Was versteht man unter dem Namen des Reinigungsweges?
Den Zustand, worin das Massenmedium sich befleißt, sich selbst von den Sünden auszureinigen und die Ursachen der Sünden zu beseitigen, indem es seine Laster und bösen Gewohnheiten auf höhere Stufe hebt und die Quellen derselben in gedeihlichere Bahnen umlenkt.
Welches Ziel und Ende hat man auf diesem Reinigungswege?
Dass »Vertrauensverlust« (= sinkende Auflagen und Einschaltzahlen) beendet, die Schaulustigen an das Medium gebunden und die ausgereinigten Sünden zum neuen Geschäftsmodell werden.
Wie büßt man die Sünden ab?
Man verweist zerknirscht auf die Gefahr, in Berichterstattung und Themenbehandlung eine »false balance« (aequilibrium falsum) zu erzeugen, reklamiert aber zugleich den eigenen verantwortungsvollen Umgang damit.
Welche Wirkungen muß die dem Reinigungswege zukommende Zerknirschung hervorbringen?
Sie muss als mea culpa in Stentorstimme den Leumund einer Branche proklamieren, die zugleich vom Sensationalismus lebt, diesen aber durch scheinbare »Ausgewogenheit« zu kaschieren versucht.
Welche Eigenschaften hat eine vollkommene Bekehrung?
Eine vollkommene Bekehrung ist zugleich eine vollkommene Absatzmöglichkeit: Es muss allerdings gelingen, die läuternde Reinigung prinzipiell zu begrüßen, den Vorgang selbst aber enigmatisch zu halten. Das Ausmisten der Augias-Ställe wird zur beklatschten Herkules-Tat derer, die sich die schmutzigen Hände unauffällig an der Maschekseite der weißen Weste abputzen: Zunächst interviewe man beispielsweise eine bekannte Bullshit-Schleuder. Wenn diese dann verlässlich die Fäkalorgel anschmeisst, um »einfach mal was in den Raum zu werfen«, lässt man dann an anderer Stelle eine honorige Autorität diese Auswürfe von der Wand kratzen (irgendwas bleibt immer hängen), analysieren und kommentieren. Ein wohliges Gruseln stellt sich ein und die Beteiligungslust am Spektakel steigt. »To flood your own zone with shite« wird nicht nur gangbar, sondern als aseptischer Strom präsentiert: Ein unablässig pumpender Kreislauf an Exkrement (»perpetuum mobile stercoris«) entsteht, der die Auflage-, bzw. Einschaltzahlen gewährleistet – und damit auch die Reklameeinnahmen.
Worin besteht die Aufrichtigkeit der Bekehrung?
Sie besteht in der lamentatio über die undankbare obligatio, von all den Unzierden, Roh- und Dummheiten berichten zu müssen, die in den Hirnen so mancher Person öffentlichen Interesses spuken und sich leider – Gott sei’s geklagt – den Weg an die Öffentlichkeit bahnen. Ob via kuratierte Medien oder »Plattformen« ist unerheblich – aus Gründen journalistischer Sorgfaltspflicht haben sie detailgetreu rapportiert und eingeordnet zu werden.
Welche Bekehrung verdient den Namen einer Vollständigen?
Diejenige, in der sich selbst die obsessivste Leserbriefschreiberin mit Grauen von ihrer Stammzeitung abwendet, sobald ein neuerlicher »Leserdialog« angedroht wird, durch den das Medium sein Publikum »besser kennen« – bzw. »von ihm lernen« möchte. An diesem Punkt sind die Kleinanzeigen paradoxerweise der Teil, der es am wenigsten aufmerksamkeits- beifall- und zustimmungsheischend, wie zielgruppenbewusst ankumpelt. Sind sich alle einig, gehen sie miteinander durch Dick- und Dünndarm direkt in die cloaka maxima und beschwören dabei ihre Diskurs- und Dialogfähigkeit, während sie den Duft der großen, weiten Meinungswelt schnuppern.
Worin besteht der Eifer der Bekehrung?
Im Bestreben, sich als kritische Instanz zu habilitieren, die nur für die Parteilosigkeit Partei ergreift. Da aber die eigene Existenz unauflöslich mit den Verhältnissen verbandelt ist, die es substanziell zu kritisieren gälte und sich das eigene Unternehmenskonzept bereits zu weit an das Clickbaiting der digitalen Plattformen anverwandt hat, muss Unvoreingenommenheit simuliert werden. Dies gelingt der journalistisch Bekehrten am besten durch das Hervorbringen und Fördern von Pseudodebatten, um auf dem selbstgeschaffenen Spielfeld als Schiedsrichterin gelbe und rote Karten zu verteilen.
An welchen Zeichen lässt dieser Eifer sich ganz besonders erkennen?
Am obsessiven Thematisieren der eigenen professionellen Befindlichkeiten – zwar waren sich Medienleute immer schon selbst der liebste Gegenstand, traditionell aber in Form von Kantinenklatsch, während es heute ein Gebot der »Transparenz« ist, nicht die echten Sünden der Branche (Vermachtung, Korruption, Monopolisierung, schlechte Bezahlung, Gefälligkeitsberichter-stattung, etc.) ernsthaft zu durchleuchten und die Konsequenzen daraus zu ziehen, sondern über »die zukünftige Rolle klassischer Medien in der digitalen Ära« zu salbadern.
Wie erfüllt man die andere Pflicht des Reinigungsweges, welche in der ernstlichen Besserung des Lebens und der Sitten besteht?
Innerhalb des Betriebes besteht die Reinigung – wie dargelegt – in der prestigeträchtigen Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch die Wesensverwandlung (Transsubstantiation) von goldenen Kälbern zu cash cows. Eine ernstliche Besserung des journalistischen Lebens könnte nur dadurch geschehen, dass auch Pressemenschen sich am Umsturz jener Bedingungen beteiligen, die ihre bisherige Arbeit bestimmt und möglich gemacht haben.
Im folgenden sechsten Hauptstück geht es um den Weg der Erleuchtung oder wie man sich in der journalistischen Aufmerksamkeitsökonomie eine Marktnische schafft.