Gleich einmal vorneweg: Frauen[1] wünschen sich, dass Aktivitäten zum 8. März überflüssig werden. Eine Welt ohne Geschlechterungerechtigkeit und -gewalt, ohne Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit, also auch ohne den Druck, sich permanent als Männlein oder Weiblein deklarieren zu müssen, ist für viele Feminist*innen in poststrukturalistischen Zeiten die anzustrebende Utopie.
Braucht der Feminismus die Frauen? Judith Butlers Antwort darauf lautete: »Der Feminismus braucht die Frauen, aber er muss nicht wissen, wer sie sind.«[2]
Der postmoderne Diskurs findet allerdings auf sehr weißem, privilegiertem Boden statt. Was ist mit jenen, denen ihr Subjektstatus von der Gesellschaft nicht zuerkannt wird, die unsichtbar gemacht werden, nicht gehört werden? Black- und chicana feminists wie bell hooks, Audre Lord und Gloria Anzaldúa haben darauf hingewiesen, dass weiße Frauen in ihren Kämpfen häufig nur von ihren eigenen Lebenssituationen ausgegangen sind. Betty Friedans Buch »Der Weiblichkeitswahn« war eines der am heftigsten kritisierten Werke der zweiten Frauenbewegung. Friedan klagte damals über den Frust von weißen Akademikerinnen, nach dem Studium nur Hausfrau und Mutter zu sein und an einer äußerst ungünstigen Mischung aus Überforderung und Langweile zu leiden. Was sie aus ihrer Position heraus nicht gesehen hat war, dass Frauen in unsicheren ökonomischen Situationen längst arbeiten mussten, um ihre Familie zu ernähren.
Leider existieren diese blinden Flecken nach wie vor. Postkoloniale Theoretikerinnen, genauso wie Judith Butler, werfen auch der heutigen Frauenbewegung zu Recht Ausgrenzungsmechanismen vor.
»Wenn du kritisch bist, doch dich nicht siehst, bleibt das dein Privileg«.[3]
Wo sind sie denn, die subversiven, dringend notwendigen queer-feministischen Solidaritäten mit Migrant*innen, Frauen mit körperlichen, geistigen, psychischen Beeinträchtigungen, Frauen der Arbeiter*innenklasse (die es nämlich auch in Österreich noch gibt), Inter- und Transsexuellen? Es gibt sie bisher nur in Ansätzen, diese gemeinsamen Kämpfe.
Die Überzahl weißer Feminist*innen reflektiert ihre Privilegien gegenüber Migrant*innen ebenso wenig wie weiße Männer ihre Vormachtstellung in der Gesellschaft. Der Prozess des »othering« (Spivak) führt dazu, dass wir ein von uns abgegrenztes Bild »der* Anderen« produzieren, das uns erlaubt, diese* Andere* als so fremd und anders wahrzunehmen, als ob das eigene Leben nichts mit der* Anderen* zu tun hätte und als ob der Wohlstand Österreichs nicht mit der Armut in anderen Ländern in Zusammenhang stehen würde. Der Opferdiskurs um »DIE unterdrückte Migrantin« dient vor allem dazu, Rassismen zu verschleiern und das Selbstbild der »emanzipierten Europäerin« zu zementieren. Weiße Akademiker*innen führen abgehobene Debatten um die Ausbeutung der Frauen, prekäre Arbeitsverhältnisse, Critical Whiteness und Intersektionalität, während sie von Migrant*innen ihre Kinder betreuen und ihre Großeltern pflegen lassen.[4]
Critical Österreichness
In Europa ist mensch entsetzt darüber, wenn woanders Menschenrechte verletzt werden. Es ist unbestritten, dass es Länder gibt, in denen Frauenrechte mehr und brutaler mit den Füßen getreten werden als in anderen. Deshalb soll kein »Ranking« des Leids vorgenommen werden.
Manches sieht österreicher*in allerdings aus der Distanz klarer als aus der Nähe und die eurozentrische Weltsicht ist oft hinderlich beim Erkennen der misogynen Strukturen und Handlungen im eigenen Land. Was gibt’s also Neues im Westen? Werfen wir doch einen queer-feministisch-kritischen Blick darauf, was sich im letzten Jahr aus frauenpolitischer Perspektive in Österreich und Deutschland getan hat.
Die Amstettner FP-Stadträtin Brigitte Kashofer warf dem Frauenhaus vor, mitschuldig an der Zerstörung von Ehen und Partnerschaften zu sein.[5]
Die selbsternannten »Lebensschützer*innen« von HLI (Human Life International), denen es egal ist, dass Frauen sterben müssen, nur weil ihnen das Recht auf eine medizinisch korrekt durchgeführte Abtreibung verweigert wird, durften im Oktober in Wien ihren »6. Welt-Gebets-Kongress für das Leben« feiern.[6] Die Deutsche Bahn brachte im Sommer die frauenfeindlichen Demonstrant*innen sogar mit Tickets zum Sonderpreis zu ihrem »Marsch für das Leben 2012«.[7]
In Köln wurde zu Beginn des Jahres 2013 einer Frau nach einer Vergewaltigung in zwei katholischen Krankenhäusern Hilfe verweigert, weil die Klinikleitung moralische Bedenken hat, Vergewaltigungsopfern die sogenannte »Pille danach«, ein Notfallverhütungsmittel, zu verabreichen.[8]
Anstatt Frauen die Definitionsmacht darüber zu lassen, was ein sexualisierter Übergriff ist und was nicht, wird in Österreich darüber diskutiert, an welchen Körperstellen Frauen begrapscht werden dürfen. Sexuelle Belästigung wird nicht ernst genug genommen, um ins Strafrecht aufgenommen zu werden.[9]
Bei ÖVP, FPÖ und BZÖ gingen die Wogen gegen eine Aufklärungsbroschüre für den Sexualkundeunterricht hoch, weil darin queeren Lebens-weisen gleichberechtigt Platz gegeben wird.[10]
Sexarbeiterinnen werden in Wien an die gefährlichen Außenbezirke verjagt. Auch in Oberösterreich wurden Betroffene nicht in die Entwicklung des neuen OÖ Sexualdienstleistungsgesetzes miteinbezogen.[11]
Der Freiheitliche Politiker Wolfgang Kitzmüller hinterließ vor Kurzem auf der Facebookseite der HOSI Linz einen Kommentar, für welchen der Begriff »hate speech« zutreffender nicht sein könnte.[12] Österreichs unabhängiges Nachrichtenmagazin behauptete, dass die Einkommensunge-rechtigkeit zwischen Männern und Frauen ein Mythos ist. Frauenpolitikerinnen würden mit falschen Zahlen den Geschlechterkampf aufheizen.[13] Das ist ungefähr so zynisch wie die Entscheidung der rechts-populistisch-konservativen Regierung im Jahr 2000, das Frauenministerium mit der Begründung, dass nun Gender Mainstreaming gemacht werde, aufzulösen.[14]
Aus Platzmangel kann an dieser Stelle nicht auf die weiteren, im letzten Jahr stattgefundenen, Gewaltakte gegen Frauen, teilweise mit rassistischem Hintergrund, eingegangen werden. Ziel war auch keine vollständige Aufzählung, sondern lediglich das Wagen eines kritischen Blickes auf das Land, das wir so nicht haben wollen.
Es gibt also noch einiges zu tun für alle »F«s und alle mit »*«. Zum Glück gibt es subversive Migrant*innen, die etwas Entwicklungshilfe im »Land der Fußkranken«[15] leisten.
Am 8. März wollen wir gemeinsam dagegen anschreien, dass Frauen- und Menschenrechte in Österreich täglich verletzt werden. Wir werden ge- meinsam den braunen Sumpf pink und lila einfärben. Wir werden gleichzeitig das Frau-Sein abschaffen und für Frauenrechte kämpfen. Wir lassen uns nämlich nichts vorschreiben. »Wir wollen das ganze Paradies!«[16]