Zur Politik des Metaverse

Felix Stalder stellt fest, dass es auch virtuell kein richtiges Leben im falschen geben kann.

Das Metaverse ist das Dubai des Internets. Der Ort, an dem sich in konzentrierter Form die destruktivsten gesellschaftlichen Dynamiken zeigen. Weil zusammenwächst, was zusammen gehört, verkündet Metaverse Dubai bereits in goldener Font, die erste virtuelle Mega-City der Welt zu sein. Solch ein Urteil mag als vorschnell erscheinen, besonders weil es »das Metaverse« noch gar nicht gibt. Doch genau das ist eines seiner Probleme. Aber der Reihe nach.

Ende Oktober letzten Jahres stellte Marc Zuckerberg, allmächtiger CEO von Facebook, in einem 80-minütigen Video seine Vision für ein neues Internet vor, dass das 1990 eingeführte WorldWideWeb ablösen soll. Besonders beeindruckend war die Präsentation nicht, eher zum Fremdschämen. Was man zu sehen bekam, war ein halbfertiges Multi-Player Online Game, in dem man aber nicht – oder nur am Rande – spielen, sondern alle die Dinge tun kann, die man bereits eh schon (online) macht: arbeiten, konsumieren, Leute treffen, nur eben jetzt ‘immersiv’, also mit einer Brille statt einem Bildschirm vor den Augen. Damit, so das Versprechen, werden ‘richtige Präsenz’ und ‘tiefe Erfahrungen’ geschaffen, die ganz wie Präsenz im physischen Raum und auch ganz anders seien. Man könne wieder Menschen zufällig im Gang des Büros antreffen und gleichzeitig sich überall hin teleportieren lassen. Das wirkte alles noch recht unausgegoren. Die Zahl der Menschen, die sich in den Gang des Büros teleportieren lassen, wird überschaubar bleiben (warum sollten virtuelle Büros überhaupt Gänge haben?). Aber allein die Grösse und Marktmacht von Facebook lässt vermuten, dass diese Vision nicht einfach wieder verschwinden wird.

Das Metaverse beinhaltet drei technische Entwicklungen, die in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht haben: Virtual Reality, Blockchain und künstliche Intelligenz. Also, handlungsorientierte, computerbasierte Räume, die über Datenbrillen (mit Kopfhörern) wahrgenommen werden und so das ganze visuelle (und auditive) Feld belegen, eine Datenbanktechnologie, die dafür geschaffen wurde, Eigentumstitel zu registrieren und deren Zirkulation abzubilden und Algorithmen, die Sprache erkennen, Gespräche führen oder andere Aufgaben ausführen, die bisher Menschen vorbehalten waren. Anvisiert wird eine allumfassende digitale Welt, voll kommerzieller Transaktionen, die intelligent Nutzer:innen antizipiert und leitet. Darin soll eine Kreativwirtschaft florieren, die nicht wie in den 1990er Jahren ‘creative industries’, sondern neu ‘creator economy’ heißt und dank der darunterliegenden Datenbank nun auch den Handel mit ‘digitalen Originalen’ (non-fungible tokens, NFTs) erlauben soll.

Kontrolle und Kommerzialisierung

Trotz aller Rhetorik von »Offenheit« und »Zusammenarbeit« ist es offensichtlich, dass Zuckerberg versucht, eine Entwicklung unter seine Kontrolle zu bekommen, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat. Das soll bewerkstelligt werden, indem er sie an eine Plattform bindet, die er selbst kontrolliert. Denn Facebook hat zwar seinen Namen geändert, aber die Kontrolle über knapp 60 % der Stimmanteile hat Zuckerberg nicht aufgegeben. Während das WWW, das abgelöst werden soll, auf einem offenen Standard zur Interaktion unabhängiger Server beruht, soll das Metaverse ganz auf der Infrastruktur von ex-Facebook aufbauen. Statt »nur« wie bisher über einige, wenn auch sehr große, gated communities im bestehenden Internet zu verfügen, soll gleich das ganze nächste Internet hinter die eigenen Mauern wandern. Aus der Entwicklung der sozialen Medien wissen wir, wie so etwas abläuft. Am Anfang ist alles ganz spielerisch und offen, weil es zunächst darum geht, Reichweite zu gewinnen und mithilfe des Netzwerkeffekts den Raum für andere zu schliessen. In einem zweiten Schritt werden dann die Schrauben der Profitmaximierung angezogen. Während das beim bestehenden Facebook-Modell vor allem durch personalisierte Werbung geschieht, ist das Potential des Metaverse ungleich grösser. Vorbild ist hier der Appstore, durch den Apple und die ‘in-game purchases’ der Spielindustrie direkt von allen Transaktionen eine Kommission abziehen.

Die Kontrolle über die Plattform erlaubt, die Aktivitäten auf der Plattform umfassend zu beeinflussen. Hier steht nicht mehr im Vordergrund, den Menschen direkt zu sagen, was sie tun und lassen sollen. Kontrolliert werden die Voraussetzungen, unter denen Menschen überhaupt handeln können, mit dem Ziel, diese so zu gestalten, dass es – was immer die Menschen machen – dem Betreiber der Plattform nützt. Gegen eine solche Form der Kontrolle gibt es kaum Mittel, sich zu wehren, außer man bleibt der Plattform ganz fern. Dies ist aber aufgrund des Netzwerkeffekts nicht immer praktikabel. Jede:r, der/die sich schon einmal überlegt hat, Facebook zu verlassen, es aber am Ende doch nicht getan hat, kennt dieses Dilemma aus erster Hand. Je immersiver die Erfahrung ist, die eine Plattform ermöglicht, desto immersiver ist auch das Kontrollregime, dem die Nutzer:innen unterworfen werden.

Hohe Umweltkosten

Das zweite Problem, das durch die Pläne zum Metaverse weiter verschärft wird, ist der extrem hohe Ressourcenverbrauch, den alle drei Komponenten – VR, KI, Blockchain – mit sich bringen. Alle drei Technologien sind sehr Hardware-intensiv, was natürlich aus Sicht der Hardwarehersteller eine höchst positive Eigenschaft darstellt und entsprechend verwundert es nicht, dass gerade aus dieser Ecke enthusiastische Unterstützer:innen kommen. IT-Equipment ist bereits normalerweise von sehr kurzer Lebensdauer, aber je anspruchsvoller die Anwendungen sind, desto kürzer ist sie. Die Frage des Recyclings ist nach wie vor weitgehend ungelöst und der Export von Elektroschrott folgt vielfach alten kolonialen Mustern der Ausbeutung. Aber nicht nur wird eine neue Runde der geplanten Obsoleszenz eingeläutet, die Software ist auch extrem energiehungrig. KI ist nicht zuletzt deshalb so Hardware- und Energie-intensiv, weil viele der Fortschritte der letzten Jahre durch relativ einfache »brute force« Methoden erzielt wurden. Das heißt, um komplexe Probleme zu lösen, werden oftmals »einfach« mehr Hardware und Daten eingesetzt, was einen entsprechend erhöhten Energieaufwand nach sich zieht.1 Ende 2020 wurde Timnit Gebru aus ihrer Position als technische co-Lead von Googles Ethical Artificial Intelligence Team entlassen. Anlass war eine geplante Publikation, die u.a. auf den Ressourcenverbrauch von Spracherkennungsdiensten hinwies und zu deren zurückhaltender Verwendung riet.2 Die Vision eines »responsiven«, beziehungsweise die Wünsche der Nutzer:innen antizipierenden Metaverse, das stark auch über die Sprache gesteuert wird, geht genau in die gegenteilige Richtung. Dass Blockchain eine sehr ineffiziente, ressourcen-hungrige Technologie ist, was eine der Designprinzipien darstellt (‘proof of work’), hat sich mittlerweile herumgesprochen. Eine einzelne Bitcoin-Transaktion verbraucht aktuell so viel Energie wie ein durchschnittlicher US-amerikanischer Haushalt in mehr als 75 Tagen und Bitcoin’s Infrastruktur generiert soviel Elektroschrott wie ganz Holland.3 Andere Anwendungen, wie die für die creator’s economy so wichtigen Eigentumstitel (non-fungible Tokens, NFTs), sind nicht weniger energiehungrig.
Wie immer bei Blockchain-Ankündigungen ist auch hier unklar, wie viel Blockchain am Ende wirklich verbaut wird. Denn auf einer zentralisierten, geschlossenen Plattform wie dem Metaverse macht die Blockchain, deren Hauptvorteil es ist, eine dezentralisierte Infrastruktur der Verifizierung bereitzustellen, wenig Sinn. Ohne Dezentralisierung ist die Blockchain im Grund eine ganz normale, allerdings sehr ineffiziente, Datenbank.

Dieser Ressourcen-Hunger der Plattform und der darauf laufenden Dienstleistungen ist in ihrer geplanten Form unvermeidlich und er wächst an, je mehr Menschen sie nutzen werden und je mehr KI und Blockchain darin verbaut sind. Ob sich dadurch auf anderen Gebieten Ressourcen einsparen lassen, etwa durch weniger Reisen oder weniger physische Produktion, muss sich erst zeigen. Schaut man auf die letzten 20 Jahre zurück, in der auch bereits viel Virtualisierung stattgefunden hat, scheint ein solch optimistisches Szenario eher unwahrscheinlich.

Kybernetischer Fehlschluss

Dass Zuckerberg in seiner Präsentation penetrant oft von »tiefen Erfahrungen«, vom »Einbezug des Körpers« und von »echten Verbindungen« spricht, ist nicht nur einfach dem Marketing geschuldet. Es beruht auch auf der in der IT-Industrie nach wie vor weit verbreiteten kybernetischen Annahme, dass das, was ein System ausmacht, einzig die zwischen den einzelnen Elementen zirkulierenden Informationsflüsse sind. Im Grunde spielt es keine Rolle, was diese Informationsflüsse generiert oder verarbeitet. Solange der Informationsfluss äquivalent ist, können die einzelnen Elemente beliebig ausgetauscht werden. Entsprechend ist der einzige Unterschied zwischen einem Telefongespräch mit einer KI und einem direkten, persönlichen Gespräch, dass beim ersten weniger Informationen fließen als im zweiten. Das muss in der Praxis nicht immer schlecht sein. Aber der kybernetische Glaube, dass – wenn man nur den Umfang der Information entsprechend erhöhen könnte – beide Situationen ununterscheidbar seien, ist sehr problematisch. Zwischen Verkörperung und Entköperlichung besteht also kein Widerspruch. Die zweite Grundannahme dieser Perspektive ist, dass alles, was keine wahrnehmbaren Informationsströme generiert, irrelevant ist. Und so können auch Umweltkosten, die innerhalb des Metaverse nicht sichtbar werden, einfach ignoriert werden. Die bereits begonnene Klimakatastrophe müsste uns eigentlich eindrücklich zeigen, wie falsch diese Annahme ist.

Hier trifft sich die aktuelle Vision des Metaverse mit den vielen ähnlichen Visionen, die die Science-Fiction-Literatur in den letzten 40 Jahren hervorgebracht hat. In deren Geschichten steht das Metaverse für die Flucht vor der Realität einer dysfunktionalen Gesellschaft auf einem weitgehend zerstörten Planeten. Was im realen Metaverse sichtbar wird, ist, dass zwischen diesen beiden Entwicklungen ein direkter Zusammenhang besteht. Das Metaverse hilft bei keinem der sehr konkreten und realen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, sie auch nur im Ansatz zu lösen, sondern wird sie noch weiter verschlimmern.

Emilio Vavarella. Foto n.23/100 aus THE GOOGLE TRILOGY – 1. Report a Problem, 2012. Sublimationsdruck auf Aluminium. (Bild: Emilio Vavarella, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und GALLLERIAPIÙ)