Zum Totlachen

Die Möglichkeit, sich ohne Konsequenzen für Leib und Leben über Religionen lustig machen zu können, musste in Europa über Jahrhunderte erkämpft werden. In Ländern mit islamischer Herrschaft besteht dieses Recht nicht. Auch außerhalb dieser Länder geraten Menschen in Gefahr, wenn Islamist/innen den Islam bedroht oder verhöhnt sehen. Johannes Creutzer gibt einen kleinen Überblick.

Wie beginnt jeder islamische Witz? Mit einem Blick über die Schulter. Denn nichts bringt das Blut von Islamisten in größere Wallungen als Mohammed-Karikaturen: Die satirische Darstellung ihres Propheten ist das sicherste Mittel, »muslimische Proteste« in Europa und der ganzen islamischen Welt hervorzurufen. Da allerdings weder Karikaturen noch Bücher Riots anzetteln, sondern autokratische Staaten, dauert das manchmal einige Monate, denn die zu verbrennenden Flaggen müssen erst produziert und die Empörung staatlich organisiert werden. Dabei ist es egal, ob eine Zeitung die Karikaturen veröffentlicht oder ein Lehrer sie als Anschauungsmaterial für seinen Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit verwendet: Islamisten kennen nur ein Urteil für den Verstoß gegen ihr eigenes Bilderverbot. Es ist das gleiche, das die Herz-Königin aus Lewis Carrolls Alice im Wunderland bei jeder sich bietenden Gelegenheit fällt: »Off with their heads!« Und wie die Herz-Königin für die Monarchie könnte der islamistische Furor als groteske Überzeichnung und vollendete Satire des in Europa überwunden geglaubten religiösen Fundamentalismus gelten, wäre er nicht real tödlicher Ernst für immer mehr Opfer.

Die Enthauptung des Geschichtslehrers Samuel Paty durch einen 18-jährigen Islamisten, der sich selbst »Abdullah, Diener Allahs« nannte, in der französischen Kleinstadt Conflans-Sainte-Honorine am 16. Oktober war weder der erste noch der letzte Anschlag diesen Jahres, erregte aber besondere Aufmerksamkeit. Denn der »umsichtige« und »besonnene Pädagoge«, »dem Provokationen fernlagen« (»FAZ«), war eben kein Schmierfink, der wahlweise »frivole« (»Tagesspiegel«) oder »grenzwertige« (»taz«) Karikaturen produzierte, sondern nahm selbige nur zum Anlass für ein aufklärerisches Unterrichtsgespräch. Die Karikaturen, die Paty seinen Schülern gezeigt hatte, veröffentlichte bereits 2005 die dänische Tageszeitung »Jyllands-Posten«. Verschiedene Medien druckten sie nach, mehrfach auch die französische Satire-Zeitschrift »Charlie Hebdo« – zuletzt Anfang September dieses Jahres zum Beginn des Prozesses gegen die Helfer der zwei Islamisten, die im Januar 2015 in die Redaktionsräume von »Charlie Hebdo« eindrangen und insgesamt zwölf Menschen ermordeten. Das nahm am 25. September ein weiterer Islamist zum Anlass, mit seinem Fleischermesser vor das ehemalige Redaktionsgebäude zu ziehen und zwei Mitarbeiter einer Filmproduktionsfirma während ihrer Zigarettenpause schwer zu verletzten. Die »Charlie Hebdo«-Redaktion hält ihren neuen Sitz seit 2015 geheim, doch es geht den Islamisten gar nicht darum, nur die Missachter ihres Bilderverbots zu bestrafen, sondern allgemein ihr Beleidigtsein an Schwulen in Dresden, Kirchenbesuchern in Nizza und Passanten in Wien abzureagieren und eine Warnung für jeden auszusprechen, der gedenkt, ein Propheten-Witzchen zu veröffentlichen.
Während der französische Präsident, Emmanuel Macron, nach den neusten Anschlägen Maßnahmen gegen den »radikalen Islam« sowie »Aufklärungsfeindlichkeit, Fanatismus, gewalttätigen Extremismus« ankündigte, setzten die Vertreter des politischen Islams ihr Lieblingsthema, »Islamophobie«, dagegen. Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan, rief alle Muslime auf, der »islamophoben« Kampagne Frankreichs mit dem Boykott französischer Produkte zu begegnen, während terroristische Morde von Islamisten nicht thematisiert und – zumindest in Deutschland und Österreich – Anti-Islamophobie-Demos angemeldet wurden. Am 29. Oktober – tagsüber hatte in Nizza ein Islamist »Allahu akbar« rufend drei Menschen in einer Kirche ermordet – gingen in Berlin abends 150 muslimische Jungmänner mit demselben Slogan gegen Mohammed-Karikaturen und die vermeintlich islamfeindliche Politik Frankreichs auf die Straße.

Unterstützung erhielten die Feinde der Aufklärung von ihrerseits unerwarteter, aber nicht überraschender Seite. Jean-Louis Giordan, der Pfarrer des Anschlagziels in Nizza, sagte den »Vatican-News«: »Ich habe die Nase voll von diesen (Mohammed-)Karikaturen – sie haben zu einem Krieg geführt! Wir haben mit der Sache überhaupt nichts zu tun, aber man greift die Kirchen, man greift uns an. Das hat uns die sogenannte Laizität eingebrockt, die sogenannte Freiheit.« Ein schönes Beispiel für Täter-Opfer-Umkehr, denn Karikaturen haben bis heute höchstens Papierschnittwunden oder Lachkrämpfe verursacht, aber keine Menschen umgebracht. Wenn es um die Ablehnung von Humor und Satire geht, sind sich die beiden größten monotheistischen Religionen grundsätzlich einig, allerdings hat die christliche Mehrheitsreligion in Europa mittlerweile andere Wege als die Gewalt gefunden. Als 1979 »Monty Python’s Life Of Brian« erschien, führte der Film nicht nur in Großbritannien zu Protesten von Kirchenvertretern und christlichen Vereinigungen wegen angeblicher Blasphemie: In Irland für acht Jahre verboten, darf der Film bis heute in Deutschland an sogenannten stillen Feiertagen, wie Karfreitag, nicht öffentlich oder im analogen Fernsehen gezeigt werden. Einige Jahrzehnte später wusste die organisierte Christenheit allerdings schon, dass Klagen gegen Beleidigungen regelmäßig zu PR-Desastern für die Kläger führen, sodass der Vatikan die Klage gegen das Titanic-Cover mit dem eingepissten Papst zurückzog. Statt vor nationale Gerichte zu ziehen, zaubern Vertreter des politischen Islams lieber Todesurteile mit globaler Geltung aus der Tasche. So verurteilte Ajatollah Khomeini, der Revolutionsführer und damaliges Staatsoberhaupt der Islamischen Republik Iran, den Schriftsteller Salman Rushdie 1989 für seine Satire Die satanischen Verse mittels einer Fatwa zum Tode, weil Rushdie »den heiligen Glauben der Muslime« beleidigt habe. Er wies alle Muslime an, sich um die Vollstreckung des Urteils zu bemühen, und setzte zur Motivationssteigerung ein Kopfgeld aus, das in den letzten 30 Jahren mehrfach erhöht wurde – zuletzt 2016, zum 25. Jahrestag der Fatwa, auf mittlerweile knapp vier Millionen US-Dollar. Trotzdem die Fatwa auch für die verantwortlichen Verleger und Redakteure gilt, veröffentlicht Rushdie weiterhin in hohen Auflagen. Die Namen der Übersetzer jedoch werden nicht mehr genannt, nachdem bei verschiedenen Anschlägen der japanische Übersetzer ermordet, der italienische und norwegische schwer verletzt wurden.
Während im Grundsatz Humor und Satire gute Mittel sind, um Extremisten ihrer inhärenten Lächerlichkeit preiszugeben und zu entmystifizieren, ist es problematisch, wenn die – im weitesten Sinne – Mehrheitsgesellschaft sie gegen eine migrantische, religiöse Minderheit einsetzt, die daraufhin enger zusammenrückt und sich noch stärker abschottet. Schlimmer wird es nur noch, wenn der Staat selbst sich bemüht, witzig zu sein, wie der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz mit seinem »Youtube«-Kanal »Jihadi-Fool«. Dort verwenden die Schlapphüte das Mittel der Satire, um die Islamisten zu schwächen, aber wer sich auch nur ein Video der Reihe »Bombenstimmung mit Baksha« anschaut, wird das Gefühl nicht mehr los, dass dieser Kanal mehr schadet, als nutzt: Baksha nutzt Bezüge zum Revolverheld John Wayne, macht Waffenwitze über eine Gulaschkanone und verfehlt folgerichtig seine Zielgruppe.

Humor und Satire über Islamismus in der arabischen Welt verhandeln hingegen die beiden Wissenschaftler Gilbert Ramsay und Moutaz Alkheder in ihrer interdisziplinären Studie Joking About Jihad. Ihre zwei Leitfragen sind dabei zum einen, welche Art von Humor am effektivsten gegen Islamisten wirkt, und andererseits, wie Islamismus in der arabischen Welt humoristisch behandelt wird – auch von Islamisten selbst. Während Ramsay und Alkheder die These untermauern, dass Humor Terroristen entzaubern kann, benennen sie auch die Gefahr, dass insbesondere scharfe Satire bei Strenggläubigen zu einem Gefühl der Herabsetzung und in der Folge zu Radikalisierung führen kann. Die dargestellte Pop-Kultur der arabischen Welt spiegelt diese Ambivalenz: Der ägyptische Film »The Terrorist« von 1994, den Ramsay und Alkheder als erste Komödie über Islamismus aus der arabischen Welt betrachten, ist nur stellenweise lustig und über weite Strecken eher ernst, obwohl sowohl Hauptdarsteller Adel Imam als auch Drehbuchautor Lenin el-Ramly für ihre Komödien bekannt sind. Die Sorge um die konservativen Wertvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft führt dazu, dass humoristische Kritik in mehrheitlich muslimischen Ländern häufig zahnlos ist. Der arabische Frühling hat diese Situation noch verschärft – Ziel darf höchstens der Islamismus, niemals der Islam sein, und den Unterschied kennen nur Nahostexperten und die staatlichen Henker. Ein Kapitel widmen Ramsay und Alkheder dem Humor in islamistischer Propaganda, der die Opfer herabwürdigen und die Rekrutierung neuer Kämpfer unterstützen soll. So machte Osama Bin Laden in einer seiner Videobotschaften eine Anspielung auf die bekannte Tatsache, dass George W. Bush am 11. September 2001, nachdem er über den ersten Anschlag informiert wurde, weiterhin einer Schulklasse aus dem Kinderbuch The Pet Goat vorlas: »It seemed to him that occupying himself by talking to the little girl about the goat and its butting was more important than occupying himself with the planes and their butting of the skyscrapers.« Dank neuer Medien und halbwegs anonymen Internets finden regimekritische Memes und Witze – insbesondere über ISIS – dennoch Verbreitung. Deshalb ist dem Fazit von Ramsay und Alkheder durchaus eine verhaltene Hoffnung zu entnehmen: »On ist own, comedy will, of course, not defeat religious extremism. But contemporary Arab comedy has played a role in … transgressing the boundaries of consensus while somehow also enabling conversations where they once seemed impossible.«

Zumindest in Europa müssen sich religiöse Gemeinschaften jeglicher Art einen angemessenen Umgang mit ihnen gefallen lassen, wobei der Witz noch die schwächste Waffe ist. Über die Witzigkeit der jeweiligen Karikaturen, Memes oder Gedichte lässt sich sicher streiten, nicht aber darüber, ob Religiöse die Verhohnepiepelung ihres Glaubens ertragen müssen. Oder ob religiöse Gesetze, wie das Bilderverbot im Islam, auch für Un- und Andersgläubige gelten dürfen. Appeasement gegenüber autoritären Charakteren führt nicht zu ihrer Mäßigung, sondern bewirkt stets das Gegenteil, ihre Radikalisierung. In den westlichen Ländern sterben dafür Lehrer, Passanten und Karikaturisten, in islamischen Staaten reicht der Unglaube an sich für ein Todesurteil. Die Debatte ließe sich leicht durch den Hinweis auf universelle Menschenrechte abkürzen, denn das Menschenrecht auf Beleidigtsein gibt es nicht, und zum Recht auf Religionsfreiheit gehört auch das Recht auf die Freiheit von der Religion. Und genau gegen letzteres wenden sich die legalistischen Islamisten mit freundlicher Unterstützung der linken Identitätspolitik, die ebenfalls komplett humorbefreit ist – außer wenn es um alte weiße Männer geht.

Literatur

Gilbert Ramsay/Moutaz Alkheder: Joking About Jihad. Comedy and Terror in the Arab World. Hurst & Company, London 2020.

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