Politische Kunst eckt besonders dort an, wo sie falsch verstanden werden möchte. Die Falschversteher_innen wenden sich aggressiv gegen jene Künstler_innen, die unverblümt und durch Gesten der Aneignung fatale Missstände in der Gesellschaft aufzeigen. Bewusst lesen die Gegner_innen dieser Kunst schmerzhaft ironische Bild- und Textkommentare in eine ganz bestimmte Richtung. Aus dieser Spalte zwischen Intention der Künstlerin und Rezeption der verstandlosen Exegeten entstehen die absurdesten Geschichten. Sie erzählen von Absichten und Machtausübungen, deren politische Dimension uns alle mit Besorgnis erfüllen muss.
Marika Schmiedts Film »Warum die Wunde offen bleibt« ist so eine Geschichte. In Oberösterreich geboren, beschäftigt sich die Künstlerin, selbst Romni, seit 1999 in ihrer Arbeit mit Historie und Gegenwart der Verfolgung von Roma und Sinti. Der Umstand, dass diese künstlerische Auseinandersetzung spätestens dann, wenn sie im öffentlichen Raum sichtbar wird, nicht immer auf gemeinschaftliche Solidarität und parteipolitische Akzeptanz stößt, ist einer der thematischen Stränge des Films. Beispielhaft herausgegriffen sei die Dokumentation der Verhinderung eines temporären Kunstwerks Schmiedts: »Futschikato - Die verschwundenen Roma und Sinti aus Kirchstetten und der ‚Fall Weinheber‘«[1] sollte 2015 im – im Titel erwähnten Ort in Niederösterreich – installiert werden. Bereits 1935 beginnt in Kirchstetten die Erfassung sogenannter »Gemeinschaftsunfähiger« – eine bürokratische Schikane, die der späteren Vernichtungsbürokratie und -praxis des NS-Regimes zuarbeitet. 1936 erwirbt der Ottakringer Dichter Josef Weinheber – schon 1931 erstmals in die NSDAP eingetreten und 1944 auf Geheiß von Hitler der »Gott-Begnadeten-Liste« hinzugefügt – einen Wohnsitz in Kirchstetten. Durch ein Museum, einer nach ihm benannten Brücke, einer Straße, einem Platz und einem Kindergarten ist Weinheber im Ort nach wie vor omnipräsent. Nicht präsent war Schmiedts Installation, deren Errichtung auf Anordnung des Bürgermeisters von Kirchstetten untersagt wurde mit dem Argument, dass man sich schon erinnern solle, mit der Aufarbeitung und Auseinandersetzung aber Schluss sein müsse, da die Folgegenerationen schließlich keine Schuld an den damaligen Ereignissen hätten.[2] Unter diesen Umständen bekommt der Titel von Schmiedts Intervention – »Futschikato« – eine aktuelle, ja fast schon groteske Dimension.
Wie die Mechanismen der unbewussten und bewussten Verdrängung von historischen Ereignissen und ihres Gegenwartsbezugs funktionieren und immer noch greifen, erörtert Schmiedt in Gesprächen mit drei Interviewpartnerinnen, in denen die Diskriminierung von Roma, Sinti und Jenischen aus historischer, biographischer, psychoanalytischer und (sprach-)diskursiver Sicht verhandelt wird. Sie bilden den zweiten dramaturgischen Strang des Films. Weil auch die eigenen Lebens- und Arbeitsbiographien dieser Frauen mit der von Schmiedt formulierten offenen Wunde verwoben sind, gestalten sich diese Gespräche besonders eindringlich. Als erstes kommt die psychosoziale Beraterin und Sintica Anna Gleirscher-Entner zu Wort. Sie hat 2014 ein Buch mit dem Titel »Das Unaussprechliche in der psychosozialen Beratung von Sinti und Roma – Eine interdisziplinäre Einführung und praktische Hinweise für eine kultursensible Beratungspraxis« veröffentlicht. Das »Unaussprechliche« bezeichnet in diesem Fall ein kollektives Trauma, das sich durch Tabus, Familiengeheimnisse und gesellschaftliche Stigmatisierung manifestiert. Gleirscher-Entner erklärt, wie schwierig es ist, als Betroffene öffentlich über diese Themen zu sprechen, zumal diese Courage auch innerhalb der eigenen »Sippe« aus Angst vor Konsequenzen nicht unbedingt begrüßt wird. In diesem Zusammenhang spricht die Autorin auch von der, nach ihren Schilderungen nachvollziehbaren Skepsis von Roma und Sinti gegenüber Institutionen. Marika Schmiedt thematisiert dieses Misstrauen, indem sie – und dies ist der dritte prominente Erzählstrang von »Warum die Wunde offen bleibt« – immer wieder Fotos und Berichte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit in diese Passage des Films einstreut, die das Bild eines eigensinnigen Mädchens zeichnen, das von Erziehungsberechtigen und Aufsichtspersonen aufgegeben wird.
Die zweite Gesprächspartnerin ist die Psychiaterin und Psychoanalytikerin Elisabeth Brainin, die den Fall Kirchstetten als prototypisch für den österreichischen Umgang mit Vergangenheiten ansieht, die von zu vielen Menschen lieber unter den Teppich gekehrt, als hervorgeholt werden. Brainin übt außerdem Kritik an mangelnder und mangelhafter Medienberichterstattung, die ebenso wie fehlende Vermittlung in Bildungseinrichtungen dazu beiträgt, ein Bewusstsein für die Wirklichkeit rassistischer Angriffe auf das Leben von Volksgruppenmitgliedern und Migrant_innen zu verhindern.
Wie sehr das Verschweigen der eigenen Herkunft und die Bezeichnung des Ichs und einer Gemeinschaft durch die unsensible Sprache Anderer das Leben von Roma, Sinti und Jenischen begleitet, ist wesentlicher Aspekt der Unterhaltung mit Simone Schönett. Die Schriftstellerin und Kärntner Jenische spricht offen an, dass nicht nur die Rechten Diskriminierung und Stigmatisierung betreiben, sondern auch linke Intellektuelle und diskursbestimmende Betroffene nicht davor gefeit sind, die Repräsentation von Minderheiten mittels Romantizismus und Verklärung unangemessen zu verzerren.
Die Preisgabe persönlicher Lebenserfahrungen, dokumentarische Fragmente von Korrespondenzen und medialer Berichterstattung, sowie die nicht zuletzt biographisch geprägte Expertise der Gesprächspartnerinnen sind der Stoff, aus dem Marika Schmiedt die Konstitution einer Gesellschaft herausarbeitet, in der die systematische Vertreibung und Diskriminierung von Roma und Sinti immer noch europäische Politik kennzeichnet.
Und so erzählt dieser Film auch von verpassten Chancen der Mehrheitsbevölkerung, sich interessiert mit der Geschichte von Volksgruppen und selbstkritisch mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Durch die politische Analyse und Wortergreifung der Protagonistinnen wird sehr klar aufgezeigt, wo ein bewusst in die Wege geleiteter Heilungsprozess ansetzen kann: Bei der Erkenntnis nämlich, dass die historisch gewachsene Verletzung, die sich im Unbewussten und im ganz Alltäglichen der Gesellschaft festsetzt, aufgerissenen Auges untersucht und offenherzig angegangen werden muss, damit die Wunde überhaupt vernarben kann.