Jetzt aber wirklich: One Love

HipHop - hier durchwegs als Musikrichtung verstanden - besitzt ein enormes lyrisches Potential. Zudem spornt er die menschliche Stimme zu beeindruckender Kunstfertigkeit an. Und wenn ein einschlägiger Beat gut produziert ist, schlägt er mit einem Schlag ein - in Cortex, Herz und Muskeltonus. Obendrein ist die Geburt von HipHop ein Akt der Selbstermächtigung und des Widerstands gewesen. Und zu versuchen, sich an der Rettung der Welt zu beteiligen, halte ich für begrüßenswert. Lauter gute Sachen. Kein Wunder, dass ich HipHop mag.

Ein Wunder; dass ich HipHop mag. Sein politisches Bewusstsein erscheint vielerorts betäubt. In so manchem Subgenre ist er zu einer Art urbanem Schlager verkommen: Illusionen einer heilen Welt auf trendigen Electronics. Da verschwimmen die Grenzen zum Ballermannsound, dort wird sorgloser Hipster-Pop serviert. So oder so: Das Leben ist geil. Kreative Subversion und ernstzunehmende Utopiebildung sind Mangelware. Auch dort, wo sich HipHop nach wie vor rebellisch gibt. Vielmehr reproduzieren und verfestigen die allermeisten Acts - ob nun im idiotischen Fun-Modus oder in der Pose der Renitenz - die bestehenden Verhältnisse. Selbst MCs, die mitunter zurecht und zutreffend soziale Misslagen beschreiben, kennen in zweiter Instanz meist nur billige Feindbilder (und bringen dann im Extremfall in ihren Texten führende Politiker*Innen oder Vetreter*Innen der Exekutive um). Wird ein besseres Leben in Aussicht gestellt, dann beschränkt mensch sich gerne auf die Botschaft, dass es jede/r aus der Scheiße heraus und nach oben schaffen kann. Was also als Ziel installiert wird, ist letztlich nicht, das System menschenwürdig umzugestalten, sondern zu jenen zu gehören, die von diesem System profitieren: Auch du kannst soviel Knete machen wie ich, bzw. irgendwann habe ich auch einen BMW, meinen Werbevertrag mit McDonalds und Massen an Groupies. Apropos Groupies. Während HipHop weitgehend als Bollwerk gegen Rassismus fungiert, distanziert er sich von anderen Formen der Diskriminierung oft nur puntktuell. Sexismus und Homophobie sind nicht nur salonfähig, sondern vielmehr fixes Interieur des Salons. Nicht nur im Street- und Gangstarap.

Ist HipHop also durch die Bank dumm und verblendet? Nein. Denn glücklicherweise gibt es progressive Strömungen und immer wieder - gerade auch hierzulande - spannende Artists mit Köpfchen und Rückgrat. Ist HipHop also in der Regel dumm und verblendet? Nochmals nein. Zumindest ist er kein Jota dümmer und verblendeter als die Gesellschaften, in denen er stattfindet. Er ist bloß ein ziemlich guter Spiegel der herrschenden Denkweisen und Handlungsmaximen. HipHop bildet den Status Quo freilich nicht eins zu eins ab. Doch HipHop ist ein sehr gesprächiger und wertvoller Informant. Denn erstens findet HipHop - mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum - in allen sozialen Schichten statt, ist längst im Mainstream angekommen und medial präsent. Zweitens ist HipHop das sprachlastigste Genre überhaupt. Und auch wenn nonverbale Aspekte wie etwa visuelle Inszenierungen, Soundästhetik oder Geschäftsstrukturen wertvolle Analyseobjekte sind, das gesprochene Wort macht Meinung und Attitüde dingfester als alles andere. Und drittens läuft im HipHop die Gewinnung von Hörer*Innen immer mehr über die Identifikation mit den Künstler*Innen als Personen, bzw. Kunstfiguren ab. Auch deswegen ist Hip Hop besonders verräterisch.

Was uns HipHop z.B. verrät, ist, dass es emanzipatorische Bewegungen schwer haben, sich neben scheinbar apolitischem Stahlbad-Fun und konservatistischer Pseudo-Revolte zu behaupten. Klar, den meisten Rapper*Innen geht es in ihrer Performance nicht um politische Umwälzungen. Ein solcher Anspruch gereicht auch nicht unbedingt immer zum Vorteil. Er ist in den vielen Fällen sogar prätentiös und peinlich. Und: Kunst muss ja auch nicht explizit politisch sein, um gut zu sein. Das Aufbegehren gegen inhumane Realitäten ist schlichtweg kein Kerngeschäft der Kunst. Nichtsdestotrotz gilt: Alles hat eine politische Dimension, selbst wenn eine solche nicht intendiert ist. D.h. nicht nur wenn Haftbefehl Angela Merkel erschießen will oder Sookee versucht, Geschlechterrollen aufzubrechen, ist HipHop politisch. HipHop ist auch politisch, wenn Pandabärchen Cro meint: »Die Welt ist geil, denn ich hab alles, was ich brauch.«
Hier werden Haltungen vermittelt und öffentlich affirmiert, kritisiert, zur Diskussion gestellt. Haltungen, die das Zusammenleben, die Organisation von Gemeinschaft betreffen. Das ist politisch. Und es wäre m.E. falsch zu denken, HipHop würde die gesellschaftliche Ordnung zwar illustrieren, hätte aber keinerlei Einfluss auf eben diese. Das Verhältnis ist wechselseitig. Der Spiegel spiegelt nicht nur, er kann auch selbst tätig werden und Gegenbilder entwerfen. Und es sind dieselben Gründe, die ihn zu einem guten Spiegel machen, die HipHop dieses Aktionskapital verschaffen. Wenn z.B. mehr Artists den homophoben und sexistischen Sprachgebrauch im Rap unterlassen oder gar offen angreifen würden, hätte das eine Auswirkung auf den Sprachgebrauch, die Gedankenwelt, das Handeln der Hörer*Innen. Diesen Einfluss darf mensch nicht überschätzen. Es gibt aber keinen guten Grund, ihn völlig in Abrede zu stellen. Soll heißen: Es ist nicht die Aufgabe von HipHop Politik zu machen, aber er macht auch Politik. Ob er will oder nicht. Und das sollte HipHop bedenken. Das sollten wir alle bedenken. Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir weder Parlamentarismus-Rap noch Soziologie-Referat-Cyphers noch HipHop als Speerspitze einer Revolution, sondern schlicht und einfach Künstler*Innen, die über den Tellerrand denken und in ihrer Kunst Courage zeigen.

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