Am 13. und 14. Juni fand im Calafou ca. 40 km nordwestlich von Barcelona unter dem Titel »Backbone 409« ein Treffen von autonomen Serverbetreiber_innen statt.[1]
Der Austausch über technische sowie organisatorische Herausforder-ungen, die der Betrieb eines kleinen, unabhängigen Daten- und Kommunikationsknotens mit sich bringt, stand dabei im Mittelpunkt.
Der Name »Backbone 409« ist dabei eine Anspielung auf eine Fehler-meldung, die in der Web-Kommunikation auftreten kann (die meisten kennen wahrscheinlich den Fehlercode »404 - Seite nicht gefunden«). Der Fehlercode 409 bedeutet »Conflict« und soll damit verdeutlichen, dass das Internet, wie wir es heute kennen, ein konfliktbehaftetes Feld mit zuwiderlaufenden Interessen ist. Auf der einen Seite birgt es ein emanzipatorisches Potential, indem es die Grenzen zwischen Sender und Empfänger verwischt und relativ einfach seinen Teilnehmer_innen ermöglicht, Nachrichten weltweit zu verbreiten und unterschiedlichste Informationen jederzeit zugänglich macht. Andererseits ist es auch ein heiß umkämpfter Markt mit Zentralisierungstendenzen (siehe Facebook, Google, Twitter, ...) und unsere Kommunikation wird damit auch einfacher überwach- und steuerbar.
In diesem Spannungsfeld bewegten sich die Teilnehmer_innen dieses Treffens, allesamt Betreiber_innen mehr oder weniger kleiner Internetinfrastruktur, die hauptsächlich dem politischen Aktivismus dient. Rund 150 Teilnehmer_innen aus Europa, den USA und Brasilien zählte das Treffen.
Der Ort des Geschehens »Calafou - Colonia ecoindustrial postcapitalista« verdient dabei auch noch eine nähere Beschreibung. Calafou ist eine Industriekolonie aus dem 19. Jahrhundert. In dieser Zeit wurden einige solcher Kolonien in Katalonien gegründet, in denen die Arbeiter_innen auch wohnten, mit dem Ziel, die Arbeiter_innenbewegung, die gerade im Großraum Barcelona sehr erfolgreich war, zu kontrollieren und entsolidarisieren und somit zu schwächen. Im Jahr 2004 schloss in Calafou die letzte Industrieproduktion ihre Pforten. Dies schuf Freiraum für das Projekt Calafou, die ehemalige Industriekolonie nach ihren eigenen Vorstellungen zu nutzen. Dabei wurde das Gelände nicht besetzt, sondern mit dem Eigentümer eine Vereinbarung getroffen, wonach das Areal gekauft werden soll. Das schafft einen legalen Rahmen und erlaubt somit auch langfristig planen zu können.
Zunächst entstand ein genossenschaftliches Wohnprojekt, weiters zum Beispiel ein Hacklab und ein Biolab. Dabei wird viel Wert auf Gemeinschaftlichkeit (kooperatives Arbeiten, Tauschhandel, Zeitbank) und auf Umweltfreundlichkeit (ressourcenschonend, viel Recycling) gelegt.
Calafou ist nicht die einzige Kolonie ihrer Art in Katalonien. Mit der »Cooperativa Integral Catalana« existiert sogar eine Plattform zur Vernetzung verschiedener autonomer Wohn- und Arbeitsprojekte.[2]
Ganz im Sinne der Selbstorganisation wurde auch das Backbone-Treffen gestaltet. Wenn jemand einen Workshop halten wollte, konnte er/sie das einfach auf dem offenen Stundenplan hinzufügen. Küche, Bardienst und Empfang wurden ebenfalls durch freiwillige Teilnehmer_innen erledigt.
Wie bereits erwähnt lag der Hauptfokus der Arbeit der Teilnehmer_innen auf politischem Aktivismus und die Themen der Workshops waren auch hauptsächlich bestimmt vom Schutz vor Überwachung, bzw. der Wahrung der Privatsphäre der Nutzer_innen der Services sowie dem Sicherstellen der Servicekontinuität, auch wenn mal Server beschlagnahmt werden oder auf andere Weise vom Netz gehen sollten.
Rund um diese Themen gab es vier »Roundtables«, eine Art moderiertes Großplenum, mit Input von ein paar Vertreter_innen diverser Initiativen.
Bei allen Workshops und »Roundtables« gab es ein eigenes Team an Simultanübersetzer_innen, weil nicht alle Teilnehmer_innen des Englischen oder Spanischen mächtig waren (und warum sollen auch alle englisch sprechen, wenn sie doch in der eigenen Sprache viel einfacher an einer Diskussion teilnehmen können, weil der Ausdruck besser ist und die Scheu geringer ist). Die technische Realisierung dieser Simultanübersetzung war faszinierend einfach. Ein kleiner FM-Radiosender strahlte die Übersetzungen aus und mit kleinen Radios, die das Übersetzer_innenteam in großer Menge mitgebracht hatte, konnten über Kopfhörer die Übersetzungen empfangen werden. Auf Tafeln in den Workshop-Räumen war die jeweils der Sprache zugehörige Frequenz angebracht, auf die eingestellt werden musste. Das ermöglichte es, die Diskussion sprachbarrierenfrei zu gestalten.
Die Titel bzw. Themen der »Roundtables« waren »resilient hosting«, »decentralised architectures«, »project sustainability« und »usable cryptography«. Die Diskussionsrunden zu »resilient hosting« und »decentralised architectures« drehten sich hauptsächlich darum, wo und wie die technische Infrastruktur gehostet werden soll, um möglichst vor (Straf-)Verfolgung sicher zu sein. Es bietet oft einen Vorteil, die eigene Infrastruktur abseits der für einen zuständigen Rechtsprechung zu betreiben, weil der Zugriff auf die Server und die Daten durch Strafverfolgungsbehörden dadurch erschwert wird. So wurde das zum Beispiel auch bei Indymedia Österreich gemacht. Kollektive wie espiv oder Sarava nutzen eine verteilte Infrastruktur, die auf unterschiedlichen Universitäten verortet ist und bieten auch diesen ihre Services an, um damit einerseits den Schutz der Universität in Anspruch nehmen zu können und andererseits durch die Dezentralisierung die Ausfallsicher-heit zu erhöhen. Eine allgemeingültige Lösung oder ein »Patentrezept« gibt es in dieser Frage freilich nicht. Das muss jedes Projekt innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen entscheiden. Es war aber äußerst aufschlussreich, unterschiedliche Erfahrungsberichte zu sammeln.
Kryptographie bzw. Verschlüsselung spielte allgemein bei dem Treffen eine große Rolle, da diese immer noch als beste Waffe gegen das massenhafte Ausspionieren der Internetkommunikation gilt. Im Speziellen wurde dies beim »usable cryptography« Roundtable diskutiert. Was hilft die sicherste Verschlüsselung wenn niemand sie einsetzt? Dieser Roundtable war ein klarer Auftrag an die Adminstrator_innen der Infrastruktur und Entwickler_innen von Kommunikationslösungen, Verschlüsselung gleich von Beginn an mitzudenken, und das möglichst benutzer_innenfreundlich zu gestalten, damit nicht nur eine kleine Elite von Computeraktivist_innen sicher kommuniziert.
Für mich eine der interessantesten Diskussionsrunden drehte sich um das Thema »project sustainability«. Dabei wurde die organisatorische Seite von unseren kleinen Internetknoten beleuchtet.
Die meisten Kollektive betreiben ihre Infrastruktur ehrenamtlich so wie zum Beispiel Riseup, Espiv, Guifi.net oder Sarava. Andererseits gab es aber auch ein paar (semi-)kommerzielle Projekte wie zum Beispiel Antenna aus den Niederlanden. Somit ergeben sich unterschiedliche Problemlagen. Vor allem Projekte, die ehrenamtlich arbeiten (oder nur sehr wenig für die geleistete Arbeit zahlen können) tun sich immer wieder schwer damit, motivierte und fachkundige Aktivist_innen zu finden, die die Systeme am Laufen halten und weiter ausbauen. Dazu ist eine ganze Menge Fachwissen vonnöten, das die meisten, die darüber verfügen, lieber teuer am freien Markt verkaufen als ehrenamtlich zu arbeiten. Weiters spielt auch gerade bei politischen Aktivist_innen das Vertrauen eine große Rolle. So will keine_r die sensiblen Daten und die Kontrolle über die Kommunikation einem Menschen überlassen, dessen Integrität fragwürdig ist.
So kommt es, dass bei vielen Projekten, die schon länger als 10 Jahre laufen, immer noch einige der Gründungsmitglieder aktiv sind und das obwohl sich alle einig waren, dass das Tunen von Spamfiltern, das Einspielen von Sicherheitsaktualisierungen und immer wieder auftauchende Probleme zu beheben auf die Dauer langweilige Angelegenheiten sind. Jedoch waren sich ebenfalls alle einig, dass diese, wenn auch mitunter anstrengende und langweilige Arbeit es wert ist, getan zu werden, um die Kontrolle über die eigenen Kommunikationsmittel nicht aus der Hand zu geben.
Die beiden intensiven Tage gaben interessante Einblicke in die Arbeitsweise von Projekten, deren Infrastruktur der von servus.at ähnelt. Einiges davon wird dabei auch in Zukunft in unsere Arbeitsweise einfließen. Einen kräftigen Motivationsschub, weiter an unserer eigenen Infrastruktur zu arbeiten und somit weiter selbstbestimmt im Internet agieren zu können, gab‘s obendrein.
Peter Wagenhuber