Es ist der 14. April - 4 Uhr Ortszeit: Die alliierte Militäroperation visiert Syrien mit schiffs-, U-Boot- und flugzeug-gestützten Marschflugkörpern an. Das Ziel: ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in Barseh – rund 15 Kilometer nördlich der Hauptstadt Damaskus, als auch zwei Militäranlagen westlich von Homs.
Rückblende: Nachdem am 4. April 2017 mindestens 86 Menschen durch mehrere Luftangriffe des Assad-Regimes starben, ließ US-Präsident Donald Trump den Militärflugplatz asch-Scha‘irat mit Marschflugkörpern angreifen. Bereits im darauffolgenden Juli waren die Ermittler der OPCW (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) sicher: Gemäß dem 78 Seiten starken Bericht wurde Sarin als Chemiewaffe eingesetzt.
So auch ein Jahr darauf. Syrische Truppen hatten zu Beginn des Jahreswechsels 2017/2018 die seit Jahren eingeschlossene Enklave von Ost-Ghouta mit Artillerie, Luftangriffen und russischer Unterstützung belagert. Nach monatelangen Gefechten gab die Masse der jihadistischen »Armee des Islams« (Dschaisch al-Islam) auf – und zog sich in den Ortsteil Duma zurück. Die Kriegstaktik ist bekannt: Mehrere Chlorinbomben hagelten auf Krankenhäuser und andere zivile Einheiten in Duma ein. Assad will keine Gefangenen machen. Er will Rache üben für das lange Durchhalten der Rebellen und restlos jeden Überlebenswillen der Zivilisten brechen.
Während Assads Propagandamaschinerie von einer brutalen Aggression sprach, enttäuschten die alliierten Bombenangriffe gleich doppelt: Diejenigen, die in den letzten Wochen für ein Ende der Schreckensherrschaft Assads demonstrierten, als auch diejenigen, die im Einklang mit der Fraktionschefin der LINKEN, Sahra Wagenknecht, nun einen »dritten Weltkrieg« heraufbeschwören wollten. Denn Donald Trumps chirurgische Militärschläge auf syrische Einrichtungen waren – 2017 wie auch 2018 – nie mehr als Gesichtswahrung. Während Trump noch wenige Tage zuvor den endgültigen Rückzug sämtlicher Militärkommandanten aus Syrien beordert hatte, holte ihn die kriegerische Realität rasch wieder ein: »Nice and new and ‚smart‘» würden die Geschosse sein, welche bald auf syrisches Territorium aufschlagen sollten. Smart, wie jedoch auch Trumps Berater waren, drängten sie ihn, seinen Angriff stark einzuschränken – und so konsultierte das US-amerikanische Militär vor dem Manöver russische Diplomaten über davor eingerichtete Kommunikationskanäle wegen möglicher Ziele des Militärschlags.
Alles schwierig wegen Syrien
Obgleich Trump Putin sogar namentlich als Verantwortlichen markierte, ruderte der Commander-in-Chief rasch wieder zurück: Die USA benötige gute Beziehungen zu Russland - dafür müsse sich Russland lediglich von Assad distanzieren und den Weg frei machen für eine »politische Lösung«. Dass das Wunschdenken ist, müsste eigentlich selbst Trump wissen: Die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Syrien sind zwar vor allem strategischer – und nicht ideologischer – Natur, doch ist Assad lebensnotwendig für Russlands Strategie im Nahen Osten. Russlands einziger Stützpunkt, den die russische Marine im Mittelmeer seit dem entsprechenden bilateralen Abkommen 1971 unterhält, liegt in der syrischen Hafenstadt Tartus. Zudem ist Syrien nach Indien und Algerien der drittgrößte Abnehmer von russischer Waffentechnik – ein Verlust von Waffenexporten nach Syrien könnte bis zu 4 Milliarden US-Dollar betragen.
Doch nicht nur aufgrund ökonomischer Verbundenheit trotzt Russland einer jeglichen Planänderung seiner Nahost-Strategie. Denn der Juniorpartner Assads, die Islamische Republik Iran, hat sich längst schon zu einem unabdingbaren Player in der Region entwickelt – und zu einer taktischen Bedrohung von Russlands liebgewonnener Hegemonialrolle. Putin hat Assad fest im Griff – dass sich dies durch einen Machtwechsel an der syrischen Spitze ändern könnte, ist eine der Sorgen, die Russland umtreibt. Ein weiteres Erstarken des Iran will neben Russland aber auch Israel verhindern. Davon zeugen die letzten Monate: So führte Israel zuletzt in der Nacht des 29. April mehrere Luftschläge auf Ziele des Assad-Regimes und iranischer Einheiten durch: Die Explosionen in einer Militäreinrichtung in der nordwestlichen Stadt Hama sorgten für ein mysteriöses »Erdbeben« mit der Stärke 2,6 auf der Richterskala. Das, was als Erdbeben tituliert wurde, sei vielmehr Ausdruck eines »almost-open warfare« zwischen Israel und dem Iran, so Avi Issacharoff in »The Times of Israel«. Sinnbildlich der Energieminister Yuval Steinitz, den die Yerusalem News mit den Worten zitierte: »If Syrian President Bashar al-Assad continues allowing Iran to operate within Syrian territory, Israel will liquidate him and topple his regime.«
Allein auf weiter Flur?
Auch wenn der Anschein trügt, so hatte man in Israel lange das Gefühl, von der USA alleine gelassen worden zu sein. Vor allem die Rückzugspläne aus dem Nahen Osten gaben Israel das Gefühl, auf sich selbst gestellt zu sein. Nach 8 Jahren Bürgerkriegserfahrung ist die libanesische Terrormiliz Hezbollah – vor allem durch die enge militärische Zusammenarbeit mit den iranischen Revolutionsgarden und russischen Militärs – kampferprobt wie noch nie und verfügt nun über permanente Militärbasen in Syrien. Israel setzt dabei vor allem auf die Verhinderung von Waffentransporten an die Hezbollah – primär durch militärische Luftschläge wie die am 29. April. Die zuletzt erfolgte einseitige Aufkündigung des Iran-Deal durch Trump, ebenso wie die erfolgte Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem – erzeugen in den israelischen Reihen zwar ein Gefühl der Geborgenheit und der gegenseitigen Verbundenheit. Eine Verbundenheit, wie man sie unter Obama niemals hatte. Gleichzeitig ist jedoch fraglich, ob Trump eine langfristige Strategie zum Eindämmen der schiitischen Achse hat – oder letztlich doch den Nahen Osten sich selbst überlassen möchte. Die jüngst angekündigte Neuauflage der amerikanischen Iran-Sanktionen werden bestimmt ihren Teil dazu beitragen. Ohne europäischen Beitrag dazu werden sie jedoch ihre Wirkung verfehlen, denn mit Sanktionen ohne europäische Mitwirkung seitens Macron oder Merkel wirkt die US-amerikanische Außenpolitik zwar konsistent nach innen, aber schwach nach außen: Europäischen Unternehmen soll künftig mittels eines Abwehrgesetzes aus den 1990er Jahren verboten werden, sich an die US-Sanktionen zu halten.
Ein weiterer Vorgang blieb jedoch weitestgehend unbeachtet: die zunehmende militärische Unterstützung für syrische Rebellengruppierungen wie »Firqat Ahrar Nawa«, eine frühere FSA-Rebellenfraktion. Forderungen wie die nach der Schaffung einer 60-Kilometer langen »safe zone« ohne iranische Milizen in den Golan-Höhen waren zu lange unerfüllt geblieben. Der Zeitpunkt der verstärkten Zusammenarbeit Israels mit den sunnitischen Rebellengruppierungen ist kein Zufall: Wenige Wochen zuvor hatten die USA begonnen, jegliche Zahlungen an die rund 20.000 Kombattanten aller FSA-Brigaden (welche unter dem Namen »Southern Front« agierten, und zuvor mit Jordanien zusammenarbeiteten) von nun an auszusetzen.
Der Sturz des Assad-Regimes, lange Zeit das primäre Ziel, ist auch in der türkischen Außenpolitik anderen Prämissen gewichen. Davon zeugt nicht zuletzt die »Operation Olivenzweig« um die Stadt Afrin, welche im Januar 2018 begonnen hat. Der Hauptfeind: Kurdische Einheiten, welche den Volksverteidigungseinheiten der YPG, bzw. der PKK nahestehen.
Doch seit die türkische Armee im Gebiet rund um Tal Rifaat im Osten Afrins keine militärischen Anstrengungen mehr betreibt, regen sich sogar vereinzelte Proteste in Jarabulus, man möge auch dieses Gebiet noch »befreien«. Und eigentlich hatte Erdogan ja auch angekündigt, bis in die Stadt Manbij vorzudringen, wo US-Soldaten zum Schutz der Kurdenmilizen stationiert waren.
»Wir haben eine Vereinbarung«, frohlockte Präsident Erdogan bei einer Veranstaltung in Ankara kurz vor dem Einmarsch nach Afrin – bei der sich die USA vorsorglich zurückhielten: Afrin hätte für den Kampf gegen den IS derzeit schließlich nicht die oberste Priorität. Die Vereinbarung musste Erdogan auch hier nicht mit der ehemals wichtigsten Supermacht im Nahen Osten treffen: Viel wichtiger als die Zurückhaltung der USA war für Erdogan der Deal mit Russland. Denn die russische Armee hatte zum Zeitpunkt des Beginns der Militäroperation nicht nur ein S-400-Raktenabwehrsystem in Syrien stationiert, mit dessen Hilfe sie den Luftraum im Norden nahezu uneingeschränkt kontrolliert. Auch die russischen Militärberater, die davor in Afrin stationiert waren, hätten jeden Angriff unmöglich machen können – denn spätestens seit dem Streit um einen von der Türkei abgeschossenen russischen Kampfjet weiß man in Ankara genau, mit welcher Härte Moskau reagieren kann.
Aus der Sicht Moskaus ging es erneut vor allem darum, dass sich die türkische Offensive gegen den bisher wichtigsten Verbündeten der USA in Syrien richtet, womit sich die Spannungen zwischen den beiden ohnehin im Clinch liegenden NATO-Partnern noch weiter vergrößern dürften. Auch in Syrien schaffte es Erdogan, einen Spalt zwischen ehemals eng Verbündete zu treiben: Der Tenor deutscher Debatten über Syrien drehte sich einmal mehr um sich selbst: »Türkei rückt in Syrien vor – mit deutschen Panzern«, titelte der SPIEGEL. USA? NATO? Europa? Man steht
im Abseits.
Ohne Strategie und ohne Einfluss
»Ein Glück, dass wir noch ein paar Nazis haben«, brachte es WELT-Journalist Daniel Dylan-Böhmer bitterböse auf den Punkt: »Was viele Deutsche jetzt tun, verdient höchsten Respekt. Aber seien wir ehrlich: Das Schicksal der Syrer hat uns jahrelang nicht interessiert. Unser Mitleid begann erst, als sie in unserem Vorgarten zu sterben drohten. Wenn es uns nicht nur um unsere Wellness geht, sondern um echte Hilfe, dann sollten wir auch dort etwas tun, wo diese Menschen herkommen – in Syrien. (…) Im Falle Syriens haben wir nur eine Handlungsoption schon gründlich ausprobiert: gar nichts tun.«
Dabei war es bemerkenswert, welche Worte Kanzlerin Merkel wählen konnte, um sich formlos hinter die allierte Militäroperation zu stellen: »Deutschland wird sich an eventuellen – es gibt ja keine Entscheidung, ich will das nochmal deutlich machen – militärischen Aktionen nicht beteiligen«. Deutschlands Rolle ist längst eine am Spielfeldrand, wenngleich man außer Nazis noch etwas hat: Finanzmittel. Diese sollen nun verwendet werden, um den Wiederaufbau voranzutreiben. Vor allem deshalb, um syrische Flüchtlinge bald wieder rückführen zu können.
Einmal Syrien und zurück
»Wie wollen wir Millionen von Syrern überzeugen, in ihr Heimatland zurückzukehren, wie wollen wir hunderttausende Syrer, die mit ihren Familien in Deutschland sind, überzeugen, in ihre Heimat zurückzukehren, wenn wir Europäer es zulassen, dass Assad stabilisiert wird, und wenn wir mit europäischen Steuergeldern das, was er zerstört hat, zu seiner Festigung wieder aufbauen?«, so der CDU-Parlamentarier Roderich Kiesewetter treffend. Aktuell werden immer noch Teile des Landes vom Regime blockiert, dem Guardian zufolge sind etwa 3,5 Millionen Menschen davon betroffen. Vielen von ihnen fehlt der Zugang zu Lebensmitteln und medizinischer Versorgung, tausende Kinder leiden unter Mangelernährung, es kommt zu Bombardements durch die Armee. Umfragen der Vereinten Nationen unter allen Flüchtlingen aus Syrien zeigen, dass zwar Exil-Syrer zurückkehren wollen, aber nicht in naher Zukunft. Planlos ist aber nicht nur Europa – sondern sind auch die in Deutschland gestrandeten Flüchtlinge. Laut den Untersuchungen des UNHCR kehren besonders verzweifelte Syrer, die nur einen eingeschränkten Schutzstatus bekommen haben und von den Familien getrennt sind, zurück. Das Paradoxe: Die Rückkehr erfolgt oftmals auf derselben Route, über die man einst nach Deutschland gelangte. So sind laut BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) ca. 4000 Syrer unbekannt verzogen – darunter viele zurück in die Türkei, wo im Gegensatz zu Deutschland nicht nur rund 650.000 syrische Flüchtlinge leben, sondern rund drei Millionen. Ganz gleich, ob militärisch oder integrationspolitisch: Verantwortung sieht anders aus.