Fehler sind zweifellos der wichtigste Faktor des Erkenntnisfort-schritts: Sie manifestieren sich in der Nichtübereinstimmung von Vorstellung und Realität und die Untersuchung dieser Differenz ermöglicht die Auseinandersetzung über deren Gründe. Man kann sie also als etwas verstehen, das sich nicht nur nicht vermeiden lässt, sondern darüber hinaus zur Quelle von Wissen wird, wenn das Denken sie zum Gegenstand macht. Man kann sie aber auch – wie die aktuelle Ausgabe des Ars Electronica – zur »Art of Imperfection«* verhimmeln und eine »Fehlerkultur« zur »Zukunftskompetenz« erklären. Da es den Menschen selbst nicht gelingt, die Welt vernünftig einzurichten, soll das »Unvollkommene« als mysteriöse Wunschmaschine »Potential für neue Lösungen« bieten. Vielleicht geht es aber auch ganz banal darum, Fehler möglichst rentabel in den Verwertungskreislauf einzuspeisen – schließlich ernten im Sprichwort ja auch die dümmsten Bauern die dicksten Kartoffeln und Psychopathologien sind kein Hindernis, in Silicon Valley zu reüssieren. Just go with the faux.
Vielleicht sorgen ja die absehbaren Wechselwirkungen von Klimaveränderungen und digitaler Infrastruktur, die Svenna Triebler in ihrem Beitrag beschreibt für ganz neue Synergien zwischen Techno- und Biosphäre. Die von Erwin Riess thematisierte Tendenz zur Privatisierung der Krankenversorgung lässt sich einerseits skandalisieren, andererseits aber auch als praktische Kritik am »Wunsch nach Optimierung, Effizienz- und Produktivitätssteigerung« in sozialen Sicherungssystemen begreifen. Sich nicht dem »Perfektionswahn« begrifflicher Trennschärfe zu unterwerfen, eröffnet die »Chance«, darüber zu rätseln, wann »ein Irrtum ein Versehen und wann absichtliche Täuschung« ist: Die Erfahrungen, die Thomas Rammerstorfer mit der Zeitschrift Wochenblick gemacht hat, könnten also Resultat einer rechten Hetzkampagne, oder eines redaktionellen Oopsie sein. Nichts Genaues weiß man nicht.
Nutzen die USA in ihrer Handelspolitik gerade ihren »Spielraum für Unerwartetes«, um mit »besseren neuen Ideen, andere Wege einzuschlagen«, oder folgen sie – wie Gerhard Scheit feststellt – lediglich den Usancen der Hegemonieherstellung?
Sind die Vorstellungen über postheroische Gesellschaften, die Paulette Genlser analysiert, tatsächlich ideologische Ritterspiele oder können sie auch »treibende Kraft der Gestaltung unserer Zukunft« sein, weil Drohnen schließlich »Swarms of the Future« (https://www.spaxels.at/) sind?
Fast der gesamte zweite Teil der Versorgerin ist STWST48x4 SLEEP gewidmet. Die 48-Stunden-Nonstop-Showcase-Extravaganza zeigt parallel und in Kooperation mit der Ars Electronica Kunstprojekte kritischer ProduzentInnen zum Themenkomplex »Kunst als Schlaf«, oder auch: Schlaf als anderer Bewusstseinszustand – inmitten eines bedenklichen Verständnisses von Rationalität und Irrationalität. Im Wesentlichen gilt es, sich hier selbst zwischen SLEEP48 und dem restlichen coolen Scheiß der STWST-New-Art-Contexts zu orientieren. Hingewiesen werden soll aber speziell auf Matthew Fuller, der mit seinem Buch »How to Sleep« eines der Fundamente für die STWST-Veranstaltung legte und der in Linz zu Gast sein wird, und auf die »Sonatas of Sleep/LESS«, die von Shu Lea Cheang kuratiert wurden. Die gesamte schreibende SchlafexpertInnenschaft dieser Versorgerin ist auch an diversen Projekten beteiligt, wir freuen uns – in diesem Zusammenhang – außerdem über die Beteiligung des Schlaflabors des Keplerklinikums, namentlich über den Schlafmediziner Andreas Kaindlstorfer. An dieser Stelle zudem kurze Hinweise auf Franz Xavers Infolab, auf die Mycelium Network Society der Stadtwerkstatt, die heuer auf der Biennale in Taipeh zu Gast sein wird, und auf Quasikunst von Tanja Brandmayr. Sie spannt in Previous Layers außerdem einen Bogen von ihrem diesjährigen Wind-Projekt zu einem früherem STWST-Großprojekt, dem Wettergebäude. Vom Gesprächspartner Thomas Lehner stammt auch das Cover dieser Versorgerin. Und als ob das nicht genug wäre, findet sich im zweiten Teil der Versorgerin noch ein Hinweis auf noch ein Zwei-Tages-Kunst-Festival der Stadtwerkstatt – nämlich auf Treffpunkt Afrika, das Sandra Krampelhuber heuer unter dem Motto »African Futurisms« gestaltet hat. Im Übrigen ist der zweite Teil der Versorgerin zur Gänze in Englisch gehalten – die deutschen Übersetzungen finden sich größtenteils auf der Versorgerinnen-Homepage, oder auf stwst48x4.stwst.at.
Ein herzliches ignoramus et ignorabimus bei der Lektüre wünscht
Die Redaktion
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