Die Diskussion um sogenannte »Hotspots« in Linz (wie bspw. den Hessenplatz), Plakate, die dazu aufrufen »auf Linz zu schauen«, die Stadtwache, die mittlerweile bereits seit fast 10 Jahren existiert – es ließen sich noch weitere Beispiele finden, mit welchen Anrufungen die Debatte und der Diskurs um Linz in den letzten Jahren geführt werden. Diese Aufzählung verweist auf spezifische Entwicklungen oder Verschiebungen, die vor dem Hintergrund genereller gesellschaftlicher Transformationen zu verstehen sind, die zu einer veränderten Bedeutung des städtischen Raumes führen. Im Folgenden werden wir mit diesen Transformationen zusammenhängende Entwicklungen skizzieren und sie an geeigneten Stellen mit Beispielen aus der Stadt Linz illustrieren.
Die unternehmerische Stadt: Globalisierung, Lokalisierung, Vermarktlichung und Kommerz
Seit den 1980er Jahren finden weitreichende Veränderungen statt, die im deutschsprachigen Raum unter anderem mit Begriffen wie Neoliberalismus oder Globalisierung verhandelt werden. In der Humangeographie und Soziologie sprechen wir hier auch von einer Glokalisierung, denn es ist nicht so wie vielfach suggeriert wird, dass durch die Rekonfiguration des Kapitalismus und teilweise der Politik die lokale Ebene irrelevant wird. Im Gegenteil, durch eine vermehrte Ablösung von der nationalstaatlichen Ebene – auf wirtschaftlicher und politischer Ebene – verdeutlicht sich, dass es mehrere soziale Ebenen gibt, die für Politik und Kapitalismus relevant sind oder ggfs. relevanter werden. In diesem Kontext des neoliberalen Umbaus gewinnt bspw. die städtische Ebene an Bedeutung, wenngleich diese historisch als Ort der kapitalistischen Produktionsweise schon immer eine gesellschaftlich besondere Bedeutung einnahm (Atzmüller 2010; Engels 1972). Das Verhältnis der Städte untereinander wandelt sich unter den Vorzeichen des Gegenwartskapitalismus, sie sind im Zuge der Globalisierung in einen zunehmenden Standortwettbewerb involviert und sind daher dazu aufgerufen unternehmerisch zu agieren (Harvey 1989).
Im Rahmen von Imagepolitiken und zahlreichen Großprojekten und Großereignissen versuchen Städte dementsprechend ihr Profil zu schärfen und sich von anderen Städten abzuheben. Dabei konkurrieren sie als Orte der Produktion um die Ansiedlung von Unternehmen sowie um hochqualifizierte Arbeitskräfte als eine Art Innovations-InkubatorInnen. Als Orte des Konsums konkurrieren sie um zahlungskräftige Kundinnen und Kunden, aber auch um nationalstaatliche und EU-Fördermittel, die zunehmend selektiv vergeben werden. Um die Gunst dieser Zielgruppen im Konkurrenzkampf zwischen den Städten für sich zu gewinnen, werden verschiedene Maßnahmen durchgeführt. Dazu gehören die Ausrichtung von Events wie bspw. die Klangwolke oder das Kulturjahr 2009, die als Trend zu einer Festivalisierung diskutiert werden können, oder das »quantitativ ausgeweitete kommunale Ausgabenvolumen für wirtschaftsfördernde Maßnahmen« (Heeg/Rosol 2007), was für die Förderung von Innovationswerkstätten wie bspw. der Tabakfabrik genutzt werden kann. Gleichzeitig werden vormals öffentliche Bereiche und Aufgaben zunehmend privatisiert und gewinnorientierten privaten Akteuren überlassen. Es kommt zu einem sogenannten Public-Private Partnership, wobei die gewinnträchtigen Bereiche in der Regel von der Privatwirtschaft landgenommen werden, während die kostenintensiven Bereiche nach wie vor staatlich subventioniert und gewährleistet werden, hiervon sind Bereiche wie der öffentliche Verkehr, öffentlicher Wohnungsbau, Badeanstalten und vieles mehr betroffen. Der frei zugängliche und konsumfreie öffentliche Raum scheint sich im Zuge dieses Prozesses immer weiter zu verkleinern oder ist einer stärkeren Überwachung und Kontrolle ausgesetzt.
Wohlfahrtsstaatlicher Umbau und soziale Verunsicherung
Aus soziologischer Sicht sind die geschilderten Aspekte mit weiteren gesellschaftlichen Transformationen verbunden, bzw. Ausdruck und Teil desselben. So zeigen sich die geschilderten Tendenzen kapitalistischer Landnahmen auch in anderen öffentlichen Bereichen, wie der Kinderbetreuung, Altenpflege, Bildung usw. Die Verkopplung des Trends zur Kommerzialisierung der Stadt mit den Themen der Sicherheit und Kontrolle hängt unseres Erachtens mit einem weitreichenden gesellschaftlichen Umbau zusammen. Mit dem wohlfahrtsstaatlichen Wandel zu einem sogenannten Workfare-Staat mit sozialinvestiven Elementen (Atzmüller 2009), sind Instrumente und Maßnahmen, die auf die soziale Sicherung der BürgerInnen abzielten, massiv abgebaut worden. Gleichzeitig setzen v.a. arbeitsmarktpolitische Instrumente darauf, Erwerbsarbeit suchende Personen zu »aktivieren« und individuell zu verantworten, sie als gute und produktive BürgerInnen zu erziehen. Dieser Umbau geht international auch mit einer sogenannten Underclass-Debatte einher, welche Erwerbslosigkeit vielfach als eine Erscheinung, die auf individuelles Versagen zurückzuführen ist, rahmt. Dies und eine Zunahme an Sanktionen und Zwangsmaßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik ist die Basis, dass ein Großteil der verfügbaren Arbeitsplätze den Lebensunterhalt vieler nicht mehr sichert, und es ist zunehmend schwierig, langfristige biografische Pläne zu entwickeln und umzusetzen. Diese alltägliche und biografische Unsicherheit (oder auch Prekarität) führt zu einer tiefgreifenden, existentiellen Verunsicherung. Dass die Ursache dieser Unsicherheit jedoch in dem gegenwärtigen Umbau verwurzelt ist, davon versuchen vielfach die in Verantwortung stehenden PolitikerInnen abzulenken. Statt dessen wird die Angst vor »Anderen« geschürt. Auch das trägt dazu bei, die Sehnsucht nach einem subjektiv verstandenen Sicherheitsgefühl zu verstärken, welchem durch Überwachung und neue Dienste nachgegangen wird.
Städtische Sicherheitspolitiken und Kontrolle
Im Zuge dieses Umbaus und dem Umbau zur unternehmerischen Stadt wird der städtische Raum zu einem umkämpften Terrain mit kontrollierten Erlebnis- und Konsumräumen (Heeg; Rosol 2007). Vor allem innenstadtnahe Räume, die die Städte in einem möglichst attraktivem Licht darstellen sollen, sind daher von städtischen Kontrollstrategien betroffen. Gruppen, die nicht nahtlos an die Logiken von Konsum und Produktion anschließen können, werden verdrängt oder gar vertrieben, wie sich in Beispielen wie Bettelverbotszonen, einem Rückbau kostenfreier Sanitäranlagen und konsumfreier öffentlicher Räume zeigt. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer neuen Form der Sicherheitsorganisation, in welcher vermehrt auch private Akteure in die Produktion von Sicherheit eingebunden werden und die Grenzen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren schwammig werden. Zudem bildet sich ein Markt um die Ware Sicherheit aus, auf welchem private Anbieter agieren. Gleichzeitig wurde der Sicherheitsbegriff entscheidend erweitert, insofern bisher nicht strafrechtlich relevante Tatbestände durch kommunale Verordnungen und andere ordnungsrechtliche Maßnahmen geregelt werden (z.B. Alkoholverbot an bestimmten Plätzen). Die Polizei muss sich nach eigener Erläuterung mittlerweile vermehrt mit der Sicherstellung einer subjektiv gefühlten Sicherheitslage auseinandersetzen, und diese garantieren. Das subjektiv empfundene Sicherheitsempfinden kann aber je nach Norm- und Normalitätsvorstellung durchaus variieren, und kann sich auch auf Tatbestände beziehen, die subjektiv zwar als normalitätsabweichend wahrgenommen werden, aber nicht unbedingt strafrechtlich relevant sind. Zygmunt Baumann hält in einem Essay von 2016 zur Angst vor den anderen fest, dass »Fernsehnachrichten, die Schlagzeilen der Tageszeitungen, Tweets und politische Reden, in denen öffentliche Ängste und Befürchtungen für gewöhnlich konzentriert werden und ein Ventil finden, […] gegenwärtig überschwemmt [werden] von Hinweisen auf die »Migrationskrise«, die Europa angeblich überwältigt und das Leben, wie wir es kennen, führen und schätzen, dem Untergang zu weihen droht. […] Die Berichterstattung von diesem Schlachtfeld löst derzeit fast schon so etwas wie eine »moralische Panik« aus (nach der allgemein anerkannten Definition beschreibt der Begriff der »moral panic« eine »weitverbreitete Angst, dass ein Übel das Wohl der Gesellschaft bedroht«).“
Im Zuge unserer eigenen Studie[1] zu Linz führten wir Interviews mit ExpertInnen der Sicherheitsdienste, ebenso wie dem Bereich der Sozialen Arbeit, die die Rolle der Medien bei der Schaffung von Angsträumen und Sicherheit ähnlich einschätzen. Während die Kriminalstatistik von 2018 zeigt, dass die Gesamtkriminalität rückläufig ist, und gleichzeitig die Aufklärungsquote gestiegen ist. Nichtsdestotrotz zeichnet die öffentliche und mediale Debatte weiterhin vielfach ein anderes Bild. Um die durch diese Debatten geschaffenen Ängste aufzugreifen, wurde in Linz bspw. unlängst ein Heimwegtelefon eingeführt, dass durch die Stadt mit 19.000 Euro jährlich subventioniert wird, bei welchem BürgerInnen anrufen können, wenn sie auf dem Heimweg nachts ein mulmiges Gefühl haben.
Das Thema Sicherheit wird in diesem Zusammenhang mit weiteren Themen wie Sauberkeit und Ordnung verkoppelt und moralisiert. »Gute« BürgerInnen achten beispielsweise dann darauf, die Stadt nicht zu verschmutzen, und werden auch dazu aufgerufen evtl. »Verstöße« zu melden, die Plattform »SchauaufLinz« fordert dezidiert dazu auf, dererlei »Missstände« zu melden.
Schaffung und Verdrängung von Gruppen
In den medialen und öffentlichen Debatten rund um SOS (Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit) werden bestimmte Gruppen und Bilder von diesen skizziert und angerufen. Bestimmte Gruppen werden zu TäterInnen oder doch eher Tätern stilisiert, während andere als »gute BürgerInnen« dargestellt werden. Wie bereits im Zitat von Zygmunt Bauman deutlich wird, sind MigrantInnen in der öffentlichen Debatte eine große Gruppe der sogenannten GefährderInnen. Aber auch Jugendliche zeichnen sich immer wieder als Gruppe aus, die die öffentliche Ordnung zu stören scheint, während insbesondere einheimische Frauen zu Opfern werden.
Neben den Jugendlichen scheint es eine weitere Gruppe der »Einheimischen« zu geben, welche das öffentliche Bild zu stören scheint, dies sind Suchtkranke und Wohnungslose. Vielfach wird statt Investitionen in Präventions- und Streetworkprogramme zu tätigen, in Alkohol- und Bettelverbote und deren Vollziehung in bestimmten Bereichen der Stadt investiert, was jedoch lediglich zu einer Verschiebung der sozialen Problemlagen in andere Gebiete der Stadt führt, jedoch als Aufwertung bestimmter Bereiche wahrgenommen wird.
Die Versuche der Kommerzialisierung des vormals öffentlichen Raumes sind neben dieser Kontroll- und Verbotspolitik auch durch Bebauungen und Veräußerungen vormaliger öffentlicher Sphären geprägt, ein Beispiel hierfür wäre bspw. der Versuch der Bebauung des Andreas-Hofer-Parks in Linz.
Die Stadt im Gegenwartskapitalismus
Die Städte und der soziale Raum Stadt verändern sich im Zuge des gegenwartskapitalistischen Umbaus der Gesellschaft. Die Auslagerung von öffentlichen Aufgaben in den privaten Sektor birgt die Gefahr, dass die ohnehin schon sehr große Ungleichheit, die in Österreich vorherrscht, weiter zunimmt. Da das öffentliche Vermögen und die öffentlichen Güter bei der Abfederung dieser eine wichtige Rolle spielen und gesellschaftliche Teilhabe, wenn auch nur in begrenzter Form, dennoch in Teilen ermöglicht. Mediale Debatten und Diskurse gefolgt oder begleitet von Politiken, verschärfen anscheinend die aufkommenden Ausschlusstendenzen. Bestimmte Fragen und Themen werden in diesem Kontext auf eine spezifische Art und Weise moralisiert und es wird versucht SOS für eine spezifische Klientel herzustellen, was mit der Verunsicherung von Anderen einhergeht.
Literatur
Atzmüller, Roland (2010): Cities and welfare. In: Noel Whiteside, Jean-Michel Bonvin und Roland Atzmüller (Hg.): Situated Public Action and Capability Approach. BOOKLET WP4, Material for PhD students, Summer School »Towards a European Politics of Capability«, Venice, May 20th-23rd 2009.
Atzmüller, Roland (2009): Die Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik in Österreich Dimensionen von Workfare in der österreichischen Sozialpolitik. In: Kurswechsel 4 / 2009, S. 24–3.
Baumann, Zygmunt (2016): Die Angst von den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache. Deutsche Erstausgabe. Berlin, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Engels, Friedrich (1972): Die Lage der arbeitenden Klassen in England. In: Institut für Marxismus-Leninismus (Hg.): Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Bd. 2, S. 225–506.
Heeg, Susanne; Rosol, Margit (2007): Neoliberale Stadtpolitik im globalen Kontext. Ein Überblick. In: PROKLA. Zeitschrift für Sozialwissenschaft 37 (149), S.491–509.
Harvey, David (1989): From Managerialism to Entrepreneurialism. The Transformation in Urban Governance in Late Capitalism. In: Geografiska Annaler Series B, 71 (1), S. 3–17.
---
Dieser Text wurde als Teil einer größeren Auseinandersetzung im Rahmen des Projektes »Die STWST als öffentlicher Raum« angefragt. http://stoer.stwst.at