Im Herbst erschien die erste Ausgabe des »Missy Magazine«, mit dem Untertitel »Popkultur für Frauen«. Die Vorberichte auf mehr oder minder vertrauenswürdigen Internetseiten waren derart überschwänglich, dass ich mit sehr hohen Erwartungen das ausdrücklich angeforderte Rezensionsexemplar durchackerte. Denn bereits drei Tage nach Erscheinen war das Heft am Linzer Hauptbahnhof vergriffen.
Anfang März erscheint das zweite Heft, und unbelehrbar wie ich bin, warte ich auf diese Ausgabe wie vor zwanzig Jahren auf das Christkind. Denn eigentlich hat mich die erste Ausgabe nicht übermäßig vom Hocker gehauen, neben layouttechnischen Fauxpas (hellgraue Schrift auf hellgrauem Hintergrund) und zu vielen Layout-Änderungen von Seite zu Seite, langweite mich die Themenwahl etwas: die Reportage über Genitalverstümmelung in Burkina Faso erweckt den Anschein, aus einer Menschenrechtskampagne entnommen zu sein, bringt wenig Neues, und auch die Schlussfolgerungen sind wenig aufregend: Bildung schafft (Selbst-)Respekt und schützt vor Verstümmelung; das Feature von Soap&Skin halte ich fast für einen Fehlgriff, aber das könnte daran liegen, dass mich die Frau nicht wirklich interessiert. Der Artikel über den ersten Vibratorkauf machte mich beinahe wütend: wenn das Betreten des Geschäfts so eine Überwindung bedeutet, dann mach’ das übers Internet oder Versand, und den Freund daheim ob der Größe des Silikonstängels beruhigen zu müssen ist eine sehr lächerliche Pointe, als ob Typen derart blöd wären.
Warum also die Vorfreude auf Nummer 2? Zum einen wären da all die gelungenen Artikel dieser Ausgabe: Yo Majesty sind wirklich super-US-amerikanischer Lesben-HipHop, und die Fotostrecke von Künstlerinnen halte ich auch für gelungen, das abrundende Interview für sehr informativ. Auch die meisten anderen Artikel sind ansprechend, verständlich geschrieben, do-it-yourself wird Tribut gezollt, Bart-Aufkleben als Make-Up-Tip verhandelt, Zelda Fitzgerald gewürdigt, alles spannende oder zumindest amüsante Beiträge. Für besonders wichtig erachte ich die Kurzkritiken aus Musik, Film und Literatur, denn sie geben prägnant Auskunft über Neuveröffentlichung von Frauen, bzw. von Büchern, Filmen und Platten mit feministischen Inhalten.
Und darin liegt auch der dem Magazin beinahe schon a priori zugrunde liegende Wert: im Aus-der-Schublade-Holen und Entstauben von »Frauenthemata«, im Sichtbarmachen von Frauen, im Erkämpfen des Gummi-Twist am Kultur-Magazin-Spielplatz: weiblichen Nerds das Feld räumen, Müttern jenseits des Mutter-Seins eine Stimme geben, Tipps und Tricks gegen das Ins-Wort-Fallen, bitte sehr, alles vorhanden. Da ist es schon egal, ob man eine Blattlinie noch erkennen kann, oder ob das Magazin unentschieden zwischen »Spex für Feministinnen« und die »third-wave-feministische Antwort auf Brigitte« oszilliert. Da kümmert mich es wenig, ob manche den etwas verspielten Ausdruck, der den Artikeln zugrunde liegt für störend erachten oder das Magazin für zu bemüht cool und hip halten.
Denn, und da wirke ich wahrscheinlich viel predigerinnenhaft frustrierter als die Autorinnen des Missy-Magazins, für jede Frau, die in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen, vergessen oder aus Bequemlichkeit weggelassen wird, wenn es um Autorinnenschaft, um künstlerische Innovationen, um politische Impulse geht, braucht es ein Missy-Magazin, eine Zeitschrift, die lustvoll hinaus schreit: »Wir sind da!«, gegen den Frust, dass wir doch schon weiter sein müssten, gegen die Lähmung, die befällt, wenn die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen schon wieder auseinander geht, gegen das Kotzen, das die alljährlich veröffentlichten »Gewalt in der Familie«-Statistiken hervorrufen.
Das Private, Persönliche wieder zum Diskursprojekt machen und in die Öffentlichkeit tragen - sei es Stricken als Kunst oder Abstillen, gegen die erneut sich breit machende Biedermeierlichkeit aufbäumen, alles zum Anlass nehmen und als Streitobjekte in die Gesellschaft hineinwerfen, gegen die Langeweile, gegen die Verödung eines öffentlichen Diskurses, gegen die Ja-eh-aber-das-Thema-hat-so-einen-Bart-Abtuerei, als ob sich die Typen dadurch in ihrem ewig-gleichen Thomas-Bernhard-Preisen oder ihren realitätsverweigernden »Ausländer-Debatten« abschrecken ließen. (Ganz neue Erkenntnis: bei der Wahl der Themata für Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Filme und Musik – also Diskurs im engeren Sinne – geht es nicht um Originalität oder Relevanz, sondern Macht…)
Natürlich gefällt auch, dass die Herausgeberinnen – ganz dem Do-It-Yourself-Ansatz folgend – gleich ihren eigenen Verlag gründeten, dass nur Frauen schreiben, dass Dietmar Dath als einziger Mann in einem Interview zu Wort kommt, dass Frauen »nicht auf ihre Problemzonen« reduziert werden.
Außerdem dient es als gutes Werkzeug zur Entscheidungsfindung, welche Bücher und Filme jetzt wahrscheinlich eher dem wichtigsten Grundsatz entsprechen, nämlich dass in einem narrativen Opus, erstens zwei Frauen vorkommen müssen, die, zweitens, miteinander sprechen, und zwar, drittens, über etwas anderes als einen Mann.
Aber ich mag natürlich auch die guten Anregungen, welche Musik ich im Radio spielen muss, und was sonst noch so alles Spaß machen könnte.
Deshalb freue ich mich wieder auf Anfang März und die Ausgabe des nächsten Missy-Magazins, wenn Andrea Zuckerman aus »Beverly Hills, 90210« ihren eigenen »Lieblingnerd aus dem Fernsehen«-Artikel erhält, wenn geschlechtsspezifische Auswirkungen der Finanzkrise diskutiert und ganz viele Bücher, Filme und Platten vorgestellt werden. Dann fühlt sich die Welt nämlich als ein um ein kleines bisschen gerechterer Ort an.
Deshalb wünsche ich Missy noch viel Erfolg und alles Gute, und all ihren Schwestern, Cousinen und Nichten im Geiste! Weil ein oder zwei deutschsprachige feministische Popkultur-Magazine sind zwar super, aber es braucht viele mehr, damit alle Frauen sichtbar werden, die schreiben, lesen und denken.