Klimakrise und Inflation

Tomasz Konicz über den selbstwidersprüchlichen und aussichtslosen Versuch, kapitalistisches Wachstum auf ökologische Grundlagen zu stellen.

Ein neues Wort macht die Runde im Medienbetrieb: die Greenflation.1 Mit diesem Neologismus wird in der Wirtschaftspresse das Phänomen einer »grünen« Inflation bezeichnet, die durch die enormen Kosten und den Ressourcenbedarf der angestrebten Energiewende der Weltwirtschaft befeuert wird. Die Umstellung auf regenerative Energiequellen, die Reduzierung der CO2-Emissionen in Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft – dies kostet zum einen sehr viel Geld, da hierzu umfassende Investitionen in Forschung, Infrastruktur und Produktionsabläufe notwendig sind. Zum anderen steigt der Ressourcenhunger der spätkapitalistischen Warenproduktion während der energetischen Transformation bei vielen knappen Rohstoffen, da diese scheinbar »ökologische« Umstellung in Form neuer, expandierender Märkte realisiert werden soll, die dem Kapital neue Verwertungsmöglichkeiten eröffnen müssen. Dieser angepeilte, waren- wie marktförmige Transformationsprozess der energetischen Basis der Warenproduktion, der ohnehin durch den Wachstumszwang des Kapitals ad absurdum geführt wird, gerät drittens in Konflikt mit den Auswirkungen der voll einsetzenden Klimakrise.

Bei der klimabedingten Inflation handelt es sich tatsächlich um ein neues, in die Zukunft der voll entfalteten Klimakrise weisendes Phänomen, das bei der aktuellen Teuerungswelle bislang eine untergeordnete Rolle spielte. Die gegenwärtige Inflation wird vor allem durch die extrem expansive Geldpolitik der Notenbanken in der Pandemie befördert, mit der ein absurd überschuldetes kapitalistisches Weltsystem mitsamt seiner aufgeblähten Finanzsphäre stabilisiert werden soll. Hinzu kommen die lockdownbedingten Versorgungsengpässe, die durch gestörte globale Lieferketten, wie auch durch zunehmende geopolitische Spannungen – vor allem in der Ukraine – verschärft werden. Doch es sind bereits in dieser Teuerungswelle erste Momente einer »grünen« Inflation wirksam, wie ein Blick auf die rasant steigenden Energiepreise in der EU verdeutlicht.

Wie hoch ist also der Anteil der marktförmigen Energiewende an den Preissteigerungen? Im dritten Quartal 2021 schätzte die EU-Kommission, dass der Anteil des Emissionshandels an den damals erstmals auf breiter Front anziehenden Strompreisen bei »maximal einem Fünftel« liege, die Teuerung sei hauptsächlich durch Engpässe auf dem »globalen Gasmarkt« verursacht.2 Damals stieg der Preis für Emissionsrechte, die jahrelang bei 10 Euro lagen, auf mehr als 60 Euro pro Tonne emittierten CO2. Im Januar 2022 waren es schon 80 bis 90 Euro, die an der Leipziger Strombörse für europäische CO2-Zertifikate fällig waren, da in der EU aufgrund der hohen Gaspreise zunehmend Kohle zur Stromerzeugung genutzt wurde. Hinzu kommen oftmals noch die Kosten der nationalen Emissionsrechte-Handelssysteme, wo im Fall der Bundesrepublik der CO2-Preis von 25 Euro auf 30 Euro pro Tonne angehoben wurde. Er soll bis 2025 auf 55 Euro steigen.3

Dieses – der landläufigen neoliberalen Ideologie entwachsene – Transformationskonzept sah in der Errichtung eines Marktes, auf dem »Verschmutzungsrechte« gehandelt würden, ein geeignetes Instrument zur sagenumwobenen Innovationsförderung bei den Marktteilnehmern, die durch zunehmende Preissignale zum Umstieg auf »grüne« Energiequellen bewegt würden. Welchen tatsächlichen Effekt dieses neoliberale Wunschdenken hatte, machte die Frankfurter Allgemeine Zeitung deutlich, laut deren Einschätzung die »Preisrally« bei den Energiepreisen die europäische »Unterstützung für den Green Deal« zu untergraben drohe. Eine reibungslose Verabschiedung des europäischen Klimapakets »Fit-for-55«, das den Emissionshandel auf Gebäude und Verkehr ausweiten soll, im Sommer 2022 sei kaum vorstellbar, da viele EU-Länder, insbesondere in Euroeuropa, sich gegen die höheren Kosten für Verbraucher sperrten.

Die bestenfalls naive Idee, durch Verteuerung fossiler Energie die billionenschweren Investitionen in einen »grünen« Energiesektor von der sagenumwobenen »unsichtbaren Hand« des Marktes quasi herbeizaubern zu können, droht somit paradoxerweise an der intendierten, viel zu weit getriebenen Preisexplosion bei Energieträgern zu scheitern, die hauptsächlich von den Versorgungsengpässen bei Erdgas befeuert wird. Diese Preisrekorde würden den »Green Deal« in der EU gefährden, warnte die gleiche FAZ, die jahrelang brav die Errichtung von CO2-Börsen propagierte.

Dabei bilden Versorgungsengpässe, sowie die ihnen oftmals zugrunde liegende Rohstoffknappheit, eine zentrale Friktionsquelle bei dem selbstwidersprüchlichen Reformvorhaben, den kapitalistischen Wachstumszwang auf einer »nachhaltigen«, ökologischen Grundlage fortsetzen zu wollen. Bei der Erschließung neuer, »postfossiler« Wachstumsmärkte ist ein neuartiger Rohstoffbedarf gegeben, der denjenigen des fossilen Zeitalters – als der Fordismus, Fließband und Verbrennungsmotor die Massenmotorisierung durchsetzten – bei Weitem übersteigt. Elektroautos benötigen etwa große Mengen sogenannter »Technologiemetalle« wie Lithium, Kobalt, Gallium oder Seltene Erden, die derzeit eine Preisexplosion erfahren.

Es ist eine oft gemachte Milchmädchenrechnung, dem explodierenden Bedarf an diesen Rohstoffen schlicht die geschätzten globalen Vorkommen entgegenzustellen; denn diese müssten zumeist unter enormem Aufwand erst erschlossen werden, was sich aufgrund der kapitalintensiven Förderung oftmals nur bei dauerhaft hohen Preisen rentieren würde. Allein der Preis für Lithiumcarbonat ist binnen des letzten Jahres um rund 500 Prozent auf mehr als 60 000 Dollar pro Tonne explodiert. Für eine Tonne Kobalt waren Mitte 2020 weniger als 30 000 Dollar fällig – nun sind es mehr als 70 000 Dollar, sodass sich der Preis rasch den historischen Preisrekorden von 2018 annähert. 

In Wirtschaftszeitungen wie dem Handelsblatt finden sich folglich immer öfter Klagen über solche Rekordpreise bei Technologiemetallen, die die »Energiewende« gefährden, und die Inflation zusätzlich treiben würden.4 Diese Rohstoffe sind für Windräder, Solaranlagen, Batterien und vor allem für E-Autos notwendig, da in einem Elektroauto im Schnitt – im Vergleich zu einem Benziner – die fünffache Menge dieser »Technologiemetalle« verbaut ist. Folglich ist kein Ende der Preisexplosion zu erwarten, da die neuen Märkte nicht einfach nur Bedürfnisse – etwa das der Mobilität im Fall der Elektroautos – befriedigen, sondern vor allem den Verwertungsprozess des Kapitals auf immer höherer Stufenleiter aufrechterhalten sollen, was beständige Produktionssteigerungen zur Folge hat. Laut einer Anfang 2022 publizierten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sollen die Preise dieser strategischen Technologiemetalle, die für die Energiewende entscheidend sind, regelrecht abheben. Eine Tonne Kobalt würde demnach 2030 schon 217 000 Dollar kosten. Bei Lithium soll der Preis gegenüber dem aktuellen Niveau um 180 Prozent anziehen, bei Nickel sollen es 160 Prozent, bei Kupfer 70 Prozent werden.

Das inflationstreibende spätkapitalistische Wahnvorhaben, eine ökologische Transformation im Rahmen einer Wirtschaftsweise realisieren zu wollen, die von einem uferlosen Wachstumszwang angetrieben wird, kollidiert überdies mit den Folgen eben der Klimakrise, die vom Wachstumszwang des Kapitals verursacht wurde. Einen ersten Ausblick auf die vielfältigen künftigen Wechselwirkungen zwischen systemischer Wirtschafts- und Klimakrise liefert etwa Brasilien, wo die Nachfrage nach Erdgas aufgrund einer lang anhaltenden Trockenheit massiv angestiegen ist. Zwischen Dezember 2020 und April 2021 hat das durch ein tropisches Regenwaldklima geprägte Brasilien die schlimmste Dürre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erfahren, sodass die im Land übliche Stromgewinnung aus Wasserkraft eingebrochen ist.5 Infolge dieser lang anhaltenden Dürre, die ebenso als voll einsetzender Klimawandel interpretiert werden kann, stieg die Nachfrage nach Erdgas in Brasilien rasch an: von 62 Millionen Kubikmetern täglich auf 89 Kubikmeter.6 Brasilien musste folglich seine Importe des fossilen Energieträgers von einer auf 30 Millionen Kubikmeter erhöhen, wodurch der Anstieg des Weltmarktpreises für Erdgas zusätzlich angefacht wurde.

Voll einsetzender Klimawandel lässt somit im Fall Brasiliens regenerative Energiequellen buchstäblich versiegen und die Nachfrage nach fossilen Energieträgern steigen, was zur »grünen«, klimabedingten Inflation beiträgt. In Kalifornien ist es wiederum die zunehmende Hitze, die als Preistreiber fungieren dürfte, da sie zur rasch steigenden Nachfrage nach Energie führen wird. Laut einer Anfang Februar 2022 im Organ der American Geophysical Union veröffentlichten Studie sollen die zunehmenden Hitzetage dazu führen, dass der Strombedarf in Kalifornien schon ab 2030 bei Hitzewellen zu hoch sein werde, um ihn vom gegebenen Stromnetz decken zu können.7 Klimaanlagen würden aufgrund ihres hohen Stromverbrauchs letztendlich die Stromversorgung an den Tagen gefährden, wo sie – gerade für ältere Menschen – mitunter überlebensnotwendig sind. Ohne Ausbau der Energieversorgung drohten demnach Kalifornien ab den 30ern durchschnittlich 6,8 Hitzetage ohne Klimaanlagen, im Mittleren Westen der USA, in Bundesstaaten wie Missouri und Illinois, könnten es sogar mehr als 13 Tage sein. Da viele US-Bürger, etwa in Texas, variable Stromverträge mit privaten Anbietern abgeschlossen haben, können solche Versorgungsengpässe zu astronomischen Preissteigerungen bei den Stromrechnungen führen.

Für viele pauperisierte Menschen, insbesondere in der Peripherie des spätkapitalistischen Weltsystems, wird die mit der Klimakrise einhergehende Inflation schlicht lebensbedrohliche Ausmaße annehmen, da sie zu einer lang anhaltenden Teuerung bei Nahrungsmitteln führen wird. Einen ersten Ausblick auf eine klimabedingte Nahrungsmittelinflation lieferten vor wenigen Jahren explodierende Preise für Zwiebeln in Indien, die 2019 binnen eines Jahres um 500 Prozent anstiegen.8 Extreme Hitzewellen, gefolgt von exzessiven Regenfällen während der Monsunsaison, hatten drastische Produktionsausfälle zur Folge gehabt. Ein solches Szenario lasse »Sorgen über Nahrungsinflation aufkommen«, warnte die Financial Times Ende November 2019, da der Klimawandel diese Teuerung auslöse, indem er »die Produktion der wichtigsten Gemüsearten« Indiens treffen würde.

Diese Vorahnungen am Vorabend der Covid-Pandemie, die zu einer regelrechten Epidemie des Hungers führte, bestätigen die jüngsten Zahlen. Allein im vergangenen Jahr sind die Weltmarktpreise für Lebensmittel um 28 Prozent angestiegen. Im laufenden Jahr soll die Teuerungswelle anhalten, erläuterte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), da das Zusammenwirken von steigenden Betriebskosten, anhaltender globaler Pandemie und »immer unsicherer werdenden klimatischen Bedingungen« kaum »Raum für Optimismus« lasse.9 Die verehrenden Folgen dieser Wechselwirkung aus Pandemie, Inflation und Klimakrise lassen sich schon jetzt an einer Zahl ablesen, an dem Heer hungernder Menschen, das weltweit seit 2019 um 161 Millionen auf 811 Millionen anstieg.

 

Weiterführende Links

Greenflation => Preisansteig durch „Green New Deal“:

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/gruene-inflation-101.html
https://www.ft.com/content/4d278bdf-909e-4e40-947e-1e567426b492
https://www.ft.com/content/49c19d8f-c3c3-4450-b869-50c7126076ee
https://www.rnd.de/politik/wie-teuer-werden-1-5-grad-PFYBQQUZVZF6NFQAALI5MDZXVQ.html
https://www.klimareporter.de/finanzen-wirtschaft/die-gruene-inflation-die-eigentlich-eine-fossile-ist
https://www.klimareporter.de/finanzen-wirtschaft/klimakrise-als-inflationstreiber
https://www.spiegel.de/wirtschaft/bundesbank-inflation-in-deutschland-wohl-weiterhin-ausserordentlich-hoch-a-0553f03d-9077-455f-a35a-d132f90e42da
https://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/klimawandel-treibt-die-inflation-17527128.html

Finanzstabilität:

https://www.nytimes.com/2021/12/17/us/politics/climate-change-us-financial-threat.html?searchResultPosition=1

Ressourcenknappheit bei Green New Deal:

https://www.miningscout.de/blog/2022/02/10/panikkaeufe-bei-lithium-wie-weit-steigt-der-preis-noch/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/979746/umfrage/durchschnittlicher-preis-von-lithium-weltweit/
https://www.gevestor.de/finanzwissen/rohstoffe/elektroauto-boom-preisexplosion-bei-mehreren-rohstoffen-796681.html
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-nachhaltigkeit/strom-und-gaspreis-steigt-an-gefahr-fuer-den-green-deal-17551558.html
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/basf-chef-warnt-klimaschutz-macht-produkte-fuer-konsumenten-deutlich-teurer-17549558.html
https://www.capital.de/wirtschaft-politik/capital-erklaert-warum-steigen-gerade-die-energiepreise
https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/kupfer-lithium-nickel-kobalt-rekordpreise-fuer-metalle-drohen-die-energiewende-auszubremsen/28007036.html

Wechselwirkung mit Klimakrise, Bsp. Brasilien, Ölverbrauch aufgrund Trockenheit:

https://news.yahoo.com/earth-warms-air-conditioning-could-130010003.html
https://www.naturalgasintel.com/brazils-petrobras-reports-surging-natural-gas-demand-as-drought-limits-hydropower/

Anstieg Hunger durch steigende Lebensmittelpreise:

https://www.ft.com/content/958e86c8-0627-11ea-9afa-d9e2401fa7ca
https://www.t-online.de/nachrichten/id_91471110/klimakrise-wir-koennen-nicht-mehr-wegsehen-aus-zwei-gruenden.html
https://www.rnd.de/politik/hunger-weltweit-das-problem-muss-an-der-wurzel-angepackt-werden-XLMYRMGE4BFYZMEIGVTWEVLZMU.html
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/lebensmittel-werden-wegen-inflation-wohl-noch-teurer-17736152.html
https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/weltmarktpreise-fuer-lebensmittel-steigen-um-28-prozent-a-c7298174-9f50-48ad-a0e7-a217439ddeed
https://news.yahoo.com/worst-come-food-price-rises-123535274.html

Klimakrise und Hunger, Ausblick:

https://www.aktiongegendenhunger.de/aktuelles/klimakrise-fuehrt-zu-hunger
https://www.welthungerhilfe.de/hunger/welthunger-index/
https://finance.yahoo.com/news/nearly-90-experts-surveyed-predict-145300332.html
https://www.welthungerhilfe.de/hunger/welthunger-index/
 

Die unsichtbare Hand des Marktes sendet mitunter deutliche Zeichen. (Bild: Lionel Allorge (CC BY-SA 3.0))