»Wir waren kompliziert genug, die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen. Wir treiben Weltverkehr auf schmalspurigen Gehirnbahnen.«
(Karl Kraus, Sprüche und Widersprüche)
»Blame it on the Boogie«
(Mick Jackson)
Der Weltlauf schreitet unerbittlich dahin, manchmal mittels Fußnoten, dann wieder in Kampfstiefeln; als automatisches Subjekt angetrieben von denen, die sich in seinem inneren Mechanismus – einem blinden Impuls folgend – abstrampeln, zugleich aber als dessen Getriebene unter die Räder kommen. Als gäbe es nicht auch ohne den kapitalistischen »Selbstwiderspruch der Gattung« (Joachim Bruhn) genügend menschliche und kosmische Skandale, deren maßlosester wohl der Tod ist. Am 25. März wurde uns mit Erwin Riess ein langjähriger und hochgeschätzter Autor genommen, den wir hier mit einem seiner ersten Beiträge für die Versorgerin würdigen wollen und wenige Wochen später verstarb Gisela Porod, eine der Betreiberinnen der frühen Stadtwerkstatt. Tanja Brandmayr, Brigitte Steiner Schober und Martina Schwabenitzky erinnern.
Im ausgewählten Text von Erwin Riess findet sich die Bemerkung: »Gedenken ist eine private Angelegenheit.« Wie also ist kollektives Erinnern möglich, dem keine autoritären Züge anhaften? Zunächst wäre dafür zu sorgen, dass das Falsche aus dem Fokus kommt – Andreas Pavlic beschäftigt sich in seinem Beitrag mit den künstlerischen Arbeiten von Martin Weichselbaumer und Rosa Andraschek, insbesondere deren Versuch, kontaminiertes Gedenken durch Dezentrierung zurechtzurücken. Sebastian Franke stellt anlässlich des 80. Jahrestages des Aufstands im Warschauer Ghetto Emanuel Ringelblum und das Untergrundarchiv Oyneg Shabbes vor, dessen Ziel war, die Geschichtsschreibung nicht den national-sozialistischen Tätern zu überlassen, und Anselm Meyer kritisiert die politischen Motive in der Debatte um die Singularität der Shoah im »Historikerstreit 2.0«. Richard Schuberth spürt Strängen europäischer Geistesgeschichte nach, die in Orientalismuskritik und postkolonialen Debatten ignoriert wurden – im Auftakt der Artikelserie konzentriert er sich auf Lord Byron. Romantische Projektionen ruft nicht nur der Orient hervor, sondern bei manchen auch Finnland, das in puncto Sozialstaat als Vorbildland gilt – inwieweit das gerechtfertigt ist und was es mit dem Begriff »Ethnostress« auf sich hat, ergründet Paul Schuberth. Außerdem beleuchtet Magnus Klaue die Geschichte der Säuglingsheime in BRD und DDR im Zusammenhang mit der vergessenen Bindungstheorie des Kinderpsychologen John Bowlby.
Wer beim Thema »Generative Künstliche Intelligenz« immer noch einen verträumten Gesichtsausdruck (»resting chip face«) bekommt, sollte sich den Beitrag von Svenna Trieber als Antidot verabreichen – sie gibt einen Überblick über Auswirkungen auf die Lohnarbeitswelt. Im Umgang mit dem Internet generell scheint nicht die schlechteste Strategie zu sein, es wie einen dunklen Wald zu behandeln – Genaueres dazu im Text von S()fia Braga. Die Auseinandersetzung um digitale Technologien ist auch ein Strang im Stadtwerkstatt Jahresclaim COLD RESISTANCE. Mehr dazu dann im Septemberschwerpunkt zu STWST 48x9 COLD HEAVEN, das dazugehörige STWST-Kunstformat wird von 8.–10. September stattfinden. In dieser Ausgabe gibt es allerdings bereits ein weiteres Announcement zum Thema, im Sinne des kalten Anti-Himmels, des immersiven Trashs und eines letzten Sommers vor der Artificial General Intelligence. Zuvor erscheint Mitte Juni aber noch Edition No. 12 der Communitywährung Gibling – diesmal gestaltet von Tina Kult. Dann noch das Symposion »Reclaim! Clubnächte, Häuserkampf und urbane Freiräume« – eine Textkollage zu dieser Kooperation von STWST und Kunstuni ziert diese Ausgabe, die auch die letzte ist, die vom Oberösterreichischen Landesverlag in Wels gedruckt wird. Es ist also nicht alles schlecht in Wels, was dagegen schon, darauf verweist Marina Wetzlmaier in ihrem Beitrag über die bizarren kulturpolitischen Vorgänge im blauen Wels. Die Redaktion sah sich genötigt, hier einen Kommentar zu verfassen. Hingegen bei der Welser Druckerei für die langjährige gute Zusammenarbeit bedankt sich abschließend
die Redaktion.
Zum Cover der Versorgerin
Wir haben das Bild »Hide, war!« der Künstlerin Toyen aus dem Jahr 1944 ausgewählt, siehe Abbildung unten, und in kurzen Worten beschrieben. Dieser Text wurde in Midjourney eingegeben:
»60 fishes in rows of 10 hover just above a barren desert floor, all swimming in one direction. They swim from left to right. The picture should be in black and white and appear rather gloomy and threatening. Add a large dark cloud to the sky. It should be drawn with charcoal. High resolution.«
Der Text am Cover ist außerdem ein Work-in-Progress und Auseinandersetzung mit dem Artificial-General-Intelligence-Potential zur endlosen, stabilen Diktatur und dem diesjährigen Claiming: COLD HEAVEN, Immersive Trash.