Kunst kommt von »nicht können«

Franz Xaver über Kunst, Natur und die Frage, ob Technologie anders genutzt werden kann.

Die Gestaltung der Hausfassade der Stadtwerkstatt ist ein langfristiges Projekt unter dem Titel »Wilder Efeu«. Auf die Fassade der Stadtwerkstatt soll zwischen Natur ein vier Meter langes mechanisches Pendel montiert werden. Es geht um Kunst, Natur und die Frage, ob Technologie anders genutzt werden kann.

Kunst ist ein Begriff, den es schon so lange gibt wie die Menschheit. Kunst ist untrennbar mit dem Menschen verbunden, sie prägte die Meilensteine unsere Kulturgeschichte. Unter anderen waren einer der ersten nachweisbaren Schritte die Höhlenmalereien vor 40.000 Jahren. An sicheren Plätzen wurden von unseren Vorfahren die Bilder der Natur gemalt. Es waren die ersten Zeugnisse unserer Kulturgeschichte. Die ersten Bilder spiegeln den Wunsch, Nahrung und Natur ohne Gefahr abzubilden. Es war die Angst vor der Natur, die uns in den Fortschritt und damit in die Kunst trieb. Es war aber genauso wichtig, diese künstlichen Bilder zu benennen, um Bedeutung und Information vermitteln zu können. Die Information ist also mindestens genauso alt und ebenso wichtig wie diese Kunst.

Infolge ermöglicht uns die Kunst wichtige kulturelle Entwicklungsschritte wie Schrift und Buchdruck. Durch die digitale Informationsverarbeitung der letzten 50-70 Jahre zeichnet sich ein weiterer großer Entwicklungsschritt unserer Kulturgeschichte ab. Kunst stand immer in Opposition zur Natur und wollte die Welt künstlich erschaffen, um sich nicht in Gefahr begeben zu müssen. Kunst steht für eine Spielwelt im Spiegelbild der Natur. Alle Dinge, die nicht in der Natur ihren Ursprung haben, müssen demnach künstlich sein. Die Welt der Technologie wurde mit Begriffen wie Kunstblumen, Kunststoffen, künstlichem Licht, künstlichem Haar, Kunstpelz etc. beschrieben. Die Technik lässt sich bis zum gottähnlichen Wunsch fortsetzen, künstliches Leben zu erschaffen.

Im Lauf der Zeit wurden unsere individuellen künstlerischen Fertigkeiten durch Technologien abgelöst. Das ursprüngliche Anliegen, die Natur realistisch abzubilden, um damit Information zu transportieren, wurde also mit Hilfe von technologischen Apparaturen erledigt. Am Beispiel des Fotoapparates konnte sich die Kunst nun weiterentwickeln, und öffnete damit Freiräume für Malerei und Grafik. Die Bilder, die mit Hilfe des Fotoapparates entstanden, wurden mehr als nur naturgetreue Abbilder der Natur. Es konnten z.B. die sozialen Anliegen, Utopien und Sehnsüchte, sowie die ganze Kulturgeschichte in die fotografischen Bilder »verpackt« werden. Für die BilderschafferInnen brachte dieser technologische Fortschritt nur Vorteile. Man musste sich nicht mehr um das naturgetreue Abbild kümmern, der/die KünstlerIn hatte den Kopf wieder frei, um Neues zu denken und in Bildern und Werken umzusetzen. Es entstand ein neuer Layer der Kunst. Mit der Technologie entstand also ein erweiterter Kunstbegriff, der nicht nur die Malerei befreite. Der Expressionismus, Impressionismus, Surrealismus, Futurismus, Bauhaus, Dada, Abstraktionen aller Art bis zur Konzeptkunst, bis uns die Einbindung aller verfügbaren Materialien in die Postmoderne führte. Doch die Ausgangssituation nach jedem neuen Layer war immer wieder der Spiegel der subjektiven Realität. Der Drang, eine künstliche Sicht von der Natur und ihren Technologien zu erzeugen, befreite immer wieder die Genres der Kunst und ermöglichte damit kontinuierlich neue kleine kulturelle Meilensteine in unserer Geschichte.

Das Wissen über die Technologien – nicht deren Anwendung – ist also für neue Kunst essentiell. Unser Schaffenswunsch führt uns also stets zurück zur Auseinandersetzung mit der Erforschung der Natur.
Denn nach wie vor ist die Vielfalt der Natur nicht ausgeschöpft. Es finden sich konstant neue Dinge und wir kennen auch immer noch nicht alle Gefahren. Das Wissen darüber lernen wir über neue Erkenntnisse natürlicher Vorgänge unter Nutzung bestehender Technologien. Wir abstrahieren es von der Natur. Das Wissen darüber ist also künstlich, unser Köper bleibt Natur. Es stellt sich die Frage, ob unser Forscherdrang z.B. nach dem Higgs-Teilchen, möglichen Überlichtgeschwindigkeiten von Quasaren oder die Entschlüsselung des Genoms aus einer Urangst vor der Natur kommt, oder ob inzwischen künstliche Konstrukte wie Marktvorteile die Ursache der Forschung sind. Die Angst vor der Natur sollte man nicht unterschätzen, sie sitzt tief im innersten Ich, denn seit den ersten Tagen der Menschheit war die Natur immer ein Feind und lebensbedrohlich für den Menschen. Fressen oder gefressen werden, ist eine Grundregel der Evolution und schaffte damit die Angst, die  sich nach der aufgearbeiteten Information darüber meist als unbegründet herausstellt.
 
Zurück zur Informationstechnolgie, dem aktuellen Meilenstein unserer Kulturgeschichte. Es scheint, dass der Schritt in die digitale Welt unsere gesamte Kulturgeschichte noch einmal spiegeln wird, um unsere Künste der Techniken mit einer ganz anderen neuen Technologie aufzuarbeiten. Es entsteht dadurch Kunst des Künstlichen. Das erste Bild auf dem Felsen wäre ohne die gleichzeitige Schaffung von Information wertlos. Genau die Information ist es, die wir nun verarbeiten müssen. Die »Informationstheorie« machte vor ca. 70 Jahren den ersten Schritt. Bei genauerer Betrachtung ist sie aber nur eine Theorie, um die Nachrichtentechnik zu optimieren. Sie sagt über das Wesen der Information nichts aus. Es ist also falsch, diese Technologie weiter als Informationstheorie zu bezeichnen (vgl. Lochmann D., Der Entropieirrtum). Im globalen Netz, das wir damit erschaffen haben, wird aber nun Information aller Art nach neuen Regeln klassifiziert, transportiert und gespeichert. Ein Wildwuchs, den inzwischen die Information selbst nach Gesichtspunkten der Ratio steuert! Es setzte die Ökonomie der Information ein. Kunst und Information waren und sind noch immer untrennbar miteinander verschränkt. Sobald die Kunst über Intuition Neues schafft, muss die Information nachziehen und versuchen, dafür Begriffe zu formulieren. Bei aktueller Kunst von Künstlern ist diese noch in keiner Technologie vorhanden und die Diskrepanz offensichtlich. Am Beispiel der Musik oder abstrakter Malerei: Musik will ohne Informationskonventionen informieren und richtet sich dadurch nicht an unser »künstliches« erworbenes Wissen, sondern versucht die in uns verbliebene Natur anzusprechen. Musiken ohne Informationskonvention sind Jodeln, Joiken oder andere scheinbar sinnfreie, stimmlich vermittelte Tonfolgen. Uns erreicht Information, die im Sinn unserer bekannten Technologie keinen Sinn macht. Beim abstrakten Bild ist es ähnlich: Es will gegenstandslos informieren. Das alles ist nicht einfach in einer Welt, die von der »Ökonomie der Information« geprägt ist. Es zählt nur rationale sinnhafte Information, die klassifiziert werden kann. Diese Art von Kunst ist mit unserem aktuellen Informationsnetz nicht kompatibel.
Ausgenommen:
• Information kommt ins Spiel, wenn die Töne oder die Bilder einen Wiedererkennungswert durch oftmalige Wiederholungen haben.
• Wenn mehrere »sinnhafte« Personen sich mehrmals über »sinnfreie« Werke unterhalten. Dazu sind mindestens zwei RezipientInnen nötig.
• Wenn das Werk einen Marktwert hat und somit Sinn haben muss.

Diese Faktoren machen aktuelle Kunst von KünstlerInnen klassifizierbar.

Im Informationszeitalter hat es also die neue aktuelle Kunst von KünstlerInnen nicht einfach. Nur festgeschrieben überlieferte, kommerzielle Werke mit gesicherten Werten sind in diesem Zeitalter bewertbar.
 
Fertigung und Technologie

In vergangenen Zeiten, in denen Reproduktionen über Technologie und Handwerk gefertigt wurden, entstanden Betriebe wie Kunsttischlereien, Kunstschmieden, Kunstschlossereien usw. Mit dem Wort Kunst wollte man ausdrücken, dass man kein normaler Handwerker ist, der nicht nur die Technologie beherrscht, sondern auch zu Individuallösungen fähig ist. Von den ersten Kunstwerken bis zu diesen goldenen Zeiten des Handwerks war sicher auch die Definition des Wortes Kunst über den Begriff des Könnens richtig. »Kunst kommt von Können«. Aber mit den fortschreitenden Technologien entstanden immer wieder neue Layer und dadurch auch neue Freiräume für die KünstlerInnen.
Anders als unsere KünstlerInnen, die nachdem die Technologie entwickelt wurde, nur darüber Bescheid wissen müssen, wenn sie Neues schaffen wollen, nutzt der Kunsthandwerker die Technologie im praktischen Sinn.
Die Kunst von der Kunst hat sich leider noch nicht etabliert. Es wären die KunstkünstlerInnen.
Mit diesem praktischen Ansatz setzen wir uns weiter ohne Angst vor den neuen Technologien mit den Informationswirren der Gegenwart auseinander. Neben der Postmoderne, bei der alle Materialien und Handlungen erlaubt sind, entstand durch die Auseinandersetzung mit Information, die Kunst der Interaktivität mit den Technologien und die Kunst der interdisziplinären simultanen Vernetzung. Die Informationstechnologie entwickelt sich schnell, und die Freiräume für die Kunst können zur Zeit kaum praktisch genutzt werden. Unklar ist auch, wo man diese Nischen findet, da diese komplexe Materie der aktuellen Informationstechnologie (Nachrichtentechnologie) für einzelne KünstlerInnen kaum überschaubar ist. Zusätzlich ist über die Postmoderne alles erlaubt, was denkbar ist, was für weitere Unsicherheit sorgt. Kunst hat aber einen entscheidenden Vorteil: Alle Technologien sind künstlich und deshalb ändert sich der Begriff der Kunst immer schneller als sich die Technologie entwickeln kann.

Lösung des Dilemmas

Es war dann das Verlangen nach dem Prozess selbst, der Veränderung, dem Erlernen und der Freude am Entstehen. Jene Freude, die sicher auch beim ersten Bild vorhanden war, als man es benennen konnte. Es war die Arbeit in der Gruppe in Werkstätten und Laboren. Manche Personen in den Laboren beschäftigten sich mit diesen neuen Informationstechnologien, andere mit der Kunst. Das ganze Spektrum und unerlaubtes Querdenken ist heutzutage wichtig für den Prozess des Entstehens. Die Labore sind meist abgeschottet, um nicht im totalen Vakuum der gegenwärtigen Technologieentwicklung und den Marktinteressen zu versinken. An diese Labore kann man keinen Auftrag im Sinne einer kunsthandwerklichen Anforderungen erteilen. Diese Labore sind zurzeit ein Rückzugsgebiet der Kunst. Nur KunstkünstlerInnen verstehen, was gemeint ist und was in diesen Refugien passiert. Sie können Ideen einbringen, die dann vielleicht aufgegriffen werden. Bei Kunsthandwerksbetrieben kann man Pläne abliefern, Pläne im Sinn einer genormten Technik. Eine Technik, die von anderen Handwerksbetrieben, im Informationsnetz, in Architekturbüros und anderen Kontrollinstitutionen geprüft und klassifiziert werden können.
Will man aber Ergebnisse aus einem Labor, so kann man dieses nur mit Ideen impfen und auf die Prozesse im Labor hoffen. Erfolgsgarantie gibt es hier nicht, es spielt keine Rolle, ob der Auftraggeber zu seinem Ergebnis kommt. Weil es einfach nicht wichtig ist. Einzig, was zählt, ist die Lust an der Kreativität. Freigespielt durch die Technologien unserer Zeit wird der Prozess zur Kunst. Das »Nichtkönnen« ist dabei eine Voraussetzung, um diesen Prozess zu initiieren. Kunst kommt also von »Nicht-Können«. Ergebnisse, bei denen die folgerichtige Lösung und der Erfolg das wichtigste sind, sollen den Handwerksbetrieben überlassen bleiben.
Wir haben nun die Möglichkeit, da wir den Kopf durch die neuen Technologien wieder frei haben, neue Wege zu gehen, um vielleicht die Natur irgendwann nicht mehr als Feind fürchten zu müssen.
Die Stadtwerkstatt gibt ihre Fassade nicht an den Architekturkontext unserer Zeit ab. Sie versucht, mit der Natur – in Zusammenhang mit unseren Laboren der Kunst – ein neues Zeichen zu setzen.

Quellen:
It from bit – John Wheeler
Information und der Entropieirrtum – Dietmar Lochmann

Linz:
Labore waren in Linz während der Hochblüte der Medienkunst im Trend der Zeit. Leider wurde der Laborbegriff hier nicht als Forschungsstätte sondern als »cashcow« für ein Museum der Zukunft gesehen. Kunst hat es in dieser Stadt nicht einfach. Auch unsere Kritik diesbezüglich am neuen Kulturentwicklungsplan wurde bis jetzt nicht gehört. Wir sind neugierig, ob die Stadtwerkstatt das Pendel wieder abmontieren und die Fassade normieren muss. Und ewig grüßt in Linz die Nike von Samothrake.