Sechstes Hauptstück: Von dem vollkommenen journalistischen Leben
Was wird hier unter dem vollkommenen journalistischen Leben verstanden?
Ein Leben, wodurch der Pressmensch, welcher lange und viel im Streben nach publizistischer Vollkommenheit sich geübt, und zu dem Ende die ordentlichen Hilfsmittel der Public Relations gebraucht hat, nun nicht mehr aus seiner Bewegung und aus eigenem Antriebe handelt, sondern in Allem der Führung und Bewegung des heiligen Mediengeistes folgt. Obwohl journalistische Seelen zum aktiven Zustande drängen (weshalb sie sich als »Medienschaffende« verstehen, ohne die dadurch zum Ausdruck gebrachte Hybris anstößig zu finden), ist dieser Zustand des Lebens letztlich ein leidsamer (passiver), weil dann die journalistische Seele die Thätigkeit des Zeitgeistes, zu welcher sie sich nur als aufnehmende Kraft (Subjekt, Unterlage) verhält, auffasset und in sich wirken läßt, und zu Vielem, das in ihr vorgeht, von dem Ihrigen nichts als die Einwilligung beiträgt.
Wie wirkt der Zeitgeist in den Seelen, die zu diesem Stande gelangt sind?
Auf dreifache Weise: nämlich dadurch, daß Er sie reiniget, erleuchtet und entflammt.
Auf wie vielfache Weise wird die Reinigung vollbracht?
Sie geht vor sich unter dreierlei Bedrängnissen. Die erste entsteht aus einer gewissen Schrecken erregenden und dem Gemüthe sich tief einprägenden Vorstellung der verlegerischen Majestät; die zweite aus einer ungemein erhöhten Furcht der verlegerischen Gerechtigkeit; die dritte aus einem heftigen Reize zum Eigenwillen, den der Verlag auf einige Zeit zuläßt, damit eine solche journalistische Seele durch die von allen Seiten hereinbrechenden Laster so angefallen wird, als würde sie bestürmt und sehr schwer erschüttert.
Wie schrecket die verlegerische Majestät die Seele?
Dies geschieht dadurch, daß der journalistischen Seele ein so lebendiges und schreckbares Bild der verlegerischen Größe und Machtkonzentration vorgehalten wird, daß sie es kaum aushalten kann. Es genügen einige wenige Medienkonzerne (Mediaprint, ORF, Mediengruppe »Österreich«, Styria, etc.), um den Großteil überregionaler, regionaler und lokaler Presse, Fernseh- und Radiokanäle zu kontrollieren. Wie Fluthen, die über mir anschwellen, fürchte ich immer den Verlag, und sein Gewicht könnte ich nicht tragen.
Auf welche Weise übet die verlegerische Gerechtigkeit eine journalistische Seele, welche so geläutert werden soll?
Sie jaget ihr eine so große, so anhaltende und immer wieder neu hereinbrechende Furcht ein, daß es der davon betroffenen journalistischen Seele scheint, sie würde in die Anzeigenabteilung versetzt und dürfte nie wieder am jährlichen Sauschädelessen teilnehmen und dem Raiffeisen-Generalanwalt sowie den Abgesandten der Bünde die Bäuche kraulen. Oder aber jede ihrer stories – und sei es eine über die Eröffnung einer neuen Wasserrutsche im örtlichen Schwimmbad – würde automatisch zum Catch and Kill (mit dem Unterschied, dass nicht die Geschichte, sondern die Person, die sie erzählet, verschwiegen werden soll). Denn so sprach Hiob: Wie lange noch schonest Du meiner nicht, und lassest mich nicht meinen Speichel verschlingen?
Worin besteht die Prüfung, welche herkommt von dem Reize zu Bösem?
Darin, daß, aus Zulassung des göttlichen Verlags, die Gemüthsaffekte von der teuflischen Unabhängigkeit so aufgeregt werden, daß was dem Menschen scheint, er sey wirklich den Lastern, wozu er angetrieben wird, ergeben. Was weiß der, welcher nicht versucht worden ist?
Wie erleuchtet das Medienunternehmen in dem vollkommenen Leben, von dem die Rede ist, die journalistische Seele?
Durch Eingießung des professionellen Lichtes, welches die journalistische Seele so auffaßt, daß sie von dem Ihrigen dazu nichts beiträgt, als eine gewisse entsprechende Zubereitung (Disposition, Anschickung), welche wir eine leidsame (passive) nennen können. Zwar gibt es ethische Vorgaben (Pressekodex) und Berufsvereinigungen, der eine Journalistin zugehöret, wodurch sie in ihrem Tun eine gewisse Legitimität erlangt (Presseausweis) – da Journalismus keine geschützte Berufsbezeichnung ist, sind es aber diese Clubs, die über die Kriterien wachen. Ein fundamentales Merkmal besteht darin, ob das Gros des Einkommens aus Beiträgen für Medienunternehmen stammt.1 So schließt sich der Kreis: der Verlag gibt, der Verlag nimmt und die Nacht wird wie der Tag erleuchtet werden.
Wie entflammt der Mediengeist die journalistischen Seelen auf diesem Wege der Vollkommenheit mit seiner Wortgewalt?
Er thut dieses dadurch, daß Er ihnen im Herzen seine immersive Medialität, ja selbst seine Wesenheit, zwar nicht durch eine erfassende Anschauung, aber doch durch so klare und deutliche Erkenntniß kund gibt – eine Geisteshaltung wie glühende Kohlen, die erlaubt, unterschiedslos Aussagen von Karl Kraus und Paulo Coehlo zu referenzieren (solange sie die mood treffen) und als Schmuckzitat über einen Beitrag zu klatschen. Sobald die Gelehrsamkeit durch Aussaugen des (halb)bildungsbürgerlichen Kadavers etabliert ist, können dann auch in der seriösen Berichterstattung die Niederungen des Vernacular, der Alltagssprache angesteuert werden – bis hin zum straight up Bobo-Awareness-Talk (»aufschlagen«, »das macht was mit einem«). Noch zwanglosere Wortwahl erlauben habitualisierte Selbstentäußerungen in Permanenz, zu denen sich Medienmenschen mittlerweile werkseitig angehalten sehen (Newsletter, Podcasts, etc.). Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Bonussentenz: Die Qualität des Lektorats verhält sich indirekt proportional zur Anzahl von Modalpartikel – jedes »vielleicht« ist möglicherweise eines zu viel.