»5. Juni 2006 erreichte den Suhrkamp Verlag folgende E-Mail«, mit diesen Worten beginnt der Sammelband »Schicht! Arbeitsreportagen für die Endzeit«. Anstatt eines üblichen Vorwortes, ist auf den ersten 15 Seiten ein E-Mail Verkehr abgedruckt, der die Entstehungsgeschichte des Buches dokumentiert: Eine mysteriöse Historiker-Kommission aus dem Jahre 2440, erteilt dem Herausgeber Johannes Ullmaier den Auftrag, für den Chef »JahweGottAllah« ein Update über die Arbeitssituation in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu erstellen. Klingt verschroben? Ist es vielleicht auch, liest sich aber gut (wie ich als notorische Vorwort-Überfliegerin feststellte). Also werden flugs 16 deutsche SchriftstellerInnen beauftragt auszuschwärmen, um herauszufinden, wovon die Menschen im Jahre 2007 denn so leben.
Auf sehr vielen unterschiedlichen Schauplätzen trieben sich Kathrin Röggla, Bernd Cailloux, Dietmar Dath und Konsorten dann herum. In der Superküche eines Gourmetrestraurants in Bayern beispielsweise, auf dem streng abgeriegelten Gelände des Forschungszentrums von VW oder am käseproduzierenden Biobauernhof in Brandenburg.
Feridun Zaimoglu berichtet vom Alltag einer Produktionsfirma eines Online Sexportals, von Verkäuferinnen, die sich nach Feierabend vor die Kamera stellen, um sich ausgedehnte Urlaubsreisen zu finanzieren, und von nervösen Bankangestellten, die sich für einen Nebenjob als Stripper bewerben und sich unter der Anleitung einer Domina gemeinsam mit ihren Konkurrenten einen runterholen müssen.
Dass Betteln ein Beruf ist und eigentlich gelehrt werden sollte, davon ist Wilhelm Genazino überzeugt: »Wer oder was hindert uns eigentlich, Bettelschulen ins Leben zu rufen? Die Klientel dafür steht, sitzt und liegt überall rum.« Genazino beobachtete die Vorgehensweise von Bettlern und stellt zynisch fest, dass viele ihren Jobs völlig unprofessionell nachgehen, es nicht schaffen, sich gewinnbringend zu vermarkten.
Thomas Raab erzählt von einer Busreise nach Tschechien, die ein Berliner Bestattungsunternehmer organisiert um seine zukünftigen Kunden davon zu überzeugen, dass man dort genauso gut verbrannt und bestattet wird wie zuhause, nur billiger. Der Kapitalismus ist längst am Sterbebett angekommen. »Auch das große Finale, mein Sterben: ein Umsatz«.
In der Nähe vom Sterben sind auch die ehrenamtlichen Jobs angesiedelt, die Arbeit, die hunderte der pensionierten »jungen Alten« im Sozial- und Pflegesektor leisten. Sie arbeiten in Altersheimen, bei der Caritas oder in Selbsthilfevereinen. Oliver Maria Schmitt gibt Einblicke in einen Bereich, der dem abbauenden Sozialstaat hilft, Milliardenbeträge einzusparen.
Peter Glaser ist Zaungast in den digitalen Arealen und gibt Einblicke in das Leben dreier Vertreter der »digitalen Bohème« und dem was sie unter Arbeit verstehen. »Ich habe gar keine Vorstellung von Arbeit« kommt es Tim Pritlove über die Lippen. Der Organisator des einmal stattfindenden Chaos Communication Congress des Berliner Chaos Computer Clubs meint von sich, dass er das Wort nur ungern verwende und strenggenommen gar nicht arbeite, weil er nur Dinge tue die ihm Spaß machen. Verklärend spricht auch Holm Friebe, Gründer der »zentralen Intelligenz Agentur« (ZIA), »einem Gravitationszentrum für gute Ideen, durchdachtes Vergnügen und formidable Texte« von seinem äh ... Na-was-nun-Leben. Das Schwinden von Sicherheitsmechanismen, unregelmäßiges Einkommen und präkarisierte Arbeitsverhältnisse begreift er als Chance denn als Fluch. »Etwas Besseres als eine Festanstellung finden wir allemal« meint er lapidar dazu.
Handwerklich gut sind die literarischen Reportagen in diesem Buch durch die Bank, und spannend zu lesen. Das mag vielfach an den Sujets liegen, die sich die AutorInnen ausgesucht haben. Man schaut schließlich nicht jeden Tag einem Zukunftsforscher oder einem »Zauberlehrling« in der Spitzengastronomie über die Schulter. Die ganz banalen Beschäftigungen, die »3/8« Jobs im Büro, am Fließband oder im Callcenter, sucht man in diesem Band allerdings vergebens. Das liegt möglicherweise an der Form der Beiträge selbst. Die Auftraggeber wünschten sich Reportagen, und die lassen sich nun wesentlich leichter über das Außergewöhnliche, das Sonderbare, nicht Alltägliche verfassen, als über ganz profane Arbeitsverhältnisse.
Als »Pars pro Toto« kann der Sammelband somit nicht herhalten, repräsentativ sind die einzelnen Berufsgeschichten allemal nicht. Die mysteriöse Kommission aus der Zukunft hätte anhand dieses Bandes auf jeden Fall ein ziemlich verzerrtes Bild der Realität der Arbeitswelt im beginnenden 21. Jahrhundert.
Schlussbemerkung: ein Blick auf die Rückseite des Bandes genügte, die mysteriösen Auftraggeber des Buches waren natürlich nicht interessierte Forscher aus dem All, sondern ganz lapidar die deutsche Kulturstiftung des Bundes, die sich unter dem Motto »Arbeit in Zukunft« eine vermehrte literarische Darstellung »normaler« Arbeitsverhältnisse wünschte. Soviel zu den derzeitigen Arbeitsverhältnissen von SchriftstellerInnen.