Dass sich die Pop-Musik in der Krise befindet, ist nicht neu. Dass die Ursachenforschung bisher vor allem in der Musik selber nach den Problemen und Gründen dafür gesucht hat, verstellte jedoch den Blick darauf, dass auch hier das Sein das Bewusstsein (und somit auch die popmusikalischen Erzeugnisse) bedingt.
Mit »Das Geschäft mit der Musik« hat Berthold Seliger nun ein viel diskutiertes und vor allem faktenreiches Buch zum Thema geschrieben, das den Zusatz »Insiderbericht« nicht zu Unrecht trägt. Seliger hat 25 Jahre lang seine eigene Konzertagentur betrieben und ist Europaagent für Calexico, Lambchop, Pere Ubu, The Residents und The Walkabouts. Als deutscher Tourneeveranstalter arbeitete er mit Lou Reed, Patti Smith und John Cale zusammen. Als ebenso streitbarer wie genauer Kommentator des Pop-Business schreibt er u.a. für die Berliner Zeitung und Konkret. Im Sommer gab er, kurz nach Erscheinen des Buchs, das Ende seiner Konzertagentur bekannt.
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Im Grunde stellt Seliger eine ganz simple Frage: Welche strukturellen Veränderungen haben dazu geführt, dass Popmusik heutzutage so neo-kleinbürgerlich und alternativlos klingt? Diese Frage ist umso wichtiger, weil sich bei Pop ja schon immer ökonomisches Kalkül und ästhetisches Experiment die Hand gegeben haben. Mit rein ästhetischen Kategorien ist hier kein Weiterkommen jenseits des »Früher war alles besser«-Lamentos zu bewerkstelligen. Denn in den letzten zwanzig Jahren wurde Pop vor allem durch »von der Politik ermöglichte« Entscheidungen verändert.
Wie auch Mark Fisher in seiner brillianten Analyse »Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?« (VSA 2013), setzt auch Seliger bei den »Reaganomics« und dem »Thatcherismus« und deren Folgen an (etwa der Börsengang von Labels in den 1990ern und die damit verbundene Theorie des »Shareholder Value«, bei dem nur der Wert für die Aktionäre, nicht jedoch jener für alle am Unternehmen beteiligten Gruppen zählt).
Vollständig »auf den Kopf gestellt« wurde die Musikindustrie schließlich durch den 1996 von Bill Clinton verabschiedeten »Telecommunications Act« zur Liberalisierung des US-amerikanischen Medienmarktes.
Deregulierung (vulgo „entfesselte Wirtschaft“) bedeutete auch hier den Verlust von Vielfalt, individuellen Wegen und Diversität. Gab es 1983 in den USA noch 50 große Medienkonzerne, so waren es 2005 nur noch fünf.
Heute dominieren nur noch drei multinationale Konzerne (Universal, Sony, Warner) fast 80 Prozent des weltweiten Tonträgergeschäfts. Bei den Musikverlagen und Agenturen ist es ähnlich. Zudem begann die Konzertbranche höhere Umsätze als die Tonträgerindustrie einzufahren. Exemplarisch dafür die Fusion von Live Nation mit Ticketmaster als börsennotierte »Quasi-Monopolisten«, denen außerdem auch »fast alle Spielstätten« gehören.
Geld wird also schon lange nicht mehr vorwiegend durch Musik, sondern durch »attraktive Wertschöpfungsketten« (das reicht vom Merchandising über Parkgebühren bis hin zum Verkauf »detaillierter Käuferdaten«, die durch das Onlineticketing erhoben werden) verdient.
»Branded Entertainment« heißt das im Branchenslang und meint damit »Multiplattformen«, bei denen sich Mobilfunkanbieter, Banken, Getränkehersteller und Versicherungskonzerne als »Partner der Musikbranche« sehen.
So kann es dann auch schon mal vorkommen, dass am Anfang einer Tourplanung eher der »lukrative Kampagnen-Sponsor« und nicht das neue Album steht. Wenn aber diese »neuen Geschäftsmodelle« (die den auf Tour geschickten Acts zudem »garantierte höhere Gewinne« versprechen) mehr Rendite bringen, wieso dann überhaupt noch nach neuen Musikmodellen suchen?
Jay-Z (der derzeit kommerziell erfolgreichste afroamerikanische Musiker) bringt diese Haltung von Pop im/als Finanzkapitalismus dann auch auf den Punkt: »I’m not a businessman – I’m a business, man.«
Nachdem Popmusik für Distinktionsgewinne gesorgt hat und eh nicht mehr die Hauptkohle einbringt, wird sie ökonomisch und ästhetisch immer mehr zu einem Neben/Abfallprodukt. Lieblos behandelt sowohl von den Acts wie von den Konsument_innen und Kritiker_innen. Nur, wäre es da nicht auch möglich (gerade weil es egal ist, was auf den CDs zu hören ist), nicht den Jay-Z-Weg zu gehen (klotzen, aber keine Experimente), sondern sich eher an Kanye West (klotzen, aber experimentieren) zu orientieren?
Different Classes
Pop hat jedoch ein noch viel gravierenderes Glaubwürdigkeitsproblem. Hieß es lange Zeit, dass das etwas sei, bei dem prinzipiell alle mitmachen dürfen und können, so stellt sich spätestens seit den Nuller-Jahren immer mehr die Frage, wer darf/kann überhaupt noch mitspielen?
Owen Hatherley beschreibt diese Entwicklung in »These Glory Days: Ein Essay über Pulp und Jarvis Cocker« (Bittermann 2012) sehr genau und zeichnet nach, wie unter Thatcher und später Tony Blair das staatliche Wohlfahrtssystem aufgegeben wurde, wodurch auch all jene Rahmenbedingungen (billige Mieten, freie Zugänge zu den Art Schools, etc.) weggefallen sind, damit in »Großbritannien Brutstätten der Popkunst« überhaupt erst bereitgestellt werden konnten (auch die Cultural Studies hätte es ohne Arbeiterwohlfahrt nie gegeben).
Stattdessen wurde im Zeichen der New-Economy die »Kreativwirtschaft« erfunden und somit auch Pop zu einem Feld für die Klassenkämpfe von Oben.
Jetzt war Pop zwar immer auch schon ein Mittelschichtsphänomen (vgl. etwa The Rolling Stones, The Who, The Clash, etc.), aber in seinen klassischen Phasen (von den 1960s bis zu den 1990s) gab es dabei immer auch eine gewisse Solidarität mit der Arbeiterklasse (siehe etwa Glam, Punk, Post-Punk).
Seitdem Pop jedoch in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, sind ihm die »Unterschichten« lästig bis egal. Stattdessen gibt es flächendeckend »gehobene Mittelschichts-Pop-Musik« (Diedrich Diederichsen) von Mittelschichtskindern »für andere Mittelschichtsangehörige«, die nicht einmal im Traum (oder in Songs) an Klassenverrat denken, geschweige denn ihrer »Spießerhölle« entfliehen wollen.
Das soll jetzt nicht als Vulgär-Pop-Marxismus missverstanden werden. Hier geht es nicht darum, dass die »working class« die bessere weil echtere, authentischere vulgo wahrere Musik macht (solche Klassenessentialismen sind auch Seliger gänzlich fremd).
Viel eher geht es um massive strukturelle Veränderungen, die nicht von ungefähr auch an die hierzulande geführten Bildungs-Debatten erinnern.
Seliger verweist dabei auf einen aufschlussreichen Text von Robert Rotifer: »Musizierende Arbeiterkinder sind eine verschwindende Minderheit. In Zeiten des geschrumpften und immer brotloser werdenden Musikgeschäfts bleibt die Popstar-Perspektive finanziell vorversorgten Ex-Privatschülern wie Mumford & Sons, Lily Allen, Laura Marling, Florence Welch oder Coldplay vorbehalten.«
Laut Owen Hatherly waren 2010 bereits 60 Prozent der in den Top Ten vertretenen britischen Künstler Absolventen einer Privatschule (1990 waren es nur ein Prozent), die sich zudem vor allem durch eines kennzeichnen lassen: eine fast schon pathologische Abneigung gegenüber vermeintlich proletarischer sowie sexuell und ethnisch uneindeutiger Club- und Dancemusik.
Hat Pop früher einmal (und zwar auch in den Charts) Verblödungszusammenhänge (bewusst oder unbewusst) zur Disposition gestellt, so klingt Pop in Deutschland und Österreich immer mehr genau so wie die jeweiligen Wahlausgänge.
Mit emazipatorischer Selbstermächtigung hat das alles nichts mehr zu tun, sehr wohl aber mit »systemstabilisierenden Wohlfühlpop eines
neuen Biedermeier« zur Selbstoptimierung im Dienste neoliberaler Verteilungskämpfe.
Future No & Now
Dass solche Analysen immer mit einem Bein in den Kulturpessimismus-Topf gestoßen werden, liegt auf der Hand, gehören sie doch zu den dezidierten Spielverderbern, die noch dazu auch all das penibel auflisten, was früher zwar auch nicht ideal, aber jedenfalls besser gewesen ist.
Seligers Forderungen idealisieren daher auch kein irgendwie besseres Gestern, ihnen geht es eher um die Ermöglichung eines Zukünftigen.
So fragt er zu Recht, was denn all die Popmusik-Förderungen und Pop-Akademien eigentlich bringen, außer »Subventionspop als Repräsentationskultur der neuen Eliten«. Oder anders gefragt: Warum klingt subventionierter Staats-Pop fast immer nach einem »systemkonformen Gemischtwarenladen aus Bands« im Dienste eines »Nation Branding«, das »bevorzugt Mittelmaß fördert«?
Gibt es überhaupt noch (sofort) erkennbare Unterschiede zwischen auf »Indie« getrimmten Popmusik-Darsteller_innen bei Casting-Shows und dem, was z.B. auf FM4 als »Indie« propagiert wird?
Dass wir es dabei nicht mit ästhetischen, sondern mit politischen Problemen zu tun haben, ist vielleicht der wichtigste Aspekt des ganzen Buches. Seliger (der seinen Adorno, aber auch Bourdieu, Deleuze und Zizek sehr gut gelesen hat) dazu ganz konkret: »Wir sollten keine Steuergelder mehr für die Subventionierung von Staatspop ausgeben, sondern einen Paradigmenwechsel der Kulturpolitik verlangen. Es muß um die Förderung der Menschen gehen, um die Verbesserung ihrer Lebensumstände.«
Das bedeutet u.a. »eine systematische Spielstättenförderung« sowie die Verbesserung der Bedingungen »unter denen Popkultur entstehen kann«.
Soll heißen: leistbare Mieten, soziale Absicherungen, freie Bildungszugänge und eben kein Prekariat. Also alles, was in den letzten 20 Jahren sukzessive abgebaut und ausgehöhlt wurde, dann, so Seliger, »kann man die Popkultur getrost sich selber überlassen.«
Berthold Seliger: Das Geschäft mit der Musik. Ein Insiderbericht, Edition TIAMAT 2013, 352 S., 18,- Euro
Weiterführende & ergänzende Literatur
Owen Hatherley: These Glory Days: Ein Essay über Pulp und Jarvis Cocker, Bittermann 2012, 168 S., 16,- Euro
Mark Fisher: Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?, VSA 2013, 120 S., 12,80 Euro