In politischen Diskussionen werden akademische Forschungen zu antisemitischen Tendenzen in der Linken häufig missbraucht, um eben diese Linke wohlfeil zu diskreditieren. In solchen Fällen wird gar nicht mehr der Versuch unternommen zu erklären, wie aus der Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und dem Willen zur emanzipativen Veränderung, wie aus der Sehnsucht nach dem ganz Anderen eine mal ressentimenthafte, mal regressive, mal mörderische Partizipation am gesellschaftlichen Unheil im Wege seiner scheinbaren Bekämpfung wurde.
Entscheidende Beiträge zur Kritik eines linken Antisemitismus kommen jedoch aus der Linken selbst. Auf eben diese bezieht sich der Historiker Olaf Kistenmacher in seiner Untersuchung über die Darstellung von Juden, dem Judentum und dem Zionismus in der Roten Fahne in der Weimarer Republik, als die KPD-Tageszeitung alles andere als ein Nischendasein führte. In seinen einleitenden theoretischen Ausführungen zu Erklärungsansätzen für einen Antisemitismus von links argumentiert er durchgängig mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie und an ihr orientierter Autoren wie beispielsweise Moishe Postone.
Kistenmachers akribische Auswertung der parteikommunistischen Tagespresse kommt zu dem Ergebnis, dass sich antisemitische Aussagen in der Roten Fahne nicht nur während der kurzen Phase des nationalistischen Schlageter-Kurses der KPD fanden, »sondern in allen Perioden der Weimarer Republik«. Als zentrale Gründe für die antisemitische Schlagseite in der Agitation der KPD kann Kistenmacher das produktivistische und arbeitsfetischistische Gesellschafts- und Ökonomieverständnis des Parteikommunismus ausmachen, das sich unter anderem in einer spezifischen Intellektuellenfeindlichkeit und in einem »personifizierten Antikapitalismus« niederschlug.
Besonders verdienstvoll sind Kistenmachers Ausführungen zur Darstellung des Zionismus im Zentralorgan der KPD. Er kann überzeugend darlegen, dass die Annahme, der linke Antizionismus habe erst nach 1945 seine antisemitische Aufladung erhalten und vor dem Nationalsozialismus habe es sich lediglich um eine aus einer allgemeinen Kritik des Nationalismus speisende Ablehnung des jüdischen Staatsgründungsprogramms gehandelt, nicht haltbar ist. Kistenmacher legt dar, dass die antizionistischen Positionen der KPD vor 1933 zahlreiche Parallelen zum gegenwärtig viel diskutierten »neuen«, israelbezogenen Antisemitismus aufweisen. Die Bewertung des Zionismus durch die KPD »nach ganz anderen Maßstäben als andere nationale Bewegungen« (280) sieht Kistenmacher als ein »Vorläufer« der »späteren Dämonisierung und Delegitimierung Israels«. Selbst die Gleichsetzung des Zionismus mit dem Nationalsozialismus wurde von der KPD bereits Anfang der 1930er-Jahre praktiziert: 1932 erklärte das Zentralkomitee der KP, man bekämpfe »den Zionismus genauso wie den deutschen Faschismus«. Diese Positionierung hatte schon in den 1920er-Jahren dazu geführt, dass die deutschen Parteikommunisten die wiederholten pogromartigen Ausschreitungen gegen Juden im Mandatsgebiet Palästina zu einem »antiimperialistischen Aufstand« verklärten und als solchen auch offen unterstützten. Die feindliche und ressentimentgeladene Positionierung gegenüber dem Zionismus bei gleichzeitiger vorbehaltloser Unterstützung der arabischen Nationalbewegung, die in den 1930er-Jahren unter Führung des Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, stand und mit den italienischen Faschisten und den Nationalsozialisten kollaborierte, führte laut Kistenmacher dazu, dass die »internationalistische Politik der KPD selbst nationalistisch und in Bezug auf den Nahen Osten antisemitisch« wurde.
Kistenmacher geht es nicht um Denunziation, sondern um Differenzierung. An keiner Stelle bedient er simple totalitarismustheoretische Gleichsetzungen von links und rechts. Trotz seiner mitunter niederschmetternden Befunde über die Verwendung eindeutiger antisemitischer Stereotype in der Roten Fahne (etwa wenn in der Agitation gegen die NSDAP von einer vermeintlichen Kooperation von »Hakenkreuzlern« und »Hakennasen« fabuliert wurde) lehnt er es ab, von der KPD als einer »antisemitischen Partei« zu sprechen. Vielmehr will er zeigen, »wie Elemente des modernen Antisemitismus mit dem parteikommunistischen Selbstverständnis, Judenhass abzulehnen und zu bekämpfen, in Einklang gebracht und damit offiziell legitimiert wurden.«
Kistenmacher hat eine ebenso detaillierte wie instruktive Studie vorgelegt, an der man in zukünftigen Diskussionen über Erscheinungsformen und Ursachen antisemitischer oder den Antisemitismus bedienender Argumen-tationsmuster in der politischen Linken kaum vorbei kommen wird.
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Olaf Kistenmacher: Arbeit und »jüdisches Kapital«. Antisemitische Aussagen in der KPD-Tageszeitung Die Rote Fahne während der Weimarer Republik. Bremen: edition lumière 2016, 366 Seiten, 44,80 Euro