Die Rechte in Verwirrung

Was kommt nach Strache? Österreichs Rechte zwischen Kreide fressen und Galle spucken.

In Österreich war die jüngste Vergangenheit des »Dritten Lagers« vom Experimentieren mit einem neuen Politiker-Typus geprägt, der die bisherigen »natürlichen« Grenzen der WählerInnengunst deutlich nach oben verschieben sollte. Hatte man bis vor kurzem auf den polternden und polemisierenden Populisten à la Haider und Strache gesetzt, schienen die letzten Jahre ruhigere Typen wie Rabl, Haimbuchner und Hofer mehr Erfolg zu versprechen. Das Versprechen wurde nur teilweise eingelöst.

Ein FPÖ-Politiker, der nicht nur die Stimmen der Eingefleischten bekommt, sondern dazu auch im bürgerlichen und liberalen Lager reüssieren kann? Lange schien das schwer denkbar. Die Auftritte eines HC Strache begeisterten ein gewisses Klientel, ließen aber Konservative teils erschauern: zu rassistisch, zu aggressiv, und, was mitunter wohl am schlimmsten war, zu proletenhaft gebärdete er sich. Strache gelang es gut, sich den ArbeiterInnen als »einer von uns« zu präsentieren, das Bürgertum nahm ihm – einen Zahntechniker! – solcherlei Anbiederungen nicht ab. Da half auch das Schwingen eines Kruzifixes (2009) oder der Wahlkampfslogan »Nächstenliebe« (2013) als eine Art »positive« Neudefinition von Fremdenhass wenig. 2013 erreichte man immerhin gut 20 % der Stimmen, doch was beim Gegner für Entsetzen sorgte, war für die FPÖ eine Enttäuschung. Seit gut 20 Jahren wähnte man die Kanzlerschaft in Reichweite, wieder war man deutlich gescheitert.

Das Jahr 2015 brachte der FPÖ wiederum Triumphe unterschiedlicher Politikertypen: Kunasek in der Steiermark, Haimbuchner in Oberösterreich und Strache in Wien erreichten Werte zwischen 26 % und 31 %. Ein Debakel für die Parteien der großen Koalition. Für besondere Aufmerksamkeit bei den Parteistrategen sorgte das Ergebnis bei den Gemeinderatswahlen in Wels in Oberösterreich: Über 43% für die FPÖ, bei den Bürgermeisterwahlen sogar 47 % im ersten, 63 % im zweiten Wahlgang: Was war da los? Der Vater des Erfolges war mit Andreas Rabl recht klar auszumachen. Und auch, wenn Wels eine traditionelle Hochburg der FPÖ (und ihrer Vorgängerparteien) und rechter Medienmacher ist, hier hatte jemand weit über die Grenzen des eigenen Lagers hinaus Stimmen gefischt. National und international wurde Wels zum Synonym für den Aufstieg der Rechten, JournalistInnen aus halb Europa reisten an, um zu verstehen. Und verstanden nichts, da sie immer nur einen kleinen Ausschnitt des Bildes von Rabl und Wels sahen. Gegenüber den VertreterInnen liberaler Medien gab bzw. gibt er sich weltoffen und kunstsinnig, die Kernklientel wird via Facebook und Co. mit der FP-üblichen Melange aus Migrationspanik und Verschwörungstheorien bedient. Mikrotargeting nennt sich diese Kommunikationsstrategie, bei der man jeder potentiellen Zielgruppe exakt das zeigt, was dieser gefällt. Rabl beherrscht sie, ob im Vieraugengespräch oder in den sozialen Medien. Wirklich schwer gemacht wurde es ihm allerdings nicht. Viele seiner Behauptungen über sein vermeintlich segensreiches Wirken halten einer seriösen Überprüfung nicht stand. Eine solche muss Rabl aber weder von der oberösterreichischen Medienlandschaft noch von den meist nur für einen Tag angereisten auswärtigen JournalistInnen befürchten.

2016 schickt sich einer an, Rabls Erfolgskonzept zu kopieren. Es ist Norbert Hofer, wie Rabl ein gelernter Kommunikationstrainer. Und wie Rabl war er in den 1990ern im Burgenland aktiv. Hofer war Landesparteisekretär bzw. Pressesprecher des Landesparteiobmannes Wolfgang Rauter, einem Onkel von Rabl. Man kennt sich.

Der FPÖ entstand 2016 die erstmalige Gelegenheit zum Sieg bei der Bundespräsidentschaftswahl. Die große Koalition befand sich in einem Zustand, der auf Partezetteln meist als »langes, schweres Leiden« umschrieben wird. Vom Frühjahr 2015 bis zum Frühjahr 2017 war die FPÖ bei allen Umfragen auf Platz 1, lag teilweise bis zu 15 % vor der ÖVP. Als Kandidatin war Ursula Stenzel im Gespräch, doch insbesondere die mächtige FPÖ Oberösterreich favorisierte Hofer. Der sollte mit sanften Tönen (Hofers Rhetoriktrainer war ein Pfarrer, Géza Molnár) auch gemäßigte WählerInnenschichten ansprechen. Das gelang anfangs sogar überraschend gut, im ersten Durchgang hatte Hofer 14 % Vorsprung auf Alexander Van der Bellen, der Sieg schien ihm nicht mehr zu nehmen. Die Kandidaten der Koalition stolperten in ein historisches Debakel. Der Rest ist Erinnerung: In einem epischen Ringen obsiegte zwar schließlich »VdB«, doch Hofers 46,21 % in der Stichwahl waren ein Achtungserfolg. Die FPÖ bewegte sich in neuen Dimensionen. Jetzt brauchte man nur mehr zuschauen, wie sich die große Koalition (und auch die Grünen) selbst zerlegten und bei den NR-Wahlen 2018 dann die Ernte einfahren.

Nur hatte man die Rechnung ohne Sebastian Kurz gemacht. Der kopierte das Konzept von rechter Politik, die mit sanftmütigem Lächeln und ruhiger Stimme feilgeboten wird. Die FPÖ hatte schon mit Hofer als Spitzenkandidaten geliebäugelt, schickte aber dann doch das alte Schlachtross Strache gegen den türkisen Jungstar ins Rennen – der jedoch das Momentum (und die meisten Medien) auf seiner Seite hatte und einen der absurdesten Wahlsiege der Zweiten Republik einfuhr: Am meisten profitierte die ÖVP von ihrem eigenen weitgehenden Versagen in der Integrationspolitik, für das sie als Partei seit dem Jahr 2000 und in Person des Sebastian Kurz seit 2011 zuständig war.

Die Regierung wurde zwar ohne freiheitliche Oberösterreicher (mindestens drei waren als Minister angefragt, sagten aber dankend ab), wohl aber nach oberösterreichischem Vorbild durchgezogen: Die ÖVP durfte in der Wirtschaftspolitik (Zustimmung zu CETA, 60-Stunden-Woche) nach Gutdünken schalten und walten, die FPÖ erfreute ihr Klientel mit Rassismus und Symbolpolitik (Kippen des Rauchverbotes, Tempo 140). Dann »Ibiza« und der Abgang des in der ganzen Legislaturperiode schon deutlich angeschlagen wirkenden, das dräuende Unheil wohl schon erwartenden, HC Strache.

Nun schlug also doch Hofers Stunde, wenn auch zur Unzeit. Ibiza, Regierungsende, Spesenskandal, EU-Wahlniederlage und ein nervtötender Ex-Parteiobmann, der trotz allem viele AnhängerInnen in der Partei hat – sowie ein detto nervtötender ÖVP-Jungstar, der fröhlich bei blauen Themen und WählerInnen wildert, und das Parade-Schwiegersohn-Image deutlich glaubwürdiger kann als Hofer... da war es erstmal durchaus richtig, sich Kickl als Ersatz-Strache zur Seite zu stellen und als Duo wahlzukämpfen. Die Vorzugsstimmen zeigten recht deutlich, wen die verbliebenden FP-WählerInnen favorisierten: Kickl holte mehr als doppelt so viele wie Hofer, der selbst im heimatlichen Burgenland das Match verlor (allerdings monierte, dass viele ihm zugedachte Stimmen wegen eines zweiten »Hofers« auf der FP-Liste ungültig waren). Für eine Neuauflage von Schwarz-Blau wäre Kickl jedoch eine Belastung – die die ÖVP nicht mehr hinnehmen will. Ob das tatsächlich an Kickls rechtsextremen Ausrutschern lag und liegt – die auch schon vor 2017 Bücher füllen hätten können – oder andere Gründe hat (z.B. die Ablehnung Kickls durch mächtige Polizeibeamte), sei einmal dahingestellt. Eine blaue Regierungsbeteiligung ohne Kickl wäre aber für die Basis kaum akzeptabel, die nach Strache dann ihres zweiten Lieblings verlustig gehen würde. Das Problem der Partei ist, dass sie vom rechten Rand grade wegen Radaubrüdern wie Strache oder Kickl gewählt wird – und aus dem gleichen Grunde für viele Bürgerliche unwählbar ist.

Für die Neuaufstellung der Partei wurden nun zwei Reformgruppen gebildet, die von den Oberösterreichern Haimbuchner und Rabl geleitet werden, die sich neben Hofer als das anständige Gewissen der Partei darstellen wollen. Nach außen präsentieren sie sich wie Hofer als Vertreter der »Mitte«. Gleichzeitig müssen sie den breiten rechten Rand der Partei bei Laune halten, denn auch eine Abspaltung in Form einer Strache-Partei ist noch möglich. Man versucht den Spagat. So veröffentlichte Haimbuchner am 17. November 2019 ein Video für seine Fans, in dem er in einem seltenen Anfall von Wahrheitsliebe von »unsere(n) klar rechten Positionen« spricht. Also: Kreidefressen fällt schwer. Da schon lieber Galle spucken von der Oppositionsbank. Das kann man auch besser. Und dass sich die FPÖ je ändern würde, glaubt ohnehin niemand mehr.


Wer Österreich verstehen will, muss »Die Ehemaligen« von Margit Reiter lesen

Faszinierend, wie Begriffe, verwendet man sie in Bezug zum »Dritten Lager«, ihre Bedeutung ins Gegenteil verkehren: »Einzelfall« ist so ein Begriff, oder auch »Die Ehemaligen«, wie man die Nazis nach ‘45 nannte, und wie Margit Reiter ihr Buch über diese und die Gründung der FPÖ nennt.

Reiter eröffnet mit einem kritischen Blick auf die jüngsten Debatten in der und um die Partei, die sich nun mit dem Bericht einer »Historikerkommission« reinwaschen will. Deren Zusammensetzung, mit Rechtsaußen-Schmuddelkindern wie Andreas Mölzer, aber eher ein schlechter Witz ist. Und nicht mehr notwendig, denn man kann sich Barbara Tóth nur anschließen, die über »Die Ehemaligen« sagt: »Dieses Buch ist der beste Historikerbericht, den es über die FPÖ geben kann. Es ist bahnbrechend. Es ist das Buch der Stunde.«

Und es ist längst nicht nur ein Buch über die FPÖ. Es zeigt ein Nachkriegsösterreich, geprägt vom unverschämten Selbstmitleid der »Ex-Nazis«, deren Opfermentalität sich tief ins Selbstverständnis ihrer Partei, ja sogar in weite Teile der Bevölkerung eingeschrieben hat. Es zeigt ein Österreich, in dem auch jene, die die Ehemaligen und Nochmaligen vielleicht verabscheuten, sie doch umgarnten, wie die ÖVP und SPÖ. Es zeigt ein politisches und gesellschaftliches Österreich, das die Neuformierung der extremen Rechten fordert und fördert, kaum dass deren letzte Opfer unter der Erde sind. Das alles beschreibt Reiter akribisch, ohne Polemik, umfassend belegt, wissenschaftlich und doch höchst lesbar. Sollte unter keinem Christbaum fehlen.

Margit Reiter: Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ, Wallstein 2019, Euro 28,80