Die Therapie dürfte gewirkt haben, die Verwandlung in einen Schmetterling geglückt sein. Nein, falsch: Die angepeilte Selbstheilung mittels »Radio Krishna«, die HGich.T auf ihrer 2017er-Platte Therapie wirkt wortreich angekündigt haben, ist – wie könnte es bei der Hamburger Goa-Trash-Gruppe anders sein? – schwer auf Abwege geraten, um nicht zusagen erfolgreich entgleist. Deshalb ist ihre neue Platte auch mit Jeder ist eine Schmetterlingin betitelt, wobei das Augenzwinkern, oder besser gesagt: das Pharmazie-induzierte Augenflackern gleich in mehrere Richtungen geht, Gendering-Verarsche mitinbegriffen.
Jedenfalls nimmt sich der Titel der neuen LP, ihrer fünften seit 2010 und gleichsam das Zehnjahresjubiläum seit dem EP-Debüt Hallo Mama (2009) zelebrierend, ebenso kosmisch-inklusiv wie (Therapie wirkt eben!) chemisch-weichgeklopft aus. Nach den schroff-renitenten Wordings ihrer ersten Plattentitel – Mein Hobby: Arschloch, Lecko Grande und Megabobo – ist nun die Hinwendung zum wohlig-einschließlichen »We are all one« angesagt. Oder, weil man den alten Hippie-Slogan nicht einfach so reproduzieren kann, zur zeitgemäßeren Variante »Jeder ist eine Schmetterlingin«. Dabei verweist allein schon der grammatikalische Hänger (»jeder … -lingin«) auf die charakteristische Widerborstigkeit, mit der HGich.T ihrem Treiben self-fulfilling-mäßig den Boden unter den Füßen wegziehen. Um den Schwindel und die Haltlosigkeit, die sich bei solchen Grabungen unweigerlich einstellen, genussvoll auszukosten und sich nicht in ein abgesichertes Außen zurückzuziehen. Wenn schon tief, dann wirklich tief – sprich sich selber dabei nach unten ziehen. Kein zynisch-mitleidiges »Ihr armen, verwirrten Doofies, was haben wir euch da wieder für abgefahrene Unterschichtsfantasmen aufgetischt!«.
Dass derlei Fantasmen und ihr unbarmherziges, exzessbereites Durchkauen nach wie vor die Hauptbeschäftigung der Gruppe bilden, stellt auch die neue Platte unter Beweis. Der Weg aus der Verpuppung, sprich handelsüblich gewordenen Selbsthilfe- und Selbsterfahrungstechniken, die in Zeiten spiritueller Verunsicherung fröhliche Urstände feiern, ist hier zumindest oberflächlich Thema, wobei auch, wie anders zu erwarten, Krishna-, Yoga- und Bhagwan-Gespinst die HGich.T-typische Behandlung erfahren. So ergeht sich der sein unverwechselbares Drogen- bzw. Hangover-Sprech praktizierende Sänger, der sich seit einiger Zeit Vhagvan Svami (früher Anna-Maria Kaiser) nennt, im Stück »Engelsdusche« in erdigem Yogi-Trashing: »Heut’ is Montag, Män, heut’ ist Dienstag, Män – kannste mir Geld schenken?«. Die Botschaft von »Radio Krishna« mag angekommen sein, allein der Effekt – raus aus der alten Schale und rein in das neue Schmetterlingskostüm – will sich allein aus ökonomischen Gründen nicht so richtig einstellen. Und so lässt einen die »Engelsdusche«, wie so oft bei HGich.T nach allerlei pharmazeutischen, sexuellen oder schlichtweg infantilen Auswüchsen, im harten Regen des Realen stehen – wobei erneut der Boden unter den dreckigen Füßen langsam, dafür aber umso sicherer weggespült wird.
Dieses Bodenwegspülen und Untergraben, man könnte auch Selbsterosion dazu sagen, zieht sich von Anfang an durch das Werk von HGich.T, und das auf vielerlei Ebenen. Abgesehen von ihren manischen Konzerten, die eine eigene Erörterung wert wären, betrifft dies die in großer Stückzahl produzierten Musikclips, die man geradezu als eigenes, unverwechselbares Genre bezeichnen könnte. Seit dem Klassiker »Tutenchamun« (YouTube-Clickzahl mit Stand 20. August 2019: 3,186 Millionen) gehen sie darin mit immer wieder neukalibrierter – niemanden, vor allem auch sich selbst nicht schonender – Verve oder besser: Anti-Verve ans Werk. Hier wird der Do-it-yourself-Geist, den YouTube vor eineinhalb Jahrzehnten so richtig zu befeuern begonnen hat, beim Wort genommen bzw. auf eine Spitze getrieben, die den Stachel (wie in den aktuellen Clips »Uboot« oder »Demo der Dämonen«) tief ins eigene Fleisch stechen lässt.
Ebenso widerstrebig, zumindest was herkömmliche Dancebeat-Standards angeht, nehmen sich die Groove-Muster der absichtlich »löchrig« produzierten Tracks aus. Einer der dafür verantwortlichen Macher heißt nicht von ungefähr DJ Hundefriedhof – man könnte auch »Beat-Friedhof« dazu sagen, wenn man das wabrig, desolat oder sonstwie holpernd dahingrundelnde (selten wirklich groovende) Rhythmus-Gebräu als das nimmt, was es ist: wie ausrangiert wirkende oder mit schwerem Hangover am Morgen danach versuchsweise ausgelegte Goa- bzw. Gabber-Teppiche, die sich mehr in ihren eigenen Maschen verfangen als dass sie eine solide Piste für den neuerlichen Abflug bieten würden. Den klassischen Rave- und Trance-Grooves wird hier »deflationär« die Luft abgelassen, als hätte es sich längst schon ausgetanzt, zumindest den 1990er-Jahre-Mustern nach. Was jedoch nicht davor schützt – und hier schießt sich der HGich.T-Ansatz zielsicher ins eigene Knie –, genüsslich stampfende oder langsam dahinschlurfende Pseudo- bzw. Anti-Grooves zu schaffen.
Anti-Rave-Hymnen höherer oder besser gesagt niedrigerer Ordnung finden sich im Oeuvre der Gruppe zuhauf, so auch auf Jeder ist eine Schmetterlingin. In »Uboot« etwa wird der Impuls des selbstvergessenen Tanzen-um-des-Tanzens-willen auf die schnöde Off-On-Formel »null-eins, null-null-eins« heruntergekocht. Diese gibt den verbalen Takt vor bzw. signalisiert das Hängengeblieben-Sein in einem vertrackten Fort-Da, während im Hintergrund ein blutleer vor sich hinköchelnder Goa-Bass mehr wimmert als wummert. Die missliche Lage des kaputten Dancefloor-Opfers kostet auch »Kinder der Raver« genüsslich aus, ja zerkaut und zermanscht diese mit trübem Fantasy-Esprit: sowohl auf Textebene, wo eine dadaeske Lautgedicht-Kette (Raver – Vader – Razor – Invader) in Gang gesetzt wird, als auch klanglich mittels cheaper Staccato-Beat-Effekte, die sich sukzessive in sich selbst verheddern. »dj18« schließlich suhlt sich in der Geschichte eines in Amsterdam gestrandeten Technojüngers, der mental im Eck seine Hippie-Mama am Telefon um Hilfe anfleht, während sich atmosphärisch der üble Drogen-Runterkomm-Horror, den er sich da eingehandelt hat, bis in die letzte Pore ausbreitet.
Von »Unterschichten-Mimikry« und »rätselhafter Überidentifikation« war im Zusammenhang mit HGich.T immer wieder die Rede, einem »Pathos der Nähe« (Aram Lintzel), das sie gekonnt auf verschiedene Jugendkulturtypen – Unterschichtszugehörigkeit hin oder her – umlegen. Ob Schlauberger-Nerd, Hacker-Whizzkid oder Herr-der-Ringe-Fan, sie alle (und noch mehr) erfahren auf Jeder ist eine Schmetterlingin die Band-typische Distanzlos-Behandlung, die so nahe am betreffenden Subjekt dran bzw. in ihm drin ist, dass dies nicht einfach auf Spott und Herablassung hinausläuft. Oder besser gesagt auch diese naheliegenden und leicht zu habenden Haltungen selbst wieder unterspült werden – schließlich hieß es schon auf der ersten Platte 2010 durchaus programmatisch: »Verarschen kann ich mich selbst«. Wenn im Stück »Aragon« von der neuen Platte die Herr-der-Ringe-Filmtrilogie einer hausgemachten Kritik aus Kinderzimmer-Sicht unterzogen wird, so sind die Lacher mehr auf Seiten des sich überidentifizierenden Teenies als dass dieser der erwartbaren Lächerlichmachung preisgegeben würde. Oder sich das Lächerliche gleichermaßen über Subjekt und Objekt zu verteilen beginnt, die einander in einem gemeinsamen Strudel nach unten ziehen.
Nicht viel anders ist es bei den Stücken, in denen Staats- oder Ordnungsorgane ins Visier genommen werden. »Bullenwache nachts um drei, alle trinken Kaffee-ee«, mäandert es mit lakonisch-debilem Helge-Schneider-Anklang im Song »Bullenwache« dahin. Dazu ackert und gackert und eiert es im Begleit-Track, dass sich unweigerlich die Frage stellt: Wer ist hier eigentlich mehr gestört – die im Lied besungenen Polizisten oder diejenigen, die das gerade zum Besten geben (ohne ersichtlichen Spaß daran zu haben)? Oder vielleicht sind es gar die HörerInnen, die glauben, hier würde vorschnell etwas durch den Kakao gezogen? »S-bahn« ist noch eine Spur abgefahrener: Die Sichtweise eines Fahrscheinkontrolleurs wird darin mit begnadetem Doofgesang-Timbre dargebracht, inklusive aller Hänger und kleiner Ausraster, die dies impliziert. Zugleich latscht der Groove unbeirrt, ja durchaus einnehmend und tanzbar seines Weges – und lullt die HörerInnen ein in ein distanzloses Inneres, dessen Gewirr das ganze System in sich selber kollabieren lässt.
Solcherart bricht sich einmal mehr der spezifische Ansatz von HGich.T Bahn: ein Prinzip, egal ob damit Techno, Drogen oder Unterschichts-fantasmen gemeint sind, soweit auszureizen, dass es in sich abzubröckeln, ja sich selber zu verschlingen beginnt. Wobei genau das, was
dabei absorbiert wird, seine eigentliche Strahlkraft ausmacht.