Die Eleonore ist ein ehemaliges Wohnschiff und liegt fest vertäut im Winterhafen von Linz. Das Schiff verfügt neben zwei Schlafkabinen, einem Vortragssaal und einer Kombüse, über die legendäre Gemeinschaftskajüte. Es ist die Enge, die Vertrautheit und der Alkohol, der die Phantasie beflügelt und zu den unglaublichen Geschichten, dem berühmten Seemannsgarn, in einer eben solchen Kajüte führt. Es sind jene Erlebnisberichte und Geschichten von Seeleuten im Grenzbereich zwischen Wahrheit und Phantasie, die alle etwas undurchsichtig, dafür aber glaubhaft-eindrucksvoll sind. Die Seeleute der Eleonore bezeichnen sich selbst als Donauten. Ihre Schicksalsgemeinschaft ist die, derjenigen, die auf der Donau fahren, analog zu den Argonauten, die in der griechischen Mythologie auf der Suche nach dem goldenen Vlies auf dem Schiff Argo segelten. Die Schiffsführer der Eleonore sind Franz Xaver und Taro.
Die Eleonore ist ein Hausschiff der Stadtwerkstatt Linz, die Künstlern und Kunsttheoretikern Stipendien gewährt. Die Eleonore vermittelt ihren Stipendiaten die authentische Erfahrung eines auf das nötigste beschränkten Lebensraums. Dieser Lebensraum, der sein Alter und seine unterschiedlichen Nutzungen nicht zu verbergen sucht, setzt dem Luxus postmoderner Kunstwelten die Erfahrung eines modernen Spartiaten entgegen. Spartanisch steht hierbei für streng, hart, anspruchslos, genügsam und einfach. Die Eleonore setzt auf eine spartanische und lebensnahe Erfahrungen und vermittelt diese mit der ihr eigenen Lakonik. Mag die Welt mit Krisen beschäftigt sein, solange es Wasser in der Donau gibt, gibt es ein WC, das funktioniert. Auf das Wesentlichste reduziert ist der Bewohner der Eleonore krisenfest und selbstständig. Das Umfeld erinnert an Diogenes. Diogenes erlebte eine Zeit massiver gesellschaftlicher Veränderungen und eine damit einhergehende Veränderung des Welt- und Menschenbildes der Griechen. Peter Sloterdijk beschreibt die Situation: »Wer nicht blind ist, muss erkennen, dass ein neues Ethos, eine neue Anthropologie fällig geworden sind; man ist nicht mehr engstirniger Bürger einer zufälligen Stadtgemeinschaft, sondern muss sich als Individuum in einem erweiterten Kosmos begreifen.«[1] Die Donauten begreifen sich als Teil eines erweiterten Kosmos, den sie mit der Chiffre Donau andeuten. Sie wissen sich in ihrer spartanischen und lakonischen Grundhaltung für Veränderungen jeder Art gerüstet. Hinzu kommt der scheinbar an Diogenes geschulte Sinn für das Wesentliche. Für ihn ist der Mensch Sklave seiner eigenen künstlichen Bedürfnisse und seiner Bequemlichkeit. Die letztgenannte ist demnach der Ursprung von künstlichen Bedürfnissen. Der Irrtum der Menschen sei es, Bequemlichkeit mit Freiheit zu verwechseln. »Auf der Jagd nach Vergnügungen um jeden Preis werde ihr Leben immer freudloser und mühsamer, und während sie glaubten, für sich selbst vorzusorgen, kämen sie vor Sorge und Voraussicht erbärmlich um.«[2] Sloterdijk fasst die Kritik mit heutigen Begriffen zusammen: »Ideale, Pflichtideen, Erlösungsversprechen, Hoffnungen auf Unsterblichkeit, Ziele des Ehrgeizes, Machtpositionen, Karrieren, Künste, Reichtümer. Aus zynischer Sicht sind das alles Kompensationen für etwas, was sich ein Diogenes erst gar nicht rauben lässt: Freiheit, Bewusstheit, Freude am Leben.«[3] Der durch die postmodernen Delirien von künstlichen Welten navigierende Künstler, soll auf diesen Sachverhalt hingewiesen werden. Kunst ist per se existent und Kunstmachen per se machbar. Kunst entsteht nicht aus dem Bedienen manischer Überflusswelten postmoderner Kunstsysteme. Kunst zeigt sich nicht durch postmoderne Kunstmarktexzesse der von Theodor Adorno so verhassten Kulturindustrie, samt ihrer kapitalistisch messbaren Erträge. Kunst ist per se und a priori jenseits künstlicher Erwartungshorizonte existent. Diese Erkenntnis ist die erste, die der Stipendiat der Eleonore erlernt.
Jeden Montagabend wird auf der Eleonore die Welt verbessert und keine Kunst gemacht. Weltverbesserung ist die Parole der Donauten. Hierbei vermitteln sie ein Gefühl von Gemeinschaft, das jenseits des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Überlegenheitspathos für einen Weg des gedanklichen und kulturellen Austausches auf Augenhöhe plädiert. Sie verkörpern ein Bewusstsein, das Künstler und Kulturanthropologen, genauso einbindet wie traditionelle Handwerker und Schiffsbauer mit ihren schiffsspezifischen Kenntnissen. Das Ergebnis solcher kollektiver Denkprozesse ist immer die Bricollage. Der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss stellte den Begriff Bricollage 1962 in seinem Konzept des »Wilden Denkens« vor und versteht ihn als das »Nehmen und Verknüpfen, von dem was da ist«. Für ihn beschreibt er die nicht vordefinierte Reorganisation von unmittelbar zur Verfügung stehenden Zeichen beziehungsweise Ereignissen zu neuen Strukturen. Diese Haltung wird durch die Eleonore und die Donauten verkörpert.
Erich Fromm schreibt bereits 1965: »Ich glaube, dass die Verwirklichung einer Welt möglich ist, in der der Mensch viel sein kann, selbst wenn er wenig hat; in der der vorherrschende Beweggrund seines Lebens nicht das Konsumieren ist; in der der Mensch das erste und das letzte Ziel ist; in der der Mensch den Weg finden kann, seinem Leben einen Sinn zu geben, und in der er auch die Stärke finden kann, frei und illusionslos zu leben.«[4] Frei und illusionslos müssen wir einen Prozess des Schrumpfens unser westlichen Nationalökonomien vor dem Hintergrund weltweiter neuer Arbeitsteilungen in der Produktion und Verteilung von Rohstoffen, Investitions- und Konsumptionsgütern konstatieren. Der Wohlstand wie wir ihn kannten und kennen wird nur sehr schwer aufrecht zu erhalten sein. Eine Bricollage bedeutet nicht unbedingt eine Minderung der Lebensqualität und Lebensfreude wie mir Taro, der jüngere der beiden Schiffsführer, erklärt. Er, dessen Vorfahren aus Japan kamen, weiß um die Qualitäten der Edo Kultur. Der Zukunftsforscher Azby Brown gibt uns einen Einblick in eben diese Kultur.[5]
Azby Brown, beschreibt in seinem Buch »Just enough ...« ein erfolgversprechendes und historisch erprobtes Lösungsszenario.[6] Er beschreibt das Leben im traditionellen Japan der Edo-Zeit. Als Edo-Zeit wird die japanische Geschichte von 1603 bis 1868 bezeichnet, benannt nach dem damaligen Namen der Hauptstadt, Edo (heute Tokio). Er beinhaltet die längste ununterbrochene Friedensperiode eines Landes in der Neuzeit weltweit. Es war die Zeit, als sich traditionelle Technologien auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklungen befanden und kurz bevor sich das Land westlichen Einflüssen öffnete und selbst in das industrielle Zeitalter eintrat. Einige Jahrhunderte vorher war das Land in einem desolaten Zustand, eine aggressive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, verbunden mit Klimaproblemen und Nahrungsmittelknappheit. Fragen der Energie, des Wassers, des Materials, der Nahrung und der Überbevölkerung spielten eine erhebliche Rolle und man fand Lösungen. Zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich die Gesellschaft in eine Ressourcen schonende und sparsame, abfallfreie, wohlbehütete, wohlversorgte und ökonomisch robuste Gesellschaft umgewandelt, die uns bis heute bewundernswerte und nachhaltige Standards in Design und Architektur überliefert. Wir lernen bei der Lektüre über eine wirkliche nachhaltige Gesellschaftskultur: wie gesamtgesellschaftliche Notwendigkeiten das tägliche Leben mitbestimmen können und wie soziale und ökologische Zusammenhänge unser tägliches Leben bestimmen, ohne den Lebensstandard einzuschränken. Der Autor weist uns auf die Eleganz der Möbel, Häuser und Gegenstände dieser Zeit und stellt den damaligen Purismus verbunden mit einer Ästhetik der Sparsamkeit und Effizienz als äußerst lebenswert heraus. Es ist das gute Gewissen, das richtige mit den gegebenen Mitteln zu tun.[7] Das Schiff Eleonore und die Donauten geben ein gutes Beispiel für diese Einstellung. Sie simulieren einen Lebensraum, in dem es sich frei und illusionslos leben lässt, jenseits von den spätkapitalistischen Konsumzwängen. Es geht ihnen vielmehr darum, ihre Gäste anzuregen, über den Sinn der Arrangements mit der spätkapitalistischen Gebärdengesellschaft nachzudenken.