Sandloch

Bei STWST48 wurde im September ein konkaves Sandloch vor der STWST angeschüttet. Dieses funktionierte letztendlich als Antenne, die die Wasserstoffstrahlung des Weltalls bündelte. Ausgehend von einer Sicht auf die Medienkunst erklärt Franz Xaver die Hintergründe, warum eine Antenne zur Kunst werden kann: FX gegen den Hausverstand, und über Leben als Wirt für Information.

Persönliche Geschichte der Medienkunst

Um den Begriff der Medienkunst im Kontext der bildenden Kunst zu verstehen, müssen wir einige Jahrzehnte zurückgehen, in eine Zeit, als die Medientechnologie für KünstlerInnen erschwinglich wurde und als neues Arbeitsmaterial genutzt werden konnte. Der Eingriff in die Technologie bot die Möglichkeit, Echtzeitprozesse in künstlerische Arbeiten miteinzubeziehen. Dynamische Prozesse waren in der STWST von Beginn an ein wichtiges Thema, man wollte am Puls der Zeit leben und arbeiten. Und so war es die Medienkunst der 80er-Jahre, die diese Voraussetzungen mitbrachte und der die Arbeiten der STWST zugeordnet werden können. Die STWST war damit Avantgarde und brachte neue Positionen. Mit dem Computer kam aber auch eine digitale Technologie, mit der es möglich wurde, Information zu speichern. Später, mit den ersten »Internetbrowsern« des World Wide Web, konnte diese gezielter als je zuvor abgerufen werden.

In der Medienkunst der 80er-Jahre waren die meisten Medien noch analog, man konnte Information nur aus Büchern oder über die staatlichen, elektronischen Medien beziehen. Alternative Informationskanäle waren kaum vorhanden. Mit den digitalen Medien kam es aber zu einem größeren, technopolitischen Wandel - von den Push-Medien der Analogtechnologie zu den Pull-Medien der Digitaltechnologie. Eine Situation, die wegen ihres politischen und gesellschaftlichen Impacts, etwa hinsichtlich des Aufbrechens der staatlichen Monopole schon Jahre zuvor von der STWST mit den STWST-TV-Projekten gelebt und gefordert wurde.

Diese »Neuen Medien« wurden schnell unverzichtbar für NutzerInnen und KünstlerInnen. Ich trenne bewusst BenutzerInnen von KünstlerInnen, denn die KünstlerInnen, die Medien aktiv in ihre Arbeiten einbeziehen wollen, sollten immer hinterfragen, was und warum sie etwas machen. Kenntnis von der Technologie ist eines der wichtigsten Kriterien, um die Möglichkeiten der Medien zu kennen und sie dann auch politisch richtig einsetzen zu können. Diese Materialkenntnis sollte grundsätzlich bei allen KünstlerInnen vorhanden sein, vor allem, wenn sie damit im experimentellen Bereich arbeiten wollen.

Warum MedienkünstlerInnen und das Arbeitsmaterial »Technologie« aus der Kunst verschwand

Als das Internet Mitte der 90er in der Gesellschaft aufschlug, spürte man sofort, dass damit ein neues Zeitalter beginnt. Die Medienkunst wurde zu Recht von der Netzkunst abgelöst, um sich nicht mehr mit den alten analogen Technologien beschäftigen zu müssen – dieses neue Genre wurde über Nacht zu einem Shootingstar. In der STWST wurden in dieser Zeit Radio FRO und servus.at als eigene Medienvereine gegründet. Das Netzkunstgenre verblühte aber schon nach einem Jahrzehnt. In einem nicht aufzuhaltenden Prozess wurde die Netzkunst von einer sich rasch entwickelnden Technologie, einer fehlenden intellektuellen Position, die aus einem nicht vorhandenen historischen Betrachtungswinkel resultierte, und der »New Economy« immer weiter in einen Abgrund gezogen. Und weil sich jedes Genre im Internet medial präsentiert wollte, war die Medienkunst als eigenes Genre überflüssig. Durch ihre Existenz vor dem Internet war sie jedoch unantastbar. Mit der Informationstechnologie des Internets fielen nun alle Kunstrichtungen in den Bereich der Medienkunst. Für mich ist Medienkunst deshalb nur mehr in historischen Belangen relevant.

Medienkunst wurde Deckmantel für »Alles und Nichts«. Über die Jahre merkte man, dass auch die Positionen in Ausstellungen immer konservativer wurden und die Universitäten sich auf gesicherte Positionen zurückzogen.

Das Publikum wäre ja eigentlich an Neuem interessiert, beschäftigt sich auch gerne mit Neuem, sucht sogar danach. Es fehlt aber meist das Wissen um die Zusammenhänge und letztendlich kann die Kunst rund um die digitalen Medien nur mehr über Sinneseindrücke und mit dem Hausverstand konsumiert werden.

Es ist wie mit dem schwarzen Quadrat von Kasimir Malewitsch, für manche ist es ein Meilenstein in der Entwicklung der Kunst, für andere, die es mit dem Hausverstand sehen, ist es ein schwarzer Farbfleck, den eigentlich jeder malen kann.

Dabei wäre gerade das Wissen um die Hintergründe der Entwicklung in den Medien wichtig. Dieses Wissen würde den Nutzer vom Künstler differenzieren und damit eine neue intellektuelle Position im Informationszeitalter schaffen. Die Informationstechnologien sind sehr komplex geworden, jeder Vorsprung bedeutet mehr Daten für global agierende Firmen. Jede Art von Information wird zur ultimativen Macht in der Kapitalgesellschaft. Es fehlen kritische Positionen über die man vielleicht Ethikkommissionen einsetzen könnte, die eine Entwicklung der Informationstechnologie überwacht. Der Schutz des Individuums und die Diskriminierung »anders handelnder Personen« muss jedenfalls vermieden werden.

In der Internettechnologie ist im Moment alles erlaubt und die zunehmende Komplexität der Entwicklungen trieb die meisten intellektuell denkenden Personen in eine passive Abhängigkeit. Ein kleiner Kreis rund um die Hacker-Community hat zwar länger durchgehalten, aber diese wollen keine Positionierung in einem soziokulturellen Umfeld.

Das Infolab der STWST versucht, kritische Positionen in der Informationsgesellschaft zu fördern.

Information wird zur ultimativen Macht, aber niemand weiß, was Information wirklich ist. Darüber macht sich das Infolab der STWST Gedanken, die Technologie bildet dabei nur die Basis. Das Thema ist eigentlich die Information selbst. Information trifft immer ins Innerste jedes Individuums, dorthin, wo sich auch die Emotionen der Menschen befinden. Dort ist aber bereits Information in den Genen vorhanden. Vorsicht, es gibt nun zwei Arten von Information: Eine rationale Information, resultierend aus den neuen Technologien, trifft auf eine emotionale Information der Evolutionsgeschichte. Nehmen wir Angst und Vorsicht als Beispiel, diese stehen manchmal nicht im Einklang mit der rationalen Information unserer Maschinen. Durch unsere Tendenz zur »Herde« werden wir dazu verleitet, diese externe, »rationale« Information als Wahrheit zu sehen, weil diese in allgemeinen Übereinkünften bestätigt ist.
Über diese Angst und Vorsicht vernimmt man auch vermehrt Warnungen einer Machtkonzentration des Kapitals in der Informationsgesellschaft, in der es um eine globale Datenanalyse einer emotional handelnden Schafherde geht. Big Data als emotionaler Angstfaktor, der inzwischen bei den NutzerInnen angekommen ist. Unangenehmen Gefühle, die aber gegen die scheinbar rationale Information der »Herde« nicht ausreichen.

Das Informationszeitalter entstand vielleicht auch in einem Generalplan der Evolution und des Universums, denn Leben ist Information. Es stellt sich an dieser Stelle auch wieder die Frage: Ist die Evolution Triebfeder der Informationsentwicklung oder ist die Information die Ursache der Evolution? Das Leben auf diesem Planeten wäre in diesem Fall nur Wirt für eine Information, und würde demnach eine untergeordnete Rolle bei der Entwicklung des Universums spielen.

Das Sandloch – oder warum uns die Informationstechnologie vom Leben entkoppelt.

Widmen wir uns einer möglichen Position der Kunst im Informationszeitalter. Mit historischen Argumenten der bildenden Medienkunst bauen wir Skulpturen im medienhistorischen Bereich, um der Informationsgesellschaft etwas entgegenstellen zu können. Wir entwickeln künstlerische Positionen nicht im Sinn der rationalen Information, nicht aus einer nutzbringenden Wertschöpfung, sondern es geht etwa auch um die akausale Information unserer Traumwelten. Aus diesem Grund baute das Infolab der STWST bei der diesjährigen STWST-Showcase-Extravaganza STWST48 einen parabolischen Reflektor in Form eines Sandlochs, mit dem Information aus dem Weltraum empfangen werden konnte – Information, die vor der Evolution auf der Erde vorhanden war. Wir müssen dazu vorerst die Entwicklung des Universums in eine extraterrestrische, weltraumphysikalische und eine terrestrische, biologische Evolution teilen. Erstere beginnt beim Urknall und setzt sich fort als Universum, das eine organische Evolution auf der Erde ermöglichte.

Die biologische Evolution wurde möglich, weil Moleküle begannen Information zu speichern. In diesem Umfeld der selbstorganisierenden Systeme konnte sich die Information bis in die Gegenwart entwickeln.
In unserem Sandloch befindet sich nun eine Antenne – bzw ist das Sandloch eigentlich eine Antenne. Dort entsteht eine Schwingung, die mit der weltraumphysikalischen Evolution verbunden ist. Es handelt es sich um eine Schwingung, die noch vor dem Leben, wie wir es kennen, entstanden ist. Für die Skulptur »Sandloch« brauchen wir im Kunstkontext keine elektrische Technologie der biologischen Evolution. Man kann zwar mit Elektrizität diese Schwingung hörbar machen, dies ist aber nicht unbedingt notwendig, denn das Sandloch wird über seine Form zur Antenne – und in einer Antenne wird eine Form zu Schwingung bzw. Schwingung zur Form. Eine statische Form wird zur Schwingung, beide sind über ihre Wellenlänge und die Lichtgeschwindigkeit untrennbar verbunden. In unserem Fall haben wir das Sandloch mit dem Erreger im Brennpunkt auf die Wellenlänge des Wasserstoffs eingestellt. Die Skulptur schwingt dadurch direkt mit dem Wasserstoff des Universums. Und die Größe des Sandlochs steht in direktem Zusammenhang mit der Reichweite. Ein Durchmesser von zwölf Metern reicht einige Millionen Lichtjahre in das Universum, bzw in die Vergangenheit. Unter anderem erreichten wir auch den Stern V538 im Sternbild des Fuhrmanns. Er sendete seine Strahlung vor 40 Jahren aus, zu jenem Zeitpunkt, als die STWST gegründet wurde.

Wird diese Schwingung elektrisch verstärkt, passt dieses Signal der »physikalischen Information« gut zur »digitalen Physik«, die wir als Arbeitsthema in den vergangen STWST48-Formaten aufgegriffen hatten. Es wird über beide Betrachtungsweisen immer mehr zur Gewissheit, dass die »organische Evolution« nur Träger der Information ist, um ein reineres »digitales Format« zu entwickeln, damit die Zukunft nicht mehr von der Natur
abhängig ist.

Es gab aber noch weitere Gründe ein Sandloch zu graben

Neben der Erforschung der Information und der Medien war ein weiterer Grund, diese Skulptur umzusetzen, ein Traum oder ein sehr alter Gedanke rund um das »Nichts« - das negative Etwas. Bei der Schaffung des Nichts ist vor allem die Grenze zum Etwas eine Herausforderung und ist sicher eine gesonderte Überlegung wert. In diesem »Traum« gruben KünstlerInnen schweigend ein Loch in der Erde. Diese Arbeit wurde ohne Maschinen umgesetzt. Mit Schubkarre und Schaufel brachten sie spiralförmig das »Etwas« nach »Außen« und schufen damit das »Nichts« im Inneren. Die KünstlerInnen hatten bei dieser Arbeit Zeit, neue Gedanken zu entwickeln. Ein konkaves Loch bietet eine Lösung in der Realwelt, denn nur bei einem parabolförmigen Loch muss das Erdreich nie abgestützt werden, es kann für alle Zeiten weitergraben werden. Ich hoffe, dieses Projekt wird irgendwann umgesetzt und ersuche interessierte KünstlerInnen und SchottergrubenbesitzerInnen mich zu diesbezüglich zu kontaktieren.

Und der letzte, ausschlaggebende Grund war Tanja Brandmayr. Sie hatte bei den Überlegungen zu STWST48x5 eigentlich die Idee, ein Loch zu graben. Sie grub während dem Festival ihr Loch im Keller des Hauses Kirchengasse 4.
 

Die erwähnten Projekte sind im September 2019 im Rahmen von STWST48x5 gelaufen: stwst48x5.stwst.at

Hinweis Medienkunst: Eine bereits vor längerer Zeit erschienene und dennoch zeitlose Geschichte der Kunst und Medienkunst von Armin Medosch ist in einer 6-teiligen Reihe in den Nummer 106 – 111 der Versorgerin erschienen. versorgerin.stwst.at

12 Meter Durchmesser (Bild: Franz Xaver)