Wir werden von acht Augenpaaren angestarrt. Frauen? Männer? Viel zu schnell sind die Schnitte. Es spielt keine Rolle. Plötzlich erscheint eine Vulva, von der aus die Kamera beginnt, den ganzen Körper abzufahren. Danach ein Strap-On, dem ein Blowjob gegeben wird. Nackte Haut, penetrierende Dildos und penetrierte Körper, die zunehmend verschwimmen. Im Kurzfilm Sex on the Beach (ES 2003) des spanischen feministischen Kollektivs GirlsWhoLikePorn lassen sich Begehrensformen nicht mehr eindeutig klassifizieren. Lange wurden Feminismus und Pornografie ausschließlich als Widerspruch verstanden. Herrschte zu Beginn der zweiten Frauenbewegung in den 1960er Jahren noch eine generelle Ablehnung gegenüber jeglicher Form von Pornografie, riefen Feministinnen, die sich als sexpositiv bezeichneten, daraufhin zur Befreiung und Selbstermächtigung mit Hilfe von Pornografie auf. Seit den späten 1990ern greifen (queer-)feministische Aktivist*innen, Kunstschaffende und Forschende das Genre auf, thematisieren den soziokulturellen Einfluss sowie die Produktionsmechanismen der Multimillionen-Dollar-Branche. Nach eigenen Maximen deuten sie Pornografie um, produzieren Porno und eignen sich das Genre an. Sie behandeln nicht mehr die Frage, ob Pornografie Machtverhältnisse schafft bzw. stützt, sondern analysieren, wie Pornografie, Geschlecht, Körper und Macht zusammenhängen und durch welche Mittel und Techniken sie einander stützen. Unter der Bezeichnung Post Porn setzen sich Filmschaffende nicht nur mit der Rolle der Frau innerhalb des Pornos auseinander, sondern mit dem performativen Charakter von Weiblichkeit und Männlichkeit und versuchen diese von den jeweiligen Geschlechtskörpern zu lösen.[1] So entstanden und entstehen Nischen, die Raum bieten für eine Widerstandspraxis und Auflehnung gegen tradierte Lesarten von binär konstruierten Geschlechtern, Sexualität(en) und heteronormativen Rollenmodellen.
Seit 2016 haben wir uns mit der nomadischen Film- und Diskursreihe Pimmel Porn Protest zur Aufgabe gemacht, diese Nischen aufzuzeigen. Mit einer Auswahl an feinen Filmen und haarscharfen Analysetools im Koffer, reisen wir in Österreich und international umher. Unser Ziel ist es, deutlich zu machen, dass Pornografie mehr sein kann, als reine Masturbationsvorlage: eine Form der Politik, der Kritik und des Protests. Als aktivistische und subkulturelle Praxis und als künstlerische Strategie kann Porno jenseits des Mainstreams gesellschaftliche Normen rund um Sexualität und Körper infrage stellen. Bei Pimmel Porn Protest präsentieren wir daher Filme, die sich fernab der klassischen Triade von plattem Aufriss, wilden Penetrations-Close-Ups und Cumshot[2] positionieren. Filme, die eine Vielfalt an Körpern und Sexpraktiken aufzeigen, dabei nie menschen- bzw. frauenverachtend sind, sondern für alle Beteiligten lustvoll. Filme, die Geschlechterstereotype und traditionelle Vorstellungen von Sexualität reflektieren und damit brechen. Filme, die sich zwischen Low und High-Fi bewegen, mal Hochglanz-Ästhetik aufweisen oder doch eher DIY anmuten und die man generell den Genres Feminist Porn, Post Porn, Queer Porn oder Ethical Porn zuordnen kann. Häufig steht ebenfalls eine konkrete Fragestellung im Fokus des Abends: Wie kann queer-feministischer Porno zu einer selbstermächtigenden Praxis werden? Wie können durch alternative Pornografie kapitalistische Verwertungslogiken durchque(e)rt werden? Wie wird Männlichkeit im Queer Porn inszeniert? Inwieweit kann Porno Teil einer antirassistischen Praxis sein? Zunächst gibt es daher immer eine kleine thematische Einführung, auf die dann ein Lang- oder mehrere Kurzfilme folgen. Nach der gemeinsamen Sichtung der Filme begeben wir uns auf eine semiotische Fährtensuche. Dabei steht das kritische Lesen der Narration von Sexualität, Geschlechtlichkeit und Begehren durch Pornografie im Vordergrund; gleichzeitig wird der emanzipatorische Charakter von Pornografie erörtert. Hierbei verstehen wir uns als Pornokritikerinnen, die in Form eines literarischen Duetts das Gezeigte diskutieren und analysieren. Porno wird zu einer Art Text, den es zu lesen und zu verstehen gilt. Pornografie ist für uns ein Kulturphänomen, das nicht dazu bestimmt ist, in der Schmuddelecke vor sich hinzuvegetieren. Mit Pimmel Porn Protest sollen daher alternative Formen von Pornografie einem breiteren Publikum präsentiert, aber auch eine generelle Auseinandersetzung mit dem Medium enttabuisiert werden. Wir möchten aufzeigen, wie vielseitig der künstlerisch-alternative Umgang mit dem Genre Pornografie sein kann und auf eine selbstbestimmte und gleichzeitig spielerische Auseinandersetzung mit Sexualität und ihrer filmischen Visualisierung Lust machen. Das führt dazu, dass nicht selten Besucher*innen im Anschluss an die Veranstaltung an uns herantreten, um uns mitzuteilen, dass sie gerade ihren ersten Pornofilm überhaupt geschaut haben - oder das erste Mal einen von Anfang bis Ende. Das gemeinsame Sichten von expliziten Filmen - wie es auch auf Pornfilmfestivals z.B. in Berlin und in Wien stattfindet - empfinden wir dabei bereits als emanzipatorischen Akt selbst – etwa gegen Scham und Stigmata.
In Linz wollen wir unsere Film- und Diskursreihe erstmalig erweitern und laden zum Fest für die Neugierigen, die Liebhaber*innen von Pornografie, für Kunstaffine und diejenigen, die die Unterscheidung zwischen den beiden Genres ablehnen. Mit Pimmel Porn Protest soll ein Dialog zwischen Kunst, Pornografie und queer-feministischer Politik ermöglicht werden und ein affektiver, sex-positiver Raum für kollektive Reflexion, Erforschung und Kritik entstehen.
Den Auftakt bildet am Freitagabend zunächst unsere performative Präsentation mit Filmscreening, mit anschließender Diskussion und Drinks. Einleitend widmet sich dieser Abend der Frage, was alles als feministischer bzw. Post Porn verstanden werden kann.
Am Samstag wird sich das Berliner Filmkollektiv Meow Meow in einem Vortrag der Ethik und Ökonomie des Porno-Machens und Porno-Schauens widmen. Was genau macht einen »ethischen« Pornofilm aus und welche Rolle nehmen dabei Produzent*innen und Konsument*innen ein? Die Pornomacher*innen setzen sich kritisch und selbst-reflektiert mit dem Begriff des Ethical Porn auseinander, geben einen Einblick in ihre Praxis und erläutern, weshalb der Anspruch nach Authentizität innerhalb der Pornografie als illusorisch verstanden werden kann.
Im Anschluss freuen wir uns, ihren Film »Die Traurigen Mädchen aus den Bergen« (D 2019, 82 Min.) als Österreichpremiere präsentieren zu dürfen. Das Langfilmdebüt von Candy Flip und Theo Meow ist eine Fake-Doku über Porno, Depression und die Unentrinnbarkeit des männlichen Blicks. Im Zentrum steht ein Clan von vier jungen Mädchen, die sich in eine Hütte im fernen Bergland zurückgezogen und der Welt den Rücken zugewandt haben. Sie zelebrieren ihre eigene Traurigkeit als Akt des Widerstands gegen das Patriarchat und finanzieren ihr abgeschiedenes Dasein über selbstgemachte Pornos, die sie im Internet verkaufen. Als der Gonzo-Reporter Hendrik Adams in der Berghütte aufschlägt, um eine Doku über die vier Mädchen zu drehen, gerät ihre feministische Mikro-Utopie aus den Fugen. Das Budget von 15.000 Euro für den Film stemmten Candy Flip und Theo Meow in Realität wie die traurigen Mädchen aus den Bergen durch den Verkauf selbstgemachter Videos online und durch gemeinsame Escort-Dates sowie Drehs für diverse Mainstream-Pornofirmen - DIY at its finest.
Ein internationales Kurzfilmprogramm am Abend mit Filmen aus Latein- und Nordamerika und Europa soll die Bandbreite von feministischer Pornografie und aktuelle Tendenzen aufzeigen.
Drag King Boris Gay aus Glasgow wird daraufhin Drag nach Linz bringen. Als Teil von DragOpticon, einer der bekanntesten Drag Abende Schottlands, wird er verführerisch und unapologetisch zugleich die Brüchigkeit und Konstruiertheit traditioneller Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit aufzeigen und herausfordern.
Bei der Abschlussparty wollen wir uns und einander zelebrieren; die Fabelhaften und die Ungeheuerlichen, die Wilden, die Schüchternen und die Neugierigen, die Lauten und die Leisen, die Feministischen und die Queeren. Im aktuellen politischen Klima wird die Stadtwerkstatt für zwei Tage zu einem Ort, an dem wir unser queer-hedonistisches Utopia kreieren und feministische Lust feiern – Cum!