In diesem Jahr, 2013, war ich eingeladen, als Gastkurator drei Residencies für das Artist-In-Residency-Programm der Stadtwerkstatt auf dem Messschiff Eleonore[1] zu kuratieren. Der von mir gewählte Titel lautete Fieldworks und das Ziel war, dass die eingeladenen Künstler_innen Shu Lea Cheang, Neal White und Hayley Newman Projekte und Ideen für die Ausstellung Fields entwickeln.
Die Ausstellung Fields wird gemeinsam von Rasa Smite, Raitis Smits und mir kuratiert und ist Teil von Riga Kulturhauptstadt 2014. Fields und Fieldworks beruhen auf einem politischen Verständnis von Kunst. Der Begriff des Politischen in diesem Kontext bezieht sich nicht allein auf das Parteiensystem und die parlamentarische Demokratie, sondern auf abstrakterem Niveau auf die Frage, wie sich das Zusammenleben von Menschen regelt, wie die Verteilung von Ressourcen erfolgt, wie Produktion und Konsum gesellschaftlich geregelt sind.
Nach dieser Lesart sind technologische Systeme politisch. Wie die Disziplin der Social Construction of Technological Systems[2], ein Strang innerhalb der Science Studies, gezeigt hat, haben technologische Systeme gravierende gesellschaftliche Auswirkungen. Durch ihren systemhaften Charakter haben Großtechnologien wie etwa Atomenergie oder das Internet die Fähigkeit, Pfadabhängigkeiten zu schaffen. Sie stellen Rahmenbedingungen her, innerhalb derer sich die traditionelle Politik bewegen kann. Vermeintlich neutrale technologische Systeme erfordern es, dass es eine bestimmte Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung gibt. Sie erzeugen und perpetuieren damit gesellschaftliche Hierarchien und Asymmetrien, fördern bestimmte Denkmuster oder lullen uns in einem falschen Gefühl der Sicherheit ein. Diese Systeme stellen eine »Form der ideologischen Indoktrination« dar, wie es Gastkünstlerin Hayley Newman im Interview mit mir ausdrückte.
Denken wir diese Ideen weiter, dann kann es die Aufgabe einer politischen Kunst sein, alles Bestehende einer rücksichtslosen und grundlegenden Kritik zu unterziehen. Das Gefühl ist jedoch verbreitet, dass sich die Möglichkeiten einer solchen Kritik heute weitgehend erschöpft haben. Eine solche Kritik bräuchte einen Adressaten, ein historisches Subjekt, doch dieses ist abwesend. Fields und Fieldworks verfolgen daher eine andere Bedeutung von politisch. Diese andere Auffassung setzt auf konstruktive Fähigkeiten. Die Kunst von der hier die Rede ist, eröffnet neue Handlungsfelder und schlägt alternative Welt-Modelle vor. Künstlerinnen und Künstler haben die Fähigkeit, durch ungewöhnliche Kombinationen verschiedener Disziplinen und Ansätze Neues entstehen zu lassen. Dabei geht es nicht um Neues im Sinn des allgegenwärtigen Zwangs zur Innovation, sondern um eine gesellschaftliche Erneuerung.
Fields und Fieldworks ereignen sich innerhalb einer konkreten historischen Situation, die von einer Kluft zwischen den positiven und negativen Potenzialen der Wissensgesellschaft geprägt ist. Die positiven Potenziale bestehen darin, pluralistische Ökologien von Wissen, Fähigkeiten und Praktiken zu erlauben; in den Möglichkeiten, die auf dem freien Austausch, der Selbstorganisation und der Existenz eines wachsenden »digital commons« beruhen. Doch leider werden diese Potenziale immer wieder von den repressiven Tendenzen des neoliberalen Informationskapitalismus eingebremst. Diese Schizophrenie gehört zu den Grundtendenzen des industriellen Kapitalismus wie er bereits von Marx analysiert und von Guy Debord auf einen für die 1960er Jahre aktuelleren Stand[3] gebracht wurde - eine Analyse, die jedoch im Kern immer noch Bestand hat.
Der Kapitalismus entwickelt die Produktivkräfte. Dadurch entsteht gewaltige Kraft für gesellschaftliche Umwälzungen: »Alles ständische und stehende verdampft« lautet eine der erstaunlichsten Zeilen des kommunistischen Manifests von 1848. Im Interesse des eigenen Machterhalts jedoch betreiben die Eliten stets die Einfrierung der sozialen Verhältnisse. Technologisch innovativ, sozial konservativ, ist die Formel, auf die man sich festgelegt hat. Das führt jedoch unweigerlich zu großen sozialen Spannungen, die sich ca. alle 40-60 Jahre zu tiefgreifenden Strukturkrisen aufschaukeln.
Dieses Projekt setzt auf der Prämisse auf, dass wir gegenwärtig eine solche Krise durchmachen, die Strukturkrise des Informationszeitalters. Es handelt sich um eine der Krisen jener Art, die nur durch neue Weichenstellungen gelöst werden kann. Dazu ist aber das derzeitige politische System unfähig, wie z.B. Folgen ergebnisloser Klimagipfel zeigen. Genau darin liegt die Herausforderung für interventionistische Kunst, die nicht auf den Kunstmarkt oder die Kanonisierung durch Museen spekuliert, sondern die sich als Agentin des Wandels verausgabt. Kunst, die aus einer konstruktiven Tradition kommt, und bis vor kurzem noch mit Begriffen wie Medien- oder Netzkunst bezeichnet wurde, kann unter keinen einheitlichen Oberbegriff mehr gebracht werden. Ein wichtiges Kennzeichen der neueren Entwicklungen ist, dass informationsgesellschaftliche Konzepte und Tools auf die Welt angewandt werden. Anstatt innerhalb des Monitors »Netzkunst« zu produzieren, engagiert sich diese Kunst in sozialen Feldern. Sie beschränkt sich weder auf Leinwand noch auf Bildschirm, sondern kann alles zu ihrem Medium machen, ob Saatgut, soziale Beziehungen oder Wasserleitungssysteme.
Für diese Art des Experiments ist die Eleonore ein idealer Ort. Die Residency auf der Eleonore soll es Künstlerinnen und Künstlern ermöglichen, aus dem Alltag heraus und in direkteren Kontakt mit der Natur zu treten. Indem sie erleben, wie die Do-it-Yourself-Systeme des Boots mit der Umwelt interagieren, genießen sie einen vergrößerten gedanklichen Freiraum. Die Eleonore ist weit mehr als ein Stück schwimmendes Blech mit ein paar Pflanzen oben drauf. Es ist ein Entwurf, wie sich techno-politisches Kapital außerhalb der dominanten Strukturen bilden kann. Dieses Kapital ist klarerweise symbolisches Kapital, gesellschaftliches Kapital. Es könnte, muss aber nicht, die Anzahlung auf zukünftige gesellschaftliche Umwälzungen sein, die nicht nur neue Technologien sondern auch neue soziale Verhältnisse hervorbringen.
Shu Lea Cheang
Aufenthalt: 1. - 14. Juni 2013
Homepage: http://mauvaiscontact.info/
»Es begann damit, Kürbis zu essen,« berichtet Shu Lea Cheang, » ... verschiedene Arten von Kürbissen, und die Samen aufzubewahren, zu sammeln. So entstand die Idee, Kürbisse auf einem Floß zu ziehen.« Shu Lea Cheang, die man ohne Bedenken als eine der wichtigsten Medienkünstlerinnen unserer Zeit bezeichnen kann, studierte an der New York Film School und arbeitete in den 1980er Jahren bei der Videoaktivismusgruppe Paper Tiger TV. 1994 stellte sie ihren ersten abendfüllenden Spielfilm, Fresh Kill, fertig, 1999 folgte der Cyber-Queer Porno-IKU. Ihre Auftragsarbeit Brandon Room (1999) für das Guggenheim Museum, New York, war die erste von einem großen Museum angekaufte Netzkunstarbeit überhaupt[4].
Die in Paris lebende Künstlerin kam mit einer fast fertig entwickelten Idee nach Linz. Sie erarbeitete zwei miteinander verbundene Projekte, Accidental Landing, und Seeds Underground. Inspiriert von Berichten über Eleonore im Web, war die Vorstellung von zufällig aufgefangenen Samen auf einem Floß der Ausgangspunkt der Arbeit. Die Eleonore hostete am 12. Juni die erste Seeds Underground Party, ein neuer Projektzyklus von Cheang, der auf der Eleonore seine Weltpremiere feierte.
Dieser Typus von Werk besteht nicht in einer in sich geschlossenen Arbeit, sondern darin, ein selbst-perpetuierendes Modell zu begründen - einen Vorschlag, den andere Leute aufgreifen und sich zu eigen machen können. Mit den Seeds Underground Parties wird auf Monopolisierungstendenzen im Saatgutsektor verwiesen. Aktivisten wie etwa das Arche-Noah-Netzwerk glauben, dass die neue Saatgutverordnung der EU die Großkonzerne bevorzugt und lokale Varianten, Nischenprodukte und alte Sorten benachteiligen werde. Bei den Seeds Underground Parties kann man Saatgut und Vorgezogenes tauschen und später das Wachstum der Pflanzen und die weitere Geschichte über das Web verfolgen. Seit Linz hat es Seeds Underground Parties u.a. in Brüssel, Paris und London gegeben.
Die Residency von Shu Lea Cheang hatte besondere Begleitumstände, das Hochwasser auf der Donau. Für einige Tage war die Verbindung von der Eleonore zum Land unterbrochen. Die Eleonore zeigte sich fluttauglich, auch dank des Beiboots, Franz Feigl, das die Verbindung mit dem Land während der Flut herstellte.
Neal White, Lisa Haskel, Office of Experiments (OoE)
Aufenthalt: 21. - 30. Juni 2013
Homepage: http://www.o-o-e.org/
Der englische Künstler Neal White ist Initiator des Projekts Office of Experiments (OoE). Seine Residency wurde durch Lisa Haskel unterstützt, die u.a. als Webmasterin am OoE mitarbeitet. Neal White zählte als Mitbegründer der Gruppe Soda zu den wichtigsten Medienkünstlern in London und UK in den 1990er Jahren. Soda verband künstlerische Tätigkeit unter einem erweiterten Skulpturbegriff mit Projekten im Sog der New Economy. Als letztere Überhand zu nehmen begannen, verließ er Soda und begann seine Solo-Karriere. Lisa Haskel hat ebenfalls seit Mitte der 1990er Jahre Wesentliches zur Entwicklung der Medienkunst in England beigetragen, zunächst als Organisatorin und Kuratorin am ICA und Arts Council of England, später als Web-Masterin und Drupal-Expertin für Projekte wie Node.London. Beide arbeiten derzeit an einem Praxis-basiertem PhD bei Bournemouth University.
Neal White beschäftigte sich nach seinem Ausstieg bei Soda kritisch mit dem Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. So entwickelte er eine Serie von »Selbstexperimenten« in der Tradition jener Wissenschafter, die Experimente am eigenen Körper vornehmen, weil diese ansonsten ethisch unzumutbar wären. Von hier führte die Entwicklung zu Projekten, die sich mit der Wissenschaft des Kalten Kriegs beschäftigten. An Orten wie Porton Down, einem Forschungszentrum des Verteidigungsministeriums des Vereinten Königreichs, wurden und werden wissenschaftliche Experimente vorgenommen, die unter höchster Geheimhaltungsstufe stehen, und unter Umständen[5] ethische Standards nicht einhalten. Das OoE entwickelte Strategien, wie mittels Methoden des sogenannten »overt research« (»overt«, engl. für »offenkundig«, als Wortspiel gegen »covert research«, engl »geheime Forschung«) den Institutionen des Kalten Kriegs, der Spionage und militärischen Forschung etwas entgegengesetzt werden kann.
Für Fieldworks entwickelte OoE ein neues Projekt, mit dem Titel Large Scale Spomenik Array. Spomenik ist das serbische Wort für Denkmal. Der holländische Fotograf Jan Kempenaers hat die zahlreichen Kriegsdenkmäler, die im Gedenken an den Zweiten Weltkrieg im ehemaligen Jugoslawien errichtet wurden - viele davon verfallen oder in den 1990er Jahren ganz oder teilweise zerstört - fotografiert. Diese verwaisten modernistischen Denkmäler waren eine der zwei wesentlichen Inspirationen für das Projekt, eine andere die Enthüllungen über das Überwachungssystem PRISM der NSA durch Edward Snowden.
Ziel war es, »parallele Felder des Realen und Präsenten, des Synchronen und Asynchronen zu schaffen, in analoger und elektronischer Form,« schrieb Neal White in seinem elektronischen Notizbuch. Mit Rückbezug auf die Ästhetik der funktionalistischen Moderne wurde eine geometrisches Element als Ausgangspunkt gewählt, das sowohl dem Bau von Bunkern als auch von Tarnkappen-bombern dienen kann. Das Objekt, dessen Prototyp auf der Eleonore realisiert wurde, kommuniziert die verborgene Strenge seines Konstruktions-prinzips und stellt Verbindungen zur Logik von Überwachungs-systemen her. Die Idee ist, dass dieser Prototyp in großer Zahl und in verschiedenen Varianten reproduziert wird. In der Wirklichkeit verteilt, suggerieren diese Objekte Bestandteile einer globalen Überwachungs-architektur zu sein - eben eines »large scale spomenik array«. Das radikal modernistische, zugleich martialische Aussehen dieser Spomeniks verschleiert jedoch ihren wahren Zweck. Die Skulpturen sollen zugleich als Schutzorte dienen. Das an der Eleonore angedockte, schwimmende Denkmal ist als Entenschutzhaus konzipiert.
Hayley Newman
Aufenthalt: 12. August - 1. September 2013
Homepage: http://www.hayleynewman.com/
Hayley Newman hat mit ihren Arbeiten in den 1990er Jahren zum »performative turn« in der Kunst beigetragen, also dazu, dass die Performance als Kunst ein starkes Revival erlebte. Performance wird dabei in der Tradition der bildenden Künste verstanden, zum Unterschied vom Schauspiel oder anderen Formen der Live Art. Ein Schlüssel zu den Arbeiten von Hayley Newman, die bei Stuart Brisley und Marina Abramovic studiert hat, ist die Intermedialität. Ihre Arbeiten in den 1990er Jahren verbanden oft auf intelligente und witzige Art verschiedene Medien, wobei sich diese exemplarisch im Körper der Künstlerin durchkreuzten. Hayley Newman wog ihr eigenes Gewicht in Form von Luft in Plastik-Säcken ab, und nannte es Human Resources I; tanzte in einem Microphone Skirt oder verzeichnete die Emotionen, die ein Kiss auslöste, handschriftlich. Darauf folgte der Fotozyklus Connotations, wobei es sich um »Dokumentationen« von 21 Performances handelte, die jedoch in Wirklichkeit nie stattgefunden haben.
Newman hat in den letzten Jahren einen neuen Zyklus von Arbeiten begonnen, die sich mit Öko-Aktivismus der einen oder anderen Form beschäftigen, was sowohl für Ökologie als auch Ökonomie steht. Dieses oben angesprochene Element der Übersetzungen, oder Transposition von einem Medium in ein anderes, hat nun eine neue Qualität gewonnen. Hayley Newman hat zu schreiben begonnen, schreibt jedoch als bildende Künstlerin und entwickelt so neue Durchdringungen von Werk, Inhalt, Form und Medium. Eines ihrer letzten Werke ist ein kurzer Roman mit dem Titel Common.
Dieser baut auf Handlungen auf, die sie zum Teil real erlebt hat, indem sie sich als »Selbsternannte Künstlerin-in-Residence« in der City of London erfand. In der City, also dem Finanzdistrikt, fragte sie das Personal der teilverstaatlichten Bank Lloyds, ob sie eine Bank Rubbery durchführen durfte - von »to rub«, also einen Abrieb herstellen, keinen Bankraub. Doch der daylight »bank rubbery« kam beim Filialleiter der Branche nicht so gut an. Also nahm sie eine Frottage an einer aufgelösten irakischen Bank vor.
In Newman‘s Roman kommen wir in einer episodenhaft erzählten Reise an Orte wie das »Crisis Carbaret«, wo Bonus der Banker Clown, sowie das mittlerweile aufgelöste Duo Boom and Bust immer weniger witzige Sachen aufführen. Ein solches »Crisis Caberet« hat die Künstlerin im Vorjahr dann live im Barbican Theater aufgeführt. So wird die reale Aktion zur Fiktion und entstehen aus der Fiktion zukünftige Performances (Video Dokumentation: http://vimeo.com/65895572).
Noch direkter und genauso lustig sind die gesammelten Werke der Gluts, jener Drei-Frauen-Band, die zum Copenhagener Climate Summit ein besonderes Menü im Kohlenstoff-Café servierte (http://www.cafecarbon.net).
Hayley Newman begann sich auf der Eleonore für das Wassersystem zu interessieren. Zunächst fertigte sie zahlreiche Zeichnungen von Rohren und Gabelungen der Wasserleitungen auf der Eleonore an. Das System, das über die Jahre immer wieder umgebaut wurde, ist höchst komplex. Ihre Zeichnungen bildeten die Elemente des Systems wie botanische Studien ab, jedes Element einzeln auf einem Creme-farbenen Zeichenpapier, hübsch und realistisch mit Schattierungen und Perspektive. Dann schrieb die Künstlerin einen Text mit dem Titel »Elfie und Eleonore (für Heidi)«. Darin beschreibt sie ihre Erfahrung auf der Eleonore aus der Perspektive der 12-jährigen Elfie, die auf Besuch zu Onkel Zav kommt. Geschrieben in einer ulkigen Mischung aus deutsch und englisch, beschreit der Text Elfies Erforschung des Wassersystems. »Wo kommt denn der ganze Poo hin,« fragt sich Elfie. »Poo« ist englische Babysprache für das was wir Gaga nennen würden. Was passiert also mit all dem Gaga, das täglich auf der Eleonore produziert wird, wo kommt es hin? Dieser Anfangsfrage nachgehend verstrickt sich Elfie in surreale Tagträume.
Zur Eleonore und Fieldworks Residency-Reihe gab es ein zweiteiliges Kunstradio unter dem Titel Kunst, Wasser, Information. Die Sendungen sind im Web archiviert:
Teil 1: http://www.kunstradio.at/2013B/03_11_13.html
Teil 2: http://www.kunstradio.at/2013B/10_11_13.html