Wer die Verlagsankündigung von Erwin Riess’ jüngsten Roman »Herr Groll und die Stromschnellen des Tiber« liest, könnte meinen, es handle sich um ein Buch nach der Façon von Dan Brown: Verschwörungen von Klerikern auf höchster vatikanischer Ebene; historische religiöse Schriften, deren Veröffentlichung nicht weniger als einen dritten Weltkrieg zur Folge hätte; Auftragskiller, die auf Geheiß des hohen Klerus und dessen hochkriminellen Wirtschaftsfraktionen eine blutige Spur hinterlassen. Doch Brown will stets, auch wenn wir es bei ihm mit dunklen vatikanischen Mächten zu tun haben, die Religion retten, er will, dass die religiösen Kräfte des Lichts obsiegen.
Ganz anders bei Erwin Riess. Sein Protagonist, Groll, beantwortet die Gretchenfragen gleich auf der ersten Seite des Romans. Er sei religiös wie ein Windrad, das dreht sich im Kreis, produziert Strom und brauche dafür kein höheres Wesen. Höhere Wesen kenne er viele, was allerdings seiner Sitzposition im Rollstuhl geschuldet sei. Und als Angehöriger der niederen Stände, liege er mit den Herrschaften, die sich als höh’re Wesen sehen, seit er denken könne im Streit. Zu dieser Haltung trägt wesentlich auch der »Ständige Ausschuss zur Klärung sämtlicher Welträtsel« bei, der im Binder-Heurigen in Wien Floridsdorf in Permanenz tagt.
Der Hass der Fürchtlinge
Dem »Ständigen Ausschuss« entstammt auch die politische und gesellschaftliche Einschätzung, wonach sich in Österreich eine epidemische Fremdenangst, zu einem Generalhass auf die Welt verdichtet habe. Angefeuert von den Medien und hofiert von den Botschaftern der »berechtigten Ängste« haben die virtuellen und praktischen Mordbrenner eine Hetzmasse gebildet, die Groll als die »Fürchtlinge« bezeichnet, welche einen einzigen Zweck haben, den wenigen Flüchtlingen die sich noch ins Land gewagt haben, an die Gurgel zu gehen und zu bejubeln, wenn ihnen die Unterstützung Woche für Woche zusammengestrichen wird. Dies sei allerdings nur ein Probebetrieb, den die Fangarme der Herrschenden sind längst schon nach der nächsten Gruppe ausgesteckt, diesmal österreichische Staatsbürger, allen voran behinderte Menschen.
Beim Binder-Heurigen in Floridsdorf nimmt die Geschichte, wie so oft in Riess’ Büchern, seinen Ausgang. Groll nimmt den Auftrag einer »groß gewachsenen Dame im olivgrünen Kostüm«, die ihm von Beginn an seltsam vorkam, einen verschollenen Zögling des Malteserordens, ihren Sohn, zu finden, an. Mit von der Partie sind auch Grolls Freund, der Dozent, ein Privatgelehrter Hietzinger Provenienz. Der Kriminalsoziologe ist in eigener Mission unterwegs. Er wurde von einer polnischen Historikerin, die sich auf der Suche nach verschollenen genuinen Koran-Ausgaben aus jüdischen Schreibmanufakturen befindet, beigezogen. Der Dozent erliegt dabei keineswegs nur den wissenschaftlichen Meriten der Forscherin, sondern auch den erotischen Reizen der bekennenden Manichäerin.
Gerüttelt und doch nicht gebremst
Und selbstverständlich ist Josef III dabei, ein Rollstuhl der Schweizer Firma Küschall, welche denselben von einem klobigen Krankentransportgerät zu einem schnittigen Gefährt entwickelt hat. Ein Prototyp des Küschall Competition ist übrigens im New Yorker Museum of Modern Art ausgestellt und ist in seiner Schönheit und Dynamik durchaus mit einem Rennrad von Tommasini oder Pinarello vergleichbar. Josef III ist im wahrsten Sinne des Wortes der Gefährte von Groll, denn ohne ihn wären die abenteuerlichen Ermittlungsreisen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das Reisen ist, wie in vielen andern Büchern von Riess, auch hier ein zentrales Motiv. Doch bei Riess ist das Reisen keineswegs eine transzendete Angelegenheit wie bei vielen anderen Reiseschriftstellern, etwa bei Chatwin oder Theroux, bei Riess, hat es einen manifesten materialistischen Hintergrund. Es geht immer auch um die Behinderungen, welchen Rollstuhlfahrer beim Vorwärtskommen ausgesetzt sind. Wenn das Sein das Bewusstsein bestimmt, dann macht das was mit dem Fahrer, wenn er etwa auf Kieswegen in Weingütern oder auf historischen Kopfsteinpflastern in Rom unterwegs ist. Im Falle des Protagonisten Groll könnte man sagen: Wird der Körper durchgerüttelt, wird das Bewusstsein wachgerüttelt.
Die Geschäfte der Kardinäle
Grolls Reise nach Rom, die er zum größten Teil ohne seinen Assistenten (der seiner Polin entgegengeeilt ist), bewältigen muss, wird nicht nur von widrigen Wegbedingungen behindert. Im friulischen Rocca Bernarda, hofft er eine Spur des verschollenen Maltesers Markus aufnehmen zu können. Doch er findet den Freund und Informanten erdrosselt vor. Hier bereits sieht man, dass Groll in eine Geschichte geraten ist, die seinen Ermittlungsauftrag bei weitem übersteigt. Er ist mitten in die Auseinandersetzung zwischen hochkriminellen kirchlichen Geschäftemachern, die im Vatikan die Macht übernommen haben und einer kleinen päpstlichen Eingreiftruppe, welche den Machenschaften ein Ende bereiten will, geraten. Die Avantgarde der Kapitalfraktion stellt der Malteserorden dar. Nicht verwunderlich, dass die Mafia Kapitale ebenfalls ihre Finger im Spiel hat. Während ein Teil davon jedoch auf Seite des Malteser Ordens steht, erhoffen andere wiederum sich bessere Geschäfte mit den neuen vatikanischen Kräften. Dass Groll diese Geschichte, bei der er mehrmals existenziell in Bedrängnis geraten ist, einigermaßen unbeschadet überstanden hat, verdankt er der Hilfe, des Lebenskünstlers Ezechiel Heavensgate, der, wie sich später herausstellt, ein Mann von Mister Giordano ist, des New Yorker Freundes von Groll, der über gute Kontakte zu gewissen römischen Familien verfügt.
Erwin Riess hat neuerlich einen Roman vorgelegt, der über sämtliche Ingredienzien eines Top-Thrillers verfügt. Doch es wäre nicht Riess, wäre dieser nicht eingebettet in eine unglaubliche Fülle historischer, politischer und kultureller Zusammenhänge, die er mit einer Leichtigkeit in die Handlung einflicht, die verblüfft. Das und der sarkastische Blick auf die Zumutungen die der Kapitalismus für die Mehrheit bereithält, der unbestechliche Witz, machen das Buch zu einem gelehrsamen Roman im besten Brechtschen Sinne.
Buchpräsentation: Donnerstag, 7. Dezember, 19 Uhr, Melicharstraße 8