It Ain‘t Me, Babe
1970 fasst die Comickünstlerin Trina Robbins endgültig den Entschluss, sich mit ein paar Kolleginnen zusammenzutun und ein dezidiert feministisches Underground-Comic zu produzieren. Robbins’ Motivation speist sich aus einer großen Unzufriedenheit über die beschränkten Möglichkeiten für Frauen in den USA, als Comicartists von Zeitungen und Magazinen angestellt und für ihre Arbeit adäquat bezahlt zu werden. Der Comic-Mainstream à la Marvel und DC ist fest in Männerhand, aber nicht nur das. Auch die Underground-Comicszene Kaliforniens organisiert sich als, wie Robbins es nennt, »boy‘s club«[1], in den Kolleginnen keinen Zutritt haben und Misogynie auf der Tagesordnung steht: »‚It was almost the rigueur for male underground cartoonists to include violence against women in their comix, and to portray this violence as humor‘«[2], so Robbins, die zu Beginn der 1970er Jahre als Zeichnerin für The Berkeley Tribe tätig ist, eine Zeitung der alternativen Linken, deren Gründung Ende der 1960er Jahre eng an die Free Speech-Bewegung und die Initiierung des People‘s Park in Berkeley geknüpft war. Schließlich heuert Robbins bei einer in der Bay Area angesiedelten, feministischen Zeitung an, die aus der Women‘s Lib hervorgeht und das Ziel verfolgt, die Bewegung publizistisch zu unterstützen. Der Name der Zeitung: It Ain‘t Me, Babe, und so heißt auch das Comic, das Robbins gemeinsam mit Barbara »Willy« Mendes, »Hurricane Nancy« Kalish, Carole, Lisa Lyons, Meredith Kurtzman und Michele Brand im Juli 1970 bei Last Gasp Ecofunnies Publications veröffentlicht. Es handelt von drogeninduzierten und tagträumerischen Ausbruchsphantasien, Freundinnenschaft, mythischen Frauen, liebevollen Erinnerungen an die Großmutter und ihren bezaubernden Garten. Und in Caroles »Breaking Out« gibt es ein Wiedersehen mit prominenten, weiblichen Charakteren der US-amerikanischen Comicgeschichte, die ganz neue Seiten von sich zeigen: Juliet Jones, die anständige Protagonistin der nach ihr benannten Comic-Seifenoper, fragt sich, wer ihr die ganze Zeit diese dummen Worte in den Mund legt, mit denen sie die Männer umschmeicheln soll. Veronica, die mit ihrer Freundin Betty in einem ständigen Konkurrenzkampf um Archies Herz liegt, beschließt, die Buhlerei um den Mann zu beenden, weil ihr Betty immer eine bessere Freundin sein wird als Archie. In der Mitte der Story treffen sich die Frauen mit Witch Hazel und Petunia Pig von den Looney Tunes, Little Lulu – Protagonistin der Comicstrips von Marjorie Henderson Buell – und Supergirl, um sich auszutauschen. Sie beschließen, aktiv zu werden und für ihre Rechte einzutreten.
Wimmen‘s Comix
Dieser kämpferische Einsatz für die Rechte der Frauen wird zentrale Agenda der feministischen Comicszene Kaliforniens sein. 1972 erscheint dort neben dem von Joyce Farmer und Lyn Chevely (Los Angeles) produzierten Tits & Clits auch die erste Nummer der Wimmen‘s Comix (Berkeley). Bis 1992 sollen 16 weitere Ausgaben folgen. Es gibt keine Chefredakteurin, die Herausgeberinnenschaft erfolgt nach einem Rotationsprinzip, für jede Nummer zeichnet eine Frau oder ein Duo als Editor verantwortlich. Immer wieder stoßen neue Künstlerinnen dazu, gleichzeitig verlassen manche das Kollektiv. Der ganz normale Lauf der Dinge: »As with left politics in general, so with women‘s groups: I owe a great deal to my experience with them, and yet I was never blind to the contradictions, absurdities, and entertaining aspects«[3], so bringt die Comickünstlerin Sharon Khan Ruhdal ihre Erfahrungen mit der Zweiten Frauenbewegung auf den Punkt. Wo diverse linke Gruppen mit unterschiedlichen politischen und sozialen Hintergründen aufeinandertreffen, um für die gemeinsame Sache zu kämpfen, entstehen logischerweise Meinungsverschiedenheiten und Reibungsflächen. Diese Dynamik prägt über die Jahre auch die fluktuierende Redaktion der Wimmen‘s Comix, des Öfteren herrscht Uneinigkeit in der inhaltlichen und künstlerischen Ausrichtung des Hefts. Außerdem sieht sich das Kollektiv immer wieder mit dem begründeten Vorwurf konfrontiert, sehr heterosexuell zu sein[4] – auch ist die Redaktion sehr weiß. Außerdem gibt es Kämpfe um die solidarische Unterstützung anderer feministischer Medien, die vor der Radikalität der Wimmen‘s Comix zurückschrecken, und teilweise direkt übers Medium öffentlich ausgetragen werden. Ein Beispiel dafür findet sich in Wimmen‘s Comix No. 3 (erschienen 1973). Auf Seite 1 stehen unter das Impressum gequetscht folgende Zeilen zu lesen: »CONGRATULATIONS MS! We see your consciousness finally rising from the Murk of the Eastern Literary Establishment with your grudging acceptance of a partial ad for comix by women […]. We look forward to further enlightment --- high quality artwork by women, humor by women, and maybe, even a female art staff for your magazine. A LICK OF THE CLIT TO YOU ALL …..... WOMEN‘S COMIX COLLECTIVE.«[5] MS bezieht sich auf das – wie die Wimmen‘s Comix 1972 – von den Feministinnen Gloria Steinem und Dorothy Pitman Hughes gegründete Ms. Magazine, das die Anfragen der Wimmen, bezahlte Werbung für ihr Heft zu schalten, äußerst zögerlich behandelt, oft ignoriert hat. Grund für diese unmutige Zurückhaltung waren die expliziten Inhalte.
Radikale Ästhetik
Stilistisch sind die Wimmen‘s Comix erfrischend divers. Manche der Geschichten sind eigenwillig und unverkennbar. Prinzipiell ist beim Durchgehen der fortschreitenden Ausgaben eine künstlerische Entwicklung in Richtung Mainstreamtauglichkeit erkennbar und die Textlastigkeit nimmt zu. Ich persönlich bevorzuge die Handschriften der frühen Tage, die sich teilweise mit einer bestimmten Nüchtern- und Rohheit gegen das Vorurteil stellen, Frauen würden zugunsten »schöner« – im Sinne von ästhetischer Kunst – vor schnell gesetzten Linien und derben Figuren zurückschrecken. Gleichzeitig visualisieren einige der Wimmen die schlimmsten Geschichten in delikatester Feinheit, Melinda Gebbie zum Beispiel, die über ihren Stil sagt: »What you see is what ain‘t been corrected by the schools.«[6] Thematisch sind die Comics ausufernd, die Künstlerinnen übertragen Aspekte des Lebens von Frauen in Erzählungen, die teilweise etwas besänftigend Phantastisches an sich haben, teilweise ultrabrutal der Realität entnommen sind. Manche der Autorinnen kleiden ihre Protagonistinnen in mythisches Gewand, um Probleme und Krisen der Gegenwart zu verhandeln, andere dokumentieren unverstellt den Alltag von Frauen in den USA. Die Wimmen‘s Comix erzählen von Lebens- und Arbeitsbedingungen, von ausgelebter und unterdrückter Sexualität, Gewalt und Missbrauch, Freundinnenschaft und Solidarität, von Wünschen und dem Kampf um die Rechte der Frauen. Sie thematisieren Herstorys wie beispielsweise jene der afroamerikanischen Fluchthelferin und Frauenrechtskämpferin Harriet Tubman, die von Dot Butcher für Ausgabe Nr. 6 (1975) aufs Papier gebracht wird. Oder sie kritisieren weibliche Körperbilder, die von unpraktischen Modearchitekturen in Zaum gehalten oder zu unwirklichen Formen verzerrt werden, wie in »Modemorphose« von Cecilia Capuana (Wimmen‘s Comix No. 10, 1985): Eine junge Frau im T-Shirt, das über dem Nabel aufhört und sonst nichts, trommelt vier Frauen zusammen, die in unterschiedliche Modestile von der Renaissance bis zu den 1940er Jahren gekleidet sind – Halskrause und ein strenges Ensemble aus Reifrock und eng anliegendem Oberteil im Spanischen Stil, das die Trägerin in eine unbewegliche Statue verwandelt. Eine Robe à la Française aus dem Rokokozeitalter, die die Hüften ihrer Trägerin so breit ausstellt, als hätte sie unter dem Reifrock einen länglichen, rechteckigen Couchtisch geparkt. Eine Tournüre mit gigantischer Schleife auf dem Hinterteil und ein eng anliegendes Kleid à la Mae West, das mit den Worten der Filmtheoretikerin Claire Johnston als »phallic dress«[7] bezeichnet werden könnte. Gemeinsam begeben sich die Frauen in einer Mondnacht an den Strand, um die unmöglichen Gewänder abzulegen. Im letzten Bild blicken sie entsetzt auf ihre durch die Kleidung deformierten Körper, zu sehen: Der riesenhaft unproportionale Hintern der Frau mit der französischen Robe, vier Beine, die in der Form des strengen spanischen Rocks von der Trägerin wegstehen, ein Tournürenpo, der durch eine fabelhafte Krümmung der Wirbelsäule im 90 Grad Winkel vom Rumpf der Frau absteht, die Schlangenform des Körpers, der in das »phallic dress« eingegossen war. Die junge Frau mit nur T-Shirt an steht da und staunt. Und die Kunst an diesem Comic von Cecilia Capuana besteht darin, dass sie sich mit dieser bizarren Kritik nicht über die Protagonistinnen lustig macht, sondern über die vollkommen körperfeindlichen Kleidungskonventionen, die Frauen jahrhundertelang Bewegungsfreiheit, eine gesunde Haltung und das Durchatmen verunmöglicht und sie damit von uneingeschränkter Partizipation am öffentlichen Leben ferngehalten haben. Durch ihre erschrockenen Blicke vermitteln die Frauen dem_der Leser_in die Ungerechtigkeit und Grausamkeit dieser gesellschaftlichen Einschnürungen. Und nicht zuletzt ist es der verquere Humor in »Modemorphose«, der diesen Erkenntnisprozess begleitet. Das Lachen, das beim Betrachten dieser Bilder aus mir herausbricht, ist lustvoll, amüsiert und bitter zugleich. Bei der Durchsicht und dem Lesen der 17 Nummern der Wimmen‘s Comix ist dieses Lachen Programm. Und dafür kann man den radikalen Ladys nicht oft genug danken.