kämpften? Werden diese Prinzipien und ihre Befürworterinnen aus dem kollektiven Gedächtnis der feministischen Geschichtsschreibung gestrichen?

Als die Bedenken über Rassismus weltweit zunahmen, fürchteten viele westliche Feministinnen, als politisch-inkorrekt gesehen zu werden, was bedeuten würde, gemieden und »gecancelt« zu werden sowie die Anstellung und das Ansehen zu verlieren. Die feministische Professorenschaft fokussierte sich mehr auf LGBT und soziale Identitätsfragen, inklusive der Belange von Transsexuellen, als auf all die anhaltenden, frauenspezifischen Probleme wie Vergewaltigung, sexuelle Belästigung (nicht nur durch namhafte Männer, sondern in Büros, Gewerkschaftshäusern, dem Militär und auf den Äckern), Misshandlung, Ehrenmord, Armut, Schwangerschaft und Mutterschaft, Menschenhandel, Prostitution, Pornographie, etc. Wir haben Vergewaltigungen vielleicht aufgedeckt, aber wir haben sie nicht abgeschafft. Die Arbeit muss an dieser Stelle weitergehen. All die Leute, die sich Protestmärschen anschließen, sorgen sich um Polizeigewalt gegen schwarze MÄNNER, aber kein Hahn kräht nach all den Frauenmorden, insbesondere Foltermorden an nicht-weißen Prostituierten.

Das 2002 veröffentlichte Werk »Woman’s Inhumanity to Woman« löste eine große Kontroverse innerhalb der Frauenbewegung aus. Ihnen wurde sogar vorgeworfen, die feministische Sache zu verraten. Können Sie diesen erbitterten Streit aus Ihrer Sicht beschreiben und wie erklären Sie sich diese aggressiven und destruktiven Tendenzen?

Viele feministische Wortführerinnen waren darüber besorgt, dass Männer dieses Wissen gegen uns verwenden könnten. Wenn wir nicht endlich anerkennen, dass Frauen genauso patriarchale Werte internalisiert haben und daher mit anderen Frauen konkurrieren, diese sabotieren oder ausgrenzen, werden wir nie große Fortschritte machen. Genauso, wie wir verstehen müssen, dass Rassismus von allen, also auch von nicht-weißen Subjekten verinnerlicht wurde, verhält es sich auch mit Sexismus: Das Misstrauen gegenüber und die Abwertung von Frauen. Mit der Zeit haben viele Feministinnen dies zugegeben. Ich wünschte, dieses Buch wäre ins Deutsche übersetzt worden.

Wie verhält es sich heutzutage mit Dogmatismus; bzw. Clan-Mentalität in der radikalen Linken?

Die meisten Leute wollen anderen gefallen und sich aus Konflikten heraushalten. Um dies zu tun, verhalten sie sich in einer konformistischen Weise. Dies gilt auch für Feministinnen. Viele feministische Wortführerinnen wollten Frauen vor den ungerechten Zuschreibungen, wie verrückt, promisk, unzuverlässig etc. retten. Hervorzuheben, dass wir auch ein Teil des Problems waren, wurde als Angriff gewertet. Es war uns als Feministinnen wichtig zu vermitteln, dass Frauen nicht bösartig sind, sondern ihr Verhalten lediglich ihre Unterdrückung widerspiegelt. In den damaligen Zeiten waren nur wenige Feministinnen linksradikal. Andere wurden als »kulturelle« Feministinnen gesehen. Beide Strömungen waren ideologisch rigide und blieben ihren Ideologien treu. Heute sehen wir dies umso deutlicher in den antikapitalistischen, antiwestlichen Mobs, die von ihren Professoren und den Medien instruiert wurden. Auf ähnliche Weise wurden wohl auch die »Social-Justice-Horden« indoktriniert.

Darüber hinaus befassen Sie sich mit den zeitgenössischen Erscheinungsformen des Antisemitismus. Was ist Ihres Erachtens neu an diesen Phänomenen und wo liegt aktuell die größte Bedrohung?

Die größte Bedrohung ist die Allianz zwischen der westlichen Intelligenzia und islamischen Radikalisten, die zu einer wachsenden Kontrolle und Sanktionierung für unabhängige Gedanken und unliebsame Wahrheiten führte. Die Werte und Tugenden der westlichen Zivilisation wurden gefährlich ausgehöhlt zugunsten einer islamistisch anmutenden Intoleranz und Kontrolle via Indoktrinierung, öffentliche Schmach und Erniedrigung. Ritualmordlegenden und große Lügen beherrschen den Äther, das Internet, die Medien, die EU, die UN sowie Menschenrechtsorganisationen. Die unbequemen Wahrheiten sind: Juden sind nicht schuld an all den Miseren dieser Welt. Israel ist kein Apartheidstaat, der eine ethnische Säuberung betreibt. Der Islam blickt auf eine lange Geschichte des Kolonialismus, Imperialismus und der Bekehrung von Ungläubigen mit dem Schwert. Viele muslimische Führer beteiligten sich am afrikanischen Sklavenhandel, sind rassistisch gegenüber Schwarzen. Sie halten die geschlechtliche und religiöse Apartheid aufrecht und besteuern, foltern, ermorden und vertreiben Juden und andere Ungläubige, inklusive Christen, in ihren Hoheitsgebieten.

Als Gastgeberin des ersten feministischen Pessach-Seders und Ihres Aktivismus mit »Women of the Wall« leisteten Sie Pionierarbeit in religiösen Fragen der Gleichberechtigung. Im Gegensatz zu vielen liberalen, US-amerikanischen Juden sind Sie eine konsequente Unterstützerin Israels. Wie beeinflusst diese Verbindung zum Judentum Ihre Arbeit?

Feministische Versuche, das patriarchale Judentum zu integrieren oder zu beeinflussen, wurden zunächst als zu radikal angesehen, jedoch mit der Zeit akzeptierter. Als wir an der Western Wall (der Kotel) beteten, war dies gleichbedeutend mit Nonnen, die eine Messe im Vatikan leiten. Hätten muslimische Frauen dasselbe getan, wären sie angegriffen, eingesperrt, unter Arrest gestellt – oder hingerichtet worden. Als jüdische Frauen wurden wir zu endlosen Rechtsstreiten verdammt. Ich bin jetzt ein Teil der ursprünglichen »Women of the Wall« und nicht unserer Nachfolgegruppe, da ich mich nicht mit einer Gruppe gemeinmachen konnte, die willentlich davon profitierte, Rufmord gegen Israel insbesondere in Nordamerika während der endlosen Intifada zu betreiben, die Arafat und Abbas gegen israelische Zivilisten führten. Dies in Israel zu tun ist in Ordnung. Dies zu tun, während dein Volk sich im Belagerungszustand befindet, um Publicity und Spenden zu generieren, ist völlig inakzeptabel. Dies ist eine sehr komplexe Angelegenheit und würde ein Interview erfordern, das nur diesem Thema gewidmet ist. Mein Eintreten für Israel hat einige dazu veranlasst, meine Glaubwürdigkeit als Feministin zu hinterfragen (das ist lächerlich) und andere, mich für eben diesen Mut und diese Klarheit zu bewundern. Das Wichtigste ist, einer großartigen Religion keinen Schaden zuzufügen. Man muss zuerst die Schriften kennen und ist dann bereit, mit einer respektvollen Vorsicht fortzufahren, um einen Beitrag in der eigenen Ära oder im Leben zu leisten.

Darüber hinaus sind Sie seit Jahrzehnten eine große Kritikerin des Islams und fordern die Unterstützung von gefährdeten Frauen in Ländern mit muslimischer Mehrheit. Seit der Besetzung der Großen Moschee von Mekka, der Islamischen Revolution im Iran sowie der sowjetischen Invasion in Afghanistan im Schicksalsjahr 1979 nimmt die Bedrohung durch den politischen Islam zu. Wird im Namen des Islam ein Krieg gegen Frauen weltweit geführt und wie wirkt sich dies auf die Haltung von Muslimen in westlichen Ländern aus?

Ich habe die Intoleranz, die sexuelle und religiöse Apartheid, den Kolonialismus, den Imperialismus und die gewaltsame Bekehrung von Ungläubigen sowie die Vorurteile gegenüber Schwarzen und Schwulen kritisiert, die charakteristisch für die Geschichte des Islams und bis heute epidemisch sind. Die Gewalt im Namen der Ehre sowie Ehrenmorde verfügen über einen tribalen Ursprung. Auch Hindus praktizieren diese Form des Menschenopfers, jedoch nur in Indien. Muslime praktizieren dies weltweit. Vielleicht interpretieren diese Leute den Koran falsch, aber die führenden Mullahs und Imame haben diese Verbrechen kaum denunziert oder diejenigen exkommuniziert, die ihre Töchter ermorden. Meine Kollegen sind heutzutage sowohl religiöse als auch nicht-religiöse muslimische Dissidenten und Feministinnen. Ex-Muslime, Hindus, Sikhs, Christen und Juden, die alle wegen des islamischen (oder islamistischen) Terrorismus besorgt sind.

Vor einigen Wochen wurden Sie vom Middle East Forum interviewt, um die Erkenntnisse aus einem Ihrer neuesten Bücher »A Family Conspiracy: Honor Killing« (2018) vorzustellen[1]. Könnten Sie uns sagen, welche Rolle Frauen hier als Kollaborateurinnen spielen und auf welche Weise sie patriarchale Vorstellungen verinnerlicht haben? Können Sie den Unterschied zwischen Ehrenmorden und anderen Arten sexueller Gewalt gegen Frauen beschreiben? Wir wissen nun, dass auch anderswo im Namen der Ehre gemordet wird. Ist die epidemische Verbreitung von Ehrenmorden ein hauptsächlich muslimisches Problem oder handelt es sich hierbei um ein universelles Phänomen?

Frauen verschwören sich und beteiligen sich bei Ehrenmorden an ihren weiblichen Verwandten, einschließlich ihrer eigenen Töchter. Männer verüben routinemäßig die Gräueltaten, aber es ist bekannt, dass Frauen sie dazu drängen und eine bestimmte weibliche Verwandte ins Visier nehmen. Einige Frauen führen diese Morde sogar praktisch durch. Ich habe diese Studie darüber vorgelegt, die sowohl auf meiner Webseite, als auch auf der des Middle East Forum archiviert ist. Ehrenmorde sind nicht nur ein muslimisches Phänomen. Hindus verüben diese ausschließlich in Indien, Sikhs in viel geringerem Maße weltweit. Muslime begehen Ehrenmorde weltweit: In ausschließlich muslimischen Ländern, im hinduistischen Indien sowie im Westen.[2]

Wie beurteilen Sie die zeitgenössische feministische Psychologie einerseits und die zeitgenössischen feministischen Bewegungen andererseits? Wie schätzen Sie die Frauenproteste in den vergangenen Jahren in den USA ein und sehen Sie einen gemeinsamen Nenner mit anderen Protestbewegungen, wie »Black Lives Matter«?

Mit einigen willkommenen Ausnahmen konzentrieren sich die aktuellen Proteste weitaus mehr auf schwarze Männer und ihre Beziehung zur brutalen Polizei und nur in viel geringerem Maße auf schwarze Frauen und die Polizei. Die Probleme von schwarzen Frauen und Frauen of Color sind weitreichender und umfassen sexuelle Gewalt, einschließlich Inzest, Vergewaltigung in der Familie, Vergewaltigung in der Ehe, Vergewaltigung durch Fremde; körperliche Gewalt, Razzien sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie; eine hohe Sterblichkeitsrate bei Säuglingen und Müttern, schlechte Gesundheitsversorgung, Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, Wohnen nur in gefährlichen Umgebungen, schlechte Schulen, das Verschwinden von Vätern in Gefängnissen, der Drogensucht oder in den Armen anderer Frauen usw. Ich konnte noch keine ähnlichen massiven, monatelangen Proteste gegen Vergewaltigung, Misshandlung oder sexuelle Belästigung vernehmen. Ein einziger Marsch an einem einzigen Tag ist nicht dasselbe.
 

Phyllis Chesler (Bild: Joan Roth)