»Dabei bin ich erst richtig selbst, wenn ich arbeite.«

Marika Schmiedt hat einen Film über das Leben der Bildhauerin Ilse von Twardowski-Conrat (1880 – 1942) gedreht. Melanie Letschnig hat ihn gesehen.

Ilse von Twardowski, geborene Cohn: Bildhauerin, erfolgreich, voller Eigensinn und in sich widersprüchlich. Regisseurin Marika Schmiedt zeichnet in ihrem neuesten Film das Leben der Künstlerin nach und ordnet »Dabei bin ich erst richtig selbst, wenn ich arbeite« dem Genre des Lesefilms zu. Und es stimmt – zahlreiche Textpassagen geben Auskunft über das Leben der Twardowski-Conrat, sie stellen jedoch längst nicht das einzige Gestaltungsmittel, mit dem Schmiedt die Biographie der Bildhauerin rekonstruiert. Zu Beginn sehen wir Fotos, auf denen sie mit von ihr gefertigten Büsten und Statuen posiert, sowie fotografische Portraits, auf denen sie uns stolz anblickt. Schriftlichte Selbstzeugnisse aus dem Nachlass, ein von einer Frau gesprochenes Voice-over, das Details aus dem Leben erzählt, historische Dokumente, die Stimme der Tochter und Schmiedts Besuch biographisch relevanter Orte tragen zur Manifestation der Person Ilse Twardowski-Conrat durch die filmische Gegenwart bei. Das Tempo, das Marika Schmiedt für ihre Text- und Bildeinblendungen wählt, ist rezeptionsfreundlich. Es ist genug Zeit, die schriftlichen Informationen zu lesen und die Bilder zu betrachten, um ein Gefühl für die Protagonistin zu bekommen, deren Durchbruch 1903 mit der Enthüllung einer von ihr gestalteten Büste von Johannes Brahms auf dessen Grab am Wiener Zentralfriedhof stattfindet. Ein Pionierinnen-stück, ist Conrat – damals 22 Jahre alt – doch die erste Künstlerin, die in Europa ein öffentliches Denkmal schafft und so international berühmt wird.

Bevor es so weit ist, wächst sie privilegiert in großbürgerlichen Verhältnissen im 1. Wiener Gemeindebezirk auf, ihre Eltern pflegen salonmäßig Beziehungen zu Künstler_innen und Intellektuellen wie Alma Mahler, Fernand Khnopff und eben Brahms. Hugo Cohn, der nach der Konvertierung zum Protestantismus den Namen Conrat annimmt, und Ida Conrat, die Ilse als Antisemitin beschreibt, ermöglichen den drei Töchtern eine profunde Schulbildung. Bei Josef Breitner erhält die Älteste Privatstunden in Bildhauerei. Sie ergreift die Initiative und schickt 1898 Fotos ihrer Arbeiten an den Bildhauer Charles van der Stappen nach Brüssel, um sich bei ihm als Schülerin zu bewerben. Er nimmt Ilse Conrat auf – mit dem Hinweis, dass sie nicht bei den Bildhauern (Männerdomäne) unterkommen kann, sondern sich vormittags bei den Malerinnen einschreiben muss und nachmittags mit selbstbezahltem Modell Rundplastik üben darf. Damals schickt es sich für eine Großbürgerstochter nicht, als Single in der Weltgeschichte herumzureisen, dementsprechend tritt Conrat ihren Weg nach Brüssel in Begleitung ihrer Großmutter und deren »Jungfer« an. Allmählich setzt sie ihre Selbständigkeit durch, Arbeit bestimmt ihr Leben und 1901 wird sie auf der Internationalen Kunstausstellung in München mit der Kleinen Goldenen Medaille ausgezeichnet. Prämiert wird ihre Skulptur »Nasse Haare«, eine sinnliche, nackte Frau aus Gips, die, den Rumpf zu einer Seite neigend, das lange, nasse Haar in der einen Hand, mit der anderen Hand ein Tuch aufhebt. In der Presse wird Ilse Conrats Namen nicht genannt. Ein Originalzitat der Künstlerin lässt erkennen, wie das (in diesem Fall diskriminierende) Verschweigen der guten Nachricht ihr Leben prägen wird.

1902 kehrt Conrat nach Wien zurück. Sie gestaltet Grabdenkmäler für Personen des öffentlichen Lebens, außerdem Reliefs und die in München prämierte Skulptur ist in der Wiener Secession zu sehen. Die Teilnahme an der Biennale in Venedig 1905 bildet einen weiteren Höhepunkt ihrer Karriere. 1910 ist ein weiteres aufregendes Jahr für Ilse Conrat. In London heiratet sie heimlich, still und leise den 30 Jahre älteren, preußischen Offizier Ernst August Dobrogast von Twardowski. Die beiden befinden sich auf Reisen und sind bis zu diesem Zeitpunkt als Onkel und Tante unterwegs. Dies berichtet die Tochter Elisabeth von Twardowski-Kahmann (geboren 1920) in einem Radiointerview. Im selben Jahr wird Ilse Vizepräsi-dentin der frisch gegründeten Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreichs, legt das Amt allerdings bald wieder nieder. 1912 wird sie zum Mitglied der Union Internationale des Beaux-Arts ernannt. Die Twardowskis reisen viel, bis Ernst sich mit Ausbruch des 1. Weltkrieges freiwillig in München als Reservist meldet. An diesem Punkt des Films tritt Marika Schmiedt selbst zum ersten und einzigen Mal vor die Kamera. Wir sehen die Regisseurin, wie sie mit einer Rolltreppe aus der U-Bahnstation ins Sonnenlicht fährt, während auf der Textebene die Rede von Frau Schmutterer und ihren Kindern ist, die das Ehepaar Twardowski während der Zeit des ersten Weltkrieges mit Lebensmitteln versorgen und weiterhin in einer »verhängnisvolle[n] Rolle« für Ilse und Elisabeth relevant sein würden.
In dieser Zeit fertigt Twardowski in ihrem Atelier in der Keferstraße in München auch Bildhauereien von gezeichneten Menschen, die Müdigkeit und Resignation ausstrahlen. Außerdem ist sie für die Porzellanmanu-faktur Allach in München tätig, die im Nationalsozialismus nach der Enteignung als ideologietreues Unternehmen reüssieren und Zwangsarbeiter_innen ausbeuten wird.
 
1928 stirbt Ernst Twardowski. Von ihrer Witwenpension kann Ilse gut leben, sie beschließt, nur noch Aufträge für Portraits anzunehmen. Wie die Kinder von Frau Schmutterer ist sie zunächst Fan der nationalsozialistischen Ideologie und sieht darin keinen Widerspruch zu ihrer jüdischen Herkunft. Tochter Elisabeth erklärt diese Sympathie mit der positiven Geschichte, die die Twardowskis mit den Schmutterers verbinden, der Hilfe, die ihnen während der Zeit des 1. Weltkriegs zuteil wurde und der Rolle von Frau Schmutterer als Ersatzoma für Elisabeth. Als Ilse 1935 mitgeteilt wird, dass sie nicht Mitglied der Reichskunstkammer werden könne und ihr die weitere Berufsausübung als »Maler und Graphiker« untersagt wird, fängt ihre Begeisterung für das nationalsozialistische Regime an zu bröckeln. Vor dem Umzug mit Elisabeth in ein Haus im Münchner Stadtteil Waldtrudering verschenkt oder zerstört sie zahlreiche ihrer Kunstwerke. Die Arbeit als sinnstiftende Grundlage der Existenz als Künstlerin, wie es das titelgebende Zitat des Films ausdrückt, wird Twardowski-Conrat entzogen. Sie wählt für sich die innere Isolation als Überlebenstaktik, um das eigene Leben nicht durch die Verbote der Nationalsozialisten zerschlagen zu wissen. Bis sie schließlich 1942 doch zur Zwangsarbeit in der kriegswichtigen Telefon- und Batteriefabrik Kammerer eingezogen wird. Am 8. August erfolgt der zweite Deportationsbefehl. Hans Schmutterer, der Sohn von Mutter Schmutterer und mittlerweile erfolgreicher Nationalsozialist, der sich immer wieder für Twardowski-Conrat einsetzt, kann nichts mehr für sie tun. Dem Appell von Hans‘ Schwester, bei Bekannten unterzutauchen, folgt sie nicht. Am 9. August nimmt sie sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben und entgeht so dem Konzentrationslager. Elisabeth überlebt.

Es sind die aufwändig recherchierte Fülle des Materials und die ästhetische Vielfalt, mit der die Regisseurin Marika Schmiedt die Zuschauer_innen für die Biographie Ilse von Twardowski-Conrat einnimmt. Wie durch eine Ausstellung leiten uns die Pfade, die die Filmemacherin mittels zahlreicher Artefakte arrangiert, um die widersprüchliche Existenz der Protagonistin, die von politischen Umwälzungen geprägten Jahrzehnte ihres Lebens und das ihrer Weggefährt_innen zu einem plastischen Zeitbild zu formen.

Ilse Twardowski-Conrat und »Der veredelnde Gärtner«, 1908
Selbstportrait von Ilse Twardowski-Conrat, 1926