Am 8. Juni 2021 stimmte eine qualifizierte Mehrheit im nationalen Kongress von El Salvador dem Vorschlag von Präsident Nayib Bukele zu, Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel zu machen. Damit ist es die erste nationale Regierung, die auf die Fortsetzung des Siegeszuges von Bitcoin bei der Ablösung des angeblich verrotteten Geldsystems setzt. Es überrascht nicht, dass diese Nachricht von der breiteren Krypto-Community ekstatisch aufgenommen wurde. Doch es ist mehr als ironisch, dass ein gesetzliches Zahlungsmittel, das von seinen Vordenkern in der Vergangenheit so heftig als Zwangseingriff in die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen attackiert wurde, letztlich zur Rettung wird, sobald es zu ihren Gunsten wirkt. Nicht nur, dass die Bürger ihre Steuern in Bitcoin bezahlen können, von nun an zwingt Artikel 7 des Bitcoin-Gesetzes alle Wirtschaftsakteure auf dem Staatsgebiet, Bitcoin als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Jeder Straßenverkäufer in dieser korrodierten Wirtschaft ist nun verpflichtet, diesen hochvolatilen Vermögenswert zu akzeptieren, es sei denn, er ist nicht in der Lage, die notwendigen digitalen Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, um die Transaktion zu gewährleisten.
Warum sollte eine Regierung ein Interesse daran haben, das Geld von staatlicher Kontrolle zu trennen? Zunächst einmal hat El Salvador keine eigene Währung. Seit 2001 ist die offizielle Währung des Landes der US- Dollar. In einem an den Kongress gerichteten Dekret bekommen wir einen weiteren Einblick in die kontraintuitive Logik des Präsidenten. Dort heißt es: »Um das Wirtschaftswachstum der Nation zu fördern, ist es notwendig, den Umlauf einer digitalen Währung zu genehmigen, deren Wert ausschließlich marktwirtschaftlichen Kriterien entspricht.«
Der junge Präsident, der in seinem früheren Leben ein erfolgreicher Unternehmer war, hat sicherlich Recht damit, dass die einzigen Kräfte, die die Preisentwicklung von Bitcoin heute antreiben, Angebot und Nachfrage sind. Lässt man die schwindelerregende Kapitalkonzentration innerhalb des Bitcoin-Netzwerks und die damit einhergehenden Marktmanipulationen für einen Moment beiseite, so scheint Präsident Bukele nicht zu erkennen, dass er mit der Einführung eines weiteren Zwangsgesetzes das Evangelium der freien Märkte verrät, da er in deren Grundprinzip, den Wettbewerb, eingreift. Als der österreichische Ökonom Friedrich Hayek 1976 »Entnationalisierung des Geldes« als Abhandlung gegen das staatliche Geldmonopol und als Forderung nach einem gesetzlichen Rahmen zur Förderung des Wettbewerbs zwischen privaten Währungen schrieb, argumentierte er, dass gesetzliche Zahlungsmittelgesetze eine Einmischung und unnötiger Missbrauch staatlicher Macht seien, da sie die Wahlfreiheit einschränken würden. Laut Hayek reicht das Vertragsrecht aus, um die Verwendung von Geld zwischen Wirtschaftsparteien zu regulieren. Eine Politik, die der Ideologie des freien Marktes treu bleibt, müsste alle gesetzlichen Zahlungsmittelgesetze abschaffen und sie nicht erweitern.
Zeit seines Lebens wurde Hayek von der Angst vor der Entwertung von Währungen heimgesucht – herbeigeführt von Despoten und anderen inkompetenten Regierungsakteuren –, was zweifellos durch das Trauma verursacht wurde, das er durch die österreichische Hyperinflation in seiner Jugend erlebte. Dieselbe Angst vor Inflation wird heute zu einem zentralen Puzzlestück in der Rhetorik um die Nützlichkeit von Bitcoin. Hayeks Lösung für das Problem der Inflation war die Einführung von konkurrierenden privaten Währungen. Eine Abschaffung der Gesetze für gesetzliche Zahlungsmittel würde letztlich zu gleichen Wettbewerbsbe-dingungen führen. Aus seiner Sicht wurde dieser Wettbewerb um eine zentrale Eigenschaft inszeniert, nämlich die Preisstabilität. Nach Hayek wünschen sich die Wirtschaftsakteure nichts sehnlicher als stabile Währungen als Tausch- und Abrechnungsgrundlage. Nach Jahrtausenden der staatlich gelenkten Währungsentwertung würde Preisstabilität letztlich den Weg zur massenhaften Einführung von privatem Geld ebnen und das schlechte Staatsgeld endgültig verdrängen und die Gesellschaft in eine gute Zukunft mit präzisen Preissignalen führen. Dieser Prozess der Ermittlung der stabilsten Währung kann für Hayek nur durch Wettbewerb realisiert werden und niemals a priori bekannt sein. Wie alles andere auch, lassen sich praktikable Währungen nicht einfach konstruieren, sondern können sich nur innerhalb der spontanen Ordnung der Märkte manifestieren.
Obwohl sich die meisten Bitcoiner in direkter Linie zu Hayek sehen, hätte er Bitcoin für seine Preisvolatilität verachtet und es sogar abgelehnt, ihn überhaupt als Geld zu bezeichnen. Und tatsächlich haben viele Bitcoiner wie Michael Saylor, Gründer der Bitcoin-Investmentfirma MicroStrategy, aufgehört, ihn selbst als Geld zu bezeichnen, und heben stattdessen andere Eigenschaften hervor – etwa konzentrieren sie sich mehr auf den Aspekt des Wertaufbewahrungsmittels, indem sie Bitcoin als digitales Gold bewerben. Der einzige Weg für Bitcoin, als Wertaufbewahrungsmittel zu dienen, ist jedoch, das Narrativ zu nähren, die Weltwährung zu werden, und damit die Aussicht auf einen Preisanstieg zu bieten. In einem neuen Werbespot für eine Wallet namens »Coin Cloud« verkaufte Regisseur Spike Lee kürzlich seine Seele für eine Handvoll Bitcoins, indem er den Diversity-Diskurs missbrauchte, um Kryptowährungen als das Geld des Volkes anzupreisen, das endlich mit den unterdrückerischen Strukturen der Vergangenheit bricht, die so sehr mit dem US-Dollar verbunden sind. Mit Bitcoin, so suggeriert die bildreiche Werbung, werden wir endlich finanzielle Freiheit für die Massen haben und dabei keine Minderheit zurücklassen.
Ohne Zweifel war Bitcoin eines der am besten performenden Assets des letzten Jahrzehnts, dank seiner künstlichen Knappheit, die in das Bitcoin-Protokoll eingebettet ist, und der cypherlibertären[1] Rhetorik, die es umgibt. Bei der Konzeption von Bitcoin schlug sein mysteriöser Gründer Satoshi Nakamoto für die Schaffung der ersten dezentralisierten digitalen Währung genau den entgegengesetzten Weg ein als Hayek, da er glaubte, dass die Massenakzeptanz einer Währung eine starke Anreizstruktur benötigen würde. Und was ist ein besserer Anreiz als die starke Belohnung von Early Adopters? Die Belohnungen, die an die Miner als Gegenleistung für ihre Arbeit zur Sicherung des Netzwerks ausgezahlt werden, steigen im Wert, je mehr Menschen sich in das System einkaufen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Beobachter Bitcoin als von der Theorie der größeren Trottel getrieben bezeichnen und dass es nichts anderes als ein Schneeballsystem ist. Aber in aller Fairness, gilt diese Logik, frühe Investoren zu belohnen, nicht für alle Assets? Trotz der spekulativen Boom- und Bust-Phasen hat sich Bitcoin bisher nicht als Ponzi-Schema entpuppt. Selbst nach den schlimmsten Abstürzen hat sich der Bitcoin-Kurs nicht nur erholt und alte Höchststände zurückerobert, sondern ist weiter in neue schwindelerregende Höhen gestiegen und hat immer mehr Kapital angezogen. Die Zukunft wird zeigen, wieviel Gas Bitcoin noch im Tank hat.
Aus technologischer Sicht ist es höchst fraglich, ob Bitcoin jemals in der Lage sein wird, unser aktuelles Finanzsystem zu ersetzen und die globale Ebene für Finanzabwicklungen zu werden, da Blockchains die langsamsten und kostspieligsten Datenbanken sind, die je erdacht wurden. Dezentralisierung hat ihren Preis. Seit Jahren argumentieren Kritiker, dass die 7 Transaktionen pro Sekunde, die das Bitcoin-Netzwerk verarbeiten kann, nicht für eine Massenakzeptanz ausreichen werden und selbst bei Off-Chain-Skalierungslösungen wie dem Lightning Network-Protokoll ist es ungewiss, ob das Routing zwischen den Knoten in einer dezentralen Weise machbar sein wird, wenn das Netzwerk auf Millionen oder Milliarden von Nutzern anwächst, die eine zuverlässige und kostengünstige Finanzinfrastruktur für Mikrotransaktionen in ihrem Alltag nutzen möchten. Gleichzeitig werden diese Lösungen bereits ausgerollt und in der realen Welt getestet.
Im Jahr 2019 finanzierte ein anonymer amerikanischer Spender das bisher größte Bitcoin-Experiment an der Pazifikküste von El Salvador im Surferdorf El Zonte, was mittlerweile als »Bitcoin Beach« bekannt wurde, indem der Zahlungsverkehr der lokalen Wirtschaft dort über das Lightning Network von Bitcoin abgewickelt wird und die Kryptowährung somit zwei Jahre vor El Salvadors Bitcoin-Gesetzen als Zahlungsmittel eingeführt wurde. Während die einen von begeisterten Nutzern berichten, verweisen andere auf die exorbitanten Transaktionsgebühren für den Rücktausch von Bitcoins in stabile Münzen an zentralen Börsen oder an den beiden Bitcoin-Geldautomaten im Land, was die Technologie für die einheimische Bevölkerung nutzlos macht, es sei denn, sie halten an ihrem Bitcoin fest. Immerhin verspricht Präsident Bukele, eine nationale Wallet namens »Chivo« mit der Möglichkeit, Bitcoin automatisch in US-Dollar umzuwandeln, bereitzustellen. Da etwa 70% der Bevölkerung keinen Zugang zu traditionellen Finanzdienstleistungen haben, würde dies diejenigen, die keinen Zugang zum herkömmlichen Bankensystem haben, einen Zugang zu digitalen Finanzdienstleistungen ermöglichen, ohne sie der Volatilität der Bitcoin-Kursbewegung auszusetzen. Die kritische Frage ist, wie hoch die Gebühren sein werden.
Währenddessen wurde auf der diesjährigen Bitcoin-Konferenz nach unzähligen entschuldigenden Lamentos über Bitcoins Ressourcen- und Energieverbrauch die Nachricht über El Salvadors neue Geldpolitik in einer vor Pathos triefenden Präsentation unter frenetischem Applaus des Publikums öffentlich verkündet. Wer sich gefragt hat, wie es wohl aussieht, wenn ein paar Verbindungsstudenten und Verschwörungstheoretiker Fördergelder erhalten, um eine soziale Bewegung zu gründen, findet vielleicht Antworten bei der Betrachtung dieser ethnographischen Goldgrube. Während dieser kultartigen Zeremonie, bei der lautstarke Wortführer wie der RT-Moderator Max Keiser ihre paranoiden Weltanschauungen teilten, wurden dem Zuschauer tiefe Einblicke in die breitere Bitcoin-Gemeinschaft aufgezwungen. Die erste dieser Einsichten besteht in den kruden wirtschaftlichen Ansichten, die diese Leute vertreten. In einem Tweet bemerkte Nick Szabo, Erfinder von »Smart Contracts« und früher Mitwirkender am Bitcoin-Projekt, einmal: »Ein Wirtschaftswissenschaftler oder Programmierer, der nicht viel Informatik, einschließlich Kryptographie, studiert hat, sondern nur Vermutungen darüber anstellt, kann keine langfristig erfolgreiche Kryptowährung entwerfen oder bauen. Ein Informatiker und Programmierer, der nicht viel Wirtschaft studiert hat, aber gesunden Menschenverstand anwendet, kann es.«
Von einigen Ausreißern abgesehen, hat die Veranstaltung gezeigt, dass der gesunde Menschenverstand der Community in einem defekten Zustand ist. Bitcoin steht nicht für Freiheit. Alles, was es bei dieser Veranstaltung zu sehen gibt, ist eine Gemeinschaft frei von der Fähigkeit, kritisches ökonomisches Denken zu entwickeln.
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Dieser Text ist eine stark gekürzte Übersetzung des Textes »Among Cultists« – die Originalfassung findet sich auf der Website der Forschungsgruppe Künstliche Intelligenz und Medienphilosophie der HfG Karlsruhe unter https://kim.hfg-karlsruhe.de/the-state-of-bitcoin/