Die SPÖ und der politische Islam
Wo die Linzer SPÖ ist, ist auch meistens ein Herr Irfan Ünsal zu finden. Beispielsweise am 1. Mai-Aufmarsch 2018, wo er ein Grüppchen unentwegter Schwenker roter Fahnen (mit weißem Halbmond) anführte. Herrn Ünsal kennt kaum jemand außerhalb, dafür nahezu jeder in den Communities türkisch-stämmiger rechts und ganz weit rechts Stehender. Der Journalist betreibt eine Vielzahl von Facebook-Seiten und anderen Social Media-Kanälen, ist Korrespondent des türkischen Senders Avrupa 7. Regelmäßig ist er auch politisch im Einsatz, und zwar gleich für zwei Parteien, die SPÖ und die AKP. Diese Doppelrolle ist bekannt und stört anscheinend da wie dort niemanden. Zwischendurch dokumentiert Ünsal »terroristische Aktivitäten«, etwa von kurdischen Menschenrechtsorganisationen, ist bei Anti-Israel-Demos zu finden und so gut wie bei jeder Kermes und jeder Demo von AnhängerInnen des politischen Islams und/oder Rechtsextremer. 2015 tingelte er wochenlang mit Klaus Luger und den AKP-nahen SPÖ-KandidatInnen durch die Lebenswelten türkisch-stämmiger MitbürgerInnen und erstellte Werbevideos für die Sozialdemokratie. Er tritt auch als Redner bei AKP-Veranstaltungen auf, wo er sich bevorzugt mit dem Gruß der Muslimbruderschaft fotografieren lässt. Auf Facebook postet er gerne Verschwörungstheorien. Fethullah Gülen, Lieblingsfeind von Recep Tayyip Erdoğan, wird da mal als Jude, mal als Armenier enttarnt. Während der türkischen Offensive auf das kurdische Afrin verdingte er sich als glühender Kriegs-Propagandist.
Mit den eigentlichen Werten der Sozialdemokratie hat dies freilich nichts zu tun. Diese werden auf dem Altar kurzzeitiger Stimmenmaximierung geopfert. Auch auf internationaler Ebene hätte die SPÖ andere Partner. Dort sitzt sie im Boot der »Sozialistischen Internationale« mit der kemalistischen »Republikanischen Volkspartei« CHP, die zwar nicht weniger nationalistisch und minderheitenfeindlich, doch wenigstens säkular und irgendwie dann auch sozialdemokratisch sein will. Die AKP hingegen findet sich in der »Allianz der Konservativen und Reformer in Europa« mit der polnischen PiS und den britischen Konservativen wieder.
Die Nähe der SP zu den türkischen rechts-außen-Parteien, der AKP oder den »Grauen Wölfen«, wird gerne als »Linzer Problem« verharmlost. Das stimmt so nicht. 2015 haben in etwa 10 oberösterreichischen Gemeinden aus der Türkei stämmige Menschen mit Nähe zu islamistischen und/oder rechtsextremen Parteien für die SPÖ kandidiert. In Wels Levent Arikan, gleichzeitig Bundesvorsitzender einer anderen österreichischen SP, nämlich des hiesigen Ablegers der islamistischen und antisemitischen Saadet Partisi. Und selbst der damalige Kanzler Kern verbrachte den letzten Abend vor der Nationalratswahl 2017 im Kreise von AKP-Funktionären.[1] Ein taktischer Winkelzug von nachgerade widerwärtiger Professionalität.
Freilich gibts in der SPÖ auch andere Stimmen. EU-Parlamentarier Joe Weidenholzer setzt sich kontinuierlich und glaubwürdig für Demokratie und Menschenrechte in der Türkei ein, auch für die bedrängten KurdInnen in Syrien und die JesidInnen im Irak. Ähnliches gilt für den geschäftsführenden Klubobmann im Nationalrat, Andreas Schieder, der sich 2014 auch für eine Aufhebung des PKK-Verbotes aussprach. Und die oberösterreichische Volkshilfe, die Sozialistische Jugend und andere Partei-Linke haben in der Vergangenheit zumindest die Packelei mit den rechtsextremen »Grauen Wölfen« kritisiert. An der »Generallinie« der SPÖ, die nahe am konservativen bis rechtsextremen türkischen Parteienblock verläuft, hat sich dadurch nichts geändert. Doch wie halten es andere Parteien mit den aus der Türkei stämmigen Menschen aus Österreich?
FPÖ, ÖVP und Grüne ringen um AKP-KritikerInnen
Ab den Ereignissen des 11. September 2001 hat sich der Rassismus der FPÖ grundlegend gewandelt, und zwar in einen spezifisch anti-muslimischen und anti-türkischen. Die Türkei übernahm eine Doppelrolle als innerer Feind (MigrantInnen) und äußerer Feind (EU-Beitritts-Kandidat). Gegen die türkischen EU-Ambitionen plakatierte und agitierte die FPÖ schon in den 1990ern; also vor der Machtübernahme Erdog˘ans und der AKP, und ohne zwischen den verschiedenen Religionen und Ethnien des Landes zu differenzieren. Doch die Anzahl von Einbürgerungen stieg und somit die Anzahl der WählerInnen, die quasi »neu auf dem Markt« waren. Während die SPÖ einen Zick-Zack-Kurs fuhr, und mal KemalistInnen, mal linken KurdInnen und schließlich immer mehr den NationalistInnen und AnhängerInnen des politischen Islams den Hof machte, suchte auch die FPÖ ihr Stück vom türkischen WählerInnenkuchen. Anbiederungsversuche an die PKK-nahen Vereine (für die Andreas Mölzer 2009 sogar in die KurdInnen-Metropole Amed/Diyarbakır reiste) stießen auf wenig Gegenliebe; armenische ChristInnen waren zahlenmäßig irrelevant (diese wurden, so nebenbei erwähnt, gerne von Ewald Stadlers irrelevanter REKOS-Liste umgarnt). Blieben die AlevitInnen, mit denen man nun auf das gemeinsame Feindbild Erdoğ an/AKP aufbauen möchte. So trat im September 2016 bei der 10. Generalversammlung der »Föderation der Aleviten Gemeinden in Österreich (AABF)« ein besonderer Gastredner auf: Franz Obermayr, EU-Abgeordneter der FPÖ und deutschnationaler Burschenschafter. Obermayr ist auch Präsident des Linzer »Burschenbundballes«. Jahr für Jahr (auch noch nach Obermayrs Besuch) rufen auch die AABF-Vereine zur Demonstration gegen diese rechtsextreme Veranstaltung auf. Dass man jemand einlädt, gegen den man vorher und nachher demonstriert, zeigt die Widersprüchlichkeit innerhalb der ohnehin schon in die Föderation und die »Alevitische Glaubensgemeinschaft« gespaltene Community. Man steht im vielfachen Spannungsverhältnis zwischen pragmatischen und ideologischen Überlegungen, zwischen der österreichischen und türkischen Parteipolitik.
Nichtdestotrotz tut man sich langfristig gesehen mit einer Annäherung an die österreichischen Rechten, das Islam-Hasser-Milieu bzw. die FPÖ keinen Gefallen. Die FPÖ steht für Sozial- und Bildungsabbau, ihre rassistische Propaganda ist wesentlich mitverantwortlich für die Radikalisierung eines Teiles der Muslime in Österreich. Zu ethnischen und religiösen Minderheiten hat sie ausschließlich ein wahltaktisches Verhältnis, ernsthaftes Interesse am Alevitentum haben die Blauen nicht, Strache selbst bezeichnet sie schlicht als »liberale Moslems«.[2]Und die Alltagsrassisten fragen ohnehin nicht nach solchen Details. Wenn es der FPÖ grad reinpasst, hat sie auch wenig Probleme mit Vertretern des politischen Islam. In Lustenau kandidierte 2015 ein Mann der ATIB für die Blauen[3], also jener Organisation, die dem staatlichen türkischen Präsidium für Religion untersteht und die jüngst durch diverse Kriegsspielchen in die Schlagzeilen kam.
Mit dem Abwerben von Efgani Dönmez von den Grünen ist der ÖVP ein echter Coup im Kampf um »türkische Stimmen« gelungen. Dönmez erfreut sich großer Bekanntheit in allen AKP-kritischen Milieus, vor allem bei den KemalistInnen, die sowohl Erdoğ an als auch der kurdischen Autonomiebewegung ablehnend gegenüberstehen. Sein ewig gleiches Mantra »die Linken sind schuld am Erstarken des politischen Islam« ist zwar Unfug (seit 18 Jahren ist, bzw. wäre die ÖVP im Bund für Integration zuständig), kommt aber gut an. Dass die ÖVP in Tirol und Vorarlberg bestens mit AKP-nahen Verbänden, mitunter auch mit den »Grauen Wölfen«, zusammenarbeitet oder zur Präsenz AKP-naher Funktionäre im schwarzen Wirtschaftsbund, dazu schweigt Dönmez nun: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Etwas peinlich wurde es für die ÖVP, als das ihr nahestehende »Volksblatt« 2017 die oben erwähnte Kandidatur Levent Arikans für die SPÖ »aufdeckte«. Denn im Zuge der Affäre kam auf, dass Levent Arikans Bruder Bülent Arikan, ebenso bei der Saadet Partisi, in Pettenbach im Gemeinderat saß. Allerdings nicht für die SPÖ, sondern für die ÖVP.
Mit dem Einzug von Berivan Aslan in den Nationalrat 2013, spätestens aber mit Wahlempfehlungen für die linke, pro-kurdische HDP 2015 haben sich die Grünen bislang am deutlichsten für eine Seite positioniert. Aslan kandidierte bei den NR-Wahlen 2017 als Listenerste in Tirol und schaffte von allen Grünen die zweitmeisten Vorzugsstimmen. Jenseits der HDP-nahen Milieus konnten die Grünen jedoch kaum reüssieren.
Eigenständige »türkische« Parteien in Österreich
Die Isolierung und Desintegration eines Teiles der Community zeigt sich auch durch die Versuche, eigenständige Kandidaturen aus dem rechts-konservativen, meist AKP-nahen Spektrum zu forcieren. Bereits 2008 trat eine »Liste für Niederösterreich« bei den dortigen Landtagswahlen an. Jüngst gab es die Versuche der »Neuen Bewegung für die Zukunft« (NBZ) oder »Gemeinsam für Wien«. Die NBZ versuchte sich 2017 bei den österreichischen Nationalratswahlen, sammelte aber nur im Bundesland Vorarlberg die notwendige Anzahl an Unterstützungserklärungen für den Wahlzettel. Man schaffte dort immerhin 1,7 % der Stimmen (bundesweit sind das 0,05 %), wurde aber mittlerweile durch die Abspaltung einer »Heimat aller Kulturen« (HAK) geschwächt. Allen genannten Listen ist die Nähe zum religiös-konservativen, rechten Spektrum gemein. Und ihre weitgehende Erfolglosigkeit. Noch vertraut ihr Klientel, sofern es sich überhaupt an politischen Entscheidungsprozessen in Österreich beteiligt, offenbar immer noch mehr auf die Einbindung in klassische österreichische Parteien, als an eine eigenständige »Austro-AKP«.