Wind fragt Wetter

Wind, Wasser, Wärme – unter dem Titel „Previous Layers“ wird im Rahmen von STWST48x4 auch ein Blick auf ein früheres STWST-Projekt geworfen: das „Wettergebäude“ aus dem Jahr 1988. Tanja Brandmayr, die heuer mit Wind arbeitet, im Austausch mit Thomas Lehner, der damals mit Wetter gearbeitet hat.

Zuerst zu unserem Wind-fragt-Wetter-Austausch … ich quasi der Wind und du das Wetter. Wie findest du die Idee, dass ein derzeitiges Projekt ein früheres Projekt nach seinen Intentionen und Hintergründen befragt?

Wiedermal frischen Wind in die STWST zu bringen, find ich natürlich super! Als ich von deinem Projekt erfahren hab, hat mich das gleich angesprochen. Nicht nur aus technischem Interesse, sondern auch poetisch. Diese Materie hat mich bereits vor dem Wettergebäude, sowohl technisch/wissenschaftlich, als auch künstlerisch beschäftigt und tut das auch heute noch. Jedenfalls freu ich mich über die Gelegenheit, hier ein paar Gedanken zu diesem äußerst komplexen Thema teilen zu können, die auch damals für das Wettergebäude ausschlaggebend waren.

Ein Haus aus Wetter. Ein Haus, das Energie verheizt, Wasser verschüttet, aus nichts Festem besteht: Vielleicht kannst du umreißen, worum es sich beim Wettergebäude gehandelt hat, was die Intentionen waren? Welche Art Gebäude sollte entstehen, welche Ästhetik, welcher Energieeffekt, welche Ökonomie? Oder auch: Welche Art von Spektakel?

Ein Haus ist an sich ein Gebäude, das vor Wind und Wetter schützt. Das Wettergebäude ist eines, das aus Wind und Wetter geschaffen, bzw gebaut wurde. Von der Funktion her also eher das Gegenteil eines Hauses. Eine Art Antihaus. Allerdings war es von seiner räumlichen Dimension haushoch. Es wurde auf einer durch die ersten Abrisse im umkämpften Alt-Uhrfahr-Ost entstanden Baulücke umgesetzt und war ein aus künstlich/maschinell erzeugtem Wind und Wetterbedingungen großräumig geschaffenes Gebilde, inmitten des städtischen Raumes. Von seiner Ausdehnung her überragte das Wettergebäude - im leider kaum dokumentierten Endstadium - die Dachgiebel der umstehenden Häuser und war in seiner nächtlich beleuchteten Erscheinung auch kilometerweit zu sehen. Das Gebäude war natürlich begehbar. Besucher konnten die überwiegend eher stürmisch-nassen Wetterbedingungen physisch real erleben. Aber es gab auch trockene und sowohl kalte als auch heiße Zonen innerhalb der Anlage.

Das klingt nach größerem Aufwand.

Alleine die Inbetriebnahme der das ganze Viertel beeinträchtigenden Installation war schon eine Performance für sich. Das Wasser wurde vom über die Nibelungenbrücke führenden Hauptstrang der Urfahraner Wasserversorgung über zu querende Zufahrtstraßen und einzelne Häuserdächer hinweg geführt und aus Bündeln an Feuerwehrschläuchen gebildeten Zuleitungen gepumpt. Die benzinbetriebenen Tragkraftspritzen mussten ständig nachjustiert und mit Brennstoff versorgt werden. Mehrere Kubikmeter Koks wurden in Brennkörben aus der Voest täglich zum Glühen gebracht. Die eigens geschaffene Starkstromversorgung zum Betrieb der unterschiedlichen Windmaschinen, als auch der Kompressoren und Turbinen der Schneekanonen, war im sehr nassen Gelände sicherungstechnisch eine anspruchsvolle Herausforderung. Allein das Starten der komplexen Anlage bedingte einen Ablaufplan, ähnlich einer Partitur mit viel Improvisationsfreiheit für Unvorhergesehenes. Der Energieaufwand war enorm. Die gigantischen Wassermassen, die wir mit Schneekanonen, Hydroschildern und anderen Düsen über der Baulücke in die Luft geschossen haben, regneten auf dem Gelände stürmisch nieder und mussten auch wieder/weiter abtransportiert werden. Die vorhandenen Kanalsysteme waren überlastet. Mit einem Bagger haben wir eine Grube ausgehoben, in der sich ein Teich bildete, aus dem wir unaufhörlich Wasser in die Donau abführen mussten, über mehrerer hundert Meter. Trotzdem waren Wassereinbrüche in einzelne Keller angrenzender Häuser nicht gänzlich zu vermeiden. Gut, dass wir bei diesem Projekt über eine herausragende Unterstützung durch Berufs- und auch der freiwilligen Feuerwehr verfügten. Ohne deren Partnerschaft wäre das Wettergebäude nicht realisierbar gewesen. Über die Tage bekamen wir das Spiel mit den Elementen aber immer besser in Griff. Leider gibt es von Prozess der Inbetriebnahme kaum dokumentarisches Material. Falls wer noch Fotos und/oder Videos davon hat, bitte melden!

Ich frage nach einem vermeintlichen Detail: Carl Michael Belcredi, der damalige ORF-Wettermann hat das Wettergebäude eröffnet. In diesem Setting war er wohl fast schon ein Wetterperformer? Hat er als erste Wetter-Instanz der Republik das Setting erst komplettiert?

Dass wir den Anchorman des amtlichen Wetterberichts im damals noch einzigen Österreichischen Fernsehen für die Eröffnung gewinnen konnten, gab dem Projekt natürlich so was wie eine offizielle Anerkennung. Der ORF war damals noch der alleinige Rundfunk-Betreiber in Österreich. Das Fernsehen war die Quelle des Glaubensbekenntnisses und der gesellschaftlichen Meinungsbildung, das www gab es allenfalls mal theoretisch. Carl Michael Belcredi war zu dieser Zeit in Fragen des Wetters eine Institution und irgendwie auch ein mit allen Wassern gewaschener TV-Star. Zudem ist er eine äußerst gebildete und sympathische Persönlichkeit mit entsprechend offenem Kunstverständnis. Er hat nicht nur eine sehr durchdachte Eröffnungsrede gehalten, sondern es gab vor allem auch einen Live-Wetterbericht aus dem Inneren des Wettergebäudes, der in der ‚Zeit im Bild‘ übertragen wurde. Als Experte hatte er sich bekleidungstechnisch entsprechend vorbereitet. Für das Kamerateam kam es eher unerwartet: Denn vor allem durch die Turbinen der Schneekanonen konnten wir in bestimmten Bereichen durchaus hurrikanähnliche Bedingungen schaffen. Über den alle verbindenden ORF-Wetterbericht im Fernsehen konnten jedenfalls Publikumsschichten weit über das Festivalpublikum der damaligen Ars Electronica hinaus erreicht werden.

Ich möchte speziell die Materialität oder auch die Performativität des Wettergebäudes ansprechen – Wind, Wasser, Hitze. Mich interessiert das, weil ich selbst in den letzten Jahren mit Nebel oder Eis gearbeitet habe, Nebel als Performer, Eis als Entität, heuer geht es bei mir um Luft und Wind. Ich arbeite mit immateriellen Material, umbesetzten Akteuren, systemischen Widersprüchen. Nicht zuletzt performt bei mir das Material sich selbst und gewisse Widersprüche. Ich habe mir einen systemischen Perfomancebegriff hergerichtet oder auch ein von mir so benanntes Bedeutungstheater, was sich alles von herkömmlichen Akteuren oder Gegenständen gelöst hat. Kurzes Beispiel aus dem Vorjahr: Ein Eisblock performt seine eigene Materialität indem er schmilzt, gleichzeitig eröffnet er als abgeschlossene und ausgestellte Entität ästhetische, technische, ökologische und ökonomische Kontexte und systemisch-immanente Widersprüche. Ich meine, ich habe meine Projekte nicht in Auseinandersetzung mit etwa dem Wettergebäude entwickelt, sehe hier aber, dass etwa auch beim Wettergebäude nicht-festes Material sich selbst performt hat – Hitze verheizt sich, Wasser verschüttet sich, etc … Siehst du hier Parallelen oder kannst du mit den von mir angesprochenen Begriffen etwas anfangen? Mir geht es um Research, Intention und eine Perspektive, die nach vorne weist – oder auch auf um entferntere, unerwartete größere Zusammenhänge.

Der Begriff Bedeutungstheater gefällt mir sehr gut. Das Wettergebäude war ja ein theatralisches Spiel, oder auch Tanz mit den Elementen. Die Haupt-Protagonisten waren Wasser und Luft, die wir durch mechanische Energie ineinander in Bewegung gesetzt, mit gasbetriebenen Heiz-Kanonen erwärmt, mit glühenden Kohlen verdampft und durch Kompression & Dekompression abgekühlt haben. Das Publikum konnte dem Geschehen von außen zusehen, oder in das Gebäude eintreten. Im Inneren herrschte vor allem eine sehr nasse Atmosphäre. Durch die Beleuchtung entstanden spontane Schattenspiele. Die sommerlichen Temperaturen luden zu einer Abkühlung im Wettergebäude ein. In der Hitze der Nacht ergaben sich vermehrt auch aktionistische Szenen. Das Bild von Menschen, die künstlich geschaffenen, stürmisch klimatischen Bedingungen ausgesetzt sind, hatte und hat etwas Visionäres.
Abgesehen davon: Künstlich Wind und Wetter zu erzeugen und/oder zu beeinflussen, ist etwas, das die Menschheit seit Urzeiten beschäftigt. Mit Sicherheit wird es das auch noch in ferner Zukunft tun. Wahrscheinlich bis zum Ende der Menschheit, auf unserer Erde und vielleicht auch noch darüber hinaus. Anscheinend haben wir es ja mittlerweile geschafft, das Klima des gesamten Planeten künstlich zu verändern - wenn auch ungewollt, oder aus Ignoranz. Die Thinktanks der Rüstungs- und Waffenindustrie sind voll von Ideen zur Klima-Beeinflussung. Kurios war die Planung eines gigantischen Parabolspiegels, der im Weltall schweben sollte, ähnlich eines bundeslandgroßen Brennglases, das Sonnenlicht auf eine gewünschte Region der Erde bündelt. Die klimatischen Effekte wären unvorhersehbar, aber in jedem Fall katastrophal. Eine bereits bekannte und bewährte Technik auf dem Gebiet der Regenmacherei ist das bei uns auch als Hagelschiessen bekannte, kontrollierte Auslösen des Regen/Hagel-Falls aus einer Wolke. Dabei wird in eine reife Wolke eine Rakete geschossen, die durch ihre Detonation Silberiodid freigibt und in der feuchten Luft verteilt. Das so in die Wolke eingebrachte Silberiodid liefert die für die Tropfenbildung notwendige Partikel, als Kondensationskerne, und lässt sie dadurch am gewünschten Ort abregnen/hageln. Diese Methode, die auch als "Wolkenimpfung" bekannt ist, wurde nicht zuletzt rund um Beijing bei der Eröffnung der olympischen Spiele, sowie jeden 1. und 8. Mai in Moskau erfolgreich angewendet. Ob das Hagelschiessen hierzulande zum Schutz der Weinernte nach wie vor betrieben wird, weiß ich nicht.
Auch früher schon versuchte man durch Regentänze, Gesänge und blutigen Menschenopfer die Gunst der Wettergötter zu erbeten. Mittels Geld das Wetter zu beeinflussen, so wie es heutzutage bei den Klimagipfeln verhandelt wird, wobei reiche Industriestaaten, das Recht auf globale Luftverschmutzung kaufen können, erinnert an die Opfergaben bereits untergegangener Zivilisationen. Auch in diesen haben die Priester dieser oft blutigen Rituale nicht ihr eigenes Leben oder Teile ihres Wohlstandes zu Gunsten der wetterbestimmenden Götter geopfert. Die einflussreichen Reichen werden nicht gegessen. Damals wie heute nicht.

Ok, die großen Bögen. In diesem Sinn möchte ich mit der mir immer wieder selbst gestellten Frage daherkommen, was denn die Kunst überhaupt für Fragen stellen soll. Warum überhaupt und was ist sozusagen die größere Frage im Wald vor lauter Bäumen. Heuer rufe ich den Wind als Medium auf. Der Wind ist Atmen und Denken, unglaublich körperlich und unglaublich abstrakt zugleich – unverbunden, weitläufig, das Gegenteil eines starren Netzwerkes. Und beim Wind heißt es bei mir: Distanzen vergrößern, lieber verblasen als vernetzen, Neuorganisation des Denkens und Fühlens. So was. In diesem Sinn will ich mit dem Wind kein Schindluder, sprich vor allem hier keine harte Bearbeitung des Materials betreiben … ich will sozusagen nicht ins Bergwerk gehen und Kunst aus dem Berg rauschlagen, wie ein Erz. Und dann aus der Natur Kultur machen. Man kennt diesen gleichsam mythologischen wie sozialphilosophischen Ansatz ja auch aus den verschiedensten Ring-Mythologien, die bekanntermaßen den Übergang der Vormoderne zur Moderne verhandeln: Zuerst Erz aus dem Berg schlagen, dann durch irgendeinen technologischen Voodoo einen Ring schmieden, dann folgen Verträge und Kapital – und bereits zu diesem Zeitpunkt sind alle unglücklich. Jetzt erleben wir das aber in immer schnelleren Zyklen. Und wir erleben das besonders hinsichtlich einer Sinn-Verdichtung, die nicht mehr da ist und die man vor lauter allgemeiner Auflösung erst selbst erzeugen müsste, um dann mit dem Herausschlagen erst wieder beginnen zu können. Paradox. Ich bin jetzt darauf zu sprechen gekommen, weil du die Götter erwähnt hast. Lass uns aber nochmal die Kontexte und Widersprüche erweitern, konkret hinsichtlich Luft, Wind und Wärme, hinsichtlich einer technologischen Entwicklung um diese Diskrepanzen. Lass uns nochmal vom Wind sprechen. Erzähl nochmal von deinen Kenntnissen zu diesen Aspekten.

Alles beginnt mit dem Wind, dem himmlischen Kind. Erst wenn Luft in Bewegung gerät, wird sie sinnlich erfahrbar. Luft hat Masse. Sonst würden wir sie ja nicht spüren. So simpel das klingt, so komplex ist es, wie das Wetter und das Klima an sich. Obwohl uns die Luft immer schon, ab unserer Geburt, ständig umgibt, haben wir, so naheliegend das ist, zivilisationsgeschichtlich doch relativ lange gebraucht, um zu erkennen, dass sie aus Materie besteht und so auch als Masse mit Gewicht zu begreifen ist. So gesehen werden wir wahrscheinlich auch noch sehr lange brauchen, um zu verstehen, wie das mit der dunklen Materie läuft. Irgendwie ist das schon grotesk, dass in Zeiten, in denen man bereits seit Jahrhunderten mit Wind betriebenen Segelschiffen die Welt eroberte, jene, die behaupteten, dass Luft Material und Masse ist, für verrückt erklärt hat. Erst im Laufe des 17. Jahrhunderts setzte sich diese Erkenntnis durch. Damals wurde das dann auch messtechnisch und experimental-physikalisch nachgewiesen und wurde so endlich auch innerhalb unseres akademischen, naturwissenschaftlichen Weltbildes anerkannt. Besonders das Verständnis über das spezifische Verhalten von Luft unter verschiedenen Druckverhältnissen führte zu unzähligen technischen Entwicklungen, die unsere Zivilisation bis heute nachhaltig geprägt haben und auch noch in der Zukunft beeinflussen werden. Einige Fakten: Wenn einem geschlossenen Gefäß die Luft entzogen wird, also ein Vakuum erzeugt wird, lässt sich erkennen, welche Kraft, alleine durch den Luftdruck, in unserer Atmosphäre herrscht. Wenn Luft stark komprimiert wird, verflüssigt sie sich. Es gibt trockene und feuchte Luft und wenn sie sich erwärmt, dehnt sie sich aus und steigt auf, wenn sie sich abkühlt zieht sie sich zusammen und sinkt ab. So entsteht auch der Wind.

Das Verhalten von Luft und so auch anderen Gasen, die sich durch Komprimierung verflüssigen und um wieder in ihren gasförmigen Zustand zu verdampfen, ihrer Umgebung Wärmeenergie entziehen, bildet nicht nur die Basis des Organismus eines jeden Kühlschranks, sondern ist auch Grundlage der Wissenschaft der künstlichen Kälteerzeugung. Diese bildet gemeinsam mit der Ventilation die Basis der Klimatechnik, die in der modernen Architektur eine wesentliche Rolle spielt. Das Wissen darüber, wie sich Luft bewegt war für die Architektur natürlich immer schon entscheidend. Vor allem in den 1970ern wurde bewegte Luft sogar als tragendes Baumaterial eingesetzt. Aber dazu noch später.
Durch die moderne Klimatechnik wurde der Bau immer höherer Häuser, mit allen Auswirkungen auf die Gestaltung heutiger Großstätte und ihren Einfluss auf das Klima, erst ermöglicht. Unzählige, und jetzt am Klimawandel beteiligte zivilisatorische Prozesse wären ohne künstliche Kühlung gar nicht denkbar. Jedenfalls, je mehr wir künstlich kühlen, desto mehr erwärmen wir auch die Atmosphäre unseres Planeten und beeinflussen so globale Wind- und Wetter-Phänomene. Dieser Zusammenhang ist aus vielerlei Hinsicht ein Fakt. Ganz abgesehen davon, dass bei der Kälteerzeugung ohnehin immer auch Wärme entsteht. Auch bei der künstlichen Winderzeugung, beispielsweise ein Ventilator, der durch seinen Motor Wärme abgibt oder der Kondensator an der Rückseite des Kühlschranks, der heiß wird. Aber vor allem natürlich bei der für den Betrieb von Kühlgeräten notwendigen Stromerzeugung, wo immer auch Wärme entsteht. Ein Atomkraftwerk ohne funktionierender Kühlanlage führt zu einer Katastrophe. Künstlich erzeugter Wind durchströmt mittels kleiner Ventilatoren unsere Computer, um die Abwärme der Prozessoren zu verblasen. Festplatten drehen sich auf einem Luftpolster. Der CO2-Footprint unserer Datencenter ist hauptsächlich wegen des Energieverbrauchs ihrer Kühlanlagen gigantisch. Unter der Kühlerhaube des Automobils befindet sich ein Kühlsystem, und so weiter. Wirtschaftliche Interessen stehen über allem und der Glaube daran, dass sich mit Geld alles regeln lässt, ist in unserer Kultur so tief verwurzelt, dass anscheinend der Anstieg des CO2-Anteils in unser aller Luft, auch nur noch durch die Kapitalisierung der Atmosphäre bekämpft werden kann. So sehr hat sich der Glaube an das kapitalistische Wertesystem in unserer Gesellschaft verfestigt, dass „um die Welt zu retten“ die Luft als käufliches Ding, Gegenstand und Ware behandelt wird.

Du hast die Kapitalisierung der Atmosphäre angesprochen – ich komme gleich auf die Kolonialisierung des Schlafes zurück. Zuerst nochmal der Häuslbau. Ich glaube auch eine Konstante über die Jahre zu sehen, eine thematische Verbindung von der früheren zur jetzigen Stadtwerkstatt – nämlich die des Häuserbauens auf andere Weise. Das Wettergebäude war ja auch ein Hausbau, neben doch einigen anderen Haus-, Gestaltungs- oder auch Stadtthematiken über die Jahre. Ich nehme jetzt ein aktuelles Stadtwerkstatt-„Bauprojekt“ von 2018, den Sleep Tunnel. Das STWST-Dptm. No Architects baut heuer ein Haus aus Schlaf, eine dimensionslose Schlafarchitektur. Ein Kontextgebilde aus Fragen, ein an sich selbst fragwürdiges Gebilde, wo so eine menschliche Conditio eigentlich unterwegs sein kann … in einem existenziellen Sinn, in den heutigen Verhältnissen, oder in vielleicht tatsächlich noch kaum erforschten Bereichen, wie etwa dem Schlaf. Natürlich geht es hier nicht um eine Kolonialisierung des Schlafes, etwa im Sinne eines verwertungsbezogenen Einfallens, Eroberns, einer Unterwerfung, der Ausbeutung und Unfreiheit; des Einfallens in ein Anderes, Unbewusstes, Natürliches, in ein Unschuldiges als eine noch nicht oder kaum verwertete Sphäre, den Schlaf. Im Gegenteil – es geht um Ruhe, Freiheit, Natur und Autonomie. Und in einem ganz existenziellen sowie politischen Sinn geht es um grundsätzlich andere Bewusstseinszustände. Um zur Frage zu kommen: Wir bauen ein Haus aus Schlaf, ihr habt ein Haus aus Wetter gebaut. So viele Häuser – auch eine eigene Geschichte über die Jahre? Wo siehst du ähnliche oder auch konträre Intentionen in den Vorhaben, wie waren die Dinge diesbezüglich beim Wetter- und Antihaus gelagert?

Architektur und Wetter haben naturgemäß und ursächlich miteinander zu tun. Eine aus Wind & Wetter errichtete Architektur hinterfragt natürlich die Sinnhaftigkeit der üblichen, konventionell-zweckorientierten Konzepte, für den Umgang mit dem städtischen Raum. Das Wettergebäude war vor allem eine architektonische Intervention. Der damals für das Viertel vorgesehene Bebauungsplan beruhte nach wie vor auf den alten Ideen von Adolf Hitler und Albert Speer. Auch die kulturpolitischen Konzepte für Linz basierten immer noch auf den Plänen aus der Nazizeit. Das wollten wir ändern. Mit dem herrschenden Kunstbegriff, in dem die Kunst nur als Ding, Gegenstand und am besten als verkäufliche Ware gesehen wurde, konnten wir nur wenig anfangen. Uns ging es vor allem um gedankliche, formale und örtliche Freiräume. In diesem Sinn war das Bauen mit Wind und Wetter auch ein utopischer Entwurf.
Obwohl, hier zurück zur Architektur der 70er Jahre, in denen der Energieverbrauch noch nicht eine so große Rolle gespielt hat und so Luft als tragendes Baumaterial eingesetzt werden konnte.
Wie gesagt, ein wesentlicher technischer Aspekt bei der Entwicklung des Wettergebäudes war, dass Luft Materie ist und es so möglich ist, wenn man sie beschleunigt, aus ihr Räume zu schaffen; und sie so im wahrsten Sinne als tragendes Baumaterial einsetzen zu können. Ein anschauliches Bespiel aus der Architektur dafür sind die Traglufthallen der 70er und vor allem deren Tore. Diese aus -mittels Gebläsen- beschleunigter Luft gebildeten Schleusen-Tore ermöglichen es, den Durchgang nur durch die Luftströmung so zu schließen, dass im inneren der Halle der Druck nicht abfällt und die klimatischen Bedingungen von außen nicht eindringen können. Auch wenn gerade ein LKW durch das Tor fährt. Dieses Verfahren wird auch heute noch eingesetzt. Etwa bei Zu- und Abgängen von U-Bahn-Anlagen. Aber unsere Intentionen gingen natürlich weit über die technischen Aspekte hinaus – es ging eben um einen utopischen und auch poetischen Entwurf einer anderen Art des „Bauens“. Und hinsichtlich eines selbstermächtigenden sozialen und politischen Aspekts: Die Diskussionen mit erscheinenden Schaulustigen kamen unseren Intentionen sehr entgegen. Vor allem entstand ein reger Diskurs mit den Besuchern aus der Nachbarschaft, die ja auch von den Bebauungsplänen im Viertel betroffen waren, über die wir künstlerisch aufmerksam machen wollten. Uns war es damals sehr wichtig, mit unserer Kunst Publikumsschichten aller Klassen erreichen zu können. Allerdings ohne Verlust an Radikalität und Qualität der Werke und deren Aussage. Ohne Anpassung an kunst-marktwirtschaftliche oder populistische Intentionen. Das Kontroversielle und der Diskurs reizten uns. Wir wollten ja auch in der Stadt was beeinflussen und nicht nur - obwohl natürlich auch -  eine Handvoll KuratorInnen beeindrucken.

Wie wurde das Wettergebäude dann von dieser Seite aufgenommen?

Von Seiten der Kunstprominenz gab es viel Lob und unzählige Schulterklopfer von den damals meinungsbildenden Kunst-ExpertInnen. "Das gehört auf die Biennale, auf die Documenta, eine Europa-Tour müssts machen ... lalla": war der Tenor. Die einzigen konkreten Gespräche für eine mögliche, weitere Inszenierung des Wettergebäudes, an die ich mich erinnern kann, gab es dann mit dem damals gerade in Entstehung begriffenen Festival in Newcastle. Aber allein die Kosten für den Transport der Gerätschaft sprengte deren mögliches Budget. Dann gab es auch noch die Geschichte, das Wettergebäude vor der Oper in Manaus, Brasilien aufzuführen. Auch das entpuppte sich als Luftschloss. Jedenfalls wäre es auch heute noch reizvoll, das Wettergebäude mal wieder neu zu Inszenieren. Zeitgemäß wäre das allemal.



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Thomas Lehner war über viele Jahre in unterschiedlichen leitenden Positionen der STWST tätig.
Vor allem an der Konzeption und Umsetzung zahlreicher STWST-Kunstprojekte der 80er & 90er Jahre war er maßgeblich beteiligt. Er entwickelte die Grundidee für das Wettergebäude. Für Konzeption, Gestaltung und Umsetzung des gemeinschaftlichen STWST-Kunstprojekts zeichnen in erster Linie: Thomas Lehner, Georg Ritter, Markus Binder und Rainer Zendron; viele andere haben mitgewirkt: Werner Katzmaier, Gotthard Wagner, Wilfried Hinterreiter, Franz Moharitsch, Sabine Gruber, Kurt Holzinger, Edith Stauber, Wolfgang Hofmann, Erich Klinger, Silvia Zendron, Bernd Richard, Johannes Knipp, Peter Hauenschild, Attila Kosa, Helmut Weber, Ernst Matscheko, Dieter Lasser, Heinz Reisinger, Ingrid Scheurecker, Alexander Dessl, Herbert Schager, Ruth Scala, Margit Knipp, Otto Mittmannsgruber, Peter Utz, Brigitte Schober, Brigitte Vasicek, Almud Wagner, Kurt Hennrich, Leo Schatzl, Wolfgang Lehner, Wolfgang Dorninger, Gustav Dornetshuber, Simon Ritter, Georg Pichler. Nicht zu vergessen den damaligen künstlerischen Direktor der Ars Electronica, Gottfried Hattinger. Ohne ihn hätte es das Wettergebäude wahrscheinlich nicht gegeben.

Mehr: archiv.stwst.at -> Chronologie -> 1988

 

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Im Rahmen von STWST48x4 wird in einer kleinen Ausstellungssituation eine Referenz auf das Wettergebäude gesetzt. Im Werkstattraum wird eine Windmaschine des Wettergebäudes und ein Kurz-Dokumentationsvideo über das Projekt zu sehen sein.

 

Das Wettergebäude, 1988 (Foto Stwst, 1988)