Rebranding identity

Das Theaterstück »Roma Armee« am Berliner Maxim-Gorki-Theater versucht sich in Empowerment für Roma – und landet nur bei identitärer Selbstvergewisserung.

Das Maxim-Gorki-Theater ist bekannt dafür, die Position der minority identity politics zu vertreten. Was mit unter dem Schlagwort „postmigrantisches Theater“ unter der Intendanz von Shermin Langhoff in Berlin-Mitte begann, umrahmt von staatstragenden Gebäuden mit preußischer Fassade (Schinkels Neue Wache, die Humboldt-Universität, das im Wiederaufbau begriffene Stadtschloss, die wiedereröffnete Staatsoper, das Deutsche Historische Museum), hat sich inzwischen zur Schnittstelle von Theater und politischem Aktivismus entwickelt. Das Programm zieht ein vornehmlich junges internationales und akademisch gebildetes Publikum an. Diversity management ist am Gorki Theater Programm, Intersektionalität und queer ebenso. Es geht dabei natürlich auch um Agenda Setting, was angesichts einer desinteressierten und ignoranten Öffentlichkeit beispielsweise in Bezug auf die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.

Das Stück »Roma Armee« in der Regie von Yael Ronen, das am 14. September Uraufführung hatte, bietet ein Beispiel solcher Verbindung von politischem Aktivismus und Theater. In der Ankündigung heißt es: »In einer Gegenwart, in der Europa droht, in Neofaschismen abzudriften, beansprucht eine Gruppe von Schauspieler*innen eine Roma Armee zu Selbstverteidigungszwecken. Eine schnelle Eingreiftruppe zum Kampf gegen strukturelle Diskriminierung, Rassismus und Antiziganismus, aber auch als Emanzipation aus einer internalisierten Opferrolle. Die Schauspieler*innen sind Romnija, Rom und Romani Traveller aus Österreich, Serbien, Deutschland, dem Kosovo, Rumänien, England und Schweden, sie sind auch israelischdeutsch-türkisch-Berliner Gadjé [Nicht-Roma; JH] – sprich, die Roma Armee ist übernational, divers, feministisch, queer.« So beginnt dann auch das Stück vor den Malereien von Delaine und Damian Le Bas, die 2007 den Roma-Pavillon auf der Biennale in Venedig gestaltet hatten, im Stile einer Show, buntes Licht, elektronische Musik, Auftritt der Spieler mit Nennung aller Identitätsmarker: Nationalität, Hautfarbe, Ethnie, Geschlecht, Sexualität, zudem Details über ihre Periode.

Weitere und interessantere Informationen über die Darsteller gibt es auf dem Pressezettel zu erfahren. So sind die Schwestern Simonida und Sandra Selimovi´c, von denen auch die Idee zu dem Stück stammt, Gründerinnen des Wiener Roma-Theaterverein »Romano Svato«, Mihaela Dragan gründete die feministische Roma-Theatergruppe »Giuvlien Theatre Company« in Bukarest und Hamze Bytyci, der für die Linkspartei für den Bundestag kandidierte, hat den Verein »RomaTrial« ins Leben gerufen, der sich der Aufklärung gegen »Zigeunerhass« widmet. Dass man sich einem politischen Auftrag verpflichtet fühlt, wird auf der Bühne thematisiert und auch ironisiert: Zettel werden zum Vorschein gebracht, auf denen notiert wurde, was die Familie gerne hören würde, wenn einmal ein Angehöriger der Roma-Minderheit auf der Bühne eines deutschen Staatstheaters steht. Doch mit dem Verkünden politischer Botschaften wollte man es nicht
bewenden lassen.

Der Darstellungsmodus auf der Bühne orientiert sich an Montage und Collage autobiografischer Erzählungen. Es geht dabei viel um Erwartungshaltungen und wie man diese bedienen oder unterlaufen kann. In einer Passage berichten die Schauspieler von der Armut, die sie als Kinder erlebt haben. »Wir waren so arm, dass wir uns einen Schulranzen teilen mussten, obwohl wir nicht einmal in die selbe Klasse gingen.« »Wir waren so arm, dass ich auf einem aufgemalten Klavier geübt habe und beim Vorspiel ich so aufgeregt war, dass ich zehnmal neu anfangen musste, außerdem hinterließen meine Finger dunkle Spuren auf den weißen Tasten.« »Wir waren so arm, dass wir kein fließendes Wasser hatten.« Dann durchbricht Riah May Knight den Redefluss und sagt, dass ihre Mutter ihr untersagt hätte, je als Romni auf der Bühne zu stehen und Klischee-Sätze aufzusagen, die mit »Wir waren so arm….« beginnen.

Das paradoxe Problem mit dem Klischee, was man unterlaufen möchte, selbst wenn es in der konkreten Situation zutrifft, ist gewissermaßen in jedem dokumentarischen Theaterstück angelegt, das im Modus autobiografisch verbürgter Authentizität verfährt: Weil jeder Bühnenvorgang Repräsentation ist, also Bilder erzeugt, die aber in diesem Falle die Realität sein sollen, die Repräsentation also mit der Präsenz zusammenfällt, ergibt sich das Problem, dass man am Ende weniger Realität auf der Bühne hat, weil das Bild ja real sein soll, also nichtsymbolisierend, weswegen solche Stücke in der Regel an dem Punkt in eine Sackgasse geraten, wo das Paradox des nichtsymbolisierenden Bildes auftaucht. Dementsprechend geht es dann auch weniger um die bezeichnete Realität, sondern den Modus des Bezeichnens. Der semiotic turn vollzieht sich also gerade dadurch, dass man der Macht der Signifikation entkommen und in die Realität flüchten möchte.

Berichtet wird auch von der Feindschaft gegen Sinti und Roma, von Vernichtung, Verfolgung, Zwangspsychiatrisierung und -sterilisierung, Gewaltdrohung und Gewalt, Verleumdung, Beschimpfung. In den kurzen Schilderungen wird deutlich, dass es sich nicht nur um vermeintlich spontanen Hass aus der Mehrheitsbevölkerung handelt, sondern die Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft – Klinik, Polizei, Verwaltung, Schule, Presse – eine zentrale Funktion bei der Herabsetzung und Verfolgung haben. Doch wird das nicht weiter erörtert, denn nun geht es zur Selbstermächtigung über, die »Roma Armee« wird ausgerufen. Flüchtig ist gar von einer Revolution die Rede, die Revolution der Landlosen gegen die Landbesitzenden, aber wie alle Momente, die einen gesellschaftskritischen Aspekt andeuten, vergehen sie schnell und unerläutert. Ebenso verhält es sich mit der titelgebenden »Roma Armee«. Nur kurz haben alle Schusswaffen in der Hand, aber bevor die Frage der (Selbst-)Bewaffnung tatsächlich in ihrer Widersprüchlichkeit, aber möglichen Notwendigkeit überhaupt Gestalt gewinnen konnte, hatte sich das Ensemble auf der Bühne schon gegenseitig abgeknallt, obwohl sie zunächst noch ins Publikum zielten.

Nun geht es in den letzten Teil des Abends über – und man versteht, dass die Waffe der Roma Armee, die in dem Stück angepriesen wird, weniger eine aus den Fabriken, denn mehr aus den Universitäten meint: die Identität. So heißt es dann: Man müsse die eigene Identität wiederentdecken und pflegen, man müsse sie »rebranden«. Denn wenn man das nicht tue, sei die eigene Ethnie in zwei Generationen ausgelöscht, warnt Lindy Larsson. Wohlgemerkt ist hier nicht die materielle Bedroh-ung durch faschistische Bewegungen, sondern eine Art selbstverübter Identitätsgenozid gemeint. Das klingt dann arg nach der Gesellschaft für bedrohte Völker – und zeugt nebenher davon, dass der Auftakt mit der Präsentation allerlei fluider und queerer Identitäten das Komplement zu dem dann letztlich doch ontologisch verstandenen Kultur- und Volkskern ist. In diese Fallstricke des postmodernen Multikulturalismus wird sich dann auch hier verfangen. Man müsse das Volk einen, heißt es, und: „Ich bin stolz, Rom zu sein“. Es ist dann an Mihaela Dragan, zumindest einen Hinweis auf die auch kritisch zu betrachtenden patriarchalen Strukturen innerhalb der community bei aller Folklore unterzubringen. Fragwürdig ebenfalls, die beiden »Gadjé«, den Deutschtürken Mehmet Atesci und die jüdische Israeli Orit Nahmias, die Rolle der Privilegierten spielen zu lassen, das hat den schalen Beigeschmack der Hierarchi-sierung vermeintlich immerwährender Opferrollen.

So bleibt das Stück unter seinem Gegenstand. Statt das Verhältnis zwischen bedrohtem Besonderen und antizipierbaren Universalen tatsächlich zu untersuchen, führt es am Ende doch nur ins abgezäunte Gebiet der Identitäten. Dass hat letztlich auch eine politisch zumindest fragwürdige Implikation: Denn wenn die Lösung des Problems in der Wiederaneignung und dem Rebranding der Roma-Identität liegt, kann das bürgerliche Publikum beruhigt nach Hause gehen – mit dem Leben der Mehrheitsgesellschaft und vor allem der Funktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft hat das dann, so wird suggeriert, wenig zu tun. Und dann merkt man, dass das Stück das Entscheidende ausspart, zu dessen Kritik es dann auch nicht kommen kann: die Gesellschaft. Vor lauter identitärer Selbstbehauptung mit bunten Licht, Musik, Gesang und zahlreichen Kostümwechseln zwischen Musical und Revue ist die Frage, warum eigentlich der Hass auf die abwertend »Zigeuner« Genannten so groß ist und sich so hartnäckig hält, kein einziges Mal gestellt worden. Die Frage ist zwar, wenn es um das Überleben angesichts konkreter Bedrohung geht, tatsächlich weniger relevant, da hilft aber auch das Rebranding der Identität wenig, sondern am ehesten die Waffe in der Hand. Nun ist aber eine Theaterbühne in Berlin-Mitte keine solche Bedrohung, sondern die Möglichkeit, die Genese des Hasses aufs Besondere in Bezug auf Sinti und Roma einmal etwas ernsthafter zu untersuchen.

Man hätte so zum Beispiel den Zusammenhang zwischen der Fessel des Privateigentums und der gleichzeitigen Faszination wie Ablehnung für das »fahrende Volk« entdecken können, der wohl noch aus der Phase des Sesshaftwerdens im Zivilisationsprozess stammt. Alles, was das mit sich brachte an Unterdrückung von Lust und Ausrichtung auf das durch den Besitz errichtete Realitäts-prinzip, kehrt in der projektiven Zurichtung auf die »Zigeuner« wieder. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno schrieben in der »Dialektik der Aufklärung«: »Die Strenge, mit welcher im Laufe der Jahrtausende die Herrschenden ihrem eigenen Nachwuchs wie den beherrschten Massen den Rückfall in mimetische Daseinsweisen abschnitten, angefangen vom religiösen Bildverbot über die soziale Ächtung von Schauspielern und Zigeunern bis zur Pädagogik, die den Kindern abgewöhnt, kindisch zu sein, ist die Bedingung der Zivilisation.« Statt der zur Beruhigung beitragenden Pflege der Identität wäre der Hass aufs Abweichende ein Grund, für Beunruhigung in der Lebensweise der Mehrheit zu sorgen, das »Unbehagen in der Kultur« (Sigmund Freud) bewusst zu machen.

So zeigt sich, dass die Politisierung der Identitätspolitik höchst ambivalent ist: Was sie zur Sprache bringt, bleibt gefangen im Schema der Identitäten, mag aber nicht deren gesellschaftlichen Zusammenhang erhellen. Je mehr dieser aber im Dunkeln bleibt, desto weniger wird eine umfassende Lösung für gesellschaftliche Probleme überhaupt denkbar. Dabei böte die Frage, was jenseits der Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft an Alternativen denkbar wäre, durchaus die Gelegenheit, auf andere Antworten als eine Ethno-Identitäten-Feier zu veranstalten. Wie im Gorki-Theater üblich wurde gerade das aber vom sich seines Humnanismus versichernden Publikum frenetisch bejubelt – das sich so vor allem auch selbst feierte.

»Roma Armee«. Nach einer Idee von Sandra und Simonida Selimović. Con Yael Ronen und Ensemble. Mit Mehmet Atesci, Hamze Bytyci, Mihaela Dragan, Riah May Knight, Lindy Larsson, Orit Nahmias, Sandra Selimovic, Simonida Selimovic und Artwork von Damian Le Bas und Delaine Le Bas.

(Foto: Esra Rotthoff)