„Der Optimist: Ja, was wäre dann nach Ihrer Ansicht der Heldentod? Der Nörgler: Ein unglücklicher Zufall.“ (Karl Kraus)
Vor einiger Zeit ließ AfD-Chef Alexander Gauland im Interview mit der FAZ verlauten:
„Wenn ich sage, die Sicherheit Israels gehört zur Staatsräson, muss ich bereit sein, da im Ernstfall deutsche Soldaten hinzuschicken. Ich habe meine Probleme damit, mir vorzustellen, dass diese deutsche Gesellschaft wirklich weiß, was das bedeutet. Nämlich dass deutsche Soldaten an der Seite von israelischen Soldaten kämpfen und sterben müssten. […] Ich finde es nur etwas einfach, das immer wieder zu sagen, solange es nicht getestet wird. Aber wenn es getestet wird, dann muss es etwas bedeuten. Sonst ist es eine Phrase. Und für Phrasen in der Politik bin ich nicht so besonders. […] Ob ich das persönlich richtig finde, weiß ich nicht, aber ich habe große Bedenken, dass das in einer postheroischen Gesellschaft wie der unseren, für die selbst die – Entschuldigung – vergleichsweise harmlosen Afghanistan-Einsätze oft schon zu viel sind, wirklich funktioniert. […] Aber wenn tatsächlich die Gefahr besteht, dass Israel von der Landkarte verschwindet und die Juden – jetzt sage ich mal was ganz hartes – ins Meer getrieben werden, dann müssen wir in der Tat an der Seite Israels stehen.“
In seiner Rede im Bundestag zum Geburtstag Israels hieß es dann: „Deutschland ist nach zwei Weltkriegen ein postheroisches, in gesicherten Grenzen lebendes Land. Israel aber muss jeden Tag neu um seine Existenz und Anerkennung in einer feindlichen Umwelt ringen.“ Die Kritik an dieser Rede bzw. dem daraus entnommenen Sätzen bezog sich insbesondere auf den Zusammenhang jener Aussagen zu denen seiner Rede beim Kyffhäuser-Treffen, in der er mal wieder eine Neubewertung der Wehrmacht bzw. eine Wiederaufnahme der alten Bewertung forderte. Wenig überraschend beschwerte man sich natürlich auch in der Jungle World,1 wo der betreffende Autor sich nicht zu dumm war, sich für seine Gauland-Kritik affirmativ auf die Grüne Katrin Göring-Eckardt zu beziehen, die in ihrer eigenen Rede am selben Tag Gauland als „Wolf im Schafspelz“ bezeichnete, selbst aber – belohnt durch „Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN“ - „die Brutalität der Besatzung“ bemängelte und es für selbstverständlich hielt, „dass wir auch über Schwierigkeiten und Spannungen in diesen Beziehungen aktuell und heute reden, dass wir sie aussprechen, wenn wir die unterschiedlichen Einschätzungen zum Nuklearabkommen mit dem Iran, die Siedlungspolitik und die Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts anschauen.“2
Gauland wurde im Nachgang gegenüber der dpa noch etwas konkreter bezüglich seiner Kyffhäuser-Rede: „Ich bestreite überhaupt nicht, dass die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg in Verbrechen verwickelt war, aber ich habe Namen genannt, Rommel und Stauffenberg, und ich habe ganz deutlich gesagt, dass Millionen deutscher Soldaten tapfer waren und nicht in Verbrechen verwickelt waren.“3
Natürlich ist gegen solche Auslassungen immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Millionen Soldaten, selbst wenn sie nicht selbst Juden erschossen, die Ermordung erst ermöglichten und garantierten; dass nur der Erfolg der Roten Armee die endgültige Entfaltung des Mordens hatte verhindern können, und dass man, wenn man Stauffenbergs Umsturzversuch als „tapfer“ beschreibt, auf die Idee kommen müsste, dass Millionen deutscher Soldaten nicht einmal in diesem Moment gegen den Nationalsozialismus aufbegehrten. Kritik aber, die sich nur darauf bezieht, macht sich selbst dumm, indem sie das „Israel aber …“ stillschweigend akzeptiert, mit dem Gauland Israel als „heroische Gesellschaft“ imaginiert; sie akzeptiert den Terminus der „heroischen Gesellschaft“, solange er bloß nicht auf die Wehrmacht bezogen wird.; denn andernfalls könnte es passieren, dass man als Antideutscher den Alliierten des Westen und der Rote Armee das „Heroische“ absprechen müsste sowie letztlich auch der IDF. Gauland bezog sich, das werden die Wenigsten müde zu betonen, auf Herfried Münkler, der den Begriff der „heroischen“ sowie „postheroischen Gesellschaft“ prägte.
Ideologische Ritterspiele
Bei Münkler selbst ist der Begriff der heroischen Gesellschaft ein ambivalenter.4 Diese Ambivalenz jedoch entsteht eher aus Münklers eigenen Verwirrungen – und ist darüber hinaus keine, die nicht einen gehörigen Drall ins Reaktionäre aufweisen würde. Vermutlich ist Münkler selbst vollkommen davon überzeugt, eine rein wertfreie Darstellung abzuliefern, was mit sich bringt, dass man nie/selten so recht weiß, ob Münkler das, was er beschreibt, gerade kritisiert oder glorifiziert. Der einfachste Einwand gegen Münklers These von der „heroischen Gesellschaft“ wäre schlichtweg jener, dass wir nicht mehr in der Vormoderne leben. Schon die „heroische Gesellschaft“ ist ein Oxymoron, wie die „postheroische Gesellschaft“ ein Pleonasmus; denn Heroen sind Individuen. Den tatsächlichen Wandel von den Heroen zu einer postheroischen Gesellschaft beschrieb kein anderer als Cervantes 1615 als explizite Reflexion im 38. Kapitel des Don Quijote mit der Rede über Wissenschaft und Waffen:
„Gesegnet sei jenes glückliche Zeitalter, das die gräßliche Wut jener satanischen Werkzeuge der Geschützkunst noch nicht kannte! Ihrem Erfinder, dessen bin ich überzeugt, wird jetzt in der Hölle der Lohn seiner teuflischen Erfindung, mittels deren ein ehrloser feiger Arm einem mannhaften Ritter das Leben rauben kann […] Und wenn ich also dieses bedenke, so möchte ich beinahe sagen, es tut mir in der Seele weh, diesen Beruf eines fahrenden Ritters ergriffen zu haben in einem so greulichen Zeitalter wie diesem, in dem wir jetzo leben. Denn obschon bei mir keine Gefahr Furcht erweckt, so erweckt es mir immerhin ein Grausen, zu denken, daß vielleicht Pulver und Blei mir die Möglichkeit rauben sollen, durch die Tapferkeit meines Arms und meines Schwertes Schärfe mich in sämtlichen bis jetzt entdeckten Teilen des Erdenrunds berühmt und allbekannt zu machen.“
Darauf kommt auch Münkler an einer der wenigen Stellen, in der er es vermag, den Begriff der „heroischen Gesellschaft“ ins Kritische zu wenden: „In der Kritik an den Drohnen äußert sich die Ethik einer vorbürgerlichen Gesellschaft mit heroisch nostalgischen Idealen.“ (S. 203) Dabei würde „das traditionelle Ethos des Kämpfertums aufgerufen, das der Welt aristokratischen Rittertums angehörte […]. Schießpulver und Feuergewehr hatten dieses Ethos eigentlich bereits aufgelöst.“ (S. 202) Auch er kam hier kurz auf den Gedanken, dass Feuerwaffen und Heroismus (mit m.E. einer Ausnahme5) in einem unversöhnlichen Gegensatz stehen. Alle Fernwaffen scheinen ferner die Tendenz in sich zu tragen, den Heroismus zu entwerten. Schon der englische Langbogen galt den französischen Rittern als „unritterlich“. Die diesen Heroismus schon überwunden habenden Engländer hielt dies jedoch nicht davon ab, bei Crécy (1346) und Azincourt (1415) jeweils ein deutlich überlegenes Herr und fast den gesamten Adel Frankreichs mit ihrem Pfeilhagel abzuschlachten. Der Vorwurf der Unritterlichkeit verweist auf ideologische und moralische Schranken der Waffenentwicklung. Die Geschichte jedoch zeigt, wie schnell jene durch die Entwicklung letztlich eingerissen werden, wenn die materiellen Innovationen einer neuen Klasse zum Aufstieg verhelfen und sie dazu anstoßen. Oftmals waren historisch die Waffen das Scharnier zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen; sei es die Verreiterung und der damit zusammenhängende Feudalismus oder aber die Feuerwaffen und der Aufstieg des Bürgertums.
Fernwaffen, und dabei vor allem Bögen und Armbrüste mehr als Wurfspeere, vertragen sich mit dem Heroischen nur sehr bedingt. Auch in der Ilias ist Paris, der Bogenschütze, ein recht unheroischer Charakter. Der Einsatz von Bögen und Armbrüsten unter Christen wurde schließlich gar auf dem Zweiten Laterankonzil, 1139, hochklerikal geächtet. Die letzte echte Ritterschlacht fand 1322 statt.6 Schon gegen die Langbögen wurden die Rüstungen der Ritter immer dicker, aber gegen die insbesondere in der Frühen Neuzeit aufkommenden Feuerwaffen, wie Arkebuse und Musketen, war diese Steigerung nicht mehr möglich. Davon waren auch oder vor allem andere Fußtruppen, wie die Pikeniere betroffen. Das Verhältnis der Nahkämpfer verschiedenster Gattung verschob sich im Zuge des Dreißigjährigen Krieges immer mehr und deutlicher zugunsten der Musketenschützen. Um 1700 verschwanden die letzten Pikeniere aus den europäischen Armeen.7
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Es gibt keine Helden ohne Heldenepik, meint auch Münkler (S. 170ff), weshalb hier ein kleiner Ausflug in Hegels Ästhetik gestattet sei. Für Hegel waren es vor allem die griechischen Heroen, welche sich durch „individuelle Selbstständigkeit“ auszeichnen. Für ihre Taten sind sie angewiesen auf Zustände, „in welchen das Gelten des Sittlichen allein auf den Individuen beruhe“, also auf vorstaatliche und -gesetzliche Zustände. Ritter hingegen sind zwar deren Entsprechung in der romantischen Kunstform, und werden in ihren Taten gleitet durch „subjektive Ehre, Liebe und Treue“. Sie sind jedoch schon eine Schrumpfformen ihrer klassischen Entsprechungen, da beispielsweise die Treue nicht mehr zwischen mehr oder weniger Gleichen (in Form der Freundschaft von Achilles und Patroklos),8 sondern als Dienst- und Lehenverhältnis, als Vasallentreue, auftritt. Sie teilen sich mit den griechischen Heroen allgemein betrachtet zwar die Tapferkeit, welche aber „von der Ehre, der Ritterlichkeit“ ausgehe und letztlich „phantastisch“ sei. Hegel spricht aber auch ihnen und dem Lehnverhältnis zu einen „Boden für freie Heldenschaft und auf sich beruhende Individualitäten“ – gesteht Hegel die Existenz einer „mittelaltrigen Heroenzeit“ ein.
Diese Darstellung soll nicht den Eindruck erwecken, es hätte – für Hegel oder im Allgemeinen – ein heroisches Zeitalter von den alten griechischen Heroen bis zum Ritter gegeben, sondern die griechische Phalanx, die römischen Legionen etc. sind selbst Unterbrechungen – egal wie ideologischen sie verdeckt oder verschoben wurden: man denke an die Triumphzüge des Feldherren in Rom, die schon eine Personalisierung des Sieges darstellte. Vielmehr sind es gerade die Bruchphasen zwischen einigermaßen vergesellschafteten Epochen, die Momente des Heroischen bereithielten. Auch Hegel verweist darauf, dass der „Götz“ von Goethe und Shakespeares Dramen in solchen angesiedelt sind. Klipp und klar aber hat Hegel betont, dass die „gegenwärtige[n] prosaische[n] Zustände“ in keiner Weise ein ernsthaftes Verwirklichungspotential für Möchtegernhelden bereithielte: „Wenn nun auch die moderne Persönlichkeit in ihrem Gemüt und Charakter sich als Subjekt unendlich ist und in ihrem Tun und Leiden Recht, Gesetz, Sittlichkeit usw. erscheint, so ist doch das Dasein des Rechts in diesem Einzelnen ebenso beschränkt wie der Einzelne selbst und nicht wie in dem eigentlichen Heroenzustande das Dasein des Rechts, der Sitte, Gesetzlichkeit überhaupt. Der Einzelne ist jetzt nicht mehr der Träger und die ausschließliche Wirklichkeit dieser Mächte wie im Heroentum.“
Anzumerken ist, dass Hegel für die Bestimmung des Heroischen die Bedeutung des Zweikampfes etwas stark ausblendet, wiewohl er sich mit Betrachtung des „Kampfes auf Leben und Tod“ aus der Phänomenologie aufdrängt.9 Nicht ohne Grund waren die ideologisch zu Helden erhöhten Soldaten des Zweiten (und in Teilen schon des Ersten) Weltkriegs vor allem Scharfschützen und Piloten. Die einen schossen auf konkrete Personen und lieferten sich teils mit feindlichen Scharfschützen Duelle über weite Entfernungen, die anderen konnten sich aufgrund des Zweikampf-Charakters ihrer Tätigkeit als „Ritter der Lüfte“ imaginieren (lassen). Solche ideologische Erhöhung Einzelner gelang aber nur noch durch einen Fokus auf verhältnismäßig randständige Bereiche, der in zahlreichen anderen Teilen der Armeen nicht gerade auf Zustimmung stieß. So entstand in der Royal Air Force der Spruch: „Fighter pilots make movies, bomber pilots make history.“ Im selben Moment erhielten im Ersten und Zweiten Weltkrieg sogar Tiere, wie die Brieftauben Cher Ami und G.I. Joe oder der bis in den Rang eines Sergeants erhobene Hund Stubby bzw. der Bär Wojtek, Heldenauszeichnungen, was auf den geringen Grad des Individuell-Menschlichen verweisen sollte.10
Das Ding mit Münkler ist, dass weite Teile seines Werkes dieser einfachen und richtigen Erkenntnis, welche ihm bezüglich der Ritter und Drohnen kurz kam, explizit widersprechen. Im selben Moment nämlich – und zwar sehr viel öfter und dominanter – vollzieht sich für Münkler der Übergang von der heroischen zur postheroischen Gesellschaft in den meisten europäischen Ländern im Zuge des Ersten Weltkrieges; begonnen habe die heroische Ära hingegen mal im 17.; dann wieder Anfang des 19. Jahrhunderts. Nun ist es aber auch an Münkler nicht vorbeigegangen, dass zu jenen Zeiten keine Einzelkämpfe mehr gefochten wurden; oder in Münklers Worten: da es zu einer „Abstraktifizierung der Regelstruktur“ (S. 155) gekommen sei, muss auch die Tapferkeit diesen Prozess der „Abstraktifizierung“ mitgemacht haben, und diese Abstraktion als „eigentliche“ Tapferkeit ausgegeben werden, will man sie als konkrete Tugend weiter behaupten. Münkler bezieht sich hierbei auf Hegel, und zwar auf jenen Passus, auf den Joachim Bruhn vor vielen Jahren unter dem Titel „Subjektform ist Uniform“ verwies, um zu betonen, das Marx die negativen Vermittlung von Bourgeois und Citoyen im Soldaten nicht in seine Überlegungen mit einbezogen habe. Es handelt sich um §§ 321–329 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, oder „Die Souveränität gegen außen“.
In diesem Sinne wäre auch die von Joachim Bruhn in seinem über weite Strecken sehr treffenden Text „Subjektform ist Uniform“ aufgestellte These, nach der Marx´ Behauptung, „Hegel sei an der Vermittlung von Bourgeois und Citoyen gescheitert“, nicht treffend sei, selbst als ungenügend oder zumindest kontinentale oder preußische Sicht auszuweisen. So schrieb Bruhn zu Recht, für Hegel sei die Vermittlung zwischen beidem im Soldaten gegeben. So sehr es auch stimmt, dass „die Marxsche Kritik systematisch unterm Niveau der hegelschen Rechtsphilosophie“ liegt, blieb Bruhns Kritik tendenziell ebenfalls unter dem Materialismus, was er Marx selbst vorwarf. Der hegelsche „Stand der Tapferkeit“ meint den (Berufs-)Soldaten der stehenden Heere,11 der eben seine Waffe nicht selbst besitzt, sondern nur die Tugend der Tapferkeit, welche laut Hegel, „die höchste Abstraktion der Freiheit von allen besonderen Zwecken, Besitzen, Genuß und Leben“ sei.12 Hegel beschreibt aber schon einen Soldaten, der sowieso „frei“ von jenen besonderen Zwecken ist – der kein Leben hat, das es verdient, so genannt zu werden, nichts zu genießen hat, und der erst recht nichts besitzt. Das heißt, es handelt sich um die negative Vermittlung von Proletarier oder Pauper und Citoyen. Doch wäre es fatal zu denken, dass solche negative Vermittlung das in ihr Vermittelte unberührt gelassen hätte. Woyzeck ist die prototypische Fortführung dessen. Solcher Charakter ist frei, seine Arbeitskraft an den Staat zu verkaufen, wodurch er sich und sein Leben in diesem recht speziellen und deshalb so dermaßen ideologisch überhöhten Fall potenziell bzw. tendenziell gleich mit verkauft. Auch im Bereich der Tapferkeit geht Hegel „von der Voraussetzung des pseudoallgemeinen, des illusorisch-allgemeinen Standes, der besonderen ständigen Allgemeinheit aus.“ (Marx) Hegels Vorstellung des Patriotismus hingegen meint wirklich Bourgeois und Citoyen, also die Klasse der Bürger/Kapitalisten (und die Mittelklasse). Die Solidarität der verfeindeten und sich bekriegender Klassen der Oberschicht miteinander zeigt sich noch darin, dass Kriegsregeln besagten, dass das gezielte Schießen auf Offiziere streng verpönt war, was natürlich nicht heißt, dass sich regelmäßig daran gehalten wurde.13
Laut Münkler „hatte Hegel den Fortschritt der Waffentechnik als Movens für den Fortschritt der Moral beziehungsweise Ethik angesehen.“ (S. 190) Das aber ist kompletter Humbug. Für den geistesfetischistischen Hegel ist die Feuerwaffe nicht der materielle Grund dessen, was er beschreibt, sondern selbst Produkt der Abstraktion und der Souveränität des Staates, in der die Tapferkeit einfach zu sich gelänge: „Jenes Prinzip hat darum das Feuergewehr erfunden, und nicht eine zufällige Erfindung dieser Waffe hat die bloß persönliche Gestalt der Tapferkeit in die abstrakte verwandelt“, schrieb Hegel an selber Stelle.14 Gerade hier wäre Hegel auf die Füße zu stellen, was natürlich nicht heißt, dass einfach das Gegenteil richtig wäre; dass es also monokausal dem Schießpulver und den Feuerwaffen zugeschrieben werden könnte. Denn auch das Schwarzpulver war seit hunderten von Jahren in der Welt, bis es über Europa seinen Siegeszug in der Welt begann.15 Zu Münklers Freude waren „Hegel zufolge […] Feuergewehr und Schießpulver keine Zerstörer der Tapferkeit, wie die adligen Ritter bei deren Aufkommen behauptet hatten […]. Für Hegel ist […] die Tapferkeit durch den technischen Fortschritt nicht abhandengekommen, sondern verallgemeinert und auf eine höhere Stufe gehoben.“ (S. 189) Die Feuerwaffen wirkten als „politische Gleichmacher“ schreibt Münkler, ohne einen Gedanken an den Gleichmacher sans phrase, nämlich den Wert, zu verschwenden.
Die abstrakte Tapferkeit bestehe nach Hegel aus den höchsten Gegensätzen: „gänzlichen Gehorsam und Abtun des eigenen Meinens und Räsonierens, so Abwesenheit des eigenen Geistes und intensivste und umfassende augenblickliche Gegenwart des Geistes und Entschlossenheit, – das feindseligste und dabei persönlichste Handeln gegen Individuen bei vollkommen gleichgültiger, ja guter Gesinnung gegen sie als Individuen.“ Dabei ließe sich leicht zeigen, dass die Soldaten in der Regel mit Gewalt und wahrlich nicht nur stummem Zwang in jenen „Stand der Tapferkeit“ oder in die „höhere Tapferkeit“ gebracht und gehalten wurden; so dass die Hauptaufgabe der Offiziere und vor allem der Unteroffiziere zu Hegels Zeiten neben der Kommandogabe darin bestand, Deserteure zu erschießen, denen das Wegrennen durch die gedrängten Linien der Schützenkompanien ohnehin erschwert wurde. Bruhn schrieb: „Die Subjektform ist die Uniform, Rechtsform ist Mordauftrag“, dabei hatte er doch selbst auf die enorme Bedeutung der „Aufopferung“, des “Hingeben(s) der persönlichen Wirklichkeit” an den “absoluten Endzweck”, an die “Souveränität des Staates” (§ 328) hingewiesen. „bedingungslosen Pflicht zum Töten und zum Opfer.“ Weit eher als oder zumindest im selben Maße wie der Mordauftrag bestand die Rechtsform darin, als „Kanonenfutter“ zu dienen: „Ruhig geht der Krieger der Todesgefahr entgegen, indem er sich für das Allgemeine aufopfert“, heißt es bei Hegel, und für Münkler ist schließlich der Heroismus selbst gleichbedeutend mit Opferbereitschaft (S. 127, 131 und 169), er gründe vor allem in starken religiösen Normen und einem „Reichtum an Söhnen“ (S. 185 und 204), von denen einige verheizt werden müssten. Die Tapferkeit ist für Hegel eine oder gar die formelle Tugend, die der Bereitschaft zur Entäußerung entspricht; der Zweck ist wenig überraschend der Staat, also jenes Gebilde, das Heroentum nun wahrlich nicht fördert.16 Der Begriff der abstrakten Tapferkeit steht bewusstlos und stellvertretend dafür, dass die Tapferkeit des Soldaten mit den etwas entwickelteren Feuerwaffen in einem nie dagewesenen Maßstab von der Qualität der Waffen abhängig und somit entqualifiziert wurde – und das keineswegs erst seit dem Ersten Weltkrieg, wie Münkler schreibt: „Gleichzeitig war der Erste Weltkrieg der erste Krieg, in dem waffentechnische Innovationen, vom Gaseinsatz bis zur Entwicklung von Panzern und Kampfflugzeugen, ausschlaggebenden Einfluss auf den Verlauf des Kampfgeschehens erlangten. […] Nicht mehr der geschicktere und versiertere Umgang mit den Waffen entschied über den Ausgang des Kampfes, sondern die Fähigkeit der Ingenieure und der Industrie, mehr und vor allem bessere Waffen zu liefern, als sie der Gegenseite zur Verfügung standen.“ (S. 160) Es ist bemerkenswert, wie beharrlich Münkler sich weigert, den Ersten Weltkrieg als Ende einer Illusion, als Zäsur der Ideologien, zu betrachten, und ihn stattdessen als Ende eines reellen Heroismus ausgibt: „Durch die Entheroisierung des Kampfes wurde der erste Weltkrieg zu einer tiefen Zäsur der Kriegsgeschichte.“ (Ebd.)
Jedoch nicht der Erste Weltkrieg, sondern der Krimkrieg (1853-56) war der erste wirklich moderne Krieg, inklusive Graben- und Stellungskämpfen, und auch im US-amerikanischen Bürgerkrieg war es vor allem die höhere Qualität und Quantität der Waffen, welche den Norden triumphieren ließ. „Preußens militärischer Luther“ wurde der Erfinder des Zündnadelgewehrs, Dreyse, schon in den 1860ern genannt, jener „der Erfinder jenes tödtlichen Geschosses, das eine förmliche Revolution in der Welt und namentlich in der Bewaffnung der Armeen hervorzurufen bestimmt ist.“17 Das heißt nicht, dass Tapferkeit nicht nach wie vor eine gewisse Rolle spielte, festgehalten im Begriff der „Feuertaufe“ mit ihrer Ableitung aus dem christlichen Märtyrertum und der Überführung des erleidenden christlichen Martyriums in ein irdisches Durchgangsstadium, welches Mord- und Totschlag mit umfasste, aber es wurde zunehmend offensichtlich, dass sich die effektive Entscheidung des Krieges spätestens in den 1860ern deutlich immer mehr hin zu dem „Kanonenkönig Krupp“ beziehungsweise „den beiden Halbgöttern der militärischen Production, Krupp und Dreyse,“18 verlagerte. Die abstrakte Tapferkeit ist ideologischer Ausdruck dafür, dass das Überleben des einzelnen Soldaten, das vorher tendenziell auch an sein eigenes kriegerisches Können gebunden war, nahezu komplett dem Zufall überschrieben wird, so sehr seine Disziplin und sein Waffendrill auch für den Ausgang der Schlacht anteilig entscheidend sein mochte.19 All das beginnt spätestens mit der klassischen Lineartaktik, in der sich zwei mehrfache Schützenreihen sehr nah gegenüberstehen und, da man mit Gewehren kaum konkret treffen konnte, in möglichst schneller Abfolge aufeinander schossen. Das Moment der Tapferkeit bestand in diesem darin, im feindlichen Kugelhagel stehen- bis hockenzubleiben, da man die Gewehre nur so nachladen konnte. Das wäre das, was Hegel meinte, wenn er schrieb, dass der Soldat „seine Stärke nicht in den Arm allein setzt, sondern wesentlich in den Verstand“ gesetzt habe. Die wichtigste Fähigkeit war dabei die Feuergeschwindigkeit, denn man schoss nicht auf jemand bestimmtes, sondern auf eine feindliche Linie, umso schneller umso besser, da dabei die Wahrscheinlichkeit eines Treffers stieg. So sehr durch die Disziplinierung der Soldaten zwar die Wahrscheinlichkeit stieg, dass sie irgendeinen Feind töteten, hatten sie ihr eigenes Überleben, anders als im „heroischen“ Zweikampf, nicht mehr selbst in der Hand; der „Ausgang des Kampfes“ meint also längst nicht mehr das konkrete und vor allem individuelle Überleben in diesem Kampf.20
„Der Nörgler“, der einzige Charakter aus „Die letzten Tage der Menschheit“, der die Sprache noch ernst nimmt, und der immer in der Konstellation mit dem instrumentell-vernünftigen Optimisten auftaucht, dem Prototypen eines Münklers, hat den Zusammenhang der Täuschung über den Heroismus und der Entwicklung der Destruktivkräfte schön zum Ausdruck gebracht:
„Natürlich ist es für eine Menschheit, die es fürs Leben unerläßlich findet, einander zu töten, gleichgiltig, wie sie's besorgt, und der Massenmord praktischer. Aber ihr romantisches Bedürfnis wird von der technischen Entwicklung enttäuscht. Es sucht seine Befriedigung doch nur in der Auseinandersetzung von Mann zu Mann. Der Mut, der dem Mann mit der Waffe zuwächst, mag auch der Quantität gewachsen sein; er entartet zur Feigheit, wenn der Mann für die Quantität nicht mehr sichtbar ist. Und er wird vollends zur Erbärmlichkeit, wenn auch für den Mann die Quantität nicht mehr sichtbar ist.“
Wolfgang Pohrt hat jene Wandlung in seinem Text über Dumas´ Kameliendame auf die Zeit um 1848 bzw. Napoleons Russlandfeldzug datiert und folgendermaßen umschrieben:
„[…] die Helden starben damals viele Tode, von denen der auf dem Schlachtfeld nur einer war. Auch wenn ihnen sonst nichts fehlte, waren und wurden sie sozial kastriert. In der modernen Armee wie in der Fabrik hatten die Befehlsempfänger Unterwürfigkeit und Demut, ehedem weibliche Tugenden, einzuüben. Waghalsig auf eigene Rechnung Geschäfte machen waren ihnen sogar in Feindesland und erst recht an der Arbeitsfront strengstens untersagt. Der stolze Mann wurde Kanonenfutter, Arbeitstier und Opferlamm, eine Metamorphose, die nicht Einzelne betraf, sondern alle.“21
Für Münkler hingegen dauerte die heroische Ära oder die Ära der heroischen Gesellschaften mal „von 1648, dem Westfälischen Frieden, bis 1919, dem Versailler Frieden.“ (S. 159), dann heißt es wieder, dass „die Ära der heroischen Gesellschaften Europas, […] mit der Revolution in Frankreich und der levée en masse begonnen hatte.“22 Keinen Gedanken verschwendet er natürlich daran, dass die levée en masse ohne die Massenproduktion nicht möglich gewesen wäre. Letzterer stand bis zur Revolution die Ehre einer ganz anderen Gruppe entgegen: der Zünfte. Es war der französische Waffenschmied und Büchsenmacher Honoré Le Blanc, der 1785 die Massenproduktion von Einzel- bzw. Austauschteilen in die Musketenproduktion einzuführen versuchte, damit aber in Frankreich an den Zünften scheiterte. Jefferson brachte das Konzept nach Amerika. Die Verwirklichung der Anwendung übertrug er Eli Witney, der auch das Fließband in die Musketenproduktion einführte. Weitergeführt wurde es durch Samuel Colt, bis es sehr viel später von Henry Ford aufgegriffen wurde.
Münkler kann noch nicht einmal im Ersten Weltkrieg das Ende der Illusion eines Heroischen erkennt, sondern nur das Ende der heroischen Gesellschaften, wodurch er die Ideologie der militärischen Moderne einfach nur übernimmt und selbst im Rückblick noch einmal absegnet. Dabei schreibt er selbst beständig von „heroischen Phantasien“, der „Aura des Heroischen“, dem „Phantasma des Heldischen“ und „mentale Heroisierung des eigentlich unheroischen Bürgers“; auch erkennt er prinzipiell das Gelaber der Reiter im Wallenstein von Schiller als „die verbliebenen Reste“ von Tapferkeit, ohne sie freilich auf ihren Grund - die Rückschrittlichkeit der Kavallerie – zu beziehen. Die Reitereinheiten kämpften noch eine Weile vor allem mit dem Säbel.23 Statt aber die ganze Moderne als eine solche zu betrachten, ist für Münkler erst der Zweite Weltkrieg aufseiten der Sowjetunion und Deutschlands eine ideologische Verlängerung des Heroischen.24 Erst hier schreibt er vom Repressionsapparat hinter den Ideologien, „der bei denjenigen, die nicht freiwillig folgten, die gewünschte Folgebereitschaft erzwang“, (S. 128) statt diesen als maßgeblichen Movens der modernen Kriegsführung seit deren Beginn zu erkennen.
Hegels List und Münklers Reinfall
Was man definitiv sagen kann, ist, dass Hegel eben selbst auf seiner eigenen etwas konfusen Grundlage nie von einer „abstrakten Tapferkeit“ auf eine „heroischen Gesellschaft“ geschlossen hätte, da der Heros eine ästhetischen Figur ist, die nur in der Zeit der konkreten, also für Hegel minderen, Tapferkeit zur Geltung käme und der Heros nur als Individuum ein solcher ist. Hegel hat den Zusammenhang von Heros und Tapferkeit auseinandergerissen, um die Tapferkeit ideologisch zu retten, wobei er schließlich gar bereit war, die gesamte (Weiter)Entwicklung der Kunst zu beerdigen.
Münkler geht an diesem Punkt mit Hegel nicht mehr mit, und in seinem prinzipiell richtigen Beharren auf dem notwendigen Zusammenhang beider Momente, schleift er jedoch beide über ihre Geltung hinaus, anstatt beiden eine Absage zu erteilen. Und doch verfällt auch Münkler, der die fortschreitende „Entindividualisierung des Kampfes“ (S. 193) in der Moderne registrierte, der Notwendigkeit, mit der auch die abstrakte Tapferkeit personalisiert und somit ideologisch konkretisiert werden muss, sofern sie überhaupt als heroische Tugend greifbar gemacht werden.25 Der „unbekannte Soldat“ reicht einfach nicht als Standbild für eine heroische Gesellschaft. Jene Personalisierung wird durch Münkler völlig affirmiert, der schreibt: „Das Duell der Heldenkrieger wurde in den Duellkrieg der sich gegenseitig als legitim anerkennenden Souveräne überführt“ (S. 158), ohne darin natürlich das sich im Absolutismus (wieder und) in neuem Maßstab durchsetzende Äquivalenzprinzip zu erkennen. In einem anderen seiner Bücher, „Die neuen Kriege“, kommt er zum Urteil: „Napoleon Bonaparte auf französischer und Helmuth von Moltke waren Meister dieser Art der [schnellen] Kriegführung“, weshalb sie die „Aura des Heroischen“ umwehe. Das heißt, dass letztlich die Befehlshaber/Feldherren die neuen Helden seien. Auch das ist in Teilen bei Hegel angelegt, wenn er schreibt: „Achill, der poetische Jüngling, hat es eröffnet, und Alexander der Große, der wirkliche Jüngling, hat es zu Ende geführt.“ Aber es heißt an der Stelle über Alexander noch: „Er war groß als Feldherr in den Schlachten, weise in den Zügen und Anordnungen und der tapferste Soldat im Gewühl des Kampfes.“26 Das heißt, die persönliche Tapferkeit im Kampf war nach wie vor ein tragendes Moment der Bewertung. Zwischen dem Achill des Mythos und dem Alexander des makedonisch-hellenistischen Weltreiches liegen für Hegel die Demokratien der Poleis, welche auch für ihn eher „unheroisch“ gewesen seien dürften.27 Da sich nun die alte spartanische und attische Phalanx nicht allzu wesentlich von der neuen makedonischen unterschied, und auch Alexander nicht wirklich im Alleingang die Perser niedermetzelte, griff Hegel zur „List der Vernunft“, die es ihm erlaubte, sich doch den „geschichtlichen Menschen,“ den „welthistorischen Individuen“ oder denjenigen, „in deren Zwecken ein solches Allgemeines liegt“, zuzuwenden, sei es Alexander, Cäsar oder dem „Weltgeist zu Pferde“, Napoleon: „Dies sind die großen Menschen in der Geschichte, deren eigene partikuläre Zwecke das Substantielle enthalten, welches Wille des Weltgeistes ist. Sie sind insofern Heroen zu nennen, als sie ihre Zwecke und ihren Beruf nicht bloß aus dem ruhigen, geordneten, durch das bestehende System geheiligten Lauf der Dinge geschöpft haben, sondern aus einer Quelle, deren Inhalt verborgen und nicht zu einem gegenwärtigen Dasein gediehen ist, aus dem innern Geiste, der noch unterirdisch ist, der an die Außenwelt wie an die Schale pocht und sie sprengt, weil er ein anderer Kern als der Kern dieser Schale ist, - die also aus sich zu schöpfen scheinen und deren Taten einen Zustand und Weltverhältnisse hervorgebracht haben, welche nur ihre Sache und ihr Werk zu sein scheinen. Solche Individuen hatten in diesen ihren Zwecken nicht das Bewußtsein der Idee überhaupt, sondern sie waren praktische und politische Menschen. Aber zugleich waren sie denkende, die die Einsicht hatten von dem, was not und was an der Zeit ist.“28
Die Formulierung, nach der sie „insofern Heroen“ seien, legt schon eine gewisse Einschränkung des Heroentums nahe. Das Heroische jener Individuen entspricht nun eher ihrer Entscheidung, ihrem Befehl; die Tapferkeit besteht darin, dass sie bereit sind, tausende ihrer Soldaten zu opfern, sofern es „an der Zeit ist“; die abstrakte und damit korrespondierende Tapferkeit des einfachen Soldaten bestehe hingegen darin, seine Stärke in „die Anführung, den Charakter der Anführer“ zu legen: „Dieser Endzweck [der Welt, also der Staat, Anm. P.G.] ist das, worauf in der Weltgeschichte hingearbeitet worden, dem alle Opfer auf dem weiten Altar der Erde und in dem Verlauf der langen Zeit gebracht worden. […] Aber auch indem wir die Geschichte als diese Schlachtbank betrachten, auf welcher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht worden, so entsteht dem Gedanken notwendig auch die Frage, wem, welchem Endzwecke diese ungeheuersten Opfer gebracht worden sind.“ Bei Hegel ist diese Abstraktion der Tapferkeit natürlich auch seiner sehr löblichen Absage ans Archaische, an an Ehrvorstellungen geknüpfte persönliche Tapferkeit gebunden; seine Abscheu vor diesen Barbarismen verriet er aber durch seine radikale Parteinahme für das Allgemeine, in dem das Besondere, hier der Soldat, völlig untergeht, indem er und sein Opfer erhöht wird. Sein Satz, „Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks“, ist schärfste Kritik und erhebliche Affirmation in einem.
Münkler verfällt dieser, von Brecht in den „Fragen eines lesenden Arbeiters“29 völlig zurecht lächerlich gemachten, Personengeschichte, dieser „Ideologie der hohen Männer“ (Adorno) in gewissen Passagen völlig – und gibt den Heroismus im selben Moment aber als allgemeines und irgendwie auch legitimes Prinzip aus: „Die Idee des Heroischen ist ein Abglanz der Transzendenz in der begrenzten Sinnhaftigkeit der Weltimmanenz.“ (S. 150) Hier ist aber vor allem die „Anwendung“ dessen durch Gauland interessant: „Wenn die Franzosen zu Recht stolz auf ihren Kaiser sind und die Briten auf Nelson und Churchill, haben wir das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“ Von aller moralischen Empörung abgesehen und sich einfach nur auf die Logik beziehend: Was er sagte, ist, dass weder die Franzosen noch die Briten stolz auf ihre Soldaten sind, sondern deren Befehlshaber, woraus aber für Deutsche das Recht ableitbar sei, auf die Soldaten (respektive ihre Leistungen) stolz zu sein, die im stoischen Durchhalten egal um welchen Preis und egal zu welchem Zweck sich tatsächlich als wahrhaft abstrakt Tapfere bewiesen hatten. Die Pendants zu Kaiser, Nelson und Churchill wären doch nach wie vor Bismarck, Kaiser, Ludendorff, Hindenburg und Hitler.
Münklers deutscher Drall
Wie eingangs schon erwähnt, ist Münklers Darstellung durchaus von einer gewissen Ambivalenz geprägt, die aber einen gehörigen Drall aufweise. Zum einen beschreibt er den Weg von einer postheroischen zu einer heroischen Gesellschaft als Regression und verweist darauf, dass man sich damit abfinden müsse in einer postheroischen zu leben. Andererseits ist der ganze Unterton des Werkes die Entfaltung des Gegensatzes von Soldaten- und Krämerseele, der sich bei Münkler immer wieder darstellt als Gegensatz von Land und Meer, Spartaner und Athener, Frankreich/Preußen und England; letztlich Ritter und Söldner. Das gemahnt aufdringlich an Werner Sombarts Gestammel über deutsche Helden und englische Händler und Carl Schmitt, der den Gegensatz innenpolitischer als jenen von Soldaten und Bürger fasste, was längst den von Arier und Juden meinte.30
Münklers Bestimmung des Postheroischen führt zu seltsamen Blüten: „Freilich wollen postheroische Gesellschaften über die Art ihrer Widerstandskraft nicht aufgeklärt werden. Es gehört zu ihren Charakteristika, dass sie über sich selbst in dieser Hinsicht nichts wissen wollen. Sie meiden die Selbstreflexion, wenn es um solche Fragen geht.“31 Während er kurz zuvor schrieb: „Die nach dem deutschen Überfall auf Polen vor allem in Frankreich gestellte Frage, ob man «für Danzig sterben» solle, war die einer postheroischen, nicht die einer pazifistischen Gesellschaft.“ Die Frage also, ob man für etwas sterben wolle bzw. wofür man zu sterben bereit ist, sei also das Vermeiden einer Reflexion statt die Reflexion. Dass Gauland diese Frage bezüglich Israel aufwarf, kann sein Schwanken zwischen „Ob ich das persönlich richtig finde, weiß ich nicht,“ und „müssen wir in der Tat an der Seite Israels stehen“, nicht vergessen lassen. Aber es ist bezeichnend und erschreckend zugleich, dass auf seine Frage nicht die entschlossene Antwort der Bundesregierung oder zumindest verschiedenster Parteien aus dem Bundestag gab, dass man Israel natürlich militärisch verteidigen werde. Selbst eine Nachfrage der Bild ergab, dass Merkel das Existenzrecht Israels zwar verteidigte, sich zur Verteidigung der Existenz Israels lieber nicht zu äußern gedenkt.32
So sehr Gauland also mit seiner Bemerkung ins Schwarze getroffen hat, ist das Gerede von der heroischen oder postheroischen Gesellschaft nach wie vor falsch und fälschend, was sich auch schon an seinem Stichwortgeber zeigen lässt. Im Interview mit dem Deutschlandfunk erkennt Münkler für den Zweiten Weltkrieg vier heroische Gesellschaften bzw. Gemeinschaften an: „das sind die Italiener, Mussolini, das ist der Nationalsozialismus, das ist das kaiserliche Japan und das ist der Bolschewismus. Und wenn wir diesen Gruppierungen nun die westlichen Staaten gegenüberhalten, kann man sagen, die Franzosen kämpfen nicht mehr, kapitulieren im Prinzip relativ früh, die Briten führen den Kampf über die Luftflotte – Das ist die Veränderung gewesen.“33 Land und Luft bilden also denselben nur latent aktuelleren Gegensatz wie vorher Land und Meer. Abgesehen davon, dass Münkler, den vorgängigen deutschen Luftkrieg gegen England ebenso wenig erwähnt wie den gerade von England auch massiv an Land ausgetragenen Krieg gegen Deutschland, wird deutlich, dass nur der Landkrieg der Krieg der Eigentlichen, also der eigentliche heroische Krieg sei.
Israel aber, ….
Tatsächlich gibt es zwei Elemente, in denen Israel – und in etwas schwächerer Ausprägung auch gewisse andere westliche Staaten – Momente des Heroischen bewahren und den in diesen enthalten humanen Ansatz erst richtig hervorkehren. Münkler hat richtig darauf hingewiesen, dass der Heroismus „eine Immunisierung gegen den Maßstab der Effizienz“ (S. 151) beinhalte, ohne freilich zu sagen, worauf diese Effizienz sich beziehe. Israel verlangt seinen Soldaten und Soldatinnen in der Tat eine gehörige Tapferkeit ab, da es sich der Effizienz der Destruktion nicht völlig überlässt und dies in der Regel, um feindliche Zivilisten zu schonen. Das andere Moment besteht im Wert, den der israelische Staat für jeden einzelnen seiner Soldaten veranschlagt. Ein Moment des alten Heroischen wird immer wieder in den verhältnismäßig niedrigen Todeszahlen der Ritter oder einfach in ihrer „Ritterlichkeit“ gegenüber dem Gegner gesehen – so auch durch Münkler (S. 172 und noch viel stärker: Münkler. Die neuen Kriege. S. 64ff) Was einem Heros-Analytiker wie Münkler dabei aber partout nicht in den Sinn kommen kann, ist, dass die Ritter gar nicht per se vorhatten ihre Gegner zu töten sowie dass dies gerade auf ihren „Krämergeist“ zurückzuführen ist. Die Beteiligten waren allesamt Adlige verschiedenen Ranges, und für einen überwundenen und gefangengenommenen Gegner winkte in der Regel ein erhebliches Lösegeld. Das Fußvolk machte man hingegen hemmungslos nieder und zählte man schlichtweg nicht. Israel bewahrt jenes beschränkte humane Element und verallgemeinert es, insofern es jedem einfachsten Soldaten und selbst seiner Leiche den Rang eines Heroen und eines Adligen zukommen lässt, für den hunderte palästinensische Mörder inklusive ihrer gefangenengenommen Anführer im Austausch freigelassen werden.34
Weder Gauland noch Münkler könnten darin wohl die wahren Restbestände des längst vergangenen Heroismus erkennen, zumal Münkler, nachdem er konstatierte, dass „in der Ostukraine […] ein neuer Typ des heroischen Kämpfers aufgetaucht ist“, die Barbaren des Islamischen Staates von diesem nur deshalb „abgrenzen“ kann, da letztere sich etwas weniger als Erstere an das Kriegsrecht halten, wobei er aber auch eingestehen muss, dass beide sich in ihrem heroischen underdog-Status dann doch irgendwie ähneln. (S. 166f)
Dies ist die kürzere Fassung eines Textes, der hoffentlich in absehbarer Zeit mit anderen Essays über den Zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung, die Wehrpflicht, Schillers Tell und ähnlich waffen-, kriegs- und gewaltstrotzenden Themen in Buchform erscheinen sollte.