In ganz Europa und auch jenseits des Atlantiks, der politisch, geostrategisch und propagandistisch bis ins kleinste europäische Bächlein fließt, wurde unter notorischer Ausklammerung nahezu jeder Form von ökonomischer Theorie und soziologischem Erklärungsmodell seit 1989 der Kapitalismus autoritär, der Rechtsruck regulär und die sozial-darwinistische Entsolidarisierung nach innen sowie das militaristische Element nach außen bemerkbar. Kleine Länder wie Slowenien sind da keine Ausnahme. Dies führte, zunächst auf medialer, zuletzt auf parlamentarischer Ebene, im mittelbar gemachten Mainstream zur partiellen Rehabilitierung rassistischer und faschistischer Ideen und Bewegungen, natürlich im Namen von Demokratie, Pluralismus und nationaler Sicherheit – und kulminierte in der Unfähigkeit, sich aus dem Würgegriff anti-utopischer Raffgier und reinem real-kapitalistischen Administrieren der Armut zu befreien. Der schwarze Peter der jeweils nächsten Krise konnte und kann jedes Thema mit Angst besetzen: ob Virus, ob Migration, Import, Export, Aktien ... So wurde die post-industrielle Gesellschaft, von Dehumanisierung von oben befallen, stetig pseudo-demokratischer, da man nicht die sinnvolle Einschränkung von Machtstrukturen, sondern deren sinnlose Ausweitung aktiv vorantrieb – auch durch instrumentelles Appellieren an die niedrigsten Instinkte wie etwa Fremdenfeindlichkeit. Von sozialen Klassen zu sprechen, galt lange sogar in der europäischen Linken, weitgehend kleinbürgerlich in ihrer Zusammensetzung, als überholt. Das rächt sich jetzt.
Ab da durfte, um sich aufgrund humaner Gesinnung keinem schematisch-vulgären Totalitarismus-Vorwurf aussetzen zu müssen, soziale Unzufriedenheit mehr oder minder nur noch im Rahmen kapitalistischer und nationaler Narrative kundgetan werden – was wiederum die Kenntnis gegenwärtiger Entwicklungen unterwanderte, den Handlungsspielraum der Massen auf das passive Fügen gegenüber Marktzwängen reduzierte und das positive Schreiben von Geschichte kurzerhand in der Ethnisierung der Gesellschaft annullierte. Anstelle der konkreten sozialen Utopie zur Verbesserung materieller Verhältnisse und internationaler Beziehungen trat das dumme Dogma des Kapitals, seine Dominanz und unbarmherzige Verwertungsmaschinerie von Rohstoff und Arbeitskraft. Die Zerstückelung Jugoslawiens hatte Europa, welches sich mithilfe von Konzernen, Bürokratenriegen und nordatlantischen Militärs als EU neu erfinden und als quasi-moralische Schicksalsgemeinschaft präsentieren wollte, als Versuchslabor gedient für eine offenbar gelungene neo-liberale Gleich-schaltung am alten Kontinent. Autoritäre Regierungssysteme mit formal-demokratischer Fassade und habitueller Korruption nahmen seither zu und erfüllten in oft halbleeren Parlamenten bestens vergüteter Volksvertreter so ziemlich jedes Klischee einer Schwatzbude zur Bemäntelung des privatwirtschaftlich dirigierten Politikgeschäfts. Aber es sollte schlimmer kommen.
Nun hatten neben Polen, der Türkei, Frankreich, Österreich und insbesondere Ungarn, wo unlängst das Parlament kaltgestellt wurde, rechtsextreme Tendenzen und bonapartistische Allüren in den Regierungsreihen auch in Slowenien mit seinen zwei Millionen Einwohnern eine post-moderne Konjunktur erlebt, die sich im Kokettieren mit der Konzentration von Macht abseits möglichst jeder Rechenschaft gegenüber dem angeblichen Volkssouverän äußert. Mitten in der Corona-Krise wurde Janez Janša, Sohn eines Domobran-Wehrmacht-Kollaborateurs und Freund des Autokraten Viktor Orbán, in einem charakteristischen Kabinettstheater ohne Neuwahlen zum Lenker slowenischer Landen ernannt. Das bürokratische Schauspiel bestand im Wesentlichen darin, dass die Parlamentarier vor lauter Furcht, ihre Abgeordnetensitze und großen Gehälter zu verlieren, auf den Urnengang der Bevölkerung lieber verzichteten. Stattdessen fand unter ihresgleichen eine geheime Wahl statt – mit dem Ergebnis einer Neuauflage von Janša als Premierminister. Das dünne Furnier der Zivilisation blättert jedenfalls.
Im blockfreien Jugoslawien war Janša Kolumnist der Zeitung »Mladina« und ein anti-kommunistischer Dissident aus dem semi-kriminellen Milieu. Wegen Weitergabe vertraulicher Militärgeheimnisse wurde er im Sommer 1988 rechtskräftig zu anderthalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Wenig überraschend, hatte er während des UNO-Waffenembargos der 90er Jahre als Verteidigungsminister im illegalen Waffenschmuggel eine Rolle gespielt, wofür er, dem slowenischen Geheimdienstler Andrej Lovšin zufolge, bis zu einer Viertelmillion US-Dollar Provision kassiert hätte. 1994 musste er im Zuge der Affäre »Depala Vas« erstmals zurücktreten, doch sollte es nicht bei diesem einen Mal bleiben. Sein Einfluss würde wachsen, und seine kapitalstarken Seilschaften mussten folglich Früchte tragen. Von 2004 bis 2008 dauerte seine erste Amtszeit: konservativ-nationalistisch. Beim staatlichen Ankauf von 135 finnischen Radpanzern wurde Janša 2011 neuerlich straffällig und in die Affäre »Patria« verwickelt, in der gegen ihn Anklage erhoben wurde. 2012 wurde er dennoch Regierungschef – bis das Parlament ihm infolge des Korruptionsskandals das Vertrauen entzog.
Im Sommer 2014 trat er wegen Schmiergeldzahlungen in Höhe von 278 Millionen Euro eine Haftstrafe an, wurde jedoch zeitgleich ins Parlament gewählt, zu deren Sitzung er später direkt aus dem Gefängnis anreiste. Im Gegenzug wurde ein Dutzend Journalisten von einem Ehrengericht wegen manipulativer Berichterstattung und angeblich kommunistischer Machenschaften angeklagt, so als wäre die amerikanische Hexenjagd der 50er Jahre neu eröffnet. Zur allgemeinen Überraschung kippte im Frühling 2015 der Oberste Gerichtshof das Urteil: Janša kam frei und aus der Zelle zurück auf die tagespolitische Tribüne. Dessen Freund, ein österreichisch-kanadischer Geschäftsmann namens Walter Wolf, wurde zwar von Interpol per internationalem Haftbefehl gesucht und in Kanada einmal verhaftet, gegen Kaution hingegen wieder freigelassen, sodass die Vorwürfe am Ende gerichtlich verjährten. Zu Jahresbeginn 2018 gewann Janša wieder die Wahlen – bei einer Wahlbeteiligung von knapp 52%. Ihm fehlte indes eine klare Mehrheit zur Regierungsbildung, die dann Marjan Šarec, ein Komiker, mit einer Mitte-Links-Koalition mehrerer Parteien übernommen hatte. Als die sie duldende Linke die anti-soziale Politik nicht mehr stimmlich mittragen wollte, zerbrach die Regierung und machte, wie gehabt, für Janša den Weg frei.
Seither wurden Journalistinnen des staatlichen Fernsehens immer wieder öffentlich als verkappte Kommunistenkaste diffamiert und unter Berufung auf Covid-19 gleich alle Pressekonferenzen eingestellt. Dem vielleicht prominentesten Regierungskritiker Blaž Zgaga, Aufdecker des besagten Radpanzer-Skandals, wurde von Internet-Trollen und im privaten Fernsehen Nova24 vorgeworfen, »Lügen im Auftrag von George Soros« zu verbreiten. Aleš Hojs, der Leiter von Nova24, wurde dementsprechend Mitte März 2020 zum Innenminister berufen. Anfang Mai 2020 wiederholt sich das bekannte Szenario dubioser Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs von Slowenien, als selbiger beschließt, die Entschädigungszahlung Janšas von 6000 Euro an die Journalistin Mojca Šetinc Pašek aufzuheben, obwohl dieser sie wörtlich als »ausgediente Prostituierte« bezeichnet hatte, die sich im Freudenhaus der Berichterstattung »billig verkaufen« würde. Das oberste Gericht sah den Interpretationsspielraum bei öffentlichen Personen als groß an und beharrte auf einer verzeihlichen »metaphorischen Auslegung« der herabwürdigenden, frauenfeindlichen Aussage. Kaum an der Macht, spürten die Konservativen aus dem Fußvolk den rechten Rückenwind der Staatsspitze und pochten auf Grenzverschärfungen gegen Flüchtlinge: 23 slowenische Gemeinden verlangten Ende April 2020 die Aktivierung von Artikel 37 der Notstandsgesetze, um Soldaten an der Landesgrenze aufzustellen zum Schutz vor illegalen Einwanderern. Kurz, die Militarisierung der slowenischen Gesellschaft ist weit vorangeschritten.
Die post-sozialistische, klerikale und unterhaltungsindustriell-konsumistische Verdummung schafft es immerhin, dass ein nunmehr reicher Emporkömmling wie Janša mit seiner Partei SDS – Mitglied der europäischen Volkspartei – nach einem Vierteljahrhundert ungebändigter Marktwirtschaft problemlos punkten kann mit aggressiver Rhetorik, menschenfeindlichem Nationalismus, Xenophobie und irrationaler Argumentation. Dank einer Philosophie im Dienst der politischen Macht lässt sich die Uniformierung der Gesamtgesellschaft kaum mehr übersehen. Nicht schrankenlos geherrscht wird wie einstmals, sondern den Beherrschten das unbeschränkte Herrschen als solches philosophisch gerechtfertigt und hierzu sexy angezogen – und die Propagierung von Stereotypen gehört dazu. Der Mini-Trump Janša ist als Verkörperung enger Interessen, als Symbol des Partikulären im Gegensatz zum Universellen zugleich Symptom eines zivilisatorischen Niedergangs, ein soziales Krankheitsbild in kristallisierter Form. Wenn selbst die obersten Autoritäten verbal und juristisch einen Geist des Anti-Humanismus und der Ausgrenzung und Denunziation pflegen, dauert es selten lange, bis ein rigid-autoritärer Massencharakter, davon ermutigt, sich rührt und immer lebendiger wird. Diese Abnahme von Zivilität lässt sich ablesen am zunehmend zynischen Umgang des Staates mit Menschen und Massen und an den gesellschaftlichen Zielen, die gestutzt wurden auf den bloß administrativen Aspekt einer Operationalisierung von Aufgaben für Markt und Privatwirtschaft. Fortschrittliche Zeiten zeichnen sich tendenziell dadurch aus, eine Übermacht von Staat und Verwaltung in die Schranken zu weisen und Entscheidungsträger zu kontrollieren, während in rückschrittlichen Epochen die Machtstrukturen zementiert werden und die Bevölkerung zum Appendix eines ökonomisch-politischen Systems degeneriert. Allein, solcherlei befördert auf lange Sicht nicht nur das Auffliegen der rechten Poser, sondern auch eine elitär-fragile Staatlichkeit.