Gibt‘s nicht gibt‘s nicht
In der derzeit boomenden Aufarbeitung der österreichischen (bzw. Wiener) Popgeschichte gibt es eine Leerstelle: Sehr oft bleiben diese Geschichten beinahe ausschließliche Bubengeschichten, die sich nur selten Fragen von Geschlechterverhältnissen in den betreffenden Szenen stellen. Oft wird damit argumentiert, dass man eben das abbilden würde, was es gegeben hat – und dass Frauen als Musikschaffende im beforschten Zeitraum eben kaum als innovative, bedeutende Protagonistinnen der Szenen in Erscheinung traten. Dieser Beitrag möchte diesem Standard die Fallgeschichte einer erfolgreichen österreichischen Frauenband entgegensetzen, die zwischen 1962 und 1971 in ganz Europa aktiv war: die Rosée Sisters aus Wien.
Dass wir heute von den Rosée Sisters überhaupt wissen, ist keine Selbstverständlichkeit. Immerhin handelt es sich bei den österreichischen Sixties um eine Zeit mit denkbar schlechten Rahmenbedingungen für Beat-Bands, um sich in der Überlieferung zu verewigen: um bleibende, einer späteren interessierten Öffentlichkeit zugängliche Spuren zu hinterlassen – etwa eine Aufnahme auf Schallplatte, oder ein Konzertreview in einer Tageszeitung – musste man schon eine Profiband sein. Al Bird Sputnik von den Trash Rock Archives erklärt dieses Phänomen als den ‚Sonderfall Österreich‘: Anders als in anderen europäischen Ländern sind ‚independent‘, teenagersubkulturell verortete Musiker_innen und Fans von Rock’n’Roll und Beatmusik kaum vernetzt, und können auf keine Infrastruktur zurückgreifen, die ihr (musikalisches) Schaffen nachhaltig dokumentieren würde. Diese Strukturen machen eine Spurensuche nach ‚Frauenbands‘ nicht gerade leicht. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der 1960er bringen eine Renaissance der heteronormativen, arbeitsteiligen Kleinfamilie, in welcher Lebenswelten wieder stärker in eine männliche Öffentlichkeit und eine weibliche Privatheit gespalten werden. Der Beruf des Musikers – vor allem in der Unterhaltungsbranche – ist dabei zu eng verwoben mit genau jener Art von Öffentlichkeit, in der eine anständige Frau der 60er abends allein nichts verloren hatte: nämlich Bars, Nachtlokale und Heurigenlokale. Darüber hinaus schien eine Frau als ein Instrumente bedienendes Mitglied einer Tanzband kaum vorstellbar, wie ein Artikel aus der Kronen Zeitung vom 10. November 1962 zeigt:
»Wenn ein junger Mann in ein Geschäft für Musikinstrumente kommt und sagt: »Ich möchte gern ein Saxophon«, so wundert sich kein Mensch. Sagt der junge Mann aber: »Ich möchte ein Saxophon für meine Braut«, dann besteht Gefahr, dass der Verkäufer fragt - oder zumindest denkt: »Sind Sie auch sicher nicht verrückt, mein Herr?«
Exploiting the Girl-Factor: Rosée Sisters
Eine ‚Damenkapelle‘, die sich trotz der ungünstigen Umstände sogar auf der deutschen Polydor Schallplatten verewigt hat, sind die Wiener Rosée Sisters. Die Kapelle wird 1962 von Brigitte Rosée gegründet, die die Band wie ein Unternehmen führt. Sie castet Mitglieder über Annoncen in Zeitschriften und einem Aushang in einem großen Wiener Musikhaus, und tritt über das beinahe zehnjährige Bestehen der Gruppe hindurch als Bandleaderin in Erscheinung: Sie wählt die Instrumentalistinnen aus, verpflichtete sie per Vertrag zur Einhaltung von strengen Regeln (wie zum Beispiel jener, eine gewisse Zeitlang weder zu heiraten, noch schwanger zu werden), behält sich das Recht vor, Bandmitglieder bei Regelbruch zu feuern, und führt als einzige den Künstlerinnennamen Rosée. Die straffe Führung trägt Früchte, und die Rosée Sisters machen sich als Showband schnell einen Namen. Zwischen Mitte der 1960er bis 1971 ist die Band ständig auf Tournee. Zusätzlich nehmen die Sisters zahlreiche Engagements in Clubs in Deutschland und der Schweiz, sowie in den Niederlanden wahr. Im gesamten deutschsprachigen Raum stoßen ihre Live-Auftritte auf große Resonanz. Auch die Presse springt auf: Große Blätter wie die deutsche Bild-Zeitung berichten regelmäßig über die all-girl-combo. Selbstverständlich sensationalisieren die damaligen Berichte den Umstand, hier einer reinen ‚Damenkapelle‘ zu begegnen, welche nicht nur ihre Instrumente perfekt beherrscht, sondern auch jeden dreckigen Trick im Buch des Showgeschäfts zu kennen scheint.
Auffallend ist, dass die Rosée Sisters in ihrer Vermarktungs-Strategie die stereotype Exotisierung von Musikerinnen übernehmen – und gnadenlos für ihre Sache ausnutzen. Rosée bezeichnet in Interviews den all-female Status ihrer Band als »Gag«, den sie bemüht, um ihr Produkt am damaligen Pop-Markt besser verkaufen zu können. Die Kapelle pocht selbst wiederholt auf ihre zumindest im deutschsprachigen Raum alleingestellte Position, und nutzt so die von außen herangetragene Exotisierung strategisch zum eigenen Vorteil. Problematisch wird das Othering allerdings bei Verhandlungen mit einigen Clubbetreibern und Sponsor_innen. Diese versuchen die Band immer wieder zu einem Auftreten zu überreden, das die Rosée Sisters nicht nur als musikalische, sondern auch als erotisch aufgeladene Sensation verkaufen ließe. Im Interview erinnert sich Brigitte Rosée an Veranstalter, die angeblich umso mehr Gage zahlen wollten, je knapper und stoffärmer die Bühnenkostüme der Kombo ausfielen – eine Anekdote, die auch ihren Weg in zahlreiche damalige Zeitungsberichte über die Musikerinnen findet. Der Reiz einer Frauenband scheint für Presse und Publikum zugleich zu einem großen Teil in der Inszenierung von sexualisierter Differenz gelegen zu haben. Auch die Kärntner Tageszeitung bewirbt die Band im Juni 1966 mit folgenden Worten:
»Ihre Musik ist ebenso erregend wie die Ausschnitte ihrer eleganten Kleidchen. Wenn sie jeweils 30 Minuten lang Schlager um Schlager in eigenem Arrangement loslassen und dazu noch singen, dann ist dies eine Wucht, die selbst den besinnlichsten Urlauber älteren Jahrgangs vom Sitz reißt.« (Kärtner Tageszeitung, Juni 1966)
Von Frauenvokalisten zu Damenkapellen - und wieder zurück: die Rosée Sisters auf Polydor Deutschland
Der zur Vermarktung so bereitwillig in Anspruch genommene Novelty-Faktor fiel der Band allerdings bei der ersten Schallplattenaufnahme auf den Kopf. Bei ihrer ersten und einzigen 7” Single mit den Titeln »Du bist wunderbar / Du schenkst mir Rosen«, die 1966 auf der deutschen Polydor erschien, durfte die Band den Instrumentaltrack nicht selbst einspielen – obwohl sie dazu mehr als in der Lage gewesen wäre. Der damaligen Marktführerin Polydor war es dann wohl doch zu riskant, teure Studiozeit in instrumentenspielende Damen zu investieren: Die beiden Nummern wurden von (männlichen) Studiomusikern und einem Orchester gestellt, die Rosée Sisters - die auf dem Cover paradoxerweise mit ihren Instrumenten abgebildet sind - durften ‚nur‘ dazu singen. Die von Presse und Publikum so hoch geschätzte ‚Damenkapelle‘ wurde damit von der deutschen Polydor auf den Platz der ‚Frauenvokalisten‘ verwiesen. Dazu eine Begriffserklärung. Die deutschsprachige Musikpresse sprach von ‚Frauenvokalisten‘, um ein seit Vaudeville-Tagen gängiges Phänomen zu bezeichnen: Mädchengesangsgruppen, die in Begleitung eines Tanzorchesters auf der Bühne standen, und deren Programm oft von Produzenten, und unter Mithilfe von Songwriter-Teams bestimmt wurde. Im Gegensatz dazu bezeichnete der Terminus ‚Damenkapelle‘ eine Gruppe von Musikerinnen, die ihr Repertoire selbst wählen, und sich selbst an eigenen Instrumenten begleiten. Das Konzept der ‚Frauenvokalisten‘ war zu dem Zeitpunkt, an dem die Rosée Sisters von der Polydor ins Studio geschickte wurden, weit eher etabliert. Sehr bekannte, populäre Vorbilder aus dem US-amerikanischen Kontext waren etwa die Shirelles, die Ronettes und die Shangri-Las, die dort unter dem Label »girl groups« gehandelt wurden. Auch in Österreich gab es Vorläuferprojekte wie die Glorias, die Kitty Sisters und die Honey Twins – beliebte Sängerinnengruppen, die ebenfalls unter anderem für die Polydor aufnahmen, und so eine gut geölte Hit-Maschinerie am Laufen hielten, ohne ihr besondere Innovation abzuverlangen.
Im Interview spricht Brigitte Rosée auch heute nur ungern über die Platte auf Polydor, obwohl diese Veröffentlichung für eine österreichische Beat-Band der Mitt-1960er eigentlich eine kleine Sensation darstellt. Darauf angesprochen, winkt Rosée ab: Ein schlechtes Management hätten sie damals gehabt, und keine ausreichenden Möglichkeiten, so zu produzieren, wie sie selbst es gerne gehabt hätten. Am Management allein dürfte es allerdings nicht gelegen haben. Dass ‚Damenkapellen‘ nicht als Instrumentalistinnen auf Schallplatten der 1960er in Erscheinung treten, ist durchaus ein strukturelles Phänomen. Die erste derzeit bekannte österreichische Single, auf der eine Frauenband selbst ihre Instrumente einspielt, erscheint immerhin erst im Jahre 1976, bezeichnenderweise auf einer obskuren Privatpressung einer Schülerinnenband aus Niederösterreich (den Topsy Girls). Aber: gibt‘s nicht? Stimmt nicht.
NB: Der Artikel entstand unter Rückgriff auf das von Al Bird Sputnik für die Trash Rock Archives und das Projekt ‚Schnitzelbeat‘ erhobene empirische Material. Die Autorin dankt dem Archiv für die freundliche Zurverfügungstellung von Interviews, Schallplatten, Zeitungsartikeln und Fotografien, sowie für die ausführliche Beratung zu den Rahmenbedingungen von Beatmusik und Popmusikindustrie im Europa der 1960er Jahre.