Der letzte linke Kleingärtner, Teil 4

Wege aus Beton

Beton und Kleingärtner gehören zusammen wie der Sand und das Meer. Sie sind eine innere Einheit voll Stabilität und emotionaler Zuwendung. Und eigentlich ist die kleingärtnerische Symbiose mit Beton der Vorläufer von Punk. Das muss mal gesagt werden. Bevor Punk das Licht der Welt erblickte, arrangierte sich der Kleingärtner schon mit Beton und baute damit fleißig allerhand Wege in seinem Garten.

1980 haute die eigentlich zunächst unbedeutende Punk Combo S.Y.P.H. aus »Düsseldorfer Zusammenhängen« den Song »Zurück zum Beton« in die Welt: » (…) Zurück zum Beton / Zurück zum Beton / Zurück zur U–Bahn / Zurück zum Beton / Da ist der Mensch noch Mensch / da gibt‘s noch Liebe und Glück / Zurück zum Beton / Zurück zum Beton / Ekel Ekel Natur Natur / Ich will Beton pur / (… )/ Ich will nur im Beton tanzen.«

Und weil der Song den grün-alternativ geschwängerten Zeitgeist mit der gleichsam ordnenden wie festen Hand des Betons kaperte, war die Band fortan nicht mehr unbedeutend, sondern richtungsweisend und stilprägend. Also in etwa so, wie es der letzte linke Kleingärtner heute ist. Damals hatten sich auf diese Weise zwei gefunden, obwohl der eine der beiden noch gar nicht das Licht der medialen Öffentlichkeit erblickt hatte. So was nennt man Fügung. Daraus werden die großen religiösen Erzählungen gestrickt.

In einem Garten geht nichts über einen stabilen Betonweg. Mindestens einen. Wer sonst sollte unsereinem Stabilität geben. Ab den 1960er Jahren wurden in Deutschland vermehrt Betonwege in Gärten gebaut. Letztere gab es damals noch zuhauf. Im ländlichen Raum hatte eigentlich jeder Haushalt einen Gemüsegarten – also nix englischer Rasen mit jährlicher Edeldüngung. Und damit alles im Garten seine Ordnung hatte und man ihn trockenen Fußes betreten und wieder verlassen konnte, wurde ein Betonweg gebaut. Das Glücksgefühl aus einer Mischung von Ordnung und Stabilität stellt sich bei mir heute noch ein, wenn ich via Betonweg mein Reich der Ernährung und ökologischen Glückseligkeit betrete. So integriere ich Ökologie in die harten Fakten des Lebens. Das nützt der Menschheit und mir.

Ich habe den Betonweg zwar nicht selbst gebaut, sondern meine häuslichen Vorbesitzer. Aber ich weiß deren Lebenswerk zu schätzen und halte es in Ehren. Aber wie wurde damals der Betonweg eigentlich gebaut? Es gab noch keine Baumärkte mit Fertigbeton. Nichts einfacher als das. Kies und Sand ließen sich organisieren. Entweder regulär oder über leichte betriebswirtschaftliche Umwege, bei denen die eine oder andere Kiste Bier hilfreich war. Die digitale Überwachung der Warenströme durch Finanzämter war noch nicht geboren. Und ja, Zement musste man regulär kaufen. Das war eine Ausnahme, ließ sich aber organisieren und hielt sich preislich im Rahmen. Der Rest des baulichen Vorhabens wurde aus den beiden Zutaten »Samstags« und »Nachbarschaftshilfe« gemixt und nahm an den trockenen Wochenenden des Jahres nach und nach seine graue Gestalt an. Fertig war der Betonweg. War der eine fertig, ging es zum nächsten Nachbarn. Die Zutaten blieben gleich: Kies, Sand, Zement, Bier, Samstag, Nachbarschaftshilfe. Fertig war man nie. Solche Bauwerke sind ein menschliches Lebenswerk für jede Form der Ewigkeit.

Diese Nachbarschaftshilfe kam irgendwann später unter die Räder und verschwand, je mehr die im Neoliberalismus so beliebten Ich-AGs ihren Siegeszeug antraten. Aber siehe da, heute ist die soziologisch hoch interessante Nachbarschaftshilfe wieder en vogue und es werden jede Menge finanziell gut ausgestattete NGOs dafür gegründet sowie staatliche Koordinierungsstellen fürs Ehrenamt etabliert. Mit vielen hauptamtlichen pädagogischen Fachkräften. Ohne betreuende Sozialarbeit geht heutzutage niemand mehr in der Zivilgesellschaft auf die Straße, geschweige denn in den Garten. Ich bezweifele, dass dies in den umliegenden Gebieten wie Luxemburg oder Österreich relevant anders ist oder gar traditionell wie im mystischen »früher«.

Jedenfalls haben meine kleingärtnerischen Vorbilder Wege aus Beton für die Ewigkeit geschaffen. Glücklicherweise haben sie keinen Stahlbeton verwendet, dann würde der Betonweg gar für die doppelte Ewigkeit halten und sich jedweder Veränderung entziehen. Dieses Zeugs hat man in Deutschland traditionell für den Bunkerbau verwendet. Der ist aber nicht mehr nötig, da man die Kriegsführung ins Ausland verlagert hat.

Das ist jedenfalls die wahre und ehrliche Geschichte des Betonwegebaus im Gemüsegarten. Und seien wir doch mal ehrlich: Die ganzen ökologischen Tipps von Naturmaterialien für den Wegebau sind doch in etwa so, als würde ich eine Wiese – oder meinetwegen auch einen Rasen – statt mit einem knatternden Zweitakter neuerdings auf den Knien rutschend manuell mit der Schere schneiden. Man muss sich das Leben nicht unnötig schwer machen, sondern sollte sich mit den Errungenschaften der Wissenschaft und Technik arrangieren. Man muss auch nicht ständig eine Grundsatzdiskussion über »eigentlich und früher« führen.

Roland Röder ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar e.V. (www.a3wsaar.de), einer allgemeinpolitischen NGO in Deutschland, die bundesweit arbeitet, u.a. zu Landwirtschaft, Asyl, Migration, Islamismus, Antisemitismus, Fairer Handel. Er mag den Begriff „Hobby“ nicht und lebt einen Teil seines Lebens als aktiver Fußballfan. Die Gartenkolumne erscheint auch in der Luxemburger Wochenzeitung WOXX .