Marketinghölle »Innovation«

Kaum ein modernes Reklame-Vokabel irisiert jede noch so abseitige Kaprize wie das der »Innovation«. Kim Neupert hat es sich genauer angesehen.

Die Impertinenz von Innovation

Die deutsche Bundesregierung nimmt Stellung zur Frage einer möglichen Aussetzung des Patentschutzes von Covid19-Impfstoffen:

»Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben.«

Das freut Pfizer & Co., weil sie bereits jetzt auf Shareholdertreffen saftige Preissteigerungen für kommende Auffrischungsimpfstoffe in Aussicht stellen können (der Ausdruck »Booster« trifft damit auch auf die Aktienkurse zu). Um Patente selbst soll es im Folgenden aber gar nicht gehen, sondern den elenden Bafel von der »Innovation«.

Sie ist gegenwärtig das verhimmelte Goldkind, vor dessen Thron Politik, Wirtschaft, Wissenschaften, Kultur, Kunst und Technik antechambrieren. Zur Verdeutlichung nur einige Preziosen aus dem digitalen Ausschnittbüro:

  • Eine Fachtagung für Kunst- und Kultur nennt sich »Kunst & Kultur Innovation Summit« und fragt im November 2021 im Wiener 1. Bezirk nach »innovativen Ideen und neuen Ansätzen in den Bereichen Besucherentwicklung, Fundraising und Dialogmarketing«.
  • Die EU hat ein eigenes »European Innovation Council«, bzw ein »Enhanced European Innovation Council (EIC)« und das »European Innovation Scoreboard«.
  • Die österreichische Wirtschaftskammer beschäftigt eine eigene Abteilung für Innovation, Technologie, Umwelt
  • Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie ist damit ebenfalls für »Innovation« per se zuständig.
  • Die Stadt Linz verfügt über einen eigenen virtuellen Innovationshauptplatz – das geziemt sich für eine City of Innovation.
  • Buchstäblich hunderte Journale, Konferenzen und Stellenbezeichnungen schmücken sich mit dem Wort »Innovation«.


Unvermeidlich gibt es mittlerweile auch die akademische Disziplin der »Innovation Studies«. Als kreuztabellenbrave Positivistinnen und Positivisten interessieren sich die Beteiligten meist mitnichten dafür, wo der Begriff herkommt, auf dem sie ihre (überwiegend prekären) Karrieren zu gründen versuchen. Eine Ausnahme stellt der kanadische Wissenschaftsforscher Benoît Godin dar, der sich mit der ideengeschichtlichen Entwicklung von »Innovation« in mehreren Monographien ebenso in- wie extensiv beschäftigt hat.

The Invention of Innovation

In seinem Buch zur historischen Genese von Innovation[1] stellt er fest, dass der Begriff über Jahrhunderte negativ besetzt war und mit Subversion gleichgesetzt wurde: Durch die Einführung von Änderungen würde die herrschende Ordnung untergraben. »Innovation« war nicht in der Welt der Vorstellungen (was heute »Kreativität« genannt wird) angesiedelt, sondern ausschließlich in der politischen Sphäre. Verbreitung erlangte das Wort »Innovation« zur Zeit von Reformation und Renaissance – aber nicht als Selbstbezeichnung, sondern Kampfbegriff, mit dem in Pamphleten gegen Widersacher polemisiert wurde. Die Wendung zum positiven Begriff vollzog sich ab ca. Mitte des 18. Jahrhunderts – Godin macht hierbei v.a. zwei Determinanten aus: Zum einen wurde »Innovation« mit dem Drang nach (individueller) Freiheit verknüpft. Damit entsprach »Innovation« als Vorwurf dem der Häresie (»Abfall« vom christlichen Glauben), stellte aber gleichsam seine säkularisierte Variante dar. Zugleich wurde der als Absage an die öffentliche Ordnung begriffene Versuch, Neuerungen einzuführen – im Unterschied zur vordergründig passiven Kontemplation – als Tätigkeit erachtet, die aktiv ins gesellschaftliche Gefüge eingreift. Erst im 20. Jahrhundert vollzog sich die Wandlung, wonach »Innovation« nicht mehr primär eine Aktivität oder deren Resultat meint, sondern einen Prozess, der von der Idee zur Anwendung, von der Theorie zur Praxis verläuft. Egal, ob es sich dabei um einen inkrementellen (schrittweisen) Vorgang, oder einen disruptiven handelt (etwa Schumpeters »schöpferische Zerstörung«), wurde dieser nunmehr als etwas überwiegen Begrüßenswertes erachtet: Als Zeichen des Fortschritts und Manifestation der Idee, wonach sich durch technologische Entwicklungen und deren Anwendung das Leben (potentiell) aller Menschen verbessern ließe.

Innovationen versprechen damit die Verwirklichung jener Vernunft, die Freiheit – mit Hegel – als »Einsicht in die Notwendigkeit« begreift.

Innovation = Investition

Freiheit konstituiert sich im Kapitalismus als marktvermittelter Zwang zur Produktion von Mehrwert. Dass dieses System, das auf der Warenform mit ihrem Doppelcharakter von Gebrauchs- und Tauschwert basiert und sich auf immer höheren Stufen reproduzieren (»wachsen«) muss, auf ständige Neuerungen angewiesen ist, nimmt nicht wunder. Auch nicht, dass »Innovation« in Gestalt technischer Neuerungen in Dienst genommen wird – und ebensowenig, dass damit der Gedanke an »Innovation« an sich nur zugelassen werden kann, insofern er für die Selbstver-wertung des Werts nützlich ist. Dieser Gedanke sei in Form einiger Thesen ausgeführt und zugleich zusammengefasst:

  • Innovationen sind primär technologischer Natur, gelten aber nur als solche, sofern sie profitabel sind. Darüber, was als innovativ zu werten ist und was nicht, entscheidet die Verwertbarkeit und nicht der Nutzen. Es ist deshalb mehr als zweifelhaft, ob die vielbeschworenen »Green Jobs« tatsächlich den ökologischen Zweck erfüllen, mit dem sie vermarktet werden – ihre primäre Bedeutung ist systemstabilisierend und liegt im Ausmaß der Investitionen, derer sie bedürfen.
  • Soziale Innovationen sind dagegen gegenwärtig nur realisierbar, insofern sie ebenfalls technologische Aspekte beinhalten, durch die sie für maßgebliche Teile des Verwertungszusammenhanges interessant sind.
  • Innovationen bedürfen keiner qualitativen Bewertung mehr, sondern werden selbst als positives Attribut verstanden. Etwas »innovativ« nennen, bedeutet, es gutzuheißen.
  • Kapitalismus ist auf technologische Innovationen angewiesen, weil er von permanenter Umwälzung lebt, auch – und gerade – weil er die ewige Wiederkehr des Neuen bedeutet, das ständig anders vermarktet wird.
  • Die gesellschaftliche Bewertung von Innovationen hat sich vordergründig um 180° gedreht: Früher wurden sie als Gefahr für die Stabilität gesehen, heute werden sie als deren Garantin erachtet. Das ist allerdings keine bloße Umwertung, sondern Substitution: Heute ist der Ruf nach Innovationen Teil der herrschenden Ordnung und die Kritik daran steht unter Umsturzverdacht. Was sich damit nicht geändert hat, ist die Ignoranz gegenüber dem konkreten Gehalt.
  • Wer denkt, dass sich im Kapitalismus ernsthafte gesellschaftliche Probleme (die jener hervorgebracht oder vergrößert hat) durch »irgendwas mit Innovationen« lösen lassen, muss sehr dumm, sehr liberal oder sehr beides sein.

 

[1] Godin B (2015), »Innovation Contested: The Idea of Innovation over the Centuries«, London: Routledge