Beginnen wir mit einer journalistischen Todsünde – mit einer waschechten Selbstreferenzialität. Die immer dann über nicht zu beneidende Lesende kommt, wenn ein Journalist darüber schreibt wie es einem zweiten Journalisten bei der Arbeit ergangen ist. Was normalerweise für schwierige Situationen der Berichterstattung vorbehalten ist – für Kriegshandlungen, Zensurversuche oder die privilegierte Erfahrung anderer Katastrophen –, aber vielleicht handelt es sich ja um eine solche.
Beginnen wir also damit, dass Thomas Weber, seines Zeichens Chefredakteur von The Gap, ein Monatsmagazin für Popkultur, an einen Artikel über Linz dachte. Das ist dieser Tage nicht ungewöhnlich. Die Stadt Linz schickt sich im Augenblick an, großflächige Pflasterungsarbeiten zum Abschluss zu bringen und im nächsten Jahr als eine von zwei Kulturhauptstädten Europas verstärkt wahrgenommen zu werden. Ein Artikel darüber hebt sich gewissermaßen von selbst ins Blatt.
Ungewöhnlicher war da schon Webers Herangehensweise, der eine provokante These von The Gap zur Frage erhob, mit dem Plan, sie an Einheimische abzuwälzen. »Wie peinlich wird Linz 2009?« traute sich The Gap warum auch immer zu formulieren – und klopfte damit in Linz bei Personen und Vereinen an, von denen sich das Magazin kritische oder differenzierte Stellungnahmen zu dem kurz bevorstehenden Spektakel erwartete. Am ungewöhnlichsten in diesem Zusammenhang entpuppte sich aber die Reaktion der meisten Befragten: Sie blieb nämlich entweder gänzlich aus oder verlief ablehnend.
Das wunderte den The Gap-Chefredakteur. Ordentlich und aus mehrerlei Gründen. Erstens aus Erfahrung. Fünf Spezialisten auf eine gute Frage loszulassen, ist vertrautes Terrain für Weber. Das heißt, er weiß, dass normalerweise viermal so viele Zusagen und Antworten auf seine ausgeschickten Bitten um Meinungsäußerung eintreffen als nötig. Zweitens ob der bisherigen Wahrnehmung des Kulturhauptstadtprojektes in Wien. Zeitung gelesen wird auch dort – besonders jene, die auch dort gemacht werden – und nicht immer war die Presse der für die Programmentwicklung und -planung verantwortlichen Linz 2009 GmbH positiv. Nehmen wir nur die angedrohte Feststellungsklage des Klangforums Wien. Hinzu kommt: Wenn man zusätzlich an sechs Abenden im Rhiz acht Leute trifft, die mit Projekteinreichungen für das Kulturhauptstadtjahr gescheitert sind, wächst auch über die Entfernung der Eindruck, dass donauaufwärts einiges an Unmut gären muss. Immer unmutiger wurde aber auch Weber, der nicht verstehen wollte, warum in Linz einerseits Websites mit abgelehnten Projekten eingerichtet werden, was Weber ja sympathisch fand, andererseits aber niemand von dieser Website die angebotene Publicity in Form eines Statements nutzen wollte. Um nur eines seiner dem Autor gegenüber frustriert vorgebrachten Beispiele zu nennen.
Die gute Nachricht zwischendurch: Ja, es fanden sich am Ende doch noch fünf Linzer, die sich die Frage von The Gap antun wollten. Und das Popkultur-Magazin fand auch Zeit und Platz, um die abgegebenen Statements mit eigenen Diagnosen zu verstärken: »Hinter vorgehaltener Hand befürchtet selbst mancher Kooperationspartner ein peinliches Spektakel, gesteht eine ungute Vorahnung. Und in der Freien Szene – viele ihrer Vertreter arbeiten pikanterweise zumindest auf Werkvertragsbasis fürs Kulturhauptstadtjahr – rumort es gehörig.«
Womit die Selbstreferenzialität für heute dienstfrei gestellt ist und wir uns, hingeleitet von den Schlussworten im obigen Absatz, dem nicht unverwandten Thema der Ambivalenz zuwenden können. Mehr noch als erwartungsfroh, euphorisch oder ablehnend, haben uns Linzer die Vorbereitung auf das Kulturhauptstadtjahr nämlich vor allem eines gemacht: ambivalent. Höchst ambivalent sogar.
Der November, die Welt, das Leben – Natürlich war alles schon immer grau grau grau, aber so grau wie Linz diesen Winter war selten etwas zuvor. In der Stadt grassiert Grauheit, eine chronische Ambivalenz, die sich quasi auftun muss, wenn – so wie The Gap schreibt – Vertreter der (Freien) Szene für das Kulturhauptstadtjahr arbeiten, während andere Vertreter derselben Szene diesem aus Erfahrung kritisch, wenn nicht sogar mittlerweile ablehnend gegenüberstehen. Manchmal scheinen die einen und die anderen sogar dieselben zu sein. Auch das ist durchaus möglich. Genauso wie Linz 2009-Intendant Martin Heller gegenüber der Tageszeitung Die Presse im Juli 2007 sagen konnte, er möchte zwar mit lokalen Kunstschaffenden zusammenarbeiten, ihnen aber »keinen Blanko-Scheck ausstellen«. Die Versorgerin hat dies schon einmal als »Scheckbuchmentalität« kritisiert bzw. den mitschwingenden »Verweis (darauf, Anm.) wer das Scheckbuch in der Hand hat« als zumindest »bemerkenswert« charakterisiert.
Heute kommt uns diese Aussage zupass, weil sie zeigt, dass die Ambivalenz nicht vor Chefetagen halt macht, sondern dort genauso Befall zu herrschen scheint wie zu ebener Erde. Wenn auch aus anderen Gründen. Obwohl es von außen betrachtet abermals bemerkenswert wirkt, dass einzelne Personen, deren Umfeld mit präventiver Herabwürdigung offenbar eine Grenze markiert werden sollte, letztendlich sehr wohl als Arbeitskräfte für die Durchführung von Linz 2009 gut genug waren und sind. Damit kein Zweifel aufkommt: Dass diese überhaupt dort andockten ist selbstverständlich absolut würdig und recht. Wie viel Jobs im Kulturbereich hat Linz schon zu bieten? Der ohne ambivalentes Dienstverhältnis in seiner Vita sei, werfe den ersten Flachbildscanner. Wobei in sehr vielen nachgefragten Fällen persönliche Loyalitäten und eingespielte Arbeits- und Freundschaftsverhältnisse die ausschlaggebenden Rollen für die Mitwirkung bei Linz 2009 gespielt haben. Hier arbeiten in Teilbereichen, auf »Inseln der Seligen« wie das ein Auskunftgeber genannt hat, Leute zusammen, die sich ohnehin schon seit Jahren aus ähnlichen Jobs und Projekten kennen und
schätzen. Was die gefühlte Ambivalenz zu dem Dach über der ganzen Kiste allerdings nicht zu mindern scheint.
Einiges zur Ambivalenz trägt sicherlich die Größe der Stadt bei. Die Wahrscheinlichkeit mit jemanden verwandt, bekannt, liiert oder in diversen lokalen Kulturvereinen verbunden zu sein, der für Linz 2009 in irgendeiner Form arbeitet oder doch noch ein Projekt ins Laufen bringen konnte, ist in gewissen Milieus groß. (Der Autor beansprucht diese Wahrscheinlichkeit gleich mehrfach für sich.) Ebenso wie die Möglichkeit selbst irgendwo irgendwie irgendwann nächstes Jahr mit dem Kulturhauptstadtjahr in Zusammenhang zu stehen. Was einen natürlich selbst genauso grau und ambivalent färbt. Neben der Wahrscheinlichkeit mit jemandem verwandt, bekannt, liiert oder in denselben vorhin schon genannten lokalen Kulturvereinen verbunden zu sein, der in den letzten Jahren schlechte Erfahrung mit Linz 2009 gemacht hat. Was einen wiederum ja überhaupt erst skeptisch werden ließ.
Wohin soll man sich also angesichts dieser Zerrissenheit wenden?
Eine Crux, hin und hin. Linz, die Ambivalenzhauptstadt Europas? Schlechte Zeiten für die Leidenschaft allenfalls, die bekanntlich weiß oder schwarz ist. Weder in das eine noch in das andere will das
ambivalente Linzer Grau kippen. Ist die Kulturhauptstadt jetzt gut oder böse oder weiß nicht? Ambivalenz fressen Laune auf, und wo keine Laune, da immer ein wenig Frust. Mit Steinen nach anderen zu werfen, lohnt kaum bis nicht. Erstens: Warum überhaupt? Und zweitens kann man sie sich gleich auch selbst auf den Kopf tuschen. Das ist einfacher und Prozess gibt es auch keinen. Immerhin gibt es ein paar klare Positionen. Oder? Kurt Palms »Der Zwerg ruft« im Theater Phönix. Allerdings singt der Chor der Enttäuschten ja auch manchmal falsch.
Und dann werden auch noch auf der Website von Linz 0 Nein schon die Tage bis Silvester 2010 herunter gezählt. Zumindest das scheint einem pointiert. Zumindest bis man sich ins Impressum der Website vorklickt und merkt, dass einer der Projektinitiatoren auch schon als Kurator eines Linz 2009-Projektes untergekommen ist, das man selbst auch schon gut gefunden hat. Ein Satz, der wenig elegant um die Ecken geht. Am Ende regiert schließlich die persönliche Erleichterung, von Thomas Weber nicht mit seiner Frage für The Gap konfrontiert gewesen zu sein.