Als im spanisch-amerikanischen Krieg 1898 ein Mitarbeiter des New York Journal Kuba verlassen will, weil es dort nichts Weltbewegendes zu berichten gibt, schickt ihm sein Verleger, William Hearst, auf eine Militärintervention hoffend, um die Auflagenzahlen zu steigern, ein Telegramm: »Bitte bleiben Sie! Sorgen Sie für die Bilder. Ich sorge für den Krieg.« Hearsts Konkurrent, Joseph Pulitzer, hat ihm kräftig nachgeeifert, indem er erfundene spanische Gräueltaten an den Kubanern hat drucken lassen. Seitdem ist weder der Hunger der Öffentlichkeit nach spektakulärer Berichterstattung erloschen, noch der effekthaschende Meutenjournalismus verschwunden, dessen organisierte Desinformation regelmäßig nach Propagandaministerium schmeckt. Die Krise in der Ukraine ist die jüngste Veranschaulichung dieses Arbeitsprinzips – Gewalt einseitig zu legitmieren. Nicht grundlos sagt man im Volk: »Gelogen wie gedruckt!«
Angesichts beschleunigter Kommunikation durch das Internet ist es zwar möglich geworden, Kriege in Echtzeit mitzuverfolgen und Ausschnitte des Ganzen zu sehen: Bombardements und Gefechte im Fernsehen, Infotelegramme in sozialen Netzwerken. Diese Beschleunigung hemmt aber, über die betriebliche Zeitnot der Fließbandproduktion von Nachrichten hinaus, mehr und mehr die journalistische Erkundigung. Nicht nur strafft die zügige Monopolisierung der Verlagshäuser, bekannt als mangelnde Pressefusionskontrolle, die Arbeit in Richtung meinungsbildender Gleichschaltung. Gleichzeitig steigt der Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes und der PR-Firmen auf die Lenkung und Aussiebung der gesehensten Nachichten, nicht zuletzt wegen des embedded journalism. Dazu gehört z. B. das CFLCC ground rules agreement, das Haftungsfreistellung und Klageverzicht, Lokationsvorauswahl, Zugangsverweigerung und direkte Zensur durch die Streitkräfte ermöglicht. Zudem lancieren immer öfter Geheimdienste und Militärs bewusst Falschmeldungen, die ohne Überprüfung und Beweise von den großen Medien fraglos übernommen werden. Unantastbar dank ihrer Größe, lügen sie, ohne rechtliche Folgen fürchten zu müssen. Siehe: inexistente Massenvernichtungswaffen im Irak.
So beträgt, wie Jörg Becker zur Illustrierung der Monopolisierungstendenz bekannt gibt[1], Mitte der Neunziger Jahre die Zahl der vom US-Nachrichtenhaus AP verbreiteten Wörter 20.000.000 pro Tag und ihr Umsatz 328 Mio. $ und im Vergleich dazu die Zahl der von der DPA täglich verbreiteten Wörter nur 400.000 und ihr Umsatz gerade 102 Mio. $. Schon damals stehen 64 % der weltweit 3,4 Mio. Hosts in Nordamerika und bloß 0,5 % in Lateinamerika, 0,6 % in Afrika. Auf diese Weise bereits wird eine Homogenisierung der Inhalte bewerkstelligt. Die dem zugrunde liegende, kartellartige Medienkonzentration beinhaltet auf globaler Ebene Firmenkonglomerate wie Viacom, CBS Corporation, Time Warner, 21st Century Fox, Comcast Corporation, Hearst Corporation und News Corp – allesamt amerikanisch – sowie Vivendi, Lagardère, Sony, Bertelsmann, Grupo Televisa und andere, die die Medienvielfalt bedrohen. Deren Kapitalstreuung, die Undurchsichtigkeit ihrer vielfältigen Besitzverhältnisse sowie die Rolle des Internets ermöglichen kaum noch eine fundierte, unabhängige Überprüfung des Ursprungs und Quellenwerts von Nachrichten.
Was nun die zwielichtige Tätigkeit der PR-Agenturen betrifft, sollten hier einige exemplarisch genannt werden: die Rendon Group, deren Motto »Information als Element der Macht« Bände spricht über ihre in Auftrag gegebene Imagepolitur für das Pentagon; außerdem die Ruder Finn, deren propagandistische Bravour am Balkan ab 1991 und deren Beteiligung am Putsch auf den Malediven 2012 Berühmtheit erlangt hat; und schließlich die Hill & Knowlton, deren im UN-Sicherheitsrat fabrizierte Brutkastengeschichte über kuwaitische Krankenhausmorde an 312 Neugeborenen die Weltöffentlichkeit gegen den Irak mobilisert hat. Eine Krankenschwester spielend, hat die Tochter des kuwaitischen Botschafters offenbar eine Shakespeare‘sche Meisterleistung hingelegt, denn – niemand hat den geschmacklosen Gag je in Zweifel gezogen.
Die PR-Agenturen und internationalen Pressekonglomerate werben privat und mit ungeheuren Kapitalmengen um eindeutig machtpolitische Ziele, die man anschließend mit Gewalt und jenseits relevanter Kritik durchsetzt. Erleichtert wird die kriegstreibende Note ihrer Medienarbeit, wie gesagt, zum Teil durch die Einbettung der Journalisten in militärische Strukturen. Das heißt, dass Redaktionen nicht nur die Berichterstatter immer seltener an den Schauplatz schicken – und wenn überhaupt, dann mit einem klaren Redaktionsziel und einer Art vorgefassten Hearst‘schen Auftrag. Sondern sie berichten immer öfter in Begleitung der Kampftruppen von den jeweiligen Ereignissen, was mitnichten unabhängig sein kann, denn die nordatlantische Kommandantur nimmt sich ja das Recht heraus, gesammeltes Material notfalls auch zu zensieren. Die selektive Auswahl der Themenschwer-punkte und Informationen ergibt sich daraus wohl zwingend.
Mit all diesen postmodernen, elektronisierten, neoliberalen Wandlungen einher geht der gleitende Übergang des Journalismus von der Friedensarbeit einer Kriegskritik zum Cheerleading für eine neue Eskalationspolitik. Die heuchlerische Rede von einer Suche nach diplomatischen Lösungen, die bald ausgeschöpft sein würden, hat längst den Status einer medialen Einschwörung der öffentlichen Meinung auf den nächsten Militärschlag erhalten. Die Nachrichten sind ohne Menschen wie John Reed, demzufolge Krieg kurzum Profit heißt, zur Burleske einer quasi-sentimentalen Hetzrede verkommen. Karl Kraus drückt es so aus: »Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt? Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie‘s lesen.«[2] Man redet also von Frieden oder Verteidigung und meint den angeblich gerechten Krieg, der in Form humanitärer Bomben mit Kollateralschäden jeden historischen Zynismus zu übertrumpfen gewusst hat.
Mal gehen nämlich Staatsräson und territoriale Integrität, mal das separatistische oder putschistische Anliegen einer Minderheit vor, freilich je nach Kapitalinteressen, willkürlich, selektiv. Der häufige und nie mehr abebbende Vorwurf der Doppelmoral der Qualitätsmedien nährt sich vom unrühmlichen Umstand, dass man dieselben Akteure in diversen Regionen hier als Aufständische und Freiheitskämpfer und da als Gewaltmenschen und Terroristen bezeichnet. Jedenfalls steigt der Gewaltbezug, sowohl in der Berichterstattung wie in den Zuschauerköpfen. Medial ölt man eine Haltung, die früher oder später in Flammen aufgehen mag. Sprich, ein solcher Journalismus der global agierenden, privaten Firmen trägt eine Verantwortung für die laufende Eskalation in der Welt. Auch er ist Teil dieser Gesellschaft des Konsums und Spektakels, zu welchem sogar der Krieg geworden ist. Dabei werden Hintergrundkenntnisse über den Zusammenhang von Sicherheits- und Rüstungspolitik einerseits und von Militärintervention und failed state andererseits in den wichtigsten Medien ausgeklammert. Und doch weiß man, wo die weltumsorgte westliche Soldateska Position bezieht und was letztlich aus den betroffenen Staaten meistens geworden ist: ein infrastrukturelles Trümmerfeld, ein soziales Pulverfass und ein Fundamentalistenreservoir als Endresultat militärischer Demokratisierungen. Libyen, ehemals ein funktioneller, wohlhabender afrikanischer Staat, ist jetzt im Bürgerkriegszustand und Irak teilweise schon ein rechtsextremes Kalifat.
Dass die Medien stets nur im Nachhinein eine bestimmte Machtpolitik im Sinne Martin Wights zu verorten imstande sind, ihr aber immer wieder von Neuem willig die Dienste anbieten, macht sie zu Recht verdächtig! Die Kapitalinteressen decken sich geradezu notorisch mit geostrategischen Zielsetzungen und den hierfür aufbereiteten Hetznachrichten. »Wir können die Herrschenden nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie zwingen, immer unverschämter zu lügen.«, erinnert Gudrun Ensslin. Die Käuflichkeit von Journalisten zu leugnen, heutzutage, da jede Gruppierung von der Regierung über die Konzerne bis zu den Nachrichtendiensten ihre eigenen Journalistentrupps bereithält, ist nicht mehr bloß naiv, sondern bösartig. Ohnehin leiden viele an der »Schere in den Köpfen« namens Autozensur. Christiane Amanpour, die Gattin des Pressesprechers Rubin im US-Außenministerium unter Präsident Clinton, ist als einstige Chefkorrespondentin von CNN – im Besitz des Medienkonzerns Time Warner – zweifellos die unverblümteste solche Propagandajournalistin gewesen. Und auch die Verschränkung der amerikanischen Außenpolitik mit den staatlichen Wirtschaftsinteressen durch die Ernennung Hunter Bidens, des Sohns von US-Vizepräsident Joe, zum Vorstand des größten ukrainischen Erdgaserzeugers Burisma Holdings sieht sehr nach Eliteverteilung der Beute aus. Die Medien nehmen derlei mit Achselzucken zur Kenntnis, denn danach kräht kein Hahn.
Summa summarum gehört für Medienkonzerne der militärische Westen ausnahmslos zu den »guten Jungs«. Fehler im Verhalten haben bei ihm, ungeachtet ihrer Häufigkeit und des Gewichts, den Stellenwert einer leidlichen Ausnahme, eines ewigen Ausrutschers. Lügen tun, genau genommen, immer nur die Anderen! Negativmeldungen über die eigene Seite werden unterdrückt, zwielichtige Bündnisse verschwiegen und heruntergespielt oder im Fall von whistleblowern gar als Landesverrat geahndet. Gern verweist man mit Nachsicht auf die bestehende Sicherheitsdokrin »der freien Welt«. Siehe: Snowden, Assange, Manning und Konsorten. Diese Suspension des Ethischen ist zum Normalfall geworden, in erster Linie durch die Destruktion des Logischen. Die Berichterstattung mutiert zur Nachrichtenlenkung. Kraft quasi-hypnotischer Wiederholung in den Tagesnachrichten wird dieses Manko kompensiert und die heimische Bevölkerung auf Clausewitz‘schen Kriegskurs gebracht. Indessen hat schon 1914 Senator Hiram Johnson ein Diktum geboten, das seine Gültigkeit nicht zu verlieren scheint – dass die Wahrheit das erste Opfer des Krieges sei!
Meistens bedient man sich, so billig und durchschaubar es auch wirkt, ein und derselben massenmedialen Methoden, die da wären: das Agenda-Setting durch Hervorhebung bestimmter Themen (»Frauenrechte in Afghanistan«); die Bilddominanz gegenüber dem Text (»weinende Kinder«); das Framing der Prozesse in einem eigens konstruierten Kontext (»nach Titos Tod«); hochtechnologische Scheinevidenzen (»Satellitenaufnahmen«); visuelle Stigmatisierung (mürrisches Politkergesicht samt Überschrift: »der Schlächter«); pejorative Metaphorik (»krebsartige Ausbreitung«, »Virus«), Euphemismen (»Luftschläge«, »humanitär«) und Schlagwortgebrauch (»Freiheit«, »Demokratie«); suggestive Programmatik einer Universalisierung der herrschenden Klasse und Kapitalinteressen (»die Wirtschaft«); die Polarisierung (alte Feindbilder wie »der Russe«); die Dehumanisierung des Gegners als Delegitimierung (Vergleich mit »Hitler« und den »Nazis«); der gesinnungsethische oder journalism of attachment (»die armen Opfer« und ihre Lebensgeschichte); der Bündnispatriotismus (»jetzt zusammen halten«, »Einigkeit zeigen«); politische Sakralisierung (»unsere Mission ist heilig«); usw. usf.
Man mag dazu stehen, wie man will, aber Frieden kommt so keiner zustande! Wenn es dann plötzlich überall auf dem Globus kracht, wird klar sein, dass die Medien nicht, wie Fukuyama frömmelt, eine Stütze der Demokratie sind und auch keine publikative Vierte Gewalt, sondern aktive Mittäter in der postmodernen Demagogie der Macht. Die Krise des Journalismus ist demnach ein Kataklisma seiner Kritikfunktion, das sein Metier mit der Kriegsreportage zur Vollendung gebracht hat. – Information ist zu wertvoll, um sie den Kapitalisten zu überlassen...