Die Empörung war groß, als Forscher der New Yorker Cornell-University Anfang Juli eine Studie veröffentlichten, in der sie herausfinden wollten, ob und wie sich die Nutzung sozialer Medien auf die Stimmung der User auswirkt. Zu diesem Zweck hatten sie im Jahr 2012 700.000 Facebook-Nutzern eine Woche lang manipulierte Inhalte präsentiert: Eine Hälfte der – nichtsahnenden – Probanden bekam vorzugsweise Postings mit positiven bzw. negativen Inhalten zu sehen; die andere Hälfte diente als Kontrollgruppe.
Dabei wurden die Nachrichten, die die Nutzer von ihren virtuellen Freunden erhielten, von einer automatischen Software nach Schlagworten gefiltert. Also: keine (oder weniger) niedliche Katzenbilder und Smileys für die eine Testgruppe, weniger Gejammer über das Leben, das Universum und den ganzen Rest für die andere. (Die Kontrollgruppe bekam ebenfalls gefilterte Posts zu sehen, allerdings rein nach Zufall und nicht als positiv oder negativ gewichtet.) Dann testeten die Wissenschaftler, ob sich ihre Versuchskaninchen von der Stimmung in ihrer digitalen Welt anstecken ließen, indem sie ihre Äußerungen nach den gleichen Algorithmen auf Zeichen von Lebensfreude oder -überdruss analysierten.
Das Ergebnis: dürftig. Zwar handele es sich bei der großen Probandenzahl um die wahrscheinlich größte Stichprobe in der Geschichte der Psychologie, wie »Guardian«-Autor Chris Chambers leicht süffisant bemerkt, und das von den Forschern veröffentlichte Resultat (gute bzw. schlechte Laune übertrage sich tatsächlich in sozialen Netzwerken) sei real. Andererseits handele es sich um einen der geringsten statistisch nachweisbaren Effekte, die jemals publiziert wurden; er liege in einer Größenordnung, als finde man in der durchschnittlichen Körpergröße
der gesamten männlichen US-Bevölkerung eine Abweichung von 1,3 Millimetern.
Der eigentliche Versuch war also nicht allzu erfolgreich darin, schlechte Laune zu verbreiten; die Veröffentlichung der Studie dafür umso mehr: Genauer gesagt, löste sie einen auch ohne Analysesoftware gut wahrnehmbaren Shitstorm aus.
Die überwältigende Mehrheit der Medien, darunter auch solche Aushängeschilder der Seriosität wie die »FAZ«, machte sich nicht die Mühe, mal einen Blick auf die Zahlen zu werfen, und so kam in der Öffentlichkeit die skandalträchtige Botschaft an: »Facebook macht seine User unglücklich!« Was – siehe oben – natürlich Unfug ist.
Schwerer wiegt der Vorwurf, der von weiten Teilen der wissenschaftlichen Gemeinschaft erhoben wird: Es handele sich um einen Verstoß gegen die ethischen Richtlinien der Forschung. Diese sehen schließlich nicht ohne Grund vor, dass Versuche an menschlichen Probanden nur mit deren informierter Zustimmung erfolgen dürfen.
(Exkurs: In der Psychologie ist es durchaus erlaubt und in vielen Fällen geboten, Teilnehmer über das Ziel eines Experiments zu täuschen, um ihr Verhalten nicht zu beeinflussen. Darüber, dass sie an irgendeiner Art von Versuch teilnehmen, müssen sie aber informiert werden. Allerdings ist anzumerken, dass die typischen Versuchsorganismen der psychologischen Forschung Studierende der eigenen Zunft sind, die sich mit den Versteckte-Kamera-Tricks ihrer Branche auskennen dürften. Ein Meta-Experiment dazu, welchen Einfluss ein solches Insiderwissen auf das Verhalten hat, wurde bisher leider nicht durchgeführt.)
Die Forscher rechtfertigen sich damit, dass die Nutzer in dem Moment ihre Zustimmung abgegeben hätten, als sie beim Erstellen ihres Accounts das Häkchen unter den Allgemeinen Geschäftsbedingungen machten. Im Kleingedruckten stehe schließlich etwas davon, dass die User es Facebook erlaubten, ihre Daten zur Datenanalyse und zu Forschungszwecken zu verwenden.
Ohnehin könnte man argumentieren, dass der undurchsichtige Umgang mit Daten geradezu ein Produktmerkmal von Facebook darstellt und die User somit genau wissen müssten, dass dem Netzwerk so ziemlich alles zuzutrauen ist. Ob das der Definition von »informierter Zustimmung« genügt, lässt sich allerdings durchaus anzweifeln.
Was man außerdem fragen kann, ist, warum sich die Wissenschaftler überhaupt all die Mühe samt großzügigster Auslegung ethischer Standards gemacht haben, nur um ihren Testpersonen das eine oder andere zusätzliche »:-(((« zu entlocken. Wer im Internet nach mieser Laune sucht, braucht dazu schließlich kein aufwendiges Forschungsprogramm, man muss nur einen Blick in die Kommentarspalten der großen Medien oder beliebter Blogs werfen – vorzugsweise, wenn es um Themen wie Asylrecht oder Nahost geht.
Oder einfach irgendetwas Kritisches über die Piratenpartei twittern. Der Umgangston der Netzaktivisten stand schon von Anfang an dem der historischen Seeräuber in nichts nach, und Abmahnungen und Beleidigungsklagen gelten als anerkanntes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Mittlerweile befindet sich die Partei zielstrebig auf dem Weg in den Untergang, und den Sturz in die Bedeutungslosigkeit kompensieren ihre Mitglieder mit um so lauterem Gezänk und persönlichen Anfeindungen gegen interne und externe Kritiker.
Ein vorläufiger Höhepunkt war Anfang Juli erreicht, als bekannt wurde, dass ein Angehöriger der für ihre Rechtslastigkeit bekannten Parteigrup-pierung »Zuse-Crew« einen sogenannten Crawler programmiert – oder programmieren lassen – hat: Dieses Programm unter dem Namen »Tsearch« durchforstet automatisch über 4.000 Twitteraccounts und speichert bestimmte Tweets als Link und Screenshot ab.
Die Auswahlkriterien, wer und was da so alles gespeichert wird, liegen im Dunkeln, aber die Liste der betroffenen Nutzer setzt sich in erster Linie aus linken, feministischen und antifaschistischen Accounts zusammen. Die Timeline zahlreicher User wird komplett dokumentiert, egal, ob es nun um den neuesten Piratenskandal oder aber um Kochrezepte und Fußball geht; andere User werden nur für Äußerungen gewürdigt, die Schlagworte wie #Piraten, #Kartoffel, #Nazi oder #Zusel enthalten.
Simon Lange, Urheber der Datensammlung, sieht sich in der Opferrolle, sein Crawler – den er gerne als simple »Suchmaschine« bezeichnet – diene der »Transparenz« und der »Dokumentation«, da er von bösen Menschen im Internet gemobbt werde. Was schon fast wieder amüsant ist, denn die »Zuse-Crew« und ihr Umfeld fallen immer wieder durch übelste Pöbeleien bis hin zu Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen politische Gegner auf. Die dokumentiert die »Suchmaschine« freilich nicht.
Die Piraten können froh sein, dass sich die Medien nach ausbleibenden Wahlerfolgen nicht mehr sonderlich für sie interessieren, die Schlagzeile »Überwachung unter Überwachungsgegnern« wäre doch gar zu peinlich gewesen. So aber blieb die Empörung weitgehend auf das Netzbiotop beschränkt. Der Parteivorstand distanzierte sich in einer gewundenen Erklärung: »Insbesondere verwehren wir uns gegen den Eindruck, die Seite könnte von der Piratenpartei, im Namen der Piratenpartei oder mit Hilfe ihrer Gelder betrieben werden. [..] Es handelt sich dabei um eine private Seite, welche weder von der Piratenpartei noch von der IT-Infrastruktur der Piratenpartei betrieben oder durch diese unterstützt wird.Weiterhin möchte die Piratenpartei nicht mit einer Seite in Verbindung gebracht werden, die den Eindruck der Vorratsdatenspeicherung erweckt.«
Was ein wenig verwunderlich ist, denn ursprünglich wurde auf der »Tsearch«-Seite noch direkt auf die »Zuse-Crew« verwiesen, und die ist nun einmal eine offizielle Parteigruppierung; der Hinweis wurde allerdings in dem Moment gelöscht, als der Shitstorm losbrach und Lange sich beeilte, das Programm als sein Privatvergnügen darzustellen.
Gegenüber den »Ruhrbaronen« erklärte der beim außerordentlichen Parteitag im Juni neugewählte Vorsitzende Stefan Körner im persönlichen Gespräch dann auch noch, dass man derzeit nicht sicher sein könne, ob Lange überhaupt wirklich Mitglied der Piratenpartei sei. Ah ja. Besser als mit einem solchen Statement könnte man den Zustand der Partei wohl kaum illustrieren.
Inzwischen ist die »Tsearch«-Datenbank nicht mehr für die Allgemeinheit zugänglich, auf der Website ist nun eine Erklärung zu lesen, es habe sich um eine öffentliche Beta-Version (IT-Sprech für »Testbetrieb«) gehandelt. Tatsächlicher Hintergrund dürfte eher sein, dass Lange von der Parteispitze deutlich aufgefordert wurde, sein imageschädigendes Spielzeug offline zu nehmen. Dass die Datensammelei nun stattdessen im Geheimen weitergeht, scheint niemanden im Parteivorstand mehr groß zu interessieren – man ist schon längst mit den nächsten Skandalen und Skandälchen (Terminus technicus: »Gates«) beschäftigt, die die Piraten so zuverlässig produzieren.
Während bei den Piraten aber immerhin ein Ende abzusehen ist, steht das Data-Mining, also die Auswertung großer Datenmengen, gerade erst am Anfang – ob nun hochprofessionell wie von Facebook, Google (und den Geheimdiensten sowieso) betrieben oder nun eben auch in der Amateur-liga eines Simon Lange.
Die Algorithmen des Online-Versands Amazon bewirken bisher lediglich, dass die Software nach dem Kauf eines Toasters annimmt, dass wir unbedingt noch einen zweiten erwerben wollen; in Zukunft sollen die Vorher-sagen des Programms aber so präzise werden, dass Waren bereits im nächstgelegenen Logistikzentrum bereitliegen, bevor die Kunden sie überhaupt bestellt haben. Und das bayrische Innenministerium will künftig Verbrechen bekämpfen, ehe sie begangen werden: Ab Oktober 2014 testet die Polizei in München und Nürnberg ein halbes Jahr lang eine Prognose-software, die vorhersagen soll, wann und wo mit Wohnungseinbrüchen zu rechnen ist.
Da ist es nicht mehr weit bis zu Programmen, die anhand von Parametern wie Alter, Geschlecht, Wohnumfeld, Einkommen etc. auch Analysen erstellen, ob eine bestimmte Person in Zukunft Straftaten begehen wird – im Science-fiction »Minority Report« war dazu noch Hellseherei nötig. Schon jetzt werden Aufzeichnungen von Überwachungskameras danach ausgewertet, ob Passanten »abweichendes Verhalten« zeigen. Bei derartigen Aussichten kann man auch ohne Facebook-Account ernsthaft schlechte Laune bekommen.