Eine Maschine, die höchstens Kunst scheißt

Tanja Brandmayr über die Linzer Kunst- und Kulturinitiative »qujOchÖ«.

Nach Foucault bleibt unterhalb der modern-abendländischen Strukturbildung eine andere Grundstruktur bestehen, die in der Spannung zwischen Vernunft und Wahnsinn offen bleibt, da die Wahrheit nicht endgültig angeeignet werden kann. Derrida kritisiert die Voraussetzungen der abendländischen Vernunft insofern, als dass unser Denken sich bis in die Gegenwart hinein immer wieder auf binäre und hierarchische Oppositionen stützt, die jedoch ihrerseits unbegründet bleiben. Deleuze und Guattari führen unter anderem als Kritik an Rationalis-mus und Essentialismus die Instabilität und Unvollkommenheit der realen Welt ins Treffen, die in deren vollständiger Leugnung in Kapitalismus und Faschismus mündet. Willkommen in der poststrukturalistischen Analyse! Willkommen im Theoriegarten von qujOchÖ: Gegen die Aufrechterhaltung von Dominanz, Hierarchie und Ideologie, für die Integration von Instabilität, Störung und Verschmutzungsgrade formulieren Deleuze und Guattari in den 1970er Jahren schöne mechanisch-organische Gebilde wie Wunschmaschinen, Plateaus und Rhizome. So begreifen Wunschmaschinen etwa das Subjekt nicht durch Mangel, sondern eben ausgezeichnet durch positiven Wunsch. Rhizome, eine aus der Botanik entlehnte Bezeichnung für Sprossengewächse à la Ingwer, organisieren als Geflechte ohne Stamm die nicht-hierarchische Vielheit und bilden in einer gegenseitigen Durchdringung differenzierte Plateaus aus – Orte, an denen sich Netzwerke verdichten und von denen aus theoretisch wieder auf jedes andere Element verwiesen werden kann.

Referenzen an oben genannte Philosophen finden sich bei qujOchÖ an allen rhizomatischen Knoten und Enden und veräußern damit etwas, mit denen die qujOchÖ-Aktiven auf mehreren Ebenen gut arbeiten können: Die 2001 in Linz gegründete Kunst- und Kulturinitiative »qujOchÖ - experimentelle Kunst- und Kulturarbeit« zeichnet sich per Eigendefinition durch Transdisziplinarität von Wissenschaft und Kunst aus und organisiert ihre künstlerische und kulturelle Produktion durch multiple Plateaus an der Schnittstelle von Kunst, Politik/Gesell-schaft und Wissenschaft intervenierend. Selbstredend geht es um kritische Auseinandersetzung mit gewöhnlichen kulturellen Praxen, um experimentellen Zugang innerhalb verschiedener Disziplinen, um Grenzüberschrei-tung von Kunst zur Wissenschaft und Gesellschaftspolitik – und vermehrt um »das Aufbrechen der Grenzen von Kunst«, so Thomas Philipp von qujOchÖ.
Konstituiert hat sich qujOchÖ personell aus dem Kulturreferat der ÖH der Linzer Kepler Universität, das im Jahr 2000 in der Form zusperren musste, wegen unüberbrückbarer Differenzen im Konzertbetrieb (Pan Sonic, Techno Animal, Lydia Lunch, etc) zu den leichterer Kulturkost zugeneigten restlichen ÖH-Fraktionen. Bis 2004 agierte qujOchÖ dann gewissermaßen ortlos im Hyperraum und an verschiedenen untypischen Veranstaltungs-orten. Exemplarisch seien hier zwei Veranstaltungen erwähnt, eine Diskurs- und audiovisuelle Konzertrunde in der Parkbadsauna oder das Konzert von Melted Men in der Linzer Grottenbahn. Erstere, »sauna_ordnung«, versuchte die Grenzen zwischen Ordnung, Sicherheit, Chaos, Lärm, Hitze, Sauberkeit, Freizeit und Kälte zu verwischen, ein »90° Experiment zum Ordnen schwitzender Gedanken«, Melted Men hingegen traten als infernale Tierberserker mit Brachialsound der Grottenbahnidylle entgegen, und demonstrierten ziemlich unheimlich lustvoll damit auch eine wiederkehrende Absicht von qujOchÖ, durch die Unberechenbarkeit der Versuchsan-ordnung herkömmliches Erleben zu dekonstruieren.
Aktuell besteht qujOchÖ aus etwa zehn Personen aus der Wissenschafts- und Kunstpraxis, außerdem arbeitet eine Handvoll externer (Medien)KünstlerInnen an den Arbeitsplätzen im seit 2004 existierenden Quartier an der Unteren Donaulände, genannt quitch. Für die Kombination aus Labor, Werkplatz und Atelier haben sich qujOchÖ die Quecke (engl. quitch, bzw. couch grass) als Namensgeberin auserwählt, die ihrerseits durch unterirdische Wurzelsprossung und intensiven Vermehrungsvorgang als das Dauerunkraut schlechthin gilt: »Hat sich die Pflanze einmal angesiedelt, ist es so gut wie unmöglich sie wieder zu entfernen«, so die sympathische Charakterisierung des rhizomatischen Pflänzchens.
Das Tätigkeitsfeld von qujOchÖ umschließt nun entlang von verschiedenen Linien und auf Diskursplateaus so vermeintlich konträre Dinge wie die audiovisuelle Experimentalreihe ### (in Planung: ein Subfrequenz-Festival), politisch/sozial angelegte Kunst (ab Juni 08 wird es eine Ausstellung im Lentos zur Fußball-EM geben, die neben eigenen Arbeiten auch befreundete KünstlerInnen zeigen wird), Diskurs (geplant sind audiovisuelle Arbeiten zu Deleuzes Abecedaire, eine Vortragsreihe und Publikation zur Herstellung von Kunstskandalen, gemeinsam mit dem Institut für Medien an der Kunstuniversität) oder Kunstproduktion (projektiert für 08 ist etwa ein audiovisuelles und installatives Ein-Abend-Experiment zum Thema »Filter« in der Kläranlage Asten). Einst schnelle Aktionen wie das Dobushido-Video, das es bis in die Lokalseiten der Tageszeitungen schaffte und wahrscheinlich sogar den Bürgermeister höchstselbst zum Schmunzeln brachte, sollen als Musical zur jüngeren Geschichte von Linz mit Dobushido als Hauptperson im Theater Phönix umgesetzt werden. Außerdem wird es 2008 eine Teilnahme bei der Kulturhauptstadt Stavanger mit »we feed the idiots«.
Womit wir bei Kritik angelangt wären: Da fallen schon mal Begriffe wie Kulturmultifunktionäre oder Lobbyisten, die lediglich kleine Korrekturen vornehmen »und in einer Politik der repressiven Toleranz recht gut gedeihen können«, so zu lesen im Schnellschuss-Internetforum von business & culture. Anlässlich eines Projektes von »selbst organisierten kollektiven Aufständen« etwa war auf Grund eher geringer Beteiligung an der Aktion Kommentare zu vernehmen: »angekündigte Revolutionen brauchen auch Mittel« – zugegeben, in dieser Kommentierung ein ziemlich unauflösbarer Widerspruch. Dieses Paradoxon rund um Subversion und Subvention führt dann gleich in die nächste Kritik-Ecke, dass nämlich qujOchÖ einerseits deklariert als »Freie Szene« aktiv seien, sich nicht zuletzt aber durch eine quasi rhizomatische Queckenverhaberung ihre Subventionen und Geldmittel ganz gut hergerichtet hätten. Wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb sorgte auch das bei der Kulturhauptstadt Linz09 eingereichte Projekt »Gefallene Helden«, eine geplante Rekonstruktion von Nibelungenreiterstatuen des NS-Bildhauers Graf Plettenberg für Erregung, dem Projekt wurde »Wiederbe-tätigung« (?) oder auch ganz wunderlich gegensätzlich dazu »Seichtheit« vorgeworfen.
Vorwürfe, denen man seitens qujOchÖ gelassen entgegnet, zumal sich hier mehrere Komponenten von Geldverteilungskampf, Kunst- und Kulturintoleranz bis Linz09-Frust zusammenzumischen scheinen. Zuerst, im Falle der Geldvergabe und Subventionierung deklariert man sich bei qujOchÖ ganz eindeutig zur gesellschaftlichen Verpflichtung von Förderung von Kunst und Kultur allgemein. Das Infragestellen von Subventionen durch den Staat und seine Gebietskörperschaften ist in diesem Sinn eben nicht die Freiheit, die qujOchÖ meint – speziell im Hinblick auf die bisherige Förderung von inventiven, kritischen und experimentellen Einrichtungen der Freien Szene sieht man im Gegenteil verstärkten Förderbedarf. Ein Anteil von drei Prozent, den die Freie Szene am Kulturbudget der Stadt Linz hat, sei nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, Geld brauche man für Kunstproduktion genauso wie für die banale Existenzsicherung, in einem Feld, das »sowieso noch immer viel zu stark gekennzeichnet ist von ehrenamtlicher Arbeit und prekären Arbeitsbedingungen«, so Philipp, denn: qujOchÖ sei schließlich »keine Maschine, die Geld scheißt, sondern höchstens Kunst«. Womit wir wieder bei der Kunst angelangt wären: Im Falle des Projektes »Gefallene Helden«, das sich (wie das zweite eingereichte 09-Projekt donauPONG) noch im Vorprojektstadium bei Linz09 befindet, kommentiert man die vorläufigen (oben genannten) Interpretationen des Projektes jedenfalls als »Kaffeesud lesen oder Verschwörungstheorien spinnen«. Im Original von 1941 bis 1945 auf der Linzer Nibelungenbrücke postiert, sollen die rekonstruierten Statuen im Kulturhauptstadtjahr dem Verfall, der Verwesung, der Bröckelung preisgegeben werden. Das Projekt ist in Planung und die Konstruktion bereits sehr weit vorangeschritten, wobei es von inhaltlicher und ästhetischer Seite immer wieder zu leichten Verschiebungen komme, derzeit etwa in der Frage um die Gestaltung des Sockels. Näheres will man über die Umsetzung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht verraten, in diesem Zusammenhang gebe es ohnehin vor allem Diskurs »über die Verantwortung der Stadt im Umgang mit ihrer eigenen Geschichte der nationalsozialistischen Vergangenheit, Fragen des Umgangs mit NS-Architektur und NS-Kunst oder der politischen Verantwortung von Kunst«, so Thomas Philipp, sicher werde man keine »Skulpturen aus rosaroter Zuckerwatte machen, um diese dann von kleinen Kindern aufessen zu lassen«.

»Was Linz09 betrifft, hat qujOchÖ hier wie alle anderen keinen Heiligenschein. Es geht so, wie bei allen anderen Einrichtungen und Initiativen der Freien Szene auch bei uns darum, dass wir eigene Projekte durchbringen«. Allerdings versuche man auch, durch andauernde aktive Beteiligung an Stellungnahmen, Diskussionen oder regelmäßigen Jour Fixes eine Aufwertung der Freien Szene gesamt zu erreichen. Größter Kritikpunkt, neben Kritik, die das Format »Europäische Kulturhauptstadt« als Gesamtes betrifft, ist sicherlich der, dass hier »zu viel auf qualitativ hochwertige Projekte und zu wenig auf eine nachhaltige, strukturelle Entwicklung der Freien Szene abgezielt wird«. Und diese strukturelle Förderung wäre, neben der Chance auf Aufmerksamkeit und Möglichkeiten, die 09 auch für die Freie Szene bietet, dringend notwendig – im Sinne des Kulturentwicklungsplanes und der ohnehin vorhandenen Bedeutung der Freien Szene als eine der tragenden Säulen von Kunst und Kultur in der Stadt.


www.qujochoe.org