Journalistischer Katechismus – Zweites Hauptstück: Von der Buße

Der Journalistische Katechismus ist eine Handreiche für all jene, die dauernd irgendwas mit Medien machen und darum keine Zeit haben, Machiavellis Il Principe zu lesen. Deshalb erscheint er auch häppchenweise in Serie.

Was öffnet einem jeden Pressmenschen den Weg des Heils? 

Vornehmlich die medienrechtliche Buße.

Welche Theile umfasst die medienrechtliche Buße? 

Die Richtigstellung, den Widerruf, die Gegendarstellung und die Unterlassung

Niemand macht gerne Fehler (bzw. wird gerne dabei erwischt) – im täglichen Handgemenge der Vierten Gewalt und der Jagd nach dem Scoop ist es aber unumgänglich, dass die Wahrheit die eine oder andere Delle abbekommt, die dann von der Dritten Gewalt ausgebeult werden muss. Die schwierige Balance besteht darin, die loud minority bei der Stange zu halten, die für Engagement sorgt und zugleich die silent majority nicht zu verprellen – die Herde von Consumer-Stimmvieh, welches Anzeigenkunden als Schäfchen ins Trockene bringen möchten. Lasst euch davon nicht einschüchtern: Move fast and break things! Denn der Herr sprach: Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. 

Die Richtigstellung ist als freiwillige Korrektur die scheinbar selbstbestimmte Art, zu sagen: Sorry, we made an Oopsie! Allerdings ist das Erratum auch die Schwäche derer, die es mit der journalistischen Sorgfaltspflicht zu genau nehmen – zeitgemäß ist nicht die Asche auf dem Haupt, sondern die Faust auf dem Tisch: Wenn Pressebericht und Wirklichkeit auseinanderfallen, hat das gefälligst ein Problem Letzterer zu sein. Höherwertig sind dagegen die Formen erzwungener Buße: Nur verzopfte Federfuchserinnen sehen dies als Indiz für schlampige Recherche oder faktenresistente Agitation. Ganz im Gegenteil wird so auch der größte Medienkonzern zum kleinen gallischen Dorf, das unbeugsam den infernalischen Horden trotzt, die es in die Knie zwingen wollen. Stick it to the man with a banner headline! Allerdings ist auch hierbei zu differenzieren: die Gegendarstellung ist das Stimulans derer, die wissen, wie man revoluzzt und dabei doch nur Lampen putzt. Als Richtigstellung durch die betroffene Person selbst sorgt sie für eine Konstellation des he-said-she-said, in der - whispered through the grapevine – an der ursprünglichen Pressebehauptung indes durchaus was dran sein könnte. Allerdings sollten auch ambitiöse Tintenstrolche davon absehen, ihrerseits auf die Gegendarstellung mit einer Gegen-Gegendarstellung zu reagieren: Putting a hat on top of a hat setzt einem burning dumpster fire kein Krönchen auf. Beim Widerruf schmatzen die Lippen der connaisseurs des affaires journalistique schon prononcierter: Hier besteht der Vorwurf nicht nur in unwahrer Tatsachenbehauptung, sondern darüber hinaus deren Ehrenrührigkeit. Auch hier könnten oberflächliche Gemüther meinen, dass dies das erniedrigende Eingeständnis einer Lasterthat bedeutet, weil der scarlet letter (resp. paragraph) nicht nur getragen, sondern selbst aufs hehre Antlitz gepinselt werden muss. Wiederum ist dies im Gegenteil kein Schandfleck, sondern das Siegel aufrechter Freischärler für die Meinungs- und Gewissensfreiheit, deren rebel yell lautet: Free speech is under siege! Allerdings - und hier scheiden sich achtlos stampfende Schafe von behutsam gärtnernden Böcken, die Geilstellen sorgsam meiden – darf es nicht um tatsächliche Opposition zu jener Ökonomie gehen, deren Produkt das eigene Gehöft ist, sondern lediglich das zärtliche Äsen an jenen Trieben, deren Mahd das restliche Unterholz umso üppiger wuchern lässt. Die Kunst besteht darin, meaningless fights mit sorgsam ausgewählten – besonders unappetitlichen Chargen – zu inszenieren und dafür zu sorgen, dass die Wetteinsätze in die eigene Kasse wandern. Da auch das Haus gewinnt, dessen Fähigkeit zur Selbstregulation demonstriert wird (»wehrhafte Demokratie«, »robuste Institutionen«), gewinnen letztlich alle (zumindest jene, die sich ein Ticket leisten können). Dass in Form von Slapp-Klagen tatsächliche Angriffe (cheap shots) stattfinden, die nicht nur mit einem black eye, sondern knockout (Konkurs) enden können, bietet die Chance, sich auch bei eigenen Verfehlungen potentiell als Opfer zu gerieren (im Wrestling-Jargon: vom heel zum face zu werden). Doch Vorsicht: Overselling gefährdet die Overness (das Wohlwollen des Publikums). Wenn am Ende das publizistische Gewissen triumphiert, können zudem weiterhin erbauliche Filme über journalistische Integrität gedreht werden (the Post, the Paper, Spotlight – the list goes on and on and on…). 

Der Boulevard stellt hierbei einfach die brawl-Variante dar: Als rulebreaker prügelt er auf alle ein – pulling punches ist nur eine Option, wenn Einbruch des Anzeigengeschäfts oder Sperre drohen. Bei genügend Marktmacht (»starke Marke«) und politischer Gewogenheit ist beides keine reale Gefahr und auch mit der Solidarität des restlichen Roster (»mediale Mittbewerber«) kann gerechnet werden (siehe die scharfen Reaktionen auf »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« vonseiten der »Qualitätspresse«). Auch unter dem Dach der Unterlassung (»Unterdrückung zukünftiger Berichterstattung«) versammeln sich einträchtig – mit wechselnder Rollenverteilung – legitime Verteidigung geschützter Rechte und der Missbrauch von Gerichten zur Verunmöglichung gerechtfertigter Kritik im öffentlichen Interesse. Letzteres gegen Ersteres auszuspielen, erlaubt Wannabe-Nestroys, ihre Couplets – in heroischer Umgehung empfundener Zensur durch Nutzung proprietärer opinion-outlets – auf Blogs und Kurznachrichtendiensten zu singen. Merke: Manufacturing consent through dissent ist kein Paradox, sondern die Realität des Spektakels.

Das kommende dritte Hauptstück handelt von dem innern Leben und von der Vertraulichkeit mit dem Verlag.