Rumble in the Cramps

Chris Langrauer über Ana Threats neues Album »Cold Lve«

Woher kommt dieser sound? Of course! Aus dem Wurlitzer, der in all den juke joints steht, in denen neben dem Krug- auch das Faustrecht herrscht und am Tresen zwischen durchweichten Servietten voll abnotiertem Hirngemurmel immer genügend change für den nächsten Screamin‘ Jay Hawkins-Song liegt. A spell? Are you talking to me, or testing your cakehole?
Über dem Groschengrab hängt der Röhrenfernseher, auf dessen einzigem Kanal wheel of fortune läuft: Grünstichige Gesichter rätseln, ob sie einen Vokal kaufen sollen und wenn ja, welchen? I or O – is it about living, or loving? Decidedly undecided. »We‘re burning cool, but she‘s the one on fire [...] nobody knows, she‘s the one on fire. It‘s cold love.« (»Cold Love«)
Judge Donna Summer dismisses the case for now – awaiting further evidence.
Die Beatbox nickt analog im Takt, ist aber nicht ganz einverstanden: Sie kennt nicht nur 1 oder 0, sondern die ganze fuzzy logic zwischen Rumba und Bossa No-Wave – ihre bevorzugte Position im Kontinuum der Zählzeit ist dead-on der Off-beat. Cha-cha-cha … Gotcha! Eat this, Digital-sequenzer und heb‘ dir dein Duckface-Goscherl für die pro-fools auf, die ihre terms of trade in der Abteilung Artist & Repertoire aushandeln.
Am Anfang stehen ohnehin die drums: Klassisch modern instrumentiert, aber die ganze Percussion-Sektion in Personalunion und allego barbaro vereint. Keine batteria, sondern geschichtete Elemente: Schlangenholzstöcke, die Caixa Malacacheta und Totem-Toms auf die Bells und Chimes vorbereiten, die im Achtelrausch die Ankunft des mighty theremin einleiten. Mère Ubu sagt: It‘s a swamp thing, you know. Immer wieder überlagert der handgeschnitzte Beat den elektronischen und unterwirft sich ihm zugleich – nicht sklavisch, sondern in schematischer Ergänzung: Synkopen durch Zeit und Raum.
Die Gitarre wiederum muss eine Mustang sein – sonst gäbe das Gefühl einer Fahrt durch die Wüste Arizonas bei offenem Verdeck keinen Sinn. Halt, Rewind! Es ist ein MusTwang, deren Tremolo-Feder Trophäe bei einem Ringkampf zwischen Fuzz und Buzz in den peruanischen Anden war. Judge Link Wray was very impressed – he gave up rumbling and joined the Cult of »Ih Ah Ah«. (»House of Wired«)
But wait a minute, something‘s wrong. Hey Mambo! Die Priesterin hält keine Voodoo-Puppe, sondern ein Strick-Tiki mit Wrestling Maske in Händen. Mashup anyone? Lamisic la bien, bien for.
Handclaps akklamieren, dass Magie keine Sache der Religion und Apotheose keine Kreuzfahrt ist: »They all went to heaven in a big row boat. Clap Clap.« (»Clap Clap«) The »dead moved« with a grin – maybe they‘re aliens (just put on your sunglasses to see if They Live).
Statt der abrupten Auferstehung des Fleißes lieber aber erst Feedback mit Glockenspiel, then »put on your hat, it‘s time to take the walk.« (»The Walk Pt. 2«) Why not, »I‘m not tired« (»Sleep Sleep«) and the darn barndance in the maelström of mainstream is boring anyway.

Ana Threat verfeinert in »Cold Lve« weiter die Mischung aus 1950s Novelty Percussion, Exotica und 1960s Girl-Group-Verzweiflung,[1] die bereits ihre bisherigen Veröffentlichungen ausmachen.[2]
Bei diesem Drang, die ausfransenden Ränder der Popgeschichte zu erforschen, in denen sowohl das hängen bleibt, was immer schon – freiwillig wie unfreiwillig – abseitig war, als auch das, was vom Modezyklus der Stile, den Konjunkturverläufen der sellability dorthin befördert wurde, zeigt sich die Lust am Absurden, am Spiel mit dem Material, in dem die Ahnung darum eingeschlossen ist, dass die besten Sachen im Keller hängen, die sich dem Blick, der auf das next big thing schielt nur als Ladenhüter, Batzenwaren, Ramsch zeigen. Hinzu gesellt sich eine leise Trauer – nicht um eine uneinholbare Vergangenheit, sondern eine Gegenwart, von der aus an einst gemachte Glücksversprechen nur mehr um den Preis von Anachronismus und Nische erinnert werden kann und so dem Verdacht ausgesetzt zu sein, die »Retromanie« einer Popkultur zu bedienen, die keine Innovationen mehr kennt.[3] Das Aufgreifen und Verarbeiten von objets trouvés als Trümmer des Zerfalls verbindlicher Charakteristika reflektiert – durch die ästhetische Gestaltung hindurch – die schlechte Aufhebung des Drangs zu Aneignung und Verwandlung dessen, was – aus welchen Gründen auch immer – Begeisterung ausgelöst hat, in die marktkonforme Beliebigkeit von Erfahrungen im entwickelten Kapitalismus durch die Musikindustrie: Für sie war »das Exotische« - im weitesten Sinn – seit ihrer Entstehung Schmiermittel, »das sie jedoch durch den Gebrauch vernichtet, wodurch die Popmusik in einen Regress gerät, in dem sie sich selbst aufzehrt.«[4]
Beim Durchhören von »Cold Lve« wird diese Wehmut jedoch nicht manifest und kippt auch in der Vergegenwärtigung danach nie in Melancholie: Zu stark ist der Eindruck unbeirrten Festhaltens und Weitertreiben-Wollens erschlossener Möglichkeiten individuellen Ausdrucks. Dieser Ernst ist zugleich Widerpart von Humorlosigkeit, als auch Einspruch gegen die elende »ironischer Distanz« postmoderner Provenienz: Es ist das bewusste Aushalten einer Paradoxie, die nicht aufgelöst werden kann, ohne zur unfreiwilligen Reminiszenz an die Eigenwerbung der Nostalgia University zu werden: It was better when your Mom went there.[5] Warum das hier nicht geschieht? ‚Cause I‘m not, not, not, not, not, not, not, not Your academy (Mission of Burma).

Cold Lve ist Ende November auf Cut Surface (hervorgegangen aus Totally Wired Records) erschienen. Das Album ist (so wie andere aktuelle CS-Releases von Al Bird Dirt und Bruch) in gut sortierten Plattenläden, ausgewählten Mailordern und über https://cutsurface.bandcamp.com erhältlich.

[1] So fasst Didi Neidhart Ana Threats Einflüsse in einem Ende 2011 geführten Interview zusammen und bezieht sich dabei auf einige ihrer Selbstaussagen. Zu finden unter: http://www.musicaustria.at/mica-interview-ana-threat/
[2] Die 7“ »Cease to Exist« (2014), die Split-7“ »Car Sick/The Knive (2013) mit Al Bird Dirt, die Doppel7« »Dropout Dumpling« (2013), die 10“ »Broken Heel Island« und die EP »Tug of War of Love« (2010)
[3] An dieser Stelle sei auf Ana Threats Auseinandersetzung mit Simon Reynolds Vorwurf der »Retromanie« und der darin enthaltenen Idee linearen Fortschritts in der Versorgerin #111 verwiesen.
[4] So formuliert es Uli Krug in seiner Verteidigung Bob Dylans gegen den ihm zuerkannten Literaturnobelpreis (Jungle World #42/20116)
[5] Paraphrase eines quip aus Jon Stewarts »Daily Show« vom 21. Jänner 2015

Cover: Kathi Reidelshöfer
Fotos: Eva Mühlbacher & Unknown Artist