Bei Hinweisen auf gewisse, sagen wir mal, fragwürdige Taten des ehrenwerten Propheten Mohammed, wie dem Massaker am letzten jüdischen Stamm Medinas, kommt allzu rasch der Einwand, man müsse die Verbrechen Mohammeds schlichtweg im Zeitkontext beachten. So zum Beispiel Seyran Ateş, die bemerkte, dass man „nicht das Gewaltschutzgesetz von heute zur Hand nehmen (könne), um das Verhalten von muslimischen Männern aus dem 7. Jahrhundert danach (zu) beurteilen.“ (1) Der Wink ist klar: Früher war alles schlimm(er). Das ist selbstverständlich nicht ganz falsch. Völlig verkehrt hingegen ist die Suggestion, das heutige Gewaltschutzgesetz wäre der einzige Kontext, den man anlegen kann. Auch Rudi Paret verwies wie andere – so vor allem Norman Arthur Stillman (2) - bei der Bewertung der Taten des Propheten auf die „Maßstäbe der damaligen Zeit.“ (3) Der Reformmuslim Abdel-Hakim Ourghi betonte, dass jenes „Handeln des Propheten und seiner Gemeinde aus der damalignso wie der Inhalt des Stüen historischen Situation verstanden werden kann.“ (4) Die Absicht jenes angeblichen Prophetenkritikers wird aber sogleich offenbart, wenn er sofort im Anschluss nachschiebt: „Durch die ganze Frühgeschichte des Islam zieht sich das Phänomen der Gewalt. Zu fragen, welcher Seite die Schuld an den mitunter äußerst grausam geführten Auseinandersetzungen zukommt, ist dem objektiven Verständnis dieser Ereignisse eher hinderlich.“ (5) Nicht zu urteilen sei also im Umkehrschluss der Schlüssel zum „objektiven Verständnis“, worin letzteres dann auch immer bestehen soll. Es stellt sich in solchen Fällen selbstverständlich die Grundproblematik des „Zeitkontextes“ des Handelns von Propheten, wenn deren Handeln zeitlos vorbildlich sein soll. Prinzipiell sollte man ja von einem Propheten mehr verlangen können als von einem normalen zeitgenössischen Herrscher. (6)
Darüber hinaus stellt sich rasch das Problem des Zeitkontextes im Allgemeinen, also um die Frage, was ist der Zeitkontext. Vergleicht man die islamische Tötung von rund 600 jüdischen Männern mit anderen antiken Massenmorden, wie im Peloponnesischen Krieg oder durch die Römer unter Cesar bzw. in den frühmittelalterlichen Sachsenkriegen Karls des Großen bzw. im Blutgericht von Canstatt, erscheint sie in der Tat lachhaft. Näher kommt schon der schwankende Rodinson: „Es ist schwierig, das Massaker […] zu beurteilen. Man muss die Sitten jener Zeit bedenken, die sehr roh waren. Indessen bezeugt das Bemühen der Texte, Mohammed zu entschuldigen, dass es einiges Aufsehen erregte. In den schriftlichen Überlieferungen finden sich Einzelheiten, die einem kaum erlauben, an die Unschuld des Propheten zu glauben.“ (7) Immerhin klingt bei ihm an, dass der Zeitkontext in gewissem Sinne auch lokal begrenzt ist. (8) Erschließen kann man ihn höchstens, indem man versucht, das Bewusstsein der historischen Charaktere zu rekonstruieren – das ist immer spekulativ, aber nicht völlig quellenlos. Nur dient dieser Einwand jedesmal nur der Abwehr, denn kaum jemand betrachtet diesen „Zeitkontext“ einfach einmal. Täte man dies, käme man zu nicht ganz schmeichelhaften Schlüssen, vor allem zu jenem, dass der an sich fragwürdige Geschichtspositivismus einer Überprüfung noch nicht einmal standhält. Gerade bezüglich des Massakers, aber auch an anderen Beispielen, kann man zeigen, dass es dem bis dato geltenden arabischen Konventionen komplett widersprach. Der jeweils deutlichste Hinweis auf solche Verstöße gegen den Zeitkontext findet sich im Koran. Wenn dieser etwas (meist nachträglich) explizit erlauben muss, kann man getrost davon ausgehen, dass der Prophet einem erheblichen Legitimationsdruck unterlag, weil er den Zeitgeist verletzte. (9) In der islamischen Denkungsart wäre der Zeitkontext die „Dschahiliya“, also die vorislamische Zeit der „Unwissenheit“ bzw. von Goldziher mit triftigen Argumenten als „Barbarei“ oder „Wildheit“ übersetzt. (10) Dies ist in islamischer Imagination die Zeit der absoluten Sittenlosigkeit: Es ist die Negativfolie, die in aller Ausführlichkeit ausgemalt und mit den größten Gräueln versehen wird, um den Islam selbst als Zivilisationsakt davon abzuheben. (11) Keineswegs soll hier die in der Tat durchaus barbarische vorislamische Zeit als – im empirischen wie wertenden Sinne - positives Korrektiv aufgerichtet werden. Zum einen ist jene Zeit in Teilen schwer zu rekonstruieren, da sie maßgeblich unter islamischen Projektionen verschüttet ist. Zum anderen wäre nichts verkehrter, als die tribale Barbarei als „Stammeshumanismus“ (W. M. Watt) zu adeln. Und doch kann man anmerken, dass beispielsweise die behauptete Rolle der Frauen im vorislamischen Arabien nicht einmal der islamischen Tradition standhält. (12)
Jenen Zusammenhang von Koransuren und Verstößen gegen den Zeitkontext verkannte unter anderem Hartmut Bobzin, der schrieb, Mohammed habe mit dem Abschlachten der Juden „gewiß konsequent und im Rahmen der damaligen in Arabien üblichen ethischen Normen gehandelt. Wäre sein Handeln „verwerflich“, d.h. gegen die geltende Norm, gewesen, so hätten seine Biographen, denen ja an einer grundsätzlich positiven Darstellung gelegen war, viel mehr verschwiegen.“ (13) Die Untaten des Propheten ließen sich zu seiner Lebenszeit nicht verschweigen, sie waren bekannt. Der Koran als tagespolitischer Marschbefehl (14) musste darauf reagieren und die Legitimation liefern. Die Untaten werden dabei zu „asbab an-nuzul“ bzw. Offenbarungsanlässen. Im Koran sind die Spuren sedimentiert, die die Biographen noch weiter rechtfertigen mussten, da sie sie gerade nicht verschweigen konnten. Bezüglich des Massakers hat Ourghi auf die große Bedeutung der Blutrache im spätantiken Arabien verwiesen: „Gewalt im Islam ist kein modernes Phänomen. Man darf dabei nicht vergessen, dass die damals bei den arabischen Stämmen gängige Praxis der Blutrache eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte.“ (15) Auch Hinweise auf die durchaus etablierte Praxis der Raubüberfälle als maßgebliche Einnahmequelle der Beduinen sind keineswegs falsch. Die jeweilige Differenz zum Massenmord aber ließ er munter aus, damit er fortfahren konnte: „Aus vorislamischer Zeit stammende Sitten und Gebräuche wurden also auch noch von den Muslimen praktiziert.“ (16) Einer Betrachtung der vorislamischen Blutrache hält diese Aussage jedoch schlichtweg nicht stand. Die damaligen Konflikte darf man sich nicht allzu kontinuierlich, sondern eher periodisch vorstellen. Auch ist es die Ausnahme gewesen, dass sie in richtige Kriege ausarteten. Die Regel waren eher Morde oder aber nach Regeln stattfindende Duelle – auch kollektive. Sprenger betont – unter Missachtung des sehr wohl tödlichen Ausgangs - ihre Nähe im theatralischen Charakter zu Studentenduellen. (17) Die wichtigste Regel war die Unantastbarkeit der Häuser, welche heilig waren – d.h. niemand durfte in sein eigenes Haus verfolgt werden. (18) In der absoluten Mehrzahl der Fälle ging es letztlich um Landstreitigkeiten, die „gelöst“ wurden, indem der unterlegene Part, ein bestimmtes(!) Gebiet aus seinem Besitz an den Sieger abtrat. Ähnlich „geregelt“ waren die Razzien, über die Rodinson ganz treffend schrieb: „Man bemächtigte sich der Habe, möglichst ohne einen Menschen dabei zu töten“ (19), da das Prinzip der Blutrache schnell eine Vendetta lostreten konnte, die in keinem Verhältnis zur (erhofften) Beute stand. In diesem Sinne ließe sich sagen, dass gerade die vorislamische Praxis der Blutrache dem Prinzip der Vernichtung entgegenstand. Man sollte hierbei auch daran denken, dass eine Schlacht mit um die 70 Toten, wie in Uhud, schon als herbe Niederlage oder riesiger Verlust betrachtet wurde. Nöldeke hat den Zeitgeist und sein Kippen ganz gut getroffen, als er über eben jene Schlacht schrieb, dass sich „wenigstens bei den Ungläubigen, noch die arabische Scheu geltend machte, durch zu viele Tote dem Feinde zu viel Anlass zur Blutrache oder zur Forderung hohen Blutgeldes zu geben.“ (20) Meir Kister hat das Massaker und seine Rezeption einer grundlegenden Betrachtung unterzogen. (21) Er zeigt, dass der Bruch eines diffusen bis korrupten „Vertrages“ keineswegs ein hinreichendes Motiv zu einem Massaker gewesen sei, und deutet das Massaker als reine Bereicherungsstrategie. (22) Michael Lecker hat kurze Zeit später herausgearbeitet, dass vor dem Islam bei den Arabern die völlige Vernichtung des Gegners niemals das Ziel eines Krieges gebildet habe oder auch nur akzeptabel gewesen sei. (23) Der Übergang von Razzia (Raubzug) zu Futuh (Eroberung) und Dschihad sowie von der gegenseitigen Blutrache zu Vertreibung und Vernichtung sind Bestandteile der Kanalisierung der tribalen Barbarei zur Umma-Barbarei (24), in deren Zuge die Verbrechen des Propheten in ihrer theologischen Verankerung nicht nur gerechtfertigt, sondern auch zu Rechtfertigungen weiterer Verbrechen wurden. (25)
Neben diesem Massaker an den Juden gibt es ein etwas minder drastisch wirkendes, aber sehr gewichtiges Beispiel. Gemeint ist das zuvor bei der Belagerung eines anderen jüdischen Stammes erfolgte Palmenfällen: Nachdem der erste jüdische Stamm Medinas vertrieben wurde, wandte der Prophet sich schnell dem nächsten zu, den Banu Nadir. Anlass für jenen Angriff war ein angeblicher Anschlagsplan jener Juden auf Mohammed. Als die Juden sich in ihre Festungen zurückzogen, befahl der Prophet das Fällen und Verbrennen ihrer Palmen. Von jenem Vorgehen geschockt, ergaben sich die Juden. Auch in der Prophetenbiografie ist jene Begebenheit geschildert: „Die Juden hatten sich in ihren Burgen vor ihm verschanzt. Als der Prophet, Allahs Segen und Friede auf ihm, darauf befahl, ihre Palmen abzuschlagen und Feuer daran zu legen, riefen sie ihm zu: »O Muhammad! Du hast bisher mutwillige Zerstörungen verboten und alle die getadelt, die sie durchführten. Wie kommt es dann, daß du unsere Palmen abschlägst und verbrennst?«“ Dass sie mit diesem Hinweis eine wunde Stelle trafen, beweist der bald offenbarte Vers: „Wenn ihr Palmen umgehauen habt oder habt stehenlassen, geschah das mit Gottes Erlaubnis. Auch wollte er (auf diese Weise) die Frevler zuschanden machen.“ (Koran 59:5) Hierin wird ein weiterer Verweis auf den Zeitkontext deutlich: Nicht nur die Wohnhäuser sondern auch die Palmenhaine waren sakrosankt und nicht ohne Grund ist es in den jüdischen Kriegsgesetzen verboten, gegen Pflanzungen vorzugehen: „Wenn du vor einer Stadt lange Zeit liegen musst, gegen die du kämpfst, um sie zu erobern, so sollst du nicht die Axt an ihre Bäume legen und sie umhauen, denn du kannst davon essen; darum sollst du sie nicht fällen. Die Bäume auf dem Felde sind doch nicht Menschen, dass du sie belagern müsstest! Die Bäume aber, von denen du weißt, dass man nicht davon isst, die darfst du verderben und umhauen und ein Bollwerk daraus bauen gegen die Stadt, die mit dir Krieg führt, bis sie fällt.“ (5. Moses 20:19f) (26) Hierin ist die Begründung auch direkt ausgesprochen, gegen die sich Mohammed mit seiner Bande wandte – die Selbsterhaltung oder auch nur der reine Egoismus, welche oftmals das einzige Motiv ist, an das sich noch appellieren lässt. Um den Frevel zu ergründen, muss man sich die Bedeutung der Dattelpalmen für Arabien und vor allem Medina vor Augen führen: „[I]n der Oase bestellt eine wenig zahlreiche seßhafte Bevölkerung die Dattelpalme, den Baum aller Bäume, von dem nicht nur die Früchte, sondern sämtliche Bestandteile restlos genutzt werden, bietet doch >die Tante und Mutter der Araber<, wie man zu sagen pflegt, die einzige feste (durch Kamelmilch vervollständigte) Nahrung für die Masse der vom Elend bedrückten Beduinen.“ (27) Die Dattelpalme war gewissermaßen die pflanzliche Entsprechung des Kamels. In der primär jüdischen Oase Chaibar (28) und der heidnisch arabischen Stadt Taif wiederholt sich dieser Frevel mit Palmen und/oder Weinreben. Rodinson nennt jenes Palmenumhauen und -abfackeln die „Handlung des totalen Krieges“ (29), während er das spätere Massaker seinem obigen Schwanken zum Trotz durchaus rechtfertigte: „Es war offensichtlich (!), dass es diese gefährliche Gruppe loszuwerden galt.“ (30) Zumindest politisch sei das Massaker „eine sehr kluge Maßnahme“ bzw. „unbestreitbar die beste“ gewesen. (31) Eine ähnliche Bewertung findet der Palmenbezug auch bei Paret. (32) Beide treffen dabei durchaus einen sehr gewichtigen Punkt, wenn er ihnen auch kaum bewusst sein dürfte. Gemeint ist das Verhältnis von Selbsterhaltung und Vernichtung. Während der christliche Märtyrer auf die Erhaltung seines Selbst verzichtet, indem er auf die Vernichtung seines Gegners bzw. auch nur die Verteidigung gegenüber seinem Verfolger verzichtet, zeigt sich das Verhältnis für den Islam schon in den beiden Beispielen als doppeltes: Die Vertreibung und Ermordung der Juden lassen sich noch als Beutestreben fassen. Das Massaker widerspricht zumindest nicht dem Prinzip der Selbsterhaltung, während die Vernichtung der Palmenhaine schon der Logik des Selbstmordattentäters entspricht. (33) Die Vernichtung jener Palmen durch die nun medinensischen Muslime war nicht nur ein direkter Angriff auf die Lebensgrundlage ihrer zum Gegner imaginierten Nachbarn, sondern traf im Rahmen der Beutelogik ihre – zukünftige – eigene. (34) Die muslimische Bereitschaft, völlig auf die eigene Selbsterhaltung zu verzichten, wenn es der Vernichtung und Vertreibung ihrer Gegner zugutekommt, war das barbarische Novum, das für den Erfolg des Islams maßgeblich verantwortlich.
In der frühen nachmohammedanischen Zeit versuchten selbst die Kalifen jene Praxis des Vernichtungskrieges wieder einzufangen, indem sie Verordnungen erließen, die die Vernichtung von Pflanzungen untersagten; wenn auch nur aus reinem Profitinteresse. Sie sahen schlichtweg ihre Beute bedroht. Sehr ausführlich und pedantisch wurde jedoch durch Marco Schöller nachgewiesen, dass sich diese Praxis des Beuteschutzes der Kalifen in keiner Rechtsschule in Recht umsetzte, (35) und „daß im allgemeinen Einigkeit darüber bestand, daß Palmen bzw. Bäume der Ungläubigen im Kriegsfall vernichtet (gefällt oder verbrannt) werden dürfen.“ (36)
Nimmt man den Verweis auf den Zeitkontext also schlichtweg einmal ernst, verurteilt dieser den Propheten (mindestens) gleich doppelt. Zum einen war Mohammed auch und gerade in diesem ein Verbrecher und die Belege finden sich im Koran, der Verteidigungsschrift jenes Verbrechers. Zum anderen tritt ein Unterschied hervor, den linke Christenkritiker und Islamfreunde, also allgemeine Religionskritiker, gern vergessen. Dieser bestünde darin, dass die christlichen Herrscher, wie Karl der Große, die barbarischen Taten vollzogen und mit religiösem Bezug legitimierten, die Kritik in aller Regel aber vom Klerus kam, während im Islam hingegen gerade der Klerus für die barbarischen Momente einstand und -steht. Diese Trennung kann man in beiden Fällen nicht verabsolutieren, bilden aber Tendenzen ab, die den maßgeblichen Gehalt beider Religionen treffen.