Es war nicht das Gros der Feministinnen, das sich in den 1970er und 1980er Jahren mit den ästhetischen und literaturwissenschaftlichen Studien Silvia Bovenschens vertraut gemacht hatte. Gehörte Bovenschen, die bei Adorno und Horkheimer in Frankfurt studiert hatte, doch zu den wenigen, die sich die Kritische Theorie aneigneten, während andere sie beharrlich abwehrten und meist als »zu abgehoben« abtaten.
Dem Mainstream hatte sich Bovenschen stets widersetzt: Der Betroffenheitskult, der sich damals in der Frauenbewegung breitmachte, die Sinnesfeindlichkeit der »schrillen Fundamentalfeministinnen« waren ihr zuwider, aber ebenso die Racketbildung der Studentenbewegung. Eher zufällig und am Rande war sie in Kontakt mit dem »Sozialistischen Deutschen Studentenbund« geraten, zählte zu den Gründerinnen des Frankfurter Weiberrates, in dem Frauen sich gegen das autoritäre Gehabe ihrer männlichen Genossen zur Wehr setzten und machte Bekanntschaft mit Hans Jürgen Krahl, der einen Arbeitskreis über Hölderlin leitete. So sehr sie sich wie Krahl für ästhetische Fragen im Sinne Adornos interessierte, so spießig fand sie das bürokratische Getue im SDS etwa um die Vergabe von Mitgliederausweisen.1
Zu der Zeit schließlich, als man Gefallen daran fand, sich in den kleinen autoritär strukturierten K-Gruppen zu organisieren, schrieb Bovenschen gemeinsam mit Peter Gorsen in der Zeitschrift »Ästhetik und Kommunikation« einen Aufsatz über den linken Kulturhistoriker Eduard Fuchs, worin dessen Nähe zu sozialistischen Parteitheoretikern wie August Bebel oder Karl Liebknecht einer im besten Sinne feministischen Kritik unterzogen wurde. »Denn indem die Geschlechterpolarität nach Fuchs nicht nur eine biologische Tatsache, sondern Konstitutum aller Kulturleistung ist, apologisiert er den Ausschluß der Frauen aus der Kultursphäre im Hinblick auf die anthropologische Invarianz dieses Verhältnisses von Weiblichkeit und Kreativität.«
Um Kreativität kreisen schließlich auch die Gedanken von Bovenschens Dissertation, die als Buch bei Suhrkamp mit dem Titel »Die imaginierte Weiblichkeit« erschien, und mit der ihr der literarische Durchbruch gelang. Sie entwarf darin eine feministische Literaturkritik, indem sie am Beispiel kultureller Stereotypen, wie der »Gelehrten« oder der »Empfindsamen«, sowie verschiedener Schriftstellerinnen und Schriftsteller die Abwesenheit und den Ausschluss von Frauen aus der kulturellen Produktionssphäre des 18. Jahrhunderts untersuchte, einer Epoche, die aber zugleich, aufgrund der Etablierung bürgerlicher Literaturinstitutionen und der Herausbildung eigenständiger poetologischer Diskurse, der Möglichkeit der Kreativität von Frauen günstig und förderlich war. Es geht, so skizzierte Bovenschen ihre Analyse, nicht allein darum, »der Lücke einen Aufschluß und dem Schweigen eine Bedeutung abzugewinnen, sondern es gilt auch, die Kargheit der elaborierten Einschätzungen und Bestimmungen des Weiblichen in ein Verhältnis zu der üppigen Mannigfaltigkeit des imaginierten und projizierten Weiblichen, wie es die Kunstgattungen bevölkert«, zu setzen. Diese imaginierte Weiblichkeit, diese Projektionen des Weiblichen in den literarischen Texten verweisen immer wieder zurück auf die »Dialektik der Aufklärung«, auf das Furchtbare, dass »die Menschheit sich antun« musste, »bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war« und wovon noch in jeder Kindheit etwas wiederholt werde. Ihre differenzierte Sicht bewahrte Bovenschen in dieser Studie davor, weder an dem Prinzip der Gleichheit, noch an dem der Differenz doktrinär festzuhalten, vielmehr wollte sie beide in ein dialektisches Verhältnis gesetzt wissen, was ihr von jenen Frauen, die sich dem Egalitätsprinzip verschrieben hatten, heftige Kritik eintrug, während die Differenztheoretikerinnen der anbrechenden Postmoderne sie dann einfach ignorierten.
Unter den unzähligen Publikationen, die Ende der siebziger Jahre zum Thema Hexenverfolgung erschienen sind, nimmt der heute fast gänzlich dem Vergessen anheimgefallene Essay von Silvia Bovenschen »Die aktuelle Hexe, die historische Hexe und der Hexenmythos« eine Sonderstellung ein. Es ist dies einer der wenigen Versuche, die Verfolgung und Ermordung von Frauen nicht bloß empirisch und historisch zu erschließen, sondern durch die »Dialektik der Aufklärung« zu erhellen: Adorno und Horkheimer boten die besten Voraussetzungen, die gesellschaftlichen und historischen Bedingungen der eigentlichen Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit zu reflektieren: In dem Augenblick, als die mittelalterliche Gesellschaft und die christliche Weltordnung zu zerfallen drohten, war auch die Zerstörung des alten Verhältnisses zur Natur und insbesondere des Bündnisses mit ihr notwendig geworden. Mit dem Beginn der Manufakturperiode und dem Triumphzug der modernen Wissenschaft über die Theologie geriet daher die Frau, die immer schon Natur repräsentierte, zwischen die Fronten: »Das Terrormittel der Hexenprozesse, das die verbündeten feudalen Rackets, als sie sich in Gefahr sahen, gegen die Bevölkerung anwandten, war zugleich die Feier und Bestätigung des Sieges der Männerherrschaft über vorzeitliche matriarchale und mimetische Entwicklungsstufen. Die Autodafés waren die heidnischen Freudenfeiern der Kirche, der Triumph der Natur in Form der selbsterhaltenden Vernunft zum Ruhme der Herrschaft über die Natur.«
Bovenschen beschreibt nun die Ambivalenz, die dem Fortschritt der Naturbeherrschung innewohnt und bis heute gleichsam das Bild der Frau prägt, ohne jedoch einer reaktionären Idealisierung des Weiblichen, der Behauptung ihrer vermeintlichen Einheit mit der Natur zu huldigen, die stets in eine Ontologisierung des Geschlechtergegensatzes mündet. Vielmehr zeigte sie die Folgen der neuen Herrschaftsformen und deren geschlechtsspezifisch unterschiedliche Auswirkungen: Mit der Entstehung neuer Produktionsweisen, der Zerstörung von Agrarkulturen und der Vertreibung der Landbevölkerung »faktisch entfernt aus allen relevanten Herrschaftsbereichen, ausgeschlossen von der Partizipation an den allgemeinen Ideen« sinke die Frau herab »zur Repräsentantin des Diffusen, Nichtidentischen … So wurden die Hexen zerrieben zwischen der alten und der neuen Macht.« Waren sie unverheiratet, verwitwet, betrieben sie Handel, oder waren sie älter und gar sinnlichen Genüssen zugetan – jede Besonderheit, die sich nicht in die herrschende Ordnung fügte, sollte eliminiert werden. Was es bedeutet, Menschen zur realen Konformität zu zwingen, hat der Arzt Paracelsus in einer Typologie der Erkennungsmerkmale der Hexen zusammengefasst, worin unter anderem folgende Untugenden festgehalten sind: »mann fliehen, … ceremonien gebrauchen, … verbergen, allein sein, … kein mann ansehen, … selten kochen, haar, stirn nicht waschen, das fleisch, … wol liegen, allein sich versperren«. Jedes als Abweichung diagnostisiertes Verhalten, die Vernachlässigung der häuslichen Aufgaben, mangelnde Körperpflege, das schlichte Bedürfnis der Frau, alleine zu sein, die Verweigerung des ehelichen Geschlechtsverkehrs, all das erscheint als Stigma, als ungeformte erste Natur, die sich der wachsenden instrumentellen Rationalität widersetzt.
»Das Hexenpogrom«, bemerkt Bovenschen, »kann als eine zweite Phase der Machtergreifung zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters gelten. Der ‚neue Mensch‘ des industriellen Zeitalters war der Mann. Das magisch-mythische Bild von der Frau blieb in bürgerlicher Zeit erhalten, aber sie galt in keiner Weise fürderhin als Subjekt der Naturaneignung, sondern als Objekt der Naturbeherrschung; als Bestandteil der ausgebeuteten Natur war die Angst vor der Rache der Natur an ihr Bild fixiert, ebenso wie die Sehnsucht nach der Versöhnung mit der Natur. Die Frauen waren an der ‚Unterdrückung der Natur‘ nicht beteiligt, sie wurden in diesen Unterdrückungszusammenhang gestellt. Die Hexe steht an jenem Schnittpunkt der historischen Entwicklung, an dem die Ausbeutung der Natur ihren systematischen Charakter erhielt.«
Diese Arbeiten, die bis heute zu den bedeutendsten theoretischen Erkenntnissen des Feminismus zählen, werden heute nur mehr selten rezipiert und sind weitgehend dem Vergessen anheimgefallen, eine folgenschwere Entwicklung, die angesichts der postmodernen Genderforschung kaum verwundert. Während Bovenschen in ihren Essays immer auch die Gewaltverhältnisse, denen Frauen unterworfen sind, zur Sprache bringt, wird etwa in Butlers Gendertheorie das Subjekt zu Tode dekonstruiert, der biologische Geschlechtsunterschied zur Fiktion erklärt und Identitäten je nach Belieben zum auswechselbaren Gut stilisiert. Die kritische Gesellschaftstheorie ist dadurch zum Verschwinden gebracht.
Silvia Bovenschen, die bereits in jungen Jahren an Multipler Sklerose erkrankte, lebte bis zu ihrem Tod mit ihrer Freundin, der Künstlerin Sarah Schuhmann, in Berlin. Nach Jahren der Lehre und Forschung zog sie sich Ende der neunziger Jahre von der Universität zurück, um sich fortan dem Schreiben zu widmen. Für ihre zahlreichen Romane bzw. essayistischen Bücher, unter anderem »Verschwunden«, »Älter werden« und »Nur Mut«, die um Alter und Vergänglichkeit kreisen, erhielt sie mehrere Preise.
Literatur
Theodor W. Adorno; Marx Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main 2001
Silvia Bovenschen; Peter Gorsen: Aufklärung und Geschlechtskunde. Biologismus und Antifeminismus bei Eduard Fuchs. In: Ästhetik und Kommunikation. Beiträge zur politischen Erziehung 25/1976.
Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt 1979.